Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 405 - Roy Palmer - Страница 6

2.

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Ein Umstand, der sich jetzt einstellte, wirkte einigermaßen ernüchternd auf ihn. Um ihn herum landeten spritzend und gischtend die Trümmerteile der beiden explodierten Galeonen in der See. Nur etwa dreißig Yards von ihm entfernt schoß eine Wassersäule hoch, als sei dort ein schweres Kaliber eingeschlagen. Etwas Unförmiges sprang aus dem Wasser und klatschte wieder zurück.

Ohne zu zögern, schwamm Hasard darauf zu. Er versuchte zu erkennen, um welche Art von Gegenstand es sich handelte. Eine Gräting? Nein – es schien eher ein Stück Bordwand zu sein. Im Näherkommen sah er trotz der Dunkelheit, daß sich an der Innenseite noch die Spanten befanden. Mit einiger Phantasie gelang es ihm, sich das Ding als eine Art Floß vorzustellen.

Auf jeden Fall schien es groß genug zu sein, um sein Gewicht zu tragen. Er erreichte es, klammerte sich daran fest und zog sich keuchend und ächzend hinauf. Schwer atmend ließ er sich sinken. Die Brust schmerzte wie verrückt, aber wieder zwang er sich dazu, ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. Gerettet, dachte er, vorerst jedenfalls. Haie, ihr könnt kommen, es gibt nichts mehr zu holen!

Doch sie zeigten sich nicht. Ihm fiel die alte Legende ein, das Seemannsgarn, demzufolge die grauen Mörder nachts schliefen oder überhaupt nicht imstande waren, auf kürzeste Distanz eine mögliche Beute zu erkennen. Blind waren sie, hieß es, und am liebsten griffen sie bei Tageslicht und bleischwerer, spiegelglatter See an.

Aber das war eben Seemannsgarn oder reine Phantasie. Hasard wußte, daß er Glück im Unglück gehabt hatte. Leicht hätte er Haien oder Barrakudas zum Opfer fallen können. Eine Gefahr war gebannt, auf der herausgebrochenen Bordwand war er einigermaßen sicher. Er lag auf dem Rücken, atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen.

Das gelang nur im Ansatz. Die Schmerzen stachen ihn wie glühende Nadeln. Bei jedem Atemzug bohrten sie sich tiefer in seinen Oberkörper. Er versuchte jetzt, flacher und regelmäßiger Luft zu holen. Gleichzeitig überlegte er. Der Brustkorb mußte geprellt sein, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Auch der Kutscher oder Mac Pellew hätten nichts anderes festgestellt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte es ein paar Rippen erwischt, sie waren angebrochen. Das tat wirklich höllisch weh.

Aber trotz der Schmerzen und der Erschöpfung, die an ihm zehrte, blieb er nicht untätig. Wenn du überleben willst, brauchst du noch einiges, dachte er, alles, was du kriegen kannst.

Er richtete sich wieder auf, kniete sich hin und glich das Schaukeln seines Untersatzes durch Gegenbewegungen aus. Es war nicht sonderlich schwer, die Balance zu halten, er mußte nur darauf achten, daß er sich nicht zu heftig bewegte.

Eine Planke trieb auf ihn zu. Sie war für seine Zwecke geeignet, handgerecht genug, um als Paddel zu dienen. Er beugte sich vor und streckte die rechte Hand aus, aber die Planke glitt um Zollbreite an seinen Fingern vorbei. Er drehte sich leicht nach rechts, griff wieder zu – und hatte sie. Grimmig packte er zu und zog sie zu sich heran.

Es lohnte sich, weiterhin Ausschau zu halten. Er trieb mit seinem Floß mitten im Trümmerbereich und konnte noch so manches auffischen, was ihm dienlich war. Aufmerksam spähte er nach allen Seiten. Was konnte er noch gebrauchen?

Seinen Degen hatte er verloren, das Wehrgehänge war leer. Aber das Messer fiel ihm ein, das im rechten Stiefel stecken mußte. Er tastete an seinem Bein entlang, schob die Hand in die Öffnung des Stulpenstiefels und berührte das Heft des Messers. Er grinste, lachte, hustete, verspürte neue Schmerzen und war doch froh, es wiedergefunden zu haben. Fast war ihm, als habe er einen Sieg errungen.

Rasch zog er das Messer heraus, sah sich erneut um und entdeckte treibende Teile, an denen noch Leinen hingen. Er arbeitete sich unter Zuhilfenahme des Paddels darauf zu, beugte sich wieder etwas außenbords und kappte die Leinen mit dem Messer.

