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2.

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Bill mußte ins Achterkastell flitzen und aus der Kapitänskammer einen von Hasards sorgsam gehüteten Schätzen holen: die Navigationsgeräte. Anhand des Astrolabs, des Jakobsstabes, des Quadranten und der beachtlichen Anzahl Seekarten, die er im Laufe der Jahre gesammelt hatte, stellte Hasard dann seine Berechnungen an.

Der Kompaß, den sie beim Erwerb ihrer „Isabella VIII.“ im Ruderhaus hatten anbringen lassen, leistete ihm eine weitere Hilfe bei der exakten Bestimmung ihrer Position und ihres Kurses.

Von Navigation verstand der Seewolf inzwischen eine ganze Menge, und er hatte sein Wissen an seine Crew weitergegeben, wie er ihnen auch die spanische Sprache beigebracht hatte.

Zwar wurde vielfach, vor allen Dingen auf den spanischen Schiffen, immer noch „nach Gefühl und mit Gott“ gesegelt, und bei Navigation nach Instrumenten war die Bestimmung der genauen geographischen Länge noch allenthalben ein Buch mit sieben Siegeln, aber die Portugiesen hatten in diesem Punkt bereits einen wichtigen Beitrag geliefert, und auch ein gewisser William Bournes hatte 1574 ein erstes Handbuch der Navigation herausgegeben.

Hasard sah seinen schweißgebadeten Profos an. „Gegen Abend müßten wir den Äquator passieren, Ed, falls der Wind nicht schralt oder völlige Flaute eintritt.“

„Das bewahre Gott.“

„Ein frommer Wunsch, Profos.“

Carberry grinste schief und schaute zu Big Old Shane. „Hör zu, du brauchst dich nicht erst großartig zu maskieren, du wirst auch so einen schönen Neptun abgeben.“ Er lachte, als er Shanes verdutzte Miene sah, wandte sich ab und kehrte auf die Kuhl zurück.

„Was meint denn der?“ wollte Shane wissen.

Ben Brighton lachte. „Das wirst du schon noch merken. Denk mal scharf nach, dann kommst du schon darauf.“

Carberry war auf der Kuhl angelangt. Immer wieder blickte er zu Bill, der sich inzwischen wieder intensiv mit seinem Schwabberdweil befaßte. Carberry redete mit sich selbst, und Blacky und Al Conroy, die einmal dicht an ihm vorbeigingen, schnappten die Worte „Äquatortaufe“ und „Riesenspaß“ auf.

Blacky trat zu Bill. „He, Junge, nimm dich vor Carberry in acht. Der will dich taufen.“

„Was?“ Bill schaute verärgert auf. „Kommt nicht in Frage. Das hat bei uns zu Hause der Kaplan in der Kirche erledigt, wie es sich für jeden anständigen neugeborenen Engländer gehört.“

„Das ist was anderes“, erklärte Smoky, der gerade von der Back herunterstieg. „Carberry meint die Äquatortaufe.“

„Äquatortaufe?“

„Dir werden die richtigen Seebeine auch noch wachsen“, sagte Matt Davies.

Bevor Bill aufbegehren konnte, stieß Ed Carberry einen wahrhaft urweltlichen Schrei aus. Breitbeinig stand er vor dem Achterabschluß der Kuhl und brüllte: „Kutscher, he, Kutscher, wo steckst du Himmelhund?“

Prompt erschien die Gestalt des Kutschers im offenen Kombüsenschott. Hasards Koch und Feldscher trat das Körperwasser aus allen Poren. Er war kalkweiß, seine Augen quollen leicht aus den Höhlen hervor, kurz, man sah ihm an, welche Qualen er litt. Zur Zeit hatte er den schlechtesten Job an Bord. Er hatte die Holzkohlefeuer unter den schweren Bronzekübeln angeheizt, weil die Crew das ewige Pökelfleisch satt hatte und endlich mal wieder etwas „Anständiges“ zwischen die Zähne kriegen wollte. Also opferte sich der Kutscher und verging fast in der Hitze, die in der Kombüse herrschte.

„Mein Gott“, stammelte er. „Was ist denn los?“

„Was los ist?“ brüllte Carberry zurück. Er badete jetzt doch fast in seinem Schweiß, der ihm in Strömen übers Gesicht und den ganzen Körper lief. Die Sonne brannte wie Feuer auf ihn nieder. „Das fragst du auch noch, du Stinkstiefel? Bring mir was zu trinken! Wasser! Dalli, oder ich …“

„… zieh dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch“, vollendete Luke Morgan den Satz. Seine Miene war mitleidig.

