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2.

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Im zunehmenden Schlingern und Rollen der „Isabella“ war es kein leichtes Stück Arbeit, in den Hauptmars aufzuentern. Hasard kletterte trotzdem wie eine große Katze in den Webeleinen der Luvwanten nach oben und scherte sich den Teufel um das Tanzen und Taumeln und das unablässige Auf und Ab.

Er zwängte sich neben Dan O’Flynn in den Hauptmars und blickte nach Osten. Schwarzblau war der Himmel jetzt gefärbt. Eine immense Wolkenburg türmte sich auf und schien die Welt in zwei Hälften zu teilen: das Inferno und das sanfte, sonnendurchwebte Blau des Friedens, das mehr und mehr schrumpfte. Bald würde es ganz verschwinden, nach Westen, zum Festland hin.

„Hast du mitgekriegt, was sich eben auf dem schwarzen Segler abgespielt hat?“ fragte Dan.

„Ja, es hat mal wieder Aufruhr bei der Mannschaft gegeben.“

„Dieser Flanagan ist ein Idiot“, sagte Dan. „Was der sich einbildet! Na, Siri-Tong hat ja mal wieder hart durchgegriffen. Das muß sie auch, wenn sie ihre Kerle an der Kandare halten will.“

Der Seewolf wies nach Osten. „Dan, wir haben jetzt andere Sorgen als die Borddisziplin auf dem schwarzen Schiff.“

„Mann, das wird doch nicht der erste Sturm, den wir abreiten!“

„Das wird ein Orkan, der es in sich hat, mein Lieber.“

„Vielleicht geraten wir nur in seine Randzone.“

Hasard schaute ihn an. Während der Wind in den Luvwanten und Pardunen heulte und stärker an der „Isabella“ rüttelte, erwiderte er: „Wir sollten uns keinen falschen Hoffnungen hingeben. Ich sehe die Dinge im Augenblick ziemlich schwarz. Und ich habe keine Lust, Kopf und Kragen zu riskieren – für nichts und wieder nichts.“

„Was hast du vor?“

„Das kannst du dir doch denken, oder?“

„Die Küste anlaufen? Ein weiterer Zeitverlust. Wir wollen doch so schnell wie möglich den Südzipfel der Neuen Welt erreichen und runden“, entgegnete der junge Mann. Mehr fügte er aber nicht hinzu, denn er sah es der Miene des Seewolfes an, daß der nicht zu langen Erörterungen aufgelegt war.

Hasard traf Anstalten, den Mars wieder zu verlassen.

„Du kannst noch abentern, wenn du willst!“ rief er gegen das Jaulen und Pfeifen des Windes. „Ich zwinge dich nicht, hier oben zu bleiben.“

„Ich bleibe“, antwortete Dan. „Man kann nie wissen, wozu das gut ist. Ich binde mich auf jeden Fall fest, damit du dir keinen neuen Ausguck zu suchen brauchst.“

Rasch kehrte der Seewolf auf die Kuhl zurück. Carberry hatte auf seine Anweisung hin bereits die Manntaue spannen lassen, jetzt kontrollierte er die Laschings und Zurrings der Beiboote und überzeugte sich, daß auch die Brooktaue der Geschütze ordnungsgemäß durchgeholt und belegt waren, kurz, er tat alles, was zur Sicherung von Schiff und Mannschaft gehörte.

Hasard dachte an den materiellen Schaden, den er beim letzten Sturm zu verzeichnen gehabt hatte. Er wollte nicht schon wieder Lecks abdichten und andere Reparaturen durchführen – er hatte die Nase voll.

„Al Conroy!“ rief er zum Vorschiff.

„Sir?“

„Versuche, Siri-Tong ein Signal zu geben. Wir laufen die Küste an!“

„Aye, aye, Sir!“

Die beiden Schiffe segelten nur knapp eine Kabellänge voneinander entfernt. Es wäre keine Schwierigkeit für Hasard gewesen, auf Rufweite an den schwarzen Segler heranzumanövrieren, aber sosehr er auch gegen das zunehmende Tosen angebrüllt hätte, die Rote Korsarin hätte ihn nicht verstanden.