Die Leinen brauchte er, um sich eventuell auf seinem provisorischen Floß festzubinden. Wenn das Wetter sich verschlechterte und der Seegang zunahm, würde das erforderlich werden. Die Gefahr, ins Wasser zu rutschen, war dann groß, zumal er in seinem Zustand nicht in der Lage war, sich auf einer tanzenden, nur etwa zwei mal zwei Yards messenden Plattform zu halten.

Er belegte die Leinen an dem herausragenden Ende eines Spants, richtete sich wieder auf und ließ seinen Blick erneut wandern. Wenig später sichtete er etwas Helles, das sich als ein Stück Segeltuch entpuppte. Es hing an dem zerschossenen Überrest einer Spiere, ein Fetzen, der dennoch verwendbar war.

Mit etwas Akrobatik gelang es ihm, die Spiere zu sich heranzuziehen und das Stück Segel davon loszuschneiden. Er barg es und verstaute es zwischen den Leinen, so daß es nicht abtreiben konnte. Immerhin, dachte, er, das ist schon eine ganze Menge. Aber eine Waffe müßtest du noch haben – und Proviant.

Es war vermessen, zu hoffen, daß er sich alles verschaffen konnte, was er als Schiffbrüchiger zum Überleben brauchte. Aber er gab nicht auf. Wieder hielt er Umschau. Er erblickte etwas Unförmiges, das sich genau auf ihn zuzubewegen schien, kniff die Augen zusammen und versuchte, es zu identifizieren.

Die Erkenntnis war grausig: Ein Toter trieb im Wasser, die Arme und Beine weit von sich gestreckt. Er lag auf dem Rücken, dümpelte auf das Behelfsfloß zu und berührte es mit seiner Hand. Für einen Moment wirkte es so, als wolle er sich daran festklammern. Die Wellenbewegungen des Wassers erweckten ihn zu gespenstischem Leben. Aber seine gebrochenen Augen waren blicklos in den Nachthimmel gerichtet, und die Blessuren in seinem Unterleib verrieten, daß er eines schmerzhaften, aber schnellen Todes gestorben sein mußte.

„Gott sei deiner Seele gnädig“, sagte Hasard. Dann beugte er sich über ihn.

Der Tote trug keinerlei Kopfbedeckung, aber aus den zerfetzten Resten seiner Kleidung ließ sich schließen, daß er ein Seesoldat gewesen sein mußte. Die Explosion des Schiffes, auf dem er gedient hatte, hatte ihn halb zerrissen, erstaunlicherweise aber sein Gesicht und seinen Oberkörper verschont. Er mußte in die Luft katapultiert worden sein und hatte beim Sturz ins Wasser die Pistole, das Pulverhorn und die Kugeltasche verloren.

Eine Waffe hatte er aber doch noch: den Degen, der in der Scheide des Wehrgehänges steckte. Hasard zog den Mann so dicht wie möglich zu sich heran. Das Floß begann bedenklich zu schaukeln, aber er legte sich auf die Seite und verlagerte sein Gewicht so, daß ein Ausgleich vorhanden war. Mit geschickten Fingern öffnete er den Gürtel des Toten und nahm ihm das Wehrgehänge ab.

Der Degen war nicht verziert, aber aus bestem Toledostahl gearbeitet und scharf geschliffen, wie er sofort feststellte. Er schob ihn in die Scheide seines eigenen Wehrgehänges und verstaute den Gurt des Spaniers unter dem Segeltuch. Für alle Fälle, dachte er, man kann nie wissen.

Der Tote trieb weiter ab. Hasard blickte ihm nach und dachte: Vielen Dank, Kamerad. Du hast einem verdammten Engländer geholfen, aber du kannst dich nicht mehr darüber ärgern. Du hast keine Sorgen mehr und brauchst nicht ums nackte Überleben zu kämpfen.

Irgendwie mußte er sich Mut zusprechen, jedes Mittel war ihm recht. Sein alter Galgenhumor kehrte zumindest teilweise zurück, und er sagte sich, daß er notfalls bis zur Schlangen-Insel paddeln würde, wenn es erforderlich war.

Ein Bootsriemen schob sich in sein Blickfeld. Er griff nach der Planke, begann zu paddeln und fluchte, weil seine Brust wieder höllisch zu schmerzen begann. Jede Bewegung verursachte ihm Qualen, aber er biß die Zähne fest zusammen und stieß in Gedanken einige von Carberrys übelsten Verwünschungen aus – auf Englisch und auf Spanisch.

Das half – so schien es jedenfalls. Hasard ging bei dem Bootsriemen längsseits, legte die Planke weg, holte sich den Riemen und betrachtete ihn. In Ordnung, dachte er, er ist nicht gesplittert oder angeknackst, er läßt sich verwenden.

