Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 138 - Roy Palmer - Страница 5

2.

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Philip rutschte als erster von der Koje. Hasard wollte ihm in nichts nachstehen und tat das gleiche. Philip landete katzengewandt auf den Planken, stieg dann aber plötzlich eine Schräge hoch, weil die „Isabella“ ihr Vorschiff angehoben hatte und eine Riesenwoge erklomm.

Philip verlor das Gleichgewicht, kippte hintenüber, überrollte sich und geriet mit Hasard ins Gehege, der inzwischen hinter ihm angelangt war. Sie purzelten quer durch das Mannschaftslogis, rutschten unter eine Koje und stießen sich beide die Köpfe, als sie sich wieder aufrappeln wollten.

Sie sanken wieder auf die Planken. Die „Isabella“ hatte mittlerweile den Kamm der Woge erreicht, neigte sich nun mit dem Bug nach vorn und hob ihren Achtersteven an. Die Talfahrt begann.

Philip und Hasard rutschten auf dem Bauch unter der Koje hervor. Sie streckten ihre Hände von sich und linderten so den Aufprall an der gegenüberliegenden Wand. Sie sahen sich an – eisblaue Augen in eisblaue Augen – und lachten voll Begeisterung.

Als die Galeone den Grund des Wellentals berührte, erhoben die Jungen sich. Von Seekrankheit konnte keine Rede sein, sie verspürten nicht das geringste flaue Gefühl in der Magengegend. Auf der Suche nach Eroberungen und Abenteuern, nach Abwechslung und Geheimnis stießen sie vom Logis aus mit torkelndem Schritt in den Vordecksgang vor. Wieder glitten sie aus und kullerten nach achtern – die „Isabella“ segelte einen neuen Wogenhang hinauf.

Der Gang war eine vorzügliche lange Rutschbahn. Philip und Hasard rollten fast den Niedergang hoch, der an seinem achteren Ende in die Höhe führte, blieben dann aber auf den Holzstufen liegen, weil das Schiff nun wieder in die andere Position überwechselte.

Sie stießen sich an und kicherten, dann war es soweit, sie konnten sich auf den Hosenboden setzen und auf der sich neigenden Bahn nach vorn rutschen, fast bis in den Bug hinein. Das war ein wunderbares Gefühl. Ein paarmal wiederholten sie es, dann hatten sie genug von diesem Spiel und stolperten in die angrenzenden Räume, um nach anderen Möglichkeiten des Zeitvertreibs zu suchen.

Es war unumgänglich – sie mußten bei diesem Streifzug auf jenen Durchlaß im vorderen Kombüsen-Querschott stoßen, auf jene Tür, die vom Schiffsinneren aus die Verbindung mit der Kombüse herstellte. Diese Tür zeigte der Kutscher Neulingen an Bord der „Isabella“ keineswegs, denn er wußte, was er sich damit einhandeln konnte.

So hatte er auch darauf geachtet, daß Philip und Hasard die Tür nicht sahen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, nach diesem Grundsatz richtete der Kutscher sein Handeln aus. Philip und Hasard mochten herzensgute Burschen sein, aber einer gewissen Versuchung konnten auch sie nicht widerstehen, wenn sie erst einmal ’rausgekriegt hatten, wie man heimlich in die Kombüse gelangte.

Sicher, der Kutscher hielt die Tür stets sorgsam unter Verschluß. Aber es gab auch Momente, da hatte er sie gerade benutzt und wurde dann von Carberrys barschem Organ an Deck gerufen, hatte also keine Zeit mehr, die Tür zu verriegeln.

Das war heute nachmittag der Fall gewesen.

Jede Hand wurde auf Oberdeck gebraucht. Der Kutscher hatte eben noch die Feuer unter den riesigen Kesseln löschen können, dann hatte er lostraben müssen.

Und da war sie also, die Tür, die als Barriere zwischen der Versuchung und der Verwirklichung gewisser Pläne stand.

Dan O’Flynn war ein Mann geworden, es lag schon Jahre zurück, daß er das letzte Mal etwas aus dem Allerheiligsten des Kutschers stibitzt hatte. Bill, der Schiffsjunge, war nicht der Typ, der solche Attentate ausübte.