Al Conroys Bemühungen zeitigten bald den gewünschten Erfolg. Siri-Tong ließ zurücksignalisieren. Sie hatte keine Einwände gegen den Plan des Seewolfes.

Hasard turnte in den Manntauen bis zum Backbordniedergang, der auf das Quarterdeck hinaufführte. Er arbeitete sich bis zu Pete Ballie im Ruderhaus vor und rief: „Steuerbord, Pete, wir fallen ab und gehen platt vor den Wind!“

„Aye, aye!“ schrie Pete Ballie zurück.

Hasard kletterte aufs Achterdeck und setzte Ben Brighton, Ferris Tukker, Big Old Shane und Old O’Flynn auseinander, was er vorhatte. „Wir nutzen den Ostwind aus, suchen das Festland auf und laufen eine Bucht oder eine Insel an, die uns vor dem Orkan schützt. Es ist unsere einzige Chance. Verdammt, ich fühle, daß wir den Orkan in seiner ganzen Härte zu spüren kriegen.“

Der alte Donegal spuckte aus und wetterte: „Himmel, was soll ich denn sagen? Mein Beinstumpf schmerzt höllisch, das ist das sichere Zeichen für den Weltuntergang!“

Die „Isabella“ übernahm die Führung und steuerte nun vor „Eiliger Drache über den Wassern“ die Küste an. Es wurde ein Wettlauf mit der Zeit. Hinter ihnen war die Schwärze der Verdammnis, heulte der Wind, gischtete das Wasser zu immer höheren Wogen hoch.

Hasard kehrte auf das Quarterdeck zurück, um Pete Ballie jederzeit direkte Kommandos geben zu können. Gleichzeitig hielt er den Kontakt zu Ed Carberry, der die Crew mit seinem Gebrüll an den Brassen und Schoten dirigierte.

Der Waghalsigkeit seines Unternehmens war sich der Seewolf voll bewußt. Selbst wenn er rechtzeitig vor dem endgültigen Ausbruch des Orkans das Festland erreichte, war die Gefahr noch nicht vorüber. Sie lauerte in mannigfacher Form auf sie, war steigerungs- und wandlungsfähig. Beispielsweise konnten sie auf Legerwall gedrückt werden, wenn sie nicht geschickt manövrierten.

Unter diesem Gesichtspunkt war Hasards Entschluß nicht der glücklichste, zumal bei auflandigem Wind in Küstennähe der stärkste Seegang herrschte.

Aber er war unbeirrbar. Er wußte, daß er recht behalten würde: Das Schicksal jagte das Zentrum des Orkans direkt auf sie zu.

Thorfin Njal hatte Oleg und den Stör bis tief ins Vorschiff begleitet und sich überzeugt, daß Flanagan auch weisungsgemäß festgekettet wurde – und daß er ja keine weiteren Dummheiten beging.

Jetzt kehrte der wuchtige Steuermann mit seinen beiden Gefolgsleuten auf Oberdeck zurück. Die See war im Begriff, sich gegen sich selbst zu wenden und alle Fremdkörper auszuspeien. Sie rüttelte mit aller Macht am schwarzen Schiff. Es dröhnte und knackte bis in die letzten Verbände. Die drei Wikinger wurden in den Gängen hin- und hergeworfen.

„Bei Odin und allen Göttern!“ brüllte Thorfin Njal. „Geht der Tanz schon wieder los? Stürme, Pampero, Orkan und Tornado – ich hab das Gefühl, in einem Tollhaus zu sein!“

„In einem Tollhaus zu sein!“ rief der Stör.

Thorfin Njal wandte sich erbost zu ihm um. „Du sollst nicht immer meinen letzten Satz nachsprechen, du Barsch!“

„Meinen letzten Satz …“

„Untersteh dich!“

„Jawohl“, stammelte der Stör.

Sie gelangten an Oberdeck und sahen, wie die Manschaft an den Schoten und Brassen arbeitete, wie die letzten Vorbereitungen getroffen wurden, um dem großen Wüten zu trotzen. Thorfin Njal hatte – bevor er sich in die Vorpiek begeben hatte – noch gesehen, wie der Seewolf signalisiert hatte. Inzwischen hatte die „Isabella“ in direkter Kiellinie vor dem schwarzen Schiff die Führung übernommen, und sie hielten auf die Küste zu.