Die Krönung seiner Suche aber war das kleine Fäßchen, das plötzlich nicht weit von ihm entfernt auftrieb und rollende Bewegungen in den Wellen vollführte. Es schimmerte ein wenig im silbrigen Mondlicht und bot – alles in allem – einen äußerst verlockenden Anblick.

Wasser, dachte der Seewolf. Oder? Seinem Umfang nach war das Faß eigentlich zu klein, die Wasserbehälter an Bord von Segelschiffen waren im allgemeinen höher und bauchiger. Es bestand aber noch die Möglichkeit, daß es zu der Ausrüstung eines Beibootes gehörte, zu einer der Jollen, die das Gefecht nicht heil überstanden hatten.

Hasard paddelte zu dem Fäßchen und holte es mit dem Riemen zu sich heran. Plötzlich fiel ihm ein, daß es auch leer sein konnte, also war die Mühe umsonst. Irrtum: Als er versuchte, es auf das Floß zu ziehen, rutschte es ihm aus den Händen und landete wieder im Wasser.

Er selbst kippte um ein Haar außenbords und mußte mit den Armen rudern, um sich zu halten. Das Faß trieb ab und kugelte sich in den Fluten. Irgendwie hatte er den Eindruck, es grinse ihn höhnisch an.

Sehr witzig, dachte er, die Tücke des Objekts, nicht wahr? Noch einmal arbeitete er sich darauf zu. Er hievte es „an Deck“, und die Schmerzen schienen seine Brust sprengen und zerreißen zu wollen, aber auch dieses Mal unterdrückte er ein Stöhnen. Er stellte das Fäßchen vor sich hin, schloß die Augen und atmete tief durch.

Die Schmerzen ebbten wieder etwas ab. Er befaßte sich mit seinem Fund, suchte nach dem Korken, der das Spundloch verschloß. Ein leichter Geruch stieg ihm in die Nase – nein, es war eher ein Duft. Branntwein, dachte er und mußte unwillkürlich grinsen, zwar kein Brandy oder Whisky, aber immerhin ein ordentlicher Tropfen.

Auch die Spanier verstanden natürlich, Schnaps zu brennen. Er hatte gelegentlich die eine oder andere Sorte probiert und mußte eingestehen, daß das Zeug schmeckte und nicht nur „zum Einreiben“ taugte, wie Mac Pellew sagte.

Mac Pellew, der Kutscher, Carberry, Blacky, Smoky … Dan, Shane, Ferris und Ben – immer wieder mußte er an seine Kameraden denken. Er versetzte sich in ihre Lage und hatte das Gefühl, als heimlicher Beobachter unter ihnen zu sein. Sie waren überzeugt, ihn verloren zu haben. Gern hätte er ihnen irgendwie mitgeteilt, daß es nicht der Fall war, aber dazu bestand keine Möglichkeit.

Überhaupt, wie sollte er in der Nacht ein Signal geben, damit man ihn auffischte? Er hatte kein Pulver, keinen Feuerstein und Feuerstahl, kein Öl und keine Lampe – nichts. Er konnte höchstens rufen, aber es war die große Frage, ob man ihn hörte.

Weitermachen, dachte er, keine Zeit an unnütze Überlegungen verschwenden. Seine Lebensgeister waren zurückgekehrt. Nur an der erforderlichen Bewegungsfreiheit mangelte es wegen der Schmerzen, die ihn lähmten und behinderten.

Er tastete seine Brust ab, senkte den Blick und versuchte, im Dunkeln etwas von der Wunde zu erkennen. Sehr viel Blut hatte er nicht verloren, wenn sein zerrissenes Hemd auch damit getränkt zu sein schien. Die Schrammen auf seiner Brust stufte er als eher unbedeutend ein. Es waren eben, wie er richtig angenommen hatte, die Rippen, die ihm zusetzten. Sie brauchten nur leicht angebrochen zu sein und bereiteten doch höllische Schmerzen.

„Jede Fraktur“, hatte der Kutscher einmal gesagt, „tut ganz verflucht weh, und je dünner der Knochen ist, desto heikler ist die Sache.“

Vielleicht hätte der Kutscher ihm eine Art Brustbandage angelegt. Ganz gewiß hätte er ihm Ruhe verordnet. Beides ließ sich in seiner derzeitigen Situation nicht verwirklichen. Er hatte kein Verbandszeug, keine sauberen Tücher und kein heißes Wasser zum Reinigen der Blessur. Und eine Koje, in der er sich ausstrecken konnte, gab’s auch nicht. Hinlegen konnte er sich sowieso nicht, denn er mußte ja paddeln und Treibgut einsammeln.