Trotzdem wußte der Kutscher, warum er die innere Kombüsentür stets verschlossen hielt. Es gab immer noch ein paar „faule Kandidaten“ an Bord, mindestens zwei, denen man nicht trauen durfte. Wer von der Kuhl aus in die Kombüse pirschen wollte, der wurde garantiert vom Kutscher, vielleicht auch von Carberry oder einem anderen gestoppt. Wer aus Richtung Vordeck nahte und einen günstigen Moment wählte, der genoß fast Narrenfreiheit – wenn er es schaffte, die Tür zu öffnen.

Nichts leichter als das jedoch! Hasard, der ältere der Zwillinge, brauchte nur seine Hand auf die Klinke zu legen, und schon öffnete sich die Tür.

Sie fiel Hasard direkt entgegen, denn wieder vollführte die „Isabella“ im Sturmtreiben eine ihrer ungestümen Bewegungen. Der Junge konnte der auf ihn zurasenden Kante mit Not ausweichen. Dann knallte die Tür gegen die Längswand des Kombüsen-Vorraums. Philip und Hasard hatten Halt gefunden und krochen jetzt über die Schwelle.

Als die „Isabella“ sich wieder aufrichtete, konnte Philip die Hand nach der Türklinke ausstrecken. Er packte sie und zog sie zu sich heran. Die Tür fiel in ihr Schloß. Von innen ließ sich ein Riegel vorlegen. Philip konnte dem Drang nicht widerstehen, er mußte ihn ausprobieren. Es gab einen harten, metallischen Laut, und der Eisenriegel saß fest.

Hasard griff nach Philips Arm.

Philip wandte sich erst jetzt um und spähte in den dunklen Raum. Zu erkennen war kaum etwas. Draußen war es fast so finster wie in der Nacht, und hier, im Vordeck, durfte wie im ganzen Schiff keine Lampe angezündet werden, weil dadurch im Sturm mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit ein Feuer entstanden wäre. Auch die letzte Glut des Holzkohlenfeuers war verglommen, so daß jede Regung in der Kombüse nur schwach und schemenhaft wahrgenommen werden konnte.

Daß da aber eine Regung war, sahen die Zwillinge – und sie fuhren gleichzeitig zusammen.

In einem der Kessel, der vom Kutscher nach allen Regeln der Kunst festgelascht worden war, damit er im Sturm ja nicht umkippen konnte – in diesem Kessel ruckte etwas hin und her. Nicht weit von dieser unheimlichen Erscheinung entfernt schwirrte und flatterte etwas auf und ab, hin und her, und dann ertönte auch noch etwas heiser und gepreßt Ausgestoßenes, das wie „Himmel, Arsch und Zwirn“ klang.

Hasards Finger verkrampften sich um Philips Arm.

„Da“, wisperte er. „Hast du das gesehen – und gehört?“

„Ja …“

„Was ist das nur?“

„Laß uns weglaufen.“

„Wie, hast du etwa Angst?“

„Ich doch nicht“, zischte Philip empört. „Ich meine bloß, es wäre gut, wenn wir die Tür offenlassen würden – für alle Fälle.“

„Dann öffne sie doch.“

„Ich krieg sie nicht auf …“

„Du bist zu dämlich.“

„Du auch.“

„Du spielst nicht mehr mit, wenn du den Riegel nicht wieder aufmachst“, raunte Hasard zornig.

Die Planken unter ihren Füßen schienen sich hochzubiegen, jedenfalls fühlte es sich so an. Philip und Hasard wurden durch die Kombüse katapultiert, von der Tür fort, und sie landeten unter einem der großen Holzschapps, in denen der Kutscher seine Kostbarkeiten aufbewahrte.

Sie richteten sich auf und hielten erneut in dem schwankenden Raum Ausschau. Die „Erscheinung“ war immer noch da. Sie schwankte und schmatzte, schabte und schlürfte in dem festgezurrten Kessel herum. Sie wischte mit Geisterfingern und bizarren, huschenden Schatten durch die Kombüse.

„Los“, flüsterte Hasard. „Ich will wissen, was das ist. Wenn du kein Feigling bist, gehst du mit.“

„Ich hab keine Angst“, sagte Philip trotzig.