Thorfin Njal wandte sich dem Achterdeck zu. Er hangelte an den Manntauen voran. Er wollte so schnell wie möglich auf seinen vorherigen Posten zurückkehren, um den Rudergänger zu kontrollieren sowie Position und Kurs zu überprüfen. Schließlich war er der Steuermann, und er versah seine Aufgabe mit Ehrgeiz und Akribie.

Plötzlich stockte er.

Er fuhr herum und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Der große Viermaster hatte sich nach Steuerbord gelehnt, krängte unter einem anrollenden Brecher – und etwas sauste quer über die Kuhl.

Etwas? Jemand war so leichtsinnig, sich nicht an den Manntauen festzuklammern. Das konnte nur einer sein, der nicht mehr Herr seiner Sinne oder zumindest stark in seinen Reflexen beeinträchtigt war.

„Missjöh Buveur“, stieß Thorfin Njal entgeistert hervor. „Geri und Freki, Odins Wölfe, sollen dich beißen, Hugin und Munin, die Raben, dir die Augen auspicken – ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen, du Satansbraten?“

Er stürmte dem kollernden Franzosen nach, ehe Oleg und der Stör richtig begriffen, was eigentlich los war.

Missjöh Buveur, total benebelt und kaum noch aufnahmefähig, rollte unaufhaltsam der Steuerbordseite zu, und mit ihm rollte die leere Rumflasche als Beweis dafür, daß er mal wieder seinem liebsten Laster gefrönt hatte.

Er sauste an einem der schweren Geschütze vorbei und dann – der Teufel wollte es so – genau auf die Stückpforte zu. Sie war keine verschließbare Luke, sie stand offen, und das war Missjöh Buveurs ausgesprochenes Pech. Mit dem Kopf zuerst glitt er durch die Öffnung.

„Mann über Bord!“ schrie Thorfin Njal gegen das Sturmheulen an.

Aber es war noch nicht soweit. Ein guter Geist schien den Franzosen doch noch nicht verlassen zu haben, es war der Schutzengel, der alle Betrunkenen begleitete. Missjöh Buveurs Höllenfahrt erfuhr jedenfalls eine Unterbrechung. Plötzlich stoppte er ab, steckte fest.

Seine Füße waren so merkwürdig verkantet, daß sie einen Widerstand hinter dem Süll der Luke bildeten. Ja, es war absurd, verrückt, aber wahr: Das schwarze Schiff torkelte in den Wogen, und Missjöh Buveur hing wie eine Galionsfigur über den schwärzlichen Fluten.

Die meisten Männer der Besatzung standen wie erstarrt. Der Boston-Mann war neben Siri-Tong und rief: „Verdammt, der Kerl ist wieder bis oben hin voll!“

Thorfin Njal hatte das Geschütz erreicht, glitt aus und schlitterte plötzlich ebenfalls über Deck. Er fing sich am Schanzkleid ab, erhob sich fluchend und arbeitete sich unter Herbeizitieren sämtlicher ihm geläufigen Gottheiten auf den Verunglückten zu.

„Ersäufen sollte man dich!“ brüllte er.

Missjöh Buveur blickte verblüfft in das tosende Wasser. Er hatte die leere Rumflasche an sich vorbei in die Fluten stürzen sehen, und jetzt wurde er allmählich nüchtern, denn er malte sich aus, wie es war, wenn er der Flasche folgte.

Das schwarze Schiff krängte nach Backbord und dann wieder nach Steuerbord. Missjöh Buveur kriegte Salzwasser zu schlucken, spuckte es aus und wurde noch nüchterner.

Thorfin Njal zerrte an den Füßen und Knöcheln des Franzosen, als wolle er sie abreißen. Inzwischen waren auch Oleg und der Stör sowie Pedro Ortiz und Diego Valeras, die beiden Portugiesen, als Verstärkung eingetroffen. Mit vereinten Kräften befreiten sie den Franzosen aus seiner unglücklichen Lage und zerrten ihn auf die Kuhl zurück.

