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2.

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Aber noch an diesem Nachmittag änderte sich das Kräfteverhältnis doch schlagartig und brachte eine völlig neue, unerwartete Situation. Etwas Unvorhergesehenes trat ein. Jean Ribault und Matt Davies glaubten kaum, ihren Augen zu trauen, und doch mußten sie das Ungeheuerliche als drohende Tatsache hinnehmen.

Ihr Augenmerk war nach wie vor auf die Bucht von Grand Turk gerichtet. Eigentlich war es mehr ein Zufall, daß Matt sich einmal umdrehte und einen Blick durch den Kieker über den ostwärts liegenden Seebereich warf. Plötzlich hockte er wie erstarrt da.

„Jetzt trifft mich der Schlag“, flüsterte er.

„Was ist los?“ fragte Ribault, ohne den Blick von der Bucht zu nehmen.

„Wir erhalten Besuch. Ich sehe Mastspitzen.“

„Was?“ Ribault fuhr zu ihm herum und richtete das Spektiv zum Atlantik, als Matt es ihm mit einer hastigen Bewegung überreichte.

„Verdammt, du hast recht“, sagte dann auch er. „Hol’s der Henker. Mastspitzen an der östlichen Kimm. Sie sind noch hauchdünn und nadelfein, aber doch unverkennbar.“

„Der Teufel soll sie holen.“

„Ich kann jetzt mehr sehen“, sagte Ribault nach einer Weile. „Es sind sechs. Sechs Galeonen, Matt!“

„Beim Donner, verschon mich mit weiteren Einzelheiten.“

„Schiffe in Kiellinie“, murmelte Ribault. „Allem Anschein nach Spanier – und keine Handelsgaleonen.“

„Und ihr Kurs?“

„Ist fast genau auf die Turks-Inseln gerichtet, das hast du doch selbst gesehen“, erwiderte Ribault. „Oder hast du noch irgendwelche Zweifel?“

„Das wirkt fast so, als wüßten sie, daß Cubera hier festsitzt und Unterstützung braucht. Oder?“

„Jetzt nicht unken, Matt.“

„Es sind Kriegsgaleonen, vergiß das nicht!“

Ribault erhob sich und warf Matt das Spektiv wieder zu. Dieser fing es geschickt mit seiner gesunden Hand auf.

„Ich pulle jetzt erst zu den anderen rüber und gebe ihnen Bescheid“, sagte der Franzose. „Dann sehen wir weiter. Bleib du hier auf dem Posten.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, sagte Matt. Er hatte den Kieker bereits wieder ans Auge gehoben und spähte mit verdrossener Miene zu den auf segelnden Schiffen. „Kriegsschiffe. Verdammter Dreck. Wir können bloß noch hoffen, daß sie sich verirrt haben oder zufällig hier aufkreuzen.“

„Und daß sie nach Möglichkeit auf ein feines kleines Riff brummen“, sagte Ribault, dann war er zwischen den Büschen verschwunden.

Sie waren beide völlig überrascht, versuchten ihre Bestürzung aber zu überspielen. Was ihnen drohte, wenn der Sechserverband aus reinem Zufall Grand Turk anlief und zu Cubera stieß, konnten sie sich beide leicht ausrechnen, es gehörte keinerlei Scharfsinn dazu.

Ribault arbeitete sich durch das Gestrüpp und rutschte fast auf dem Hosenboden den Hang hinunter, so eilig hatte er es plötzlich. Seine vordringliche Aufgabe war es jetzt, die Kameraden an Bord der „Empress of Sea II.“ zu alarmieren. Er erreichte das Boot, warf die Leine los, kletterte hinein, setzte sich auf die mittlere Ducht und begann wie der Teufel zu pullen.

Der alte O’Flynn, sein Sohn, die Zwillinge und die anderen standen bereits am Schanzkleid der „Empress“ und blickten ihm mit gemischten Gefühlen entgegen.

„Beim Wassermann“, murmelte der Alte. „Es gibt Neuigkeiten, aber keine guten, wie mir schwant.“

„Dir schwant immer nur Übles“, sagte Dan.

„Kannst du mir mal einen Gefallen tun und dein Maul halten?“

„Aye, Sir.“

Ribault hatte die „Empress“ erreicht, ging mit der Jolle längsseits und richtete sich auf.

„Kriegsgaleonen im Anmarsch“, sagte er. „Spanier.“ Er berichtete, was Matt und er gesichtet hatten – und die Kameraden begannen zu fluchen.