„Nein!“ fuhr der Profos ihn an. „Ich schmeiß den Kutscher über Bord, wollte ich sagen. Zu den Haien und Barrakudas, wenn er uns hier elendig verdursten läßt.“

Der Kutscher bewies Mut. Er trat noch zwei Schritte weiter vor, einmal, um der glühenden Hitze der Kombüse zu entweichen, zum anderen, um den Abstand zum Profos zu verkürzen.

„Ed“, sagte er. „Wenn du Flüssigkeit in dich hineinschlauchst, wird die Schwitzerei nur noch schlimmer. Du kannst es mir glauben.“

„Stimmt“, bestätigte Batuti.

„Bezwing dich“, sagte Blacky zu Carberry.

Der wollte sich nicht beherrschen und vernünftig sein. Er lief dunkel an und brüllte: „Kutscher, wenn du nicht sofort mit einer Pütz voll Wasser antrabst, knüpfe ich dich an der Rahnock auf und lasse dich dort zappeln!“

Der Kutscher zuckte mit den Schultern, drehte sich um und suchte das Vordeck auf. Wenig später kehrte er mit einer vollen Segeltuchpütz auf Oberdeck zurück. Er hatte auch eine Muck mitgebracht. Carberry riß sie an sich, tunkte sie in das Süßwasser und schöpfte eine volle Ladung heraus. Mit einem Laut der Zufriedenheit hob er den Becher an den Mund.

Er schlürfte wie ein Roß an der Tränke. Dann geschah etwas Ungewöhnliches. Er hielt plötzlich inne, mitten im Zug. Sein Gesichtsausdruck änderte sich, seine Stirn war drohend umwölkt.

Der Kutscher trat vorsichtshalber zwei Schritte zurück.

„Da stimmt was nicht“, sagte Blakky leise.

Die gesamte Crew stand plötzlich reglos da und fixierte ihren Profos. Auch die Männer auf dem Achterdeck drehten sich dem zur Salzsäule erstarrten Carberry zu, und sogar Pete Ballie, der Rudergänger, lugte neugierig aus dem Ruderhaus hervor.

Carberry schüttelte sich wie ein begossener Hund, dann ruckte sein klotziger Schädel mitsamt dem Rammkinn vor. In seinem Inneren grollte es, er öffnete den Mund und spuckte das soeben getrunkene Naß wieder aus. Ein richtiger Sprühregen ging auf die Decksplanken nieder. Das Ganze wurde noch gewichtiger durch das heftige Prusten des Profos.

„Es hat ihn erwischt“, sagte Matt Davies. „Ich wußte es, Leute. Das kommt davon, wenn man sich keine Mütze aufsetzt.“

„Gehitzigschlag“, brummte Batuti.

„Hitzschlag“, korrigierte Blacky.

Carberry hatte ausgespuckt, was es auszuspucken gab. Jetzt fing er sich, holte tief Luft – und fing an zu toben.

„Kutscher!“ schrie er aus Leibeskräften. „Was ist das für eine Schweinerei? Was ficht dich an, mir so eine Brühe vorzusetzen? Komm sofort hierher, du Hering du Mistfresser, du Leutevergifter!“

Der Kutscher hob den Kopf und wandte sich an Hasard. „Sir, muß ich diesem Befehl Folge leisten?“ Er sagte es mit Würde.

Hasard stieg zur Kuhl hinunter. Bevor der wütende Profos auf den Kutscher losgehen konnte, stellte er sich zwischen die beiden.

Smoky legte den Kopf in den Nakken und gab ein Zeichen zum Großmars hinauf. Dan O’Flynn und Arwenack beugten sich über die Segeltuchverkleidung ihres luftigen Postens, der Schimpanse so weit, daß er jeden Augenblick in die Tiefe zu stürzen drohte. Er keckerte und hielt schon eins seiner Wurfgeschosse bereit. Er konnte es nicht leiden, wenn der Profos auf die Palme ging, und war drauf und dran, das Ding abzufeuern.

Dan hielt den Affen auf Smokys Wink hin zurück.

Carberry wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. „Pfui Teufel! Himmel, Arsch und Zwirn, so eine Riesensauerei!“

Hasard wurde es langsam zu bunt.

„Profos“, sagte er scharf. „Was ist eigentlich los? Hör auf, verrückt zu spielen und erkläre mir in vernünftigen Worten, was du zu bemängeln hast.“

Carberry beruhigte sich etwas. „Ja, Sir.“ Er wies auf die Segeltuchpütz mit Wasser, die der Kutscher immer noch hielt. „Das da – das Wasser. Probier es doch selbst mal, Sir.“

Der Seewolf trat zu dem Kutscher. Batuti reichte ihm die Muck. Carberry hatte sie in seiner Wut auf die Planken geschleudert. Hasard tauchte das kleine Gefäß in die Flüssigkeit. Und dann roch er nur einmal prüfend, und überzeugte sich, daß der Profos recht hatte.