Missjöh Buveur sah seine Retter an, dann verdrehte er gekonnt die Augen. „Mon Dieu, der Teufel hat die Krallen nach mir ausgestreckt und – und der andere, der mit der Sense – ich hab schon die Klinge an meiner Gurgel gespürt!“

Unwillkürlich griff er sich mit beiden Händen an den Hals.

„Hör auf mit dem Theater“, fuhr Thorfin Njal ihn an. „Du solltest nicht soviel saufen, du Schwamm, sonst gehst du eines Tages wirklich vor die Hunde.“

Die anderen wußten nicht, ob sie lachen oder fluchen sollten.

„Missjöh Buveur!“ rief Siri-Tong plötzlich mit der gleichen schneidenden Stimme, mit der sie sich auch an Flanagan gewandt hatte. „Komm her! Ja, zur mir aufs Achterdeck!“

Der Mann aus dem fernen Frankreich hangelte an den Manntauen nach achtern und schob sich schließlich sehr kleinlaut auf die Rote Korsarin zu. In diesem Moment wußte er nicht, was besser war: zu leben oder doch lieber in die sprudelnden Fluten zu stürzen.

Siri-Tong sprach gerade laut genug, daß Missjöh Buveur es noch verstehen konnte. „Hör gut zu. Wenn so etwas noch mal passiert, lasse ich dir zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen überziehen. Zwanzig! Und danach wirst du an der Rahnock aufgehängt, da kannst du dann zappeln, soviel du willst, verstanden?“

„Ja, Madame“, antwortete Missjöh Buveur. Er wünschte sich, eine Maus zu sein und irgendwo in einem Spundloch verschwinden zu können.

So hart die Kerle auf diesem Viermaster auch waren – vor der Roten Korsarin schrumpften sie alle gleichsam in sich zusammen. Noch nie hatte es eine Frau gegeben, die einen so elementaren Einfluß auf sie ausgeübt hatte.

Es stellte sich als unschätzbarer Vorteil heraus, daß Dan O’Flynn seinen Posten im Hauptmars beibehalten hatte. Natürlich war er es, der als erster jenen düsteren Streifen entdeckte, der sich am Horizont entlangzog.

„Land!“

Dan brüllte es, aber in dem Wüten des Wetters konnte ihn unten auf Deck niemand verstehen. Er mußte seine Pistole abfeuern, um sich verständlich zu machen. Fortan teilte er seinem Kapitän alles, was er sah, durch Gestikulieren mit.

Land – Hasard wußte, daß sie sich ungefähr auf der Höhe des 22. Grades südlicher Breite befanden. Er hatte die Zeichnungen dieser Küstenregion fast bis zum Detail im Gedächtnis. Schon am Vortag hatte er sich ausgiebig mit seinem umfangreichen Kartenwerk befaßt.

Eins war besonders haftengeblieben: Gerade an diesem Punkt gab es gefährliche Korallenriffe.

Hasard gab Dan ein entsprechendes Zeichen. Der junge Mann war von jetzt an praktisch doppelt und dreifach auf der Hut. Das war kein einfaches Unternehmen in dem wild schwankenden Großmars, oder, treffender ausgedrückt: Nur ein Ausguck wie Dan konnte in diesen Augenblicken noch an etwas anderes denken als ans Festklammern und Beten.

Der Schimpanse Arwenack hatte sich längst in einen sicheren Schlupfwinkel unter Deck begeben. Er haßte Stürme, und dieses Zürnen der entfesselten Naturgewalten flößte ihm Panik ein. Weglaufen konnte er nicht, also verkroch er sich. In Stunden wie diesen war er sogar zum Burgfrieden mit Sir John, dem Papagei, bereit, auf den er sonst glühend eifersüchtig war.

Dan vollbrachte das gleichermaßen Unmögliche. Er sichtete rechtzeitig tückische Untiefen, konnte im Branden der Wogen bruchstückweise die lebensgefährlichen Gebilde erkennen – Korallenbänke!