„Schöne Bescherung!“ stieß der Alte hervor. „Los, schmeißt mir mal einen Kieker rüber!“

Hasard junior reichte ihm das Messingrohr. Er zog es auseinander und richtete es nach Osten. Seine Miene war verkniffen, und er hörte nicht mehr auf zu fluchen.

„Ich kann sie schon schwach mit dem bloßen Auge erkennen“, sagte Dan.

„Dann wird’s Zeit!“ stieß der Alte aus. „Bewegt euch, ihr Triefnasen! Wir müssen hier weg!“

„Willst du wirklich abhauen?“ fragte Nils entgeistert.

„Willst du, daß die Dons uns hier entdecken?“ fauchte der Alte ihn an.

„Das nicht – aber es gibt noch andere Möglichkeiten.“

„Zum Beispiel?“ fragte Jean Ribault.

„Wir können in den Seitenarm der Bucht verholen“, entgegnete Nils. „Da finden wir genug Deckung. Ich meine, es wäre glatt ein Fehler von uns, jetzt das Weite zu suchen. Und ehe wir uns verzogen haben, können uns die Ausgucks des Verbandes ebenfalls gesichtet haben.“

Old O’Flynn spuckte über das Schanzkleid ins Wasser, dann brummte er: „Das leuchtet auch mir ein. Aber wir müssen uns höllisch beeilen – darauf kommt’s an. Alles klar?“

Sie waren sich einig: Von einem gut gesicherten und getarnten Versteck aus konnten sie die Stellung halten und abwarten, was sich weiter ereignete. Wichtig war, daß sie jetzt nicht unruhig wurden. Mit verhaltener Stimme gab der Alte seine Befehle, und an Bord des kleinen Dreimasters setzte emsige Betriebsamkeit ein.

Binnen weniger Minuten hatten sie die „Empress“ in den kleinen Seitenarm der Bucht verholt, den sie schon am Vortag entdeckt und erkundet hatten. Die Wassertiefe war ausreichend, und sehr groß war der Tiefgang der „Empress“ ja auch nicht – ohne Schwierigkeiten konnten sie die kleine Karavelle in den Seitenarm bugsieren. Sie paßte knapp hinein und wurde auf beiden Seiten von den Mangroven getarnt.

Die Gaffeln und Rahruten wurden jedoch vorsichtshalber an Deck gefiert, und die drei Pfahlmasten ließ Old O’Flynn mit Mangrovenästen verhängen. Genauso verfuhren sie mit dem Heck, dann tarnten sie auch den Zugang zu dem Seitenarm, so daß sich der kleine Dreimaster nunmehr in einem perfekten Versteck befand.

„Wir sitzen allerdings auch in einer Falle, wenn sie uns hier aufstöbern“, sagte der Alte, als sie das Achterdeck enterten und durch den Mangrovenvorhang zu den heransegelnden Spaniern blickten.

„Man soll’s nie berufen, weißt du das?“ fragte Jean Ribault.

„Nein“, brummte Old O’Flynn. „Woher kommen diese Dons deiner Ansicht nach?“

„Aus Spanien.“

„Das halte auch ich für möglich. Hölle, hätten sie denn nicht in einem Sturm absaufen können?“

„Ein frommer Wunsch“, sagte Don Juan de Alcazar leise. „Aber sie scheinen keinerlei Schaden genommen zu haben, oder täusche ich mich?“

„Das stimmt“, erwiderte Dan, der ebenfalls unablässig durch sein Spektiv blickte. „Die Galeonen sehen sehr solide und kampffähig aus. Sicherlich sind sie auch gut armiert.“

„Danke, das genügt“, sagte sein Vater. „Brecht bloß nicht in Panik aus. Mal sehen, was weiter passiert.“

Etwas anderes blieb ihnen ohnehin nicht übrig. Schweigend standen sie da und spähten zu dem nahenden Feind, und auch Matt Davies beobachtete den Verband mit starrem, trotzigem Gesicht. Der spanische Ausguckposten auf Grand Turk hingegen hatte den Verband immer noch nicht bemerkt, weil er weiterhin westwärts blickte. Außerdem war im Osten die kleine, Grand Turk vorgelagerte Insel, die den Ausblick auf den Atlantik versperrte.

Don Gonzalo de Vallejo stand mit etwas abgespreizten Beinen an der Schmuckbalustrade auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes und verschränkte die Arme vor der Brust. Eben hatte der Ausguck im Hauptmars Land gemeldet. Er konnte zufrieden sein. Alle Berechnungen schienen zu stimmen, und er traf nahezu auf die Stunde genau in der Karibik ein.

Präzision ist alles, dachte er und hob das Kinn leicht an. Sein Blick fiel auf die Männer, die auf dem Hauptdeck und der Back ihren Dienst versahen.

Bald gibt es alle Hände voll zu tun für euch, dachte er, ich hoffe, daß wir so schnell wie möglich auf die ersten Piratenbanden und Horden von Galgenstricken stoßen.

Einer der jungen Seesoldaten sah wie in Trance zu ihm auf. Irgend etwas schien ihn zu faszinieren. Don Gonzalo de Vallejo überlegte, ob er ihn zurechtweisen oder notieren sollte, sah dann aber doch davon ab, weil ihm die Festlegung des weiteren Kurses jetzt seine ganze Konzentration abverlangte. Er rief seine Offiziere zu sich und teilte seine Befehle aus.

Der Kriegsverband aus Cadiz hatte die Order, die Karibik-Flotte zu verstärken, seit sich die Nachrichten bei Hof häuften, daß dieser Bereich der Neuen Welt Gefahr laufe, zu einem Tummelplatz der Freibeuter und Piraten zu werden. Die vorhandenen Marinestreitkräfte reichten nicht mehr aus, den spanischen Herrschaftsanspruch wirksam durchzusetzen.

Ganz abgesehen davon sollte die bisherige Karibik-Flotte in letzter Zeit erhebliche Verluste gehabt haben. Immer wieder wurden Geleitzüge auf dem Wege zurück nach Spanien von Freibeutern überfallen und ausgeplündert – vornehmlich im Bereich der Bahama-Inseln. Wie das geschehen konnte und wie das alles zusammenhing, wollte Don Gonzalo de Vallejo ganz nebenbei erforschen.

Er fand, daß es ungeheuerlich war, wie die Frechheit und Tollkühnheit der Piraten in den letzten Monaten zugenommen hatten. Man mußte mit ihnen aufräumen – gründlich. Er würde Exempel statuieren und die Leichen dieser Kerle an den Stränden in die Palmen hängen, als abschreckendes Beispiel für alle anderen, die glaubten, es mit dem großen, mächtigen Reich Spanien-Portugal aufnehmen zu können.

Zwei der sechs Kriegsgaleonen sollten nach Anlaufen des Zielhafens Santiago de Cuba nach Cartagena, zwei nach Havanna und zwei nach Fort St. Augustine detachiert werden. So lauteten die Anweisungen, und de Vallejo würde sich streng nach ihnen richten.

Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit dichtem schwarzem Haupthaar und einem starken Schnäuzer, dessen Enden über die Mundwinkel nach unten hingen. Sein Gesicht, markant geschnitten mit einem deutlichen Zug von Grobheit und Brutalität, war nahezu ausdruckslos. Auch seine braunen Augen hatten nicht das Feuer des temperamentvollen Südländers.

Er hatte sich stets in der Gewalt und gehörte nicht zu den cholerischen, leicht aufbrausenden Menschen. Er wußte, daß es nichts Übleres gab, als auf einem Kriegsschiff die Nerven zu verlieren. Ständig mußte man den Kerlen zeigen, daß man über ihnen stand und mehr war als sie, daß man sie verachtete und sie einen Dreck taugten. Nur durch Autorität und Unnachgiebigkeit konnte der Kommandant eines Verbandes seine Stellung behaupten, anders war es nicht möglich.

In den Augen seiner Offiziere war de Vallejo ein kaltschnäuziger und hochfahrender Mann, der keinen Widerspruch duldete. Sie haßten ihn – auch, weil er ein Leuteschinder war, der jederzeit bereit war, seine Mannschaften bedenkenlos in den Tod zu jagen. Nicht jeder Kapitän dachte so, andere waren klüger und nahmen mehr Rücksicht auf die Würde, die auch ihre Untertanen hatten.

Die Würde anderer jedoch bedeutete Don Gonzalo de Vallejo gar nichts. Sie interessierte ihn nicht. Er war ehrgeizig und gewillt, das „Piratengelichter“ mit eisernem Besen von der Karibik zu fegen. An dem erforderlichen Mut mangelte es ihm nicht – er entsprach seiner Rücksichtslosigkeit.

Als ihm die Inseln voraus gemeldet worden waren, hatte er nur lässig genickt. Es mußten die Turks-Inseln sein – und sie waren es auch, wie sich nach einem neuerlichen Blick auf die Seekarten und einer routinemäßigen Überprüfung des Kurses und der Position herausstellte.