Nicht sehr viel Zeit verstrich, und er sichtete wieder einen Bootsriemen. Zwei sind besser als einer, dachte er, und holte auch diesen an Bord.

Er begann jetzt, die Leinen kreuz und quer über das Floß zu spannen, damit ihm seine „Fundsachen“ nicht wieder verlorengingen. Er klemmte sie darunter, richtete alles so funktionell und sicher wie möglich ein und ruhte sich dann wieder ein wenig aus.

Er sann nach und vergegenwärtigte sich die letzte Position der „Isabella“. Bevor das Gefecht begonnen hatte und er über Bord gegangen war, hatte er noch einmal kurz einen Blick auf die Seekarte geworfen. Die „Isabella“ hatte etwa an die fünfundzwanzig Meilen nördlich der Bahia de Nipe gestanden, an der Nordostküste von Kuba also.

Er wandte seinen Blick in die südliche Richtung. Weit entfernt kann sie also nicht sein, die Küste, dachte er. Sie zu erreichen, wäre nicht das größte Problem, aber was ist mit den Dons?

Die Überlebenden der beiden Galeonen pullten zur Küste, und zwar auf den Punkt zu, den sie am schnellsten erreichen konnten. Selbst wenn sie sich ins Landesinnere zurückzogen, mußte er, Hasard, immer noch damit rechnen, daß Posten aufgestellt waren. Auch konnten Schaulustige eingetroffen sein, die die Explosionen gehört und aus der Entfernung verfolgt hatten.

Bei dem Pech, das er zur Zeit hatte, konnte es ihm gut passieren, daß er gestellt und festgenommen wurde. Dann hatte es keinen Zweck, sich als Spanier auszugeben. Sie konnten ihn leicht entlarven, er war zu bekannt. Die Folge war, daß sie ihn vor ein Gericht stellten und entweder am nächsten Baum aufhängten oder standrechtlich erschossen.

Nein, dachte er, das Risiko darfst du auf keinen Fall eingehen. Aber welche anderen Möglichkeiten boten sich noch an? Er rief sich die Karte ins Gedächtnis zurück. Welche Insel lag in seiner Nähe? Gab es kein Eiland, auf dem er landen konnte?

Santo Domingo, dachte er. Das war eine Insel an der südlichen Spitze der Columbus-Bank. Dort konnte er verholen und an Land gehen, sich mit frischem Proviant versorgen, und – besser ausgerüstet als jetzt – die mühselige Fahrt fortsetzen. Er brauchte wenigstens ein bißchen Trinkwasser und Früchte oder Kokosnüsse, um den schlimmsten Hunger und Durst zu stillen, die sich früher oder später einstellen würden.

Erst danach konnte er daran denken, sich von Insel zu Insel in Richtung Osten zu den Caicos-Inseln vorzuarbeiten. Lange würde es dauern, er würde Tage benötigen, vielleicht zwei Wochen, weil er nicht unausgesetzt paddeln, wriggen oder pullen konnte. Er mußte mit seinen Energien haushalten und durfte sich nicht verausgaben. Wenn er vor Erschöpfung zusammenbrach, war er endgültig verloren.

Er dachte wieder nach und gelangte zu dem Schluß, daß es besser war, zunächst diese Nacht abzuwarten. Auf dem Kurs, auf dem er sich mit seinem Notfloß befand, mußten noch die Freunde folgen, denen Ribault und er mit der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ vorausgesegelt waren: der Schwarze Segler, die „Tortuga“, die „Caribian Queen“ und die „Pommern“.

Vielleicht, so dachte er, entdecken sie mich und fischen mich auf. Diese Hoffnung stärkte ihn zusätzlich. Sie konnten noch nicht vorbei sein, er hätte sie sehen müssen. Noch stand ihre Ankunft bevor, und wenn er auch nur ein schwaches Licht sah, würde er zu rufen beginnen.

Er konnte inzwischen keine Trümmerteile mehr in seiner unmittelbaren Nähe entdecken. Was das bedeutete, hielt er sich jetzt vor Augen. Der Nordostwind hatte ihn vom ursprünglichen Kurs abgetrieben und schob ihn immer weiter nach Südwesten. Er mußte auf seine bisherige Position zurückkehren, wenn er eine Chance haben wollte, von den vier Schiffen gesichtet zu werden.

Rasch knüpfte er aus einer der Leinen eine Schlaufe, die er an einer Kante des Floßes belegte. Dann schob er einen der beiden Riemen hindurch und begann, in Richtung Norden zu wriggen. Es klappte – sein Untersatz nahm Fahrt auf und glitt zu dem Schauplatz des kurzen, blutigen Gefechts zurück.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 405

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