Rasch bedeutete er Hasard, wo sich die Barrieren befanden.

„Zwei Strich Backbord, Pete!“ rief der Seewolf seinem Rudergänger zu. „Wir luven an, um nicht aufzulaufen!“

„Aye, aye, Sir!“ schrie Pete Ballie zurück, und gleichzeitig schickte er wie die übrigen Männer der Crew ein Stoßgebet zum Himmel, er möge sie vor dem furchtbaren Schicksal bewahren.

Die Erinnerung an das Ende der spanischen Galeonen „Santa Barbara“ und „San Domingo“ war noch frisch im Gedächtnis der Seewölfe. Die Segler hatten die portugiesischen Siedler nach Bahia bringen sollen und waren im Sturm auf einem Riff zerschellt.

Auch Hasard dachte daran, aber er sagte sich auch, daß die „Isabella VIII.“ und das schwarze Schiff keine gottverdammten Seelenverkäufer wie die zum Abwracken reifen spanischen Galeonen waren – und sie wurden von Crews geführt, die ihre Arbeit verstanden.

Die „Isabella“ rauschte zwischen harten, scharfen Korallenformationen hindurch, die einen Schiffsrumpf mühelos aufschlitzen konnten. Sie führte den schwarzen Segler wie ein Lotse, und das dunkle Land rückte näher, immer näher.

Hasard biß die Zähne zusammen. Er wußte, daß Cabo de Sao Tomé nicht fern war, ein Platz, an dem viele Schiffe auf Riffs gescheitert waren, als sie sich zu sehr in Küstennähe gewagt hatten.

Er wußte es, aber er hielt an seinem Vorhaben fest.

Er hatte das Durchhaltevermögen und die Härte seines leiblichen Vaters Godefroy von Manteuffel, und der alte Killigrew, sein Pflegevater, hatte jene Sturheit auf ihn übertragen, die man in gewissen Situationen brauchte.

Das war keine sinnlose, blinde Halsstarrigkeit. Hasard kannte alle Alternativen, die ihm in diesem Kampf blieben, und wußte abzuwägen. Er mußte einen Zufluchtsort finden, denn das schlimmste Wüten des Orkans stand noch bevor.

Er blickte nach oben – Dan signalisierte ihm wieder. Eine Einfahrt, las Hasard aus seinen Gebärden, eine Bucht!

„Eine Bucht!“ rief er Ben Brighton zu. „Wir haben es geschafft! Der Teufel soll mich holen, wenn jetzt noch etwas schiefgehen sollte! Pete, abfallen! Wir steuern genau auf die Einfahrt zu. Ed, schlaft da unten nicht ein – nicht jetzt!“

„Nein, Sir!“ brüllte Carberry, der nicht weit entfernt unterhalb des Quarterdecks auf der Kuhl stand und die Segelmanöver befehligte. Er war ein Koloß, eine eherne Statue, die kein Brecher von den Planken fegen konnte; Inbegriff der Kraft und eisernen Disziplin.

Wie ein Schemen löste sich die Einfahrt zur Bucht vor der „Isabella“ aus Gischt und Dunst. Sie mochte dreißig, vierzig Yards breit sein, auf keinen Fall mehr. An Steuerbord erstreckte sich eine Landzunge, die nach Nordosten verlief und zur See hin den Abschluß der Bucht bildete.

Hasard atmete tief, als sie hindurch waren. Er hielt den Blick starr nach vorn gerichtet, rief aber Ben Brighton zu: „Ben, was ist mit dem schwarzen Segler?“

„Er folgt uns!“

„Siri-Tong muß aufpassen, daß sie nicht aufläuft, verdammt noch mal!“

„Sie ist auf der Hut!“

„Gott sei Dank“, sagte Hasard. „Pete, wir gehen hart Steuerbord.“

„Aye, aye, Sir.“

„Profos, wir gehen in den Wind, geien die Segel auf und ankern gleich an der Landzunge, verstanden?“ schrie der Seewolf. „Wir wissen nicht, wie groß die Bucht ist und wie es mit der Wassertiefe aussieht, vor allem im ufernahen Bereich!“

„An die Brassen und Schoten!“ brüllte Ed Carberry. „Wir luven an, ihr Bastarde, ihr Kanalratten, ihr Stinkstiefel, merkt ihr nicht, was hier läuft, was, wie? O ihr Säcke, ihr Hosenpisser, euch muß man die Seefahrt noch mit Zangen beibiegen!“

So ging es pausenlos weiter. Carberry blieb mal wieder seiner Devise treu, ohne Brüllen und Fluchen ginge es nicht.