„Stimmt“, sagte er. „Das Wasser stinkt. Es ist faulig. Kutscher, was hat das zu bedeuten?“

Der Kutscher wurde diesmal richtig rot im Gesicht. „Himmel, ich – Sir, ich kann mir das nicht erklären.“

„Das Zeug schmeckt widerlich“, sagte Carberry in Hasards Rücken. „Schlimmer als eingeschlafene Füße.“

„Kutscher, das ist vielleicht ein Ding“, fuhr Hasard seinen Koch an. „Wie kannst du den Männern so etwas vorsetzen?“

Alles konnte der Kutscher vertragen, nur keinen Anranzer von seinem Kapitän. Mit verkniffenem Gesicht stand er da. „Ich sehe ja ein, daß ich Bockmist geschossen habe, aber ich hab das Wasser nun leider mal nicht geprüft, bevor ich es gebracht habe, Sir. Muß an der Hitze liegen. Tut mir leid.“

„In der Kombüse ist es bullenheiß“, sagte Blacky. „Der Kutscher ist auch nur ein Mensch.“

Hasard warf ihm einen zurechtweisenden Blick zu. „Der Kutscher kann sich selbst verteidigen, oder?“

„Ja, Sir.“

„Kutscher, wieso haben wir überhaupt verfaultes Wasser an Bord?“

„Das weiß ich nicht.“

„Wir haben doch erst vor kurzem Trinkwasser und Proviant gefaßt.“

„Ja, Sir.“

„Unter diesen Umständen halte ich es für richtig, wenn wir mal gemeinsam die Kombüse und die Vorratskammern inspizieren“, sagte Hasard.

„Nimm es mir nicht übel, Kutscher. Ich tue das nicht, weil ich dir mißtraue, sondern weil ich annehme, daß es Dinge gibt, die auch deiner Aufmerksamkeit entgehen. In Ordnung?“

„In Ordnung, Sir.“

Sie gingen also ins Vorschiff, zunächst in die Kombüse. Hasard nahm genau in Augenschein, was der Kutscher schon penibel für die Zubereitung der Mittagsmahlzeit zurechtgelegt hatte. Er hob eine Speckseite an, schnupperte kurz daran, reichte sie dem Kutscher – und dessen Gesicht wurde lang und länger.

Hasard setzte seinen Gang fort und erreichte die Vorratskammern im Vordeck. Der Kutscher folgte ihm dichtauf, danach kamen Ben Brighton, Shane, Ferris Tucker, fast die ganze Crew bis auf Pete Bailie und diejenigen, die an Oberdeck gerade unabkömmlich waren.

Ganz am Ende des Trupps humpelte der alte Donegal Daniel O’Flynn. Er ließ am laufenden Band Flüche vom Stapel. Warum, das wußte er selbst noch nicht so genau. Auf jeden Fall hielt er es für ratsam, schon mal mit der Lästerei zu beginnen.

Als der Seewolf dann die Provianträume inspiziert hatte, bestand wahrhaftig aller Grund, die fürchterlichsten Verwünschungen auszustoßen.

Das Gesicht des Kutschers war so lang geworden, wie es überhaupt möglich war, und am liebsten hätte der arme Kerl vor lauter Wut und Verzweiflung losgeheult.

Hasard hielt noch einen größeren Fisch in der ausgestreckten Hand. Er klemmte die Schwanzflosse zwischen Daumen und Zeigefinger fest, und der Fisch baumelte herab, nicht als Corpus delicti, sondern als bildhafte Demonstration sozusagen.

Es roch in den Vorratskammern der „Isabella“. Nicht übel, sondern geradezu bestialisch.

„Also, so was hat die Welt noch nicht gesehen“, sagte Ben Brighton.

Carberry erwiderte: „Gerochen, meinst du wohl.“

„Hier stinkt’s nach Leichen“, sagte Shane angewidert.

„Nach toten Hunden“, sagte Matt Davies, und sein Nebenmann Al Conroy nannte die Dinge ohne Umschreibung beim richtigen Namen.

„Hölle und Teufel, alles total vergammelt – alles!“

Der Kutscher preßte sich mit einem Mal die Hände gegen die Ohren und rief: „Hört auf! Verflucht und zugenäht, hört endlich auf, ihr Hornochsen, ich kann’s nicht mehr aushalten!“

Die Seewölfe schauten sich an. Hornochse war für die Begriffe des Kutschers schon ein ganz schön deftiger Fluch, sie konnten daