Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 264 - Roy Palmer - Страница 5

2.

Оглавление

Hamed fuhr abrupt im Sattel seines Kamels herum, er hatte ein Geräusch hinter sich vernommen. Sofort griff er nach Pfeil und Bogen und traf Anstalten, auf das zu schießen, was sich ihm mit knirschenden Lauten durch den Sand der Dünen näherte. Was war das – Mensch oder Tier? Er kniff die Augen zusammen, vermochte aber nichts Genaues zu erkennen. Undeutliche Konturen bewegten sich vor dem samtenen Vorhang der Nacht.

„Bist du das, Hamed?“ fragte plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme.

Verblüfft ließ er Pfeil und Bogen wieder sinken.

„Muley Salah!“ stieß er hervor. „Ist denn das die Möglichkeit? Woher kommst du?“

„Eine dümmere Frage hättest du nicht stellen können, Narr“, sagte Muley Salah barsch. „Wo haben wir uns denn wohl zum letztenmal gesehen, wie?“

„An der Bucht von Kanais natürlich. Aber ich dachte ...“

„Das Denken solltest du deinem Kamel überlassen“, unterbrach ihn der andere. „Das wäre gewiß klüger. Also, ich bin nicht abgekratzt, wie du jetzt siehst, Allah sei’s gedankt. Und ich bin auch nicht allein.“

„Wer ist bei dir?“

„Fünf Mann – Jussuf, Ahmed, Fausi, Amra und Saied.“

Hamed steckte den Pfeil weg und hängte sich den Bogen über die Schulter. Er war immer noch überrascht. „Ihr alle habt überlebt? Allah sei gelobt, Allah ist groß. Nun wird alles wieder gut. Tod den Christenhunden, Pest und Aussatz sollen sie vernichten.“ Er drängte sein Kamel näher an die Tiere der anderen heran, und wirklich, jetzt konnte er trotz der Dunkelheit ihre Gesichter erkennen, die ihn unter Turban und Staubschutz angrinsten. „Wie ist dies möglich?“ fragte er immer wieder. „Wie ist es euch ergangen?“

„Nun hör endlich auf, dich zu wundern“, sagte Muley Salah in dem unwirschen Tonfall, den er schon vorher angeschlagen hatte. Er war ein hagerer Kerl mit einem Geiergesicht, zäh und grausam zugleich, einer der schlimmsten Galgenvögel der gesamten Piratenbande. „Wir sind keine Fata Morgana, schon gar nicht bei Nacht.“

„Allah und der Prophet haben euch gerettet.“

„Ja, von mir aus.“

„Wie?“ fragte Hamed noch einmal. „Ist ein Wunder geschehen?“

„Beim Gefecht flogen wir gleich ins Wasser“, erklärte Muley Salah. „Das war eigentlich unser Glück, denn die anderen, die noch länger an Bord unserer Schiffe blieben, hat es allesamt erwischt, als die Hunde von Giaurs ihre Bomben warfen. Wir sechs hier schwammen an Land und stießen dort auf unsere toten Kameraden. Du warst schon weg.“

„Um den Ungläubigen zu folgen“, sagte Hamed, denn es schien ihm, daß ein gewisser Vorwurf in den Worten des anderen mitschwang.

„Ja. Wir liefen zum nächsten Ort, Ghuka, und holten uns sechs Kamele.“

„Man gab sie euch freiwillig?“ fragte Hamed.

„Sohn eines Fettschwanzschafes“, sagte nun Jussuf, ein dicker Kerl mit Schnauzbart und buschigen Augenbrauen. Er lachte, daß sein Bauch zu wakkeln begann. „Bist du denn töricht? Natürlich mußten wir die Leute, die wir in Ghuka trafen, erst einmal davon überzeugen, daß sie ein gutes Werk taten, wenn sie uns ihre Tiere überließen.“

„Eben“, brummte Muley Salah. „Als das erledigt war, wandten wir uns sofort nach Westen, in der Hoffnung, die Sambuke wieder zu sichten und auch dich zu finden, da wir dich unter den Toten nicht entdeckt hatten.“

„Bist du von den Toten auferstanden, Hamed?“ fragte Ahmed. Diesmal lachten sie alle.

„Still“, zischte Muley Salah jedoch sofort. „Wollt ihr die Giaurs auf uns aufmerksam machen? Seid ihr nicht recht bei Trost? Sie könnten uns hören.“

„Ja, das stimmt“, murmelte der dikke Jussuf. „Schweigen wir also.“ Seine Kumpane verstummten mit ihm, und für eine Weile war nur noch das Schnauben der Kamele und das Flüstern des Windes zu vernehmen.

„Wo sind die Hunde?“ fragte Muley Salah dann.