Aber dann begannen auch die anderen Männer zu fluchen, und zwar mordsmäßig. Der schwarze Segler hatte soeben die Einfahrt der Bucht passiert, da fegte eine Sturmbö unvergleichlicher Wucht über die Nehrung weg. Hasard konnte sehen, wie sie Palmen und andere Bäume buchstäblich abrasierte und entwurzelte.

Ein auf dem Grund der Bucht schlummernder Gigant schien erwacht zu sein. Er hob beide Schiffe hoch und trug sie weiter auf das Festland zu, bevor sie ankern konnten.

Ein Ruck lief durch die „Isabella“, gleichzeitig ertönte ein Knirschen, das den Männern einen eisigen Schauer über den Rücken trieb. Denn sie alle wußten, was das bedeutete.

„Himmel, Arsch und Zwirn!“ brüllte Ferris Tucker. Weiter gelangte er nicht, denn er verlor die Balance und fiel hin. Als er sich wieder halb aufgerappelt und gesammelt hatte, schrie er: „Verdammt und zugenäht, jetzt sind wir doch aufgelaufen!“

„Du merkst aber auch alles“, sagte der alte O’Flynn bissig. Wäre er nicht Old Donegal gewesen, hätte der rothaarige Schiffszimmermann ihm in diesem Augenblick zweifellos einen Hieb verpaßt.

Ja, sie saßen auf Grund. Hasard arbeitete sich bis zum Steuerbordschanzkleid vor und schaute zum schwarzen Schiff hinüber. Es war passiert, was er hatte vermeiden wollen – auch bei Siri-Tong und ihrer Mannschaft. Die gewaltige Sturmbö hatte auch den „Eiligen Drachen über den Wassern“ auf eine Untiefe gejagt, er war manövrierunfähig wie die „Isabella“.

Hasard bezwang mit Mühe seine aufsteigende Wut. Ein Gemütsausbruch änderte auch nichts an den Gegebenheiten.

„Fallen Anker!“ rief er Carberry zu. „Für den Fall, daß der Orkan uns noch weiter auf das Ufer drückt!“

Siri-Tong veranlaßte das gleiche. So verhinderten Hasard und sie wenigstens, daß sich die Schiffskiele noch tiefer in den Grund der Bucht schoben. Gleichzeitig sicherten die Anker den Schiffen eine gewisse Stabilität im Sturm.

„Weg mit den Segeln!“ befahl Hasard.

Er wandte sich Ben, Ferris, Shane und dem alten Donegal zu. „Fragt mich nicht, was wir jetzt tun. Wir haben hier nur die eine Möglichkeit.“

Shane nickte ernst. „Nämlich die, die Ohren anzulegen.“

„Du hast es erfaßt“, erwiderte der Seewolf. „Am besten gehen wir alle Mann unter Deck und köpfen zur Feier des Tages ein paar Flaschen. Wir haben allen Grund dazu, oder?“

Es wurde Nacht, bevor der eigentliche Abend überhaupt angebrochen war. Die Seewölfe, Siri-Tong und. ihre Männer zählten die Stunden nicht, in denen der Orkan mit Donnern und Gebrüll über sie hinwegorgelte. Sein Zentrum, das gefürchtete „Zyklonenauge“, befand sich wirklich nicht weit entfernt von der Bucht mit den beiden Schiffen.

In dieser Beziehung behielt Hasard also tatsächlich recht.

Wären sie draußen auf See geblieben, um den Sturm abzureiten, wären sie zerschlagen worden oder hätten zumindest schwere Havarien.

Wenigstens mit der Erkenntnis, nicht dieses bittere Ende gefunden zu haben, konnten sie sich trösten.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 89

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