Sie rappelten sich auf und mußten sich wieder festhalten. Beinah wären sie erneut zu Boden gegangen, aber dann war da plötzlich der breite Herd, an dem sie sich vorzüglich festklammern konnten.

Sie rafften ihren ganzen Mut zusammen, tasteten sich am Herd entlang und hatten den unheimlichen Kessel fast erreicht, als der Flattergeist schnatternd und fluchend Reißaus nahm und sich in irgendeine Ecke des Raums verzog.

Gut so, dachte Hasard, wir haben ihm einen Schreck eingejagt.

Hau ab, du blöder Geist, dachte Philip.

Jetzt hatten sie nur noch das Monstrum im Kessel aufzuscheuchen. Sie schlichen sich an das Ding heran, krochen fast auf den Herd, um ja nicht den Halt zu verlieren, und waren ganz auf ihre selbstgesetzte Aufgabe konzentriert.

Die Wesenheit im Kessel schien sie noch nicht bemerkt zu haben. Wenn der Knall, den die Tür verursacht hatte, dieses Etwas nicht aus der Fassung gebracht hatte, so schien das Auftauchen zweier Siebenjähriger es erst recht nicht zu beeindrucken.

Hasard wollte Philip unbedingt beweisen, daß er der Mutigere war – er beugte sich so weit wie möglich vor und blickte über den Kesselrand.

Etwas Schwarzes richtete sich in einer süß und säuerlich riechenden Substanz auf. Wulstige Lippen schoben sich aus einer furchtbaren Visage hervor, ein Schnaufen war zu vernehmen, zwei riesengroße Augen hefteten ihren Blick auf Hasards Gesicht.

Allah steh mir bei, dachte Hasard.

Jetzt steigt es aus dem Kessel und springt uns an, sagte sich Philip.

Die Augen des Ungeheuers schienen sich zu weiten, ihr Blick wurde zunächst fragend, dann ängstlich. Dies alles geschah in Sekundenschnelle. Dann öffnete das Monstrum seinen Rachen und entließ ein Aufheulen in den Raum, bei dem Hasard und Philip wieder zusammenfuhren.

Aber Hasard hatte begriffen, mit wem sie es zu tun hatten.

„Der Affe!“ rief er. „Der Affe und der Papagei!“

Arwenack, der Schimpanse, hatte nie damit gerechnet, beim Naschen ertappt zu werden. Als die See kabbelig geworden war, hatten er und Sir John sich ins Vordeck gestohlen. Als der Kutscher von Carberry auf die Kuhl geholt worden war, hatte Arwenack sich bis zur Tür der Kombüse geschlichen und sein Glück versucht.

Es hatte geklappt – mit seinen geschickten Affenfingern hatte er die Tür geöffnet. Sir John, der zweite „faule Kandidat“, hatte daraufhin spontan beschlossen, sich mit dem Schimpansen gut zu stellen. Erstens gab es in der Kombüse auch für einen Papagei so allerhand zu futtern, und zweitens: Bei Sturm herrschte zwischen den beiden so unterschiedlichen Tieren Burgfrieden. Je heftiger das Wetter, desto größer der Zusammenhalt und die Solidarität.

Sie hatten sich an der süß-sauren Soße, die der Kutscher im Kessel zubereitet hatte, an Brot, Früchten und Mais gütlich getan. Dann hatte die Tür geknallt, doch sie hatten die beiden Gestalten, die da in den Raum gepurzelt waren, nicht gesehen.

Und jetzt dies! Arwenack wäre vor Scham am liebsten im Kielschwein der „Isabella“ versunken. Er kreischte und jammerte und konnte aus dem Kessel nicht mehr heraus. Sir John verschaffte seinem Unbehagen Luft, indem er Carberrys schönste Flüche zunächst auf englisch, dann auf spanisch herauskrächzte.

Philip und Hasard konnten nicht anders – sie mußten lachen.

Die Manntaue waren gespannt, die Luken und Niedergänge verschalkt. Der Sturm hieb mit orgelndem Wind, Brechern und Sturzregen auf die „Isabella VIII.“ ein. Das Oberdeck, besonders die Kuhl, schien sich in einen rauschenden Fluß verwandelt zu haben. Fluchend hangelten die Männer in den Tauen voran. Immer wieder drohten sie auszugleiten und hinzufallen. Die Gefahr, außenbords gespült zu werden, war trotz aller Sicherungen allgegenwärtig.

