Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 174 - Roy Palmer - Страница 4

1.

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Diese erbärmlich kalte Welt, in der sich der Wind in den Frosthauch des Todes verwandelte und das Seewasser so eisig war, daß ein hartgesottener, sturmerprobter Seefahrer von einem Moment auf den anderen so steif wie ein Brett wurde, wenn er hineinfiel – nein, diese Welt konnte einem Mann wie Batuti nie und nimmer vertraut werden.

Der schwarze Herkules aus Gambia hatte nun fast alle Länder und Gewässer kennengelernt und überall Freunde gefunden. Ja, sogar im fernen China, wo man anfangs angenommen hatte, seine dunkle Hautfarbe sei aufgemalt, hatte er sich am Ende heimisch gefühlt.

Sehnsucht nach Afrika hatte er eigentlich nie empfunden, denn mit der Crew der „Isabella“ fühlte er sich fester zusammengeschmiedet als mit seinem eigenen Stamm. Aber heute – seit langer Zeit zum erstenmal – mutete ihn seine Umgebung derart fremd und unheimlich an, daß er unwillkürlich an Gambia denken mußte, Gambia mit seinen sanft geschwungenen Küsten, den weißen Sandstränden und den Palmen, die sich im lauen Wind wiegten.

Heute schien ihm sogar sein Schiff, die „Isabella VIII.“, fremd zu sein.

„Gottverdammich“, murmelte er.

Einem Geisterschiff aus Glas und Reif gleich glitt die Galeone dahin. Ihre Decks waren so glatt und tükkisch geworden, daß der Seewolf Manntaue hatte spannen lassen. Die Segel blähten sich wie trockene Haut, die Pardunen und Wanten hatten sich in lange, glitzernde Eisgebilde verwandelt. Überall wuchs das Eis, obwohl die Crew fast unablässig die Brocken abklopfte.

Keiner schien der Umklammerung klirrender Kälte entweichen zu können.

Batutis Blick glitt über die Kuhl. Eben überquerte Carberry vom Achterdeck her das Hauptdeck, steuerte auf die Back zu und glitt auf halbem Weg fast aus. Dagegen war auch er, der allgewaltige Profos der „Isabella“, nicht gewappnet, und davor bewahrte ihn auch nicht der Eisenhaken, den er an seinem Gürtel trug.

„Himmelkreuzdonnerwetter“, fluchte Carberry los. „Ar …“

Er warf einen raschen Blick zum Achterkastell zurück und stellte fest, daß der Seewolf und die Rote Korsarin ihn beobachteten. „Arm und Zwirn“, stieß er hervor, obwohl er etwas anderes, Deftigeres hatte wettern wollen. Aber vor Siri-Tong sollte man – zum Teufel – so wenige Kraftausdrücke wie möglich gebrauchen, das gehörte sich einfach so für die rauhbeinige Mannschaft eines Segelschiffs, wenn eine Lady wie die schwarzhaarige Eurasierin mitfuhr.

Carberry brummelte noch so einiges vor sich hin, ehe er aufs Vordeck stieg und sich ganz nach vorn an die Querbalustrade über der Galionsplattform begab, um mit dem Kieker Ausschau zu halten. Wonach? Das mochte der Teufel wissen, der dem Schiff heute sehr nah zu sein schien, wenn man Batutis düsteren Visionen von einem bevorstehenden Unglück recht geben wollte.

Batuti wandte etwas den Kopf und sah Dan O’Flynn auf sich zumanövrieren. Auch Dan trug diesen eisernen Haken am Gurt, den Ferris Tukker ihm wie allen anderen Kameraden an Bord auf das Geheiß des Seewolfs hin ausgehändigt hatte. Beim Arbeiten an Deck oder aber auch nur zur Fortbewegung brauchte der Betreffende nur eine Schlinge durch den Haken zu ziehen, so daß er einerseits die Hände frei hatte und andererseits nicht mehr über Bord gehen konnte.

Aber, wie schon gesagt: ausrutschen konnte man deswegen immer noch. Dan geriet aus dem Gleichgewicht, als die „Isabella“ eine neue, schlingernde Bewegung in der Dünung vollführte, und um ein Haar wäre er hart gestürzt. Er strauchelte, schoß ein Stück voran, ruderte mit den Armen und hatte sich selbst wieder in der Gewalt, als er bei Batuti anlangte.