„Komm“, flüsterte Hamed und trieb sein Kamel durch leichte Beinbewegungen an. Er lenkte es auf die nächste Düne, hier verharrte er, wartete, bis Muley Salah neben ihm eintraf, und wies mit dem Finger voraus, nach Nordwesten. „Dort unten sind sie“, raunte er.

„Bist du ganz sicher? Ich sehe sie nicht.“

„Ich weiß, daß sie dort sind. Ich warte darauf, daß sie mit der Sambuke vor Anker gehen, wie sie dies bei Dunkelheit zu tun pflegen.“

Muley Salah atmete tief durch. „Sehr gut. Wir haben uns sehr beeilen müssen; um dich überhaupt einzuholen. Eine Ruhepause würde auch uns guttun.“

Er verengte die Augen und versuchte, in der Dunkelheit etwas von dem Zweimaster zu erkennen. Bald war ihm, als schälten sich die Umrisse des Schiffes schwach aus der Dunkelheit der Nacht hervor, und er drängte sein Kamel etwas weiter nach links, um der Fahrt der Sambuke zu folgen.

Hamed, Jussuf und die anderen schlossen sich ihm an. Muley Salah war ihr Anführer, er hatte das Zepter fest in der Hand und bestimmte, was zu tun war. Er war der Kapitän eines der Piratenschiffe gewesen, und außer Hamed hatten die anderen Kerle alle zu seiner Mannschaft gezählt.

Bald zügelte Muley Salah wieder sein Kamel und begann, leise vor sich hin zu fluchen.

„Der Scheitan soll diese dreckigen Hunde holen“, sagte er. „Sie halten nicht an. Hamed, bist du immer noch der Ansicht, daß sie vor Anker gehen wollen?“

Hamed verhielt neben ihm und kaute auf der Unterlippe herum. Er suchte nach Worten und war bemüht, keine falsche Antwort zu geben. Muley Salah war ein unberechenbarer Mann, der auch seinen Kumpanen gegenüber sehr ungemütlich werden konnte.

„Nun“, erwiderte er darum vorsichtig. „Bislang haben sie es immer getan. Warum sollten sie ausgerechnet heute nacht ihre Gewohnheiten ändern?“

Muley Salah hatte einen Finger angefeuchtet und hielt ihn jetzt in die Luft. Er nahm ihn wieder herunter und zischte: „Ganz einfach. Der Wind ist viel zu günstig, als daß sie ihn einfach verschenken dürfen. Leuchtet dir das ein?“

„Du bist ein erfahrener Seefuchs, Muley Salah, ich nicht.“

„Schmier mir keinen Honig ums Maul“, sagte Muley Salah. „Tatsache ist, daß die Bastarde von Giaurs stur weitersegeln. Und wir müssen ihnen folgen, eine andere Wahl haben wir nicht.“

Er teilte dies auch den anderen mit, und sie begannen alle verhalten zu fluchen. Weiter zog die kleine Karawane, und nicht sehr viel später konnten alle sieben Kerle sehr deutlich die Position der Sambuke erkennen, denn dort war inzwischen eine kleine Feuerstelle entfacht worden, auf der abgekocht wurde. So wies ihnen ein winziges Fanal den Weg durch die Dunkelheit, der immer weiter nach Westen führte.

Das Schimpfen der Araber riß nicht ab. Sie verwünschten die Giaurs immer wieder in die tiefsten Schlünde der Hölle, wo Scheitan hohnlachend die Glut unter den Kesseln anheizte.

Es war ja schließlich auch ein Unterschied, ob man Stunde um Stunde im Kamelsattel sitzen mußte oder wachwechselweise an Bord eines Schiffes segelte, wobei man sogar noch warme Mahlzeiten zu sich nehmen konnte.

Die Kamele waren zwar zähe Tiere – allen voran Hameds Mehari –, doch auch an ihren Kraftreserven zehrte der nächtliche Ritt allmählich. So manches Mal waren die Männer in den Sätteln versucht, eine Ruhepause einzulegen, doch Muley Salah trieb sie unerbittlich voran und duldete keine Widerworte.

Denn er wußte, was ihm blühte, wenn Uluch Ali erfuhr, daß sich die Christenhunde einen Teil der Schätze aus dem Wrack geholt und vereinnahmt hatten. Dann würde sehr wahrscheinlich sein Kopf rollen, und er hatte keine Chance mehr, sich aus der Affäre zu ziehen.

Uluch Ali sah alles, hörte alles und wußte alles – Muley Salah mußte sich sehr beeilen und versuchen, so schnell wie möglich die Schatzkisten an Bord der Sambuke wieder an sich zu bringen. Gelang ihm das nicht, konnte er auch mit der Gnade Allahs nicht mehr rechnen.