Längst hatte der Seewolf Sturmsegel setzen lassen, nur den Besan und die Fock, aber auch die schienen noch zu viel zu sein für dieses mörderische Wetter, das sie so überraschend gepackt hatte.

Unaufhörlich waren die Männer in Bewegung. Ein Fall mußte klariert werden, eine Schot hatte sich gelöst. Bill, der Moses, war aus dem Hauptmars abgeentert, er stand mit Pete Ballie im Ruderhaus und hielt das Ruderrad, das sich selbständig bewegen wollte.

Hasard, Ben und Ferris waren auf die Back geklommen, weil der rothaarige Schiffszimmermann um den Fockmast bangte.

„Ich sage euch, der hat einen Knacks weg!“ rief Ferris.

„Unsinn“, erwiderte Hasard. „Sieh ihn dir doch genau an – der steht noch wie eine Eins!“

„Aber vorhin hat irgendwas höllisch geknackt!“

„Das war der Bugspriet!“ schrie Ben Brighton, der sich über die vordere Schmuckbalustrade gebeugt hatte. „Er schwankt, aber ich würde es nicht riskieren, ihn zusätzlich abzustützen.“ Er sagte noch mehr, aber der Rest seiner Worte ging in dem ohrenbetäubenden Dröhnen unter, mit dem ein neuer Brecher die Bordwand traf. Wasser und Gischt stiegen auf und schienen wie eine Wand neben den Männern hochzuwachsen. Die Crew stieß Warnlaute aus – Hasard, Ferris und Ben duckten sich und hielten sich fest, wo sie konnten.

Mit Rauschen und Zischen ging der Brecher über die „Isabella“ hinweg. Ferris hob den Kopf, blickte voraus und stellte fest, daß der Bugspriet immer noch da war. Er grinste.

Carberry war von dem Brecher umgerissen worden und ein Stück über Deck gesegelt. Er hatte sich aber mit verbissener Miene und hundert gedachten Verwünschungen an den Manntauen festgeklammert und so sein vorzeitiges Abdanken verhindert. Prustend erhob er sich unweit des Kombüsenniederganges.

Old O’Flynn hielt sich an der Nagelbank des achteren Kuhlbereichs fest, spuckte wütend aus und sagte: „Also, wenn wir den verdammten Kahn in Tanger nicht aufgeslippt hätten, wenn wir also diese Verzögerung nicht gehabt hätten, wäre uns das nicht passiert.“

„So“, erwiderte Matt Davies. „Dann hätten wir jetzt aber auch nicht Hasards Söhne an Bord.“

„Deine Enkel, Donegal!“ rief Blakky.

„Ja, meine Enkel“, murmelte der Alte im Sturmtosen.

„Und spätestens in der Biskaya hätten wir ja doch einen Orkan auf die Jacke gekriegt“, ertönte nun wieder Matt Davies’ Stimme. „Du brauchst also nicht zu giften, Donegal. Ein Schlabbertörn bis nach Hause — davon träumen wir doch nur.“

„Ihr wißt immer alles besser“, sagte der Alte. „Der Teufel soll euch holen.“ In einem Anflug von Rührseligkeit fügte er hinzu: „Euch alle, außer Philip, Hasard, Arwenack und Sir John natürlich. Wer weiß, wo die armen Würmer sich verkrochen haben.“

Wenn er in diesem Augenblick schon gewußt hätte, was die „armen Würmer“ angestellt hatten, hätte er wahrscheinlich anders gesprochen. Aber es gab da eben ein Sprichwort, das besagte: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!

Carberry vernahm seltsame Laute aus Richtung der Kombüse – Keifen, Kreischen, Zetern, Poltern, Kichern und Lachen. Er blickte wild um sich, entdeckte nicht weit von sich den Kutscher und brüllte: „Kutscher – he, du lausiger Kombüsenhengst, was geht da in deinem Saustall vor sich? Komm her und hör dir das an, du Himmelhund von einem Kochtopfschwenker und Knochenflicker.“

Der Kutscher schien von Carberrys Freundlichkeit überwältigt zu sein, er setzte sich augenblicklich in Bewegung. Es war denn aber doch mehr die Sorge um sein Allerheiligstes, die ihn vorantrieb. Gemeinsam mit Carberry drang er bis ins Vordeck vor – die Tür von der Kuhl zur Kombüse benutzten sie lieber nicht, weil sie riskierten, daß Wasser in den Raum flutete, und weil sie außerdem anschließend den Niedergang neu verschalken mußten.