„Spätestens in einer Stunde dürfen wir wieder Eis hacken, schwarzer Mann“, sagte er grinsend. „Die ‚Isabella‘ wird sonst zu schwer, und die Tonnenlast Eis drückt sie immer tiefer ins Wasser. Das Eisklopfen wird noch unsere Hauptbeschäftigung: morgens, mittags, abends und sogar nachts – wie damals, als wir vom Kap der Stürme aus mitten ins Packeis des Südpols segelten. Himmel, das liegt nun auch schon wieder fünfeinhalb Jahre zurück …“

„Aber das war anders“, sagte Batuti dumpf.

„Anders – wieso? Weil es dort unten Pinguine gab und hier nicht? Oder wie meinst du das?“

Batuti drehte den Kopf und musterte Dan auf eindringliche Weise. „Dan O’Flynn“, sagte er. „Batuti ist nicht zum Scherzen zumute.“ Obwohl er jetzt sehr gut englisch sprach, verfiel er hin und wieder doch in seine alte Angewohnheit, von sich selbst in der dritten Person zu reden. Und je aufgeregter er wurde, desto mehr Fehler beging er.

„Batuti, du siehst ja richtig besorgt aus“, sagte Dan. „Besorgt und krank. Ist dir nicht gut?“

„Noch geht’s mir gut“, erwiderte der Gambia-Mann mit verdrossener Miene. „Aber bald vielleicht nicht mehr. Reise steht unter einem Unstern, Dan O’Flynn.“

„Stern? Mann, Sterne gibt es hier nicht. Wir haben doch die Mitternachtssonne, hast du das vergessen?“

„Erzähle keine Witze, das bringt Unglück.“

„Batuti – fängst du jetzt schon so zu unken an wie mein Alter? Ich an deiner Stelle würde die Spökenkiekerei lieber ihm überlassen.“

Batuti wies Steuerbord achteraus, genau in die Richtung, aus der der Wind blies. „Siehst du nicht die rabenschwarze Wand?“

„Die Wolken? Herrje, wie kann man deswegen nur …“

„Böses Unheil“, orakelte Batuti.

„… so aus dem Häuschen geraten?“ vollendete Dan seinen Satz. „Wir haben schon ganz andere Wetter abgeritten. Hier, in diesen Breiten – und auch unten, am Südpol.“

„Das damals, das war anders.“

„Weil wir unser Ziel kannten?“

„Ja, deshalb.“

„Mann, wir hatten am Kap der Stürme hoffnungslos die Orientierung verloren. Wir wußten nicht mehr, wo Norden und Süden, Westen und Osten, vorn und hinten war. Wir hatten ja kaum noch eine Ahnung, wo sich bei der ‚Isabella‘ die Backbord- und die Steuerbordseite befanden.“ Dan holte tief Luft. „Hast du das vergessen? Nun denk doch nicht dauernd an Meermänner, Dämonen und üble Plagegeister und die Aussicht, daß unsere ‚Isabella‘ im Packeis steckenbleibt. Hasard hat gesagt, wir hätten keine bessere Jahreszeit als diese wählen können, um nach Thule und vielleicht auch der Nordwest-Passage zu suchen.“

Batuti schlug den Kragen seiner wollenen, mit einem Pelzbesatz versehenen Jacke höher und zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht.

„Sommer“, sagte er aufgebracht. „Dies soll Sommer sein? Pfui Teufel!“

„Arktischer Sommer“, berichtigte Dan. „Das ist schon ein Unterschied zum Sommer, den wir kennen.“

„Schreiben wir wirklich Monat Juli, Dan O’Flynn?“

„Ja.“

„O Gott“, klagte der Neger. „O Gott.“

„Du meinst also, wir müßten alle den Kältetod sterben?“

„Ja.“ Batuti fror und mußte sich gewaltig zusammenreißen, damit seine Zähne nicht aufeinanderschlugen. „Oder Eisberg erdrückt uns.“ Er wies auf die in der Dünung treibenden Eisschollen, die am Rumpf der „Isabella“ vorbeizogen.