Seine Navigation war perfekt. Er hatte die Absicht, durch die Turks-Passage zu segeln und dann durch die Windward-Passage Santiago de Cuba anzusteuern. Nach den Seehandbüchern der spanischen Marine wußte er, daß er nördlich von Grand Turk fast auf Südkurs gehen mußte, weil sich westlich und östlich von diesem Kurs gefährliche Bänke und Untiefen erstreckten – die Caicos-Bank und die Mouchoir-Carré-Bank. All das mußte beachtet werden, und weder ihm noch den Kapitänen der fünf Begleitschiffe durfte auch nur der geringste Fehler unterlaufen.

Reichlich spät wurde der Verband der Kriegsgaleonen von Don Garcia Cuberas Männern gesichtet, als er die Nordspitze von Grand Turk rundete und im Begriff war, in die Passage zu steuern. Plötzlich gaben die Ausguckposten auf der Insel Musketenschüsse in die Luft ab und winkten den Schiffsmannschaften brüllend und schreiend zu.

„Señor Capitán General“, sagte der Erste Offizier des Flaggschiffes. „Da gibt uns jemand Zeichen.“

„Das sehe ich auch“, sagte de Vallejo ziemlich ungehalten. „Wer ist das?“

„Es scheinen Landsleute von uns zu sein, Señor.“

„Und wenn sie es nur vortäuschen?“

„Sie sprechen Spanisch, Señor.“

„Was heißt das schon?“ sagte de Vallejo verächtlich. „Jeder Pirat kann unsere Sprache erlernen. Es sollen schon die tollsten Verwechselspiele stattgefunden haben, wenn Sie wissen, was ich meine.“

„Nicht ganz.“

„Man könnte uns eine Falle stellen, kaum, daß wir eingetroffen sind“, sagte de Vallejo kalt. „Einen Hinterhalt, in den wir wie die Narren hineinsegeln. Freibeuter brauchen Waffen. Vielleicht bilden sie sich ein, sie bei uns holen zu können. Und Schiffe – schon viele Galeonen sind gekapert worden, aber das scheint man Ihnen auf der Marineschule nicht beigebracht zu haben.“

Der Erste schwieg. Er war sicher, daß die Männer, die da schossen und wie die Verrückten winkten, Hilfe brauchten. Er war überzeugt, daß er sich nicht täuschte. Aber es war gefährlich, einem Mann wie Don Gonzalo de Vallejo zu widersprechen.

„Wahrschau!“ schrie einer der Männer auf der Insel – laut genug, daß es an Bord des Flaggschiffes zu verstehen war. „Hilfe! Wir sind Spanier!“

„Von der ‚San José‘!“ brüllte ein anderer.

„Die ‚San José‘!“ wiederholte de Vallejo. „Ist das nicht das Flaggschiff eines Verbandes, der zuletzt in Havanna stationiert war?“

„Ja, Señor“, erwiderte der Erste. „Entsprechende Meldungen haben uns in Cadiz vorgelegen. Aber es könnte sich inzwischen etwas daran geändert haben.“

De Vallejo sann nur kurz nach, dann beschloß er, daß es doch besser war, nach dem Rechten zu sehen. Täuschte er sich und hatte er wirklich Landsleute vor sich, dann konnte man ihm später einen Strick daraus drehen, falls er sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machte. Das wollte er denn doch vermeiden.

„Die Segel aufgeien!“ befahl er scharf. „Ein Boot abfieren und aussetzen! Wir sehen nach, was da los ist! Sechs Rudergasten und sechs schwer bewaffnete Soldaten entern ab!“

Der Befehl wurde ausgeführt. Wenig später lagen die Schiffe beigedreht im Wind. Don Gonzalo de Vallejo enterte selbst in das Beiboot ab, ließ ablegen und gab den Befehl, auf die Insel zuzupullen.

Wenig später ließ er sich von den Posten am Ufer einwinken. Er wurde in die Bucht auf der Ostseite der Insel gelotst, und jetzt konnte er feststellen, daß es sich offensichtlich doch nicht um eine Falle handelte. Zwei Schiffe lagen in der Bucht vor Anker, die „San José“ und eine zweite Kriegsgaleone, beide augenscheinlich stark ramponiert.

Die haben ein schweres Gefecht hinter sich, dachte de Vallejo. Gegen wen hatten sie gekämpft? Gegen Freibeuter? Er konnte es jetzt kaum noch erwarten, an Bord der „San José“ zu entern und von dem Kommandanten zu erfahren, was sich zugetragen hatte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 406

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