Old O’Flynn hatte den Befehl über die erste Morgenwache am 5. Juni. Er registrierte mit Genugtuung, daß es wieder ein schöner Tag mit wolkenlosem Himmel wurde. Auf dem Wasser war die Hitze erträglich. Solange der Wind weiterhin günstig blies und die Luft erfrischte, konnte man sicher sein, daß das Leben an Bord der Sambuke weiterhin angenehm blieb.

„Wir laufen immer noch gute Fahrt“, sagte er nach einem prüfenden Blick auf die Segel zu seinen Kameraden. „Wenn das so bleibt, sind wir bald an Tunis vorbei und kriegen in den nächsten Tagen schon die Balearen zu sehen.“

Dies gab den Männern erneut Auftrieb. Sie dachten daran, was sie seinerzeit auf Mallorca mit Sigrid, der Deutschen, und den anderen Frauen erlebt hatten, die sie in Marokko aus einem Harem befreit hatten. Trotz des Ärgers, den sie damals mit ihren Verfolgern gehabt hatten, war es doch ein höchst amüsantes Abenteuer geworden, als sie erst einmal die Balearen erreicht hatten.

Sam Roskill seufzte, dann grinste er. „Was wohl aus den Ladys geworden ist. Was meinst du, Bob, ob wir sie irgendwo im Mittelmeer wiedertreffen?“

„Das glaube ich kaum“, erwiderte Bob Grey. „Kabil, dem wir in Ägypten begegnet sind, hatte sich in Südfrankreich von ihnen getrennt. Sie werden wohl irgendwo in Europa sein.“

„Genau wußte Kabil das aber auch nicht“, wandte Al Conroy ein.

Sam grinste immer noch. „Eben. Wer weiß, ob uns die lieben Mädchen nicht südlich von Sardinien über den Weg laufen und unseren Kurs kreuzen! Das wäre ein Fest, was Al?“

„Na klar. Wann haben wir eigentlich zuletzt einen europäischen Frauenrock gesehen?“ fragte Al.

„Das mag ich gar nicht nachrechnen“, brummte Bob. „Jedenfalls ist es eine halbe Ewigkeit her.“

„Ihr Stinte“, sagte Old O’Flynn. „Könnt ihr über nichts anderes als über Weiber reden?“

„Im Moment nicht“, antwortete Sam. „Das ist bei uns nun mal das besondere Thema, Donegal. Bei dir nicht, das können wir durchaus verstehen, aber ...“

„Bei mir nicht?“ fiel der Alte ihm ins Wort. Plötzlich fühlte er sich in seiner Ehre als Mann berührt. „Wie soll ich das auffassen? Hör mal, Mister Roskill, ich mag zwar ein Holzbein und auch schon ein paar Jährchen mehr als ihr auf dem Buckel haben, aber deswegen bin ich noch lange kein Methusalem, oder wie der Kerl heißt. Bei mir ist noch alles in Ordnung, kapiert?“

Jetzt wurde Sam doch endlich ernst. „Natürlich, Donegal. Ich wollte dich auch nicht beleidigen.“

„Dann ist ja alles in Ordnung“, knurrte der Alte. „He, ist noch was von dem gebratenen Fisch da?“

Bob Grey nickte und reichte ihm eine Portion von dem, was sie in der Nacht zubereitet hatten. Fisch zum Mittagessen, zum Abendbrot und auch zum Frühstück – eigentlich waren sie dieser Art der Verpflegung allmählich überdrüssig und fragten sich, ob sie in der Bucht von Kanais nicht doch etwas zu eifrig geangelt hatten. Doch andererseits hielten sie sich auch immer wieder vor Augen, daß sie froh sein mußten, überhaupt genug Proviant an Bord zu haben.

Old O’Flynn schob sich seine Ration also unverdrossen zwischen die Zähne und fragte zwischen zwei Bissen: „Ist das nun Zahnfisch oder Mittelmeerbarsch?“

„Es ist Umber, glaube ich“, entgegnete Al Conroy.

„Ist ja auch egal“, brummte der Alte. „Schmeckt nicht schlecht. Wer gibt mir eine Muck Wasser?“

„Ich“, sagte Bob Grey. „Mit einem Schuß Rum darin?“

„Nein, ohne“, erwiderte Old O’Flynn. „Wenn nachher wieder die Sonne auf die See runterbrennt, will ich einen klaren Kopf haben. Bei Tag schadet einem der Rum nur.“ Ziemlich angriffslustig sah er plötzlich Sam Roskill an. „Stimmt’s, oder ist das auch eine Alterserscheinung von mir?“

„Nein, Sir“, sagte Sam grinsend. „Mir geht es da genauso wie dir.“

„Na fein. Dann verstehen wir uns ja mal wieder“, sagte der Alte trokken. Mittags passierten sie nach einer Fahrt von gut hundertsechzig Meilen in vierundzwanzig Stunden die Bucht von Sollum und Ras el Milh, wie Ben anhand der ihnen zur Verfügung stehenden Karten feststellte.

In einem winzigen Küstenort bei Ras el Milh waren unterdessen auch die unbekannten und unsichtbaren Verfolger der Seewölfe eingetroffen. Sie legten eine kurze Zwangspause ein, weil sie unbedingt ihre Kamele wechseln mußten – doch davon ahnten Ben und seine sieben Kameraden nach wie vor nichts.

Ben richtete nur seinen Blick nach Nordosten, hob leicht den Kopf an und sagte: „Ich fürchte, der Wind läßt bald nach. Richten wir uns darauf ein, daß der nächste Törn nicht ganz so schnell verläuft.“

Seine Voraussage sollte sich wenig später bestätigen.

Muley Salah und seine sechs Begleiter hatten ein recht günstiges Tauschgeschäft abgeschlossen und sieben relativ junge, kräftige Dromedare erstanden, von denen allein fünf ausgesprochen widerstandsfähige Meharis waren. Natürlich hatte sich der Händler, dem sie ihre erschöpften Tiere überlassen hatten, mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, diesen Wechsel ohne entsprechenden Aufpreis zu akzeptieren, doch Muley hatte ihm ein wenig gedroht, und somit hatte sich die Sache wie von selbst erledigt.

Jetzt standen die Kerle in dem kleinen Hafen des Nestes und blickten unter vorgehaltenen Händen zu der Sambuke, die gerade vorbeisegelte.

„Sie behält ihren Kurs bei“, sagte der dicke Jussuf. „Wir wissen also, wo wir sie zu suchen haben. Jetzt, mit den frischen Kamelen, dürfte es uns nicht schwerfallen, sie rasch wieder einzuholen.“

„Warum sollen wir sie einholen?“ fragte Muley Salah, „wir sitzen ihnen doch an den Hacken und brauchen nur Schritt mit ihnen zu halten.“

„Dort drüben ist eine Kaschemme“, erklärte der Dicke mit einem fast wehmütigen Blick zu den weißen, schachtelförmigen Häusern. „Dort könnten wir uns kühlen Tamarindensaft ausschenken lassen. Den hätten wir uns redlich verdient, findest du nicht auch?“

„Nein“, erwiderte Muley hart. „Wir dürfen uns keinen Aufenthalt erlauben und bleiben dran. Wir haben hier schon genug Zeit verloren. Los jetzt, aufsitzen.“

Die Männer murrten. Da trat Muley mitten zwischen sie und hob drohend die eine Faust.

„Wem das nicht paßt, der soll es offen sagen“, zischte er. „Na los, Jussuf, komm her.“

Der Dicke schnitt eine Grimasse, dann entschied er sich dafür, vernünftig zu sein.

„Ich sehe es schon ein“, sagte er. „Wir müssen zäh sein und dürfen nicht nachgeben. Vielleicht können wir die Giaurs schon in der nächsten Nacht überwältigen.“

„Das hört sich schon besser an, Jussuf.“ Muley Salah wandte sich zu den fünf anderen Kerlen um. „Und ihr? Hamed, hast du auch was zu stänkern?“

„Ich? Nein, ich nicht.“ Hamed wollte um keinen Preis von Muley was auf die Nase kriegen. Er wußte gut genug, wie stark und gefährlich der Mann war.

Das überlegten sich auch Ahmed, Fausi, Amra und Saied noch einmal, und so zogen auch sie es vor, mit dem Murren aufzuhören und in die Sättel ihrer Dromedare zu klettern. Muley saß ebenfalls auf, setzte sich an die Spitze seines Trupps und führte ihn aus dem Ort. Hinter den Fenstern und Türen der Häuser atmeten die Bewohner auf. Sie hatten die Drohung deutlich gespürt, die von dieser Bande ausging, und so waren sie jetzt heilfroh, daß Allah sie schnell wieder von ihrer Anwesenheit befreite.

In zügigem Tempo folgte die Meute der Sambuke, aber schon bald ließ der Wind nach, und da wurde auch der Ritt ein wenig gemütlicher. Muley Salah gestattete nun sogar, daß der eine oder andere Mann im Sattel ein Nickerchen hielt. Er selbst gönnte sich aber keinen Schlaf, ständig war er darauf bedacht, den Zweimaster ja nicht aus den Augen zu verlieren.

Bald naht die Stunde der Abrechnung, ihr elenden Hunde, dachte er.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 264

Подняться наверх