Dan O’Flynn schüttelte den Kopf. „Die Gefahr ist wirklich gering. Das Meereis nördlich von Thule und der großen Insel, die von den Wikingern ‚Grünland‘ getauft wurde, bricht unter der Sonneneinstrahlung allmählich auf, die Eisgrenze weicht immer mehr zum Pol zurück. Die Schollen, die uns auf ihrem Weg zur Labrador-See entgegentreiben, sind dünn. Die Sonne frißt an ihnen, und das Eis ist so mürbe, daß der Bug unserer ‚Isabella‘ es mühelos zerbricht. Wir haben das doch nun schon oft genug erlebt.“

„Ja.“

„Dann weiß ich nicht, über was du dir Sorgen machst.“

„Darüber, daß es noch kälter werden kann“, sagte der schwarze Goliath.

„Ist das alles?“

„Ganze Welt ist verdreht. Wohin segeln wir?“

„Mit raumem Wind nach Ostnordost.“

„Und dort liegt Thule?“

„Hasard vermutet es.“

„Ganzes Welt verkehrt und verrückt“, murmelte der Gambia-Mann.

„Batuti, soll ich dem Seewolf melden, daß du gern umkehren würdest?“ fragte Dan sanft.

Batuti riß die Augen weit auf und starrte sein Gegenüber entsetzt an. „Himmels willen, nein! Was soll Seewolf von Batuti denken? Nein, spielt sich gar nix ab! Kein Wort, verstanden, Dan? Batuti ist kein Meuterer. Geht mit Crew durch dick und dünn, auch wenn der Steven abfriert!“

„Na also“, sagte Dan lachend. „So gefällst du mir schon besser. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Kerl wie du jetzt schon die Hosen voll hat.“

Batuti mußte jetzt auch grinsen. Er bückte sich etwas, zupfte an seinem Beinkleid herum und meinte: „Voll nicht. Nur zu dünn.“

„Mit anderen Worten, du brauchst ein Fell, um dir ein Paar nähen zu lassen?“

„Ja. Vom weißen Bär.“

„Na, dann laß uns hoffen, daß wir bald einen Eisbären erwischen“, sagte Dan O’Flynn.

Batuti stieß ihn mit dem Ellenbogen an und deutete auf den Profos, der nach wie vor angestrengt durch seinen Kieker spähte. „Profos ist auch scharf auf Bären, will Jagd auf ihn machen.“

„Genau.“

„Wie nennen Eskimos den Eisbär?“

„Nanoq.“

„Nanoq und Nanohuaq.“

„Nanohuaq, das ist ein besonders großes Exemplar.“

„Und daraus kann man vier Paar Hosen schneidern, hat Hendrik Laas gesagt.“ Batuti hatte sich zusehends beruhigt und sprach wieder korrektes Englisch.

Dan, der immer noch unverwandt auf des Profos’ breiten Rücken sah, mußte plötzlich wieder grinsen.

„Na, vielleicht segelt uns Meister Petz ja auf einer Eisscholle entgegen“, sagte er.

Hasard stand dicht neben Siri-Tong an der vorderen Querbalustrade des Achterdecks und blickte ebenfalls zu seinem Profos.

„Sieh ihn dir an“, sagte er. „Er ist wirklich beinah besessen von dem Wunsch, als erster einen Eisbären zu sichten. Da ich es als wahrscheinlich ansehe, daß wir bald auf die Küste von Grönland stoßen, könnte es ja auch tatsächlich passieren, daß wir einen solchen Burschen sichten.“

„Ist Grönland selbst nicht viel wichtiger für uns?“ fragte sie.

„Ja, natürlich.“

„Aber der gute Edwin glaubt erst daran, daß es die weißen Bären gibt, wenn er sie wirklich gesehen hat, nicht wahr?“

„Das hat er ja nun schon x-mal gesagt.“

Sie lachte hell auf. „Aber war denn das Fell, das Hendrik Laas ihm geschenkt hatte, nicht der beste Beweis für die Existenz von Nanoq?“

„Du weißt doch, was für ein Seemannsgarn unser Carberry spinnt.“

„Ja.“

„Nun, und er glaubt eben auch von anderen Leuten, daß sie ihm im wahrsten Sinn des Wortes ‚einen Bären aufbinden‘. So sehr er sich über das Geschenk gefreut hat, er nimmt bislang immer noch an, daß Hendrik Laas irgendwie maßlos übertrieben oder schlichtweg geschwindelt habe.“