Auf demselben Weg, den vorher Philip und Hasard genommen hatten, kämpften sie sich also zur Kombüse vor. Sie stolperten hier und da, stießen sich Schultern und Knie und fast auch die Köpfe, dann, endlich, hatten sie ihr Ziel erreicht. Der Kutscher öffnete die Tür.

Was da seinen Lauf nahm, ließ sich nicht genau erkennen, auf jeden Fall aber schien in der Kombüse der Teufel höchstpersönlich los zu sein. Das lachte, keckerte, heulte, schwappte, flatterte und gluckste, daß es eine Freude war.

„O Mann“, ächzte der Profos. „Donegal hat’s ja immer gesagt: Eines Tages steigt der Wassermann zu uns an Bord.“

„Profos“, stieß der Kutscher nervös aus. „Ich habe eine Fackel gefunden. Hier, halt bitte mal, ich zünde sie an. Wenn wir aufpassen, fängt die Kombüse kein Feuer – und wir können die Fackel ja rechtzeitig in einen der gefüllten Kessel stecken, falls es brenzlig wird.“

Carberry taumelte und krachte fast gegen den Türrahmen.

„Ja“, wiederholte er. „Falls es brenzlig wird …“

Wenig später zuckte der Fackelschein durch die Kombüse. Das Licht offenbarte die Szene in ihrer ganzen Pracht. Arwenack kauerte in dem Kessel und versuchte vergeblich, sich so weit zu ducken, daß man ihn nicht sehen konnte. Philip und Hasard hielten sich am Herd fest und prusteten vor Vergnügen. Sir John flatterte über den drei Lausebengeln und wetterte, was das Zeug hielt.

„Jetzt wird aber der Hai in der Pfanne verrückt“, entfuhr es dem Kutscher.

„Der Affe, meine ich“, sagte der Profos.

„Meine Soße“, klagte der Kutscher. „Meine schöne süß-saure Soße.“ Fast gab er seinen Halt auf und stürzte hin, so entsetzt war er.

„Fleischklöße mit süß-saurer Soße sollte es also geben“, stieß Ed Carberry erbittert aus. „Eins meiner Lieblingsgerichte.“ Und dann fing er an zu brüllen: „He, seid ihr wahnsinnig, ihr Kakerlaken? Was fällt euch ein? Wißt ihr nicht, daß die Todesstrafe darauf steht, in die Kombüse einzubrechen? Na wartet, ich werde euch den Affenarsch versohlen und euch anschließend die Haut in Streifen abziehen, ich … Sir John, du Geier, komm sofort hierher!“

Sir John verstand nicht oder wollte nicht kapieren und flatterte in die dem Profos entgegengesetzte Richtung.

„Ihr Galgenstricke!“ fuhr der Profos die Zwillinge an. „Antreten und kuschen, oder es setzt was!“

Philip antwortete etwas in seiner haarsträubenden, nicht zu übersetzenden Sprache. Hasard sagte ein paar Worte, die wie „büs-güddiorus“ oder ähnlich klangen.

„Das ist der Gipfel“, zürnte der Profos. „Diesmal gibt’s Zunder! Seewölfe oder nicht, ihr habt euch eure Senge verdient, und zwar gründlich. Hölle und Teufel, wenn ihr nicht kommt, schnappe ich euch eben.“

Er marschierte los. Sir John suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Philip bedauerte es zutiefst, auf Hasards Order hin den inneren Riegel der Kombüsentür kurz zuvor doch wieder zurückgeschoben zu haben – es wäre besser gewesen, den Raum verschlossen zu lassen.

Aber die Zwillinge hatten den Affen und den Papagei fortscheuchen wollen. Das hatten sie nun von ihrem guten Willen – man wollte sie offensichtlich zur Rechenschaft ziehen und bestrafen.

Der Narbenmann steuerte genau auf sie zu. Er streckte schon die Hände nach ihnen aus.

Dabei brüllte er: „Kutscher, sieh nach, ob sie die Flaschen entdeckt haben! Wenn sie Schnaps und Wein gesoffen haben, kriegen sie deswegen noch extra was an die Ohren!“

Arwenack ertrug es nicht länger, er wollte fort. Kreischend sprang er aus dem Kessel hoch, diesmal hatte er genügend Schwung. Er schaffte es, sich über den Rand zu hieven, jumpte auf die Planken der Kombüse und hastete los.

Er hielt auf den Kutscher zu. Der hatte sich gerade dem Schapp zugewandt, in dem sich die kostbaren Flaschen befanden. Carberry war auch irritiert, weil Arwenack mächtig gekleckert hatte und süß-saure Soße in das Profos-Gesicht und auf die Profos-Kleidung gespritzt war. Carberry rieb sich die Augen, verlor das Gleichgewicht und stürzte.

Arwenack wischte an dem Kutscher vorbei. Der Kutscher hatte genug damit zu tun, von dem Flaschenschapp abzulassen und zu Carberry zu laufen. Er mußte dem zürnenden Mann die Fackel entreißen, damit es kein größeres Unheil gab.

Arwenack war ins Vordeck entflohen. Sir John packte die Gelegenheit ebenfalls beim Schopfe und schwirrte dem Affen nach.

Philip und Hasard bogen sich vor Lachen, aber dann begriffen auch sie, daß der Moment da war, in dem sie den Rückzug antreten mußten. An Carberry und dem Kutscher konnten sie jedoch nicht vorbei – deshalb beschlossen sie, den Niedergang als Schlupfloch zu wählen.

Sie liefen zur Tür und rissen sie auf. Die ganze Verschalkung löste sich dabei aus dem Rahmen, Wasser sprühte ihnen entgegen, das Orgeln des Sturmes drang in die Kombüse.

„Nein!“ schrie der Kutscher. „Um Himmels willen, nein!“

Nein, dieses Wort verstanden die Zwillinge schon, aber sie kümmerten sich nicht darum. Sie waren schon halb draußen, als der Kutscher die Fackel an sich gerissen hatte und die Verfolgung aufnahm.

Gewandt turnten die Zwillinge die Holzstufen des Niederganges hinauf und erreichten das Oberdeck. Aber hier glitten sie aus und schlidderten quer über die nassen Planken. Zu allem Unheil rollte genau in diesem Augenblick auch noch ein Brecher gegen die „Isabella“ an. Es grollte und rauschte, und dann ergossen sich die Fluten über die Back, die Kuhl, das Quarter- und sogar das höher gelegene Achterdeck.

Der Aufschrei der Crew ging in dem Tosen der Wassermassen unter.

Der Kutscher blieb auf halbem Weg auf dem Niedergang der Kombüse stehen und duckte sich. Ein Wasserfall gischtete ihm entgegen, hüllte ihn ein und ging in der Kombüse nieder. Die Fackel war nur noch ein verkohlter Stumpf in der rechten Hand des Kutschers.

Carberry schluckte Wasser, spuckte, fluchte und wankte in ohnmächtiger Wut durch den Raum.

Keiner der Männer auf Oberdeck war so schnell, daß er die Zwillinge festhalten konnte. Voll Entsetzen beobachteten sie, wie die Kinder auf dem abschüssigen Deck dahinrutschten. Smoky unternahm einen Versuch, Hasard zu packen, glitt aber selbst aus und stieß sich den Oberschenkel am Großmast.

Der kleine Hasard hatte Glück, er konnte ein Manntau packen und sich daran festklammern. Wie eine Katze hing er daran. In seinem Gesicht waren Schreck und Verzweiflung zu lesen. Er schrie auf.

Philip landete am Steuerbordschanzkleid. Hier traf er Anstalten, sich ebenfalls zu sichern und seine Höllenfahrt zu bremsen. Aber die Macht des Wassers war zu groß. Es brodelte auf Philip zu, erstickte seine Schreie, fegte ihn vom Schanzkleid und riß ihn in die kochende See.

„Mann über Bord!“ schrie Smoky. Kind über Bord, hätte er besser rufen sollen, aber in seinem panischen Entsetzen dachte er nicht daran.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 138

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