„Und du? Glaubst du daran?“

„Daß es weiße Bären gibt? Ja, ich bin ziemlich sicher.“

Sie entblößte ihre perlweißen Zähne. „Er ist schon ein Dickschädel, unser Profos, das muß ich sagen. Aber andererseits finde ich es uneigennützig von ihm, daß er aus dem weißen Fell Mützen, Jacken und Hosen für die Zwillinge hat schneidern lassen – und für mich diese Mütze.“ Sie tippte spielerisch mit den Fingern gegen den Rand ihrer neuen Kopfbedeckung. Sie hatte ihr langes schwarzes Haar hochgesteckt und darunter verborgen und den Kragen ihrer Biberfelljacke so weit hochgeschlagen, daß er die gesamte Halspartie verhüllte. Sie sah hinreißend aus. „Armer Profos“, fuhr sie fort. „Wegen uns hat er auf seine kostbaren Eisbärhosen verzichtet. Na, vielleicht kriegt er ja auch noch welche.“

„Bedaure ihn bloß nicht zu sehr.“

„Bist du – eifersüchtig?“

„Auf Carberry?“ Hasard lächelte. „Um Himmels willen, nein. Aber lassen wir das.“

Er wandte sich dem Backbordniedergang zu und stieg zum Quarterdeck hinunter. Siri-Tong folgte ihm, bemüht, nicht auf dem harten, gefährlich glatten Belag der Planken auszurutschen.

Hasard suchte das Ruderhaus auf, trat neben den Rudergänger Pete Ballie, wandte diesem den Rücken zu und überprüfte noch einmal, was er auf seiner handgefertigten Karte eingetragen hatte. Siri-Tong erschien im offenen Schott.

Er drehte sich zu ihr um und sagte: „Wenn alle Daten einigermaßen präzise sind, müßten wir noch heute die Westküste Grönlands erreichen. Spätestens bis zum Dunkelwerden.“ Er lächelte plötzlich und berichtigte sich: „Nein – spätestens bis zu dem Zeitpunkt, an dem es eigentlich dunkel werden müßte.“

„Du vertraust also deiner Skizze?“

„Sie vereint in sich all das, was ich bisher über Grönland und Thule vernommen habe. Falls wir unseren Streifzug durchs Eismeer zu einem guten Abschluß bringen, ist sie eines Tages wahrscheinlich die genaueste Karte, die jemals über dieses Gebiet angefertigt wurde.“

„Vermutlich ja.“

„Nur die Beschaffenheit der Regionen nordwestlich von Labrador und der großen Bucht westlich von Labrador ist für mich nach wie vor ein einziges großes Fragezeichen.“

„Auch jene Küste werden wir noch erkunden“, sagte sie.

„Du bist jetzt also zuversichtlich?“

„Ja. Dein Forscher- und Entdekkergeist muß mich wohl angesteckt haben.“

„Vielleicht habe ich einen Fehler begangen, als ich mich nach dem Verlassen der großen Bucht nicht gleich nach Westen gewandt habe. Aber die Windverhältnisse waren dagegen.“

„Es wäre wirklich zu mühselig, gegen diesen Wind zu kreuzen“, bestätigte sie ihm. „Und außerdem wäre es ja wohl eine grobe Unterlassung, dem sagenhaften Thule keine Visite abzustatten. Dort gibt es kein Gold, wie Hendrik Laas gesagt hat, aber einen Menschenschlag, den kennenzulernen es sich lohnt.“

„Ich muß dich wirklich angesteckt haben.“

„Aber es ist keine Krankheit.“

„Was denn?“

„Im Moment kann ich nur das eine sagen“, erwiderte sie. „Alles, was wir in dieser seltsamen Ecke Welt bisher erlebt haben – die Geschichte mit Cyril Auger und dessen Flaschenpost, mit den Karibu-Jägern, den Indianern am Ufer der Bucht, die Stürme, die Abenteuer, die Erlebnisse mit dem Wal – all das hat mich nur neugieriger gestimmt. Ich würde jetzt auch nicht mehr aufgeben.“

Er blickte sie ernst und offen an und sagte: „Ich danke dir.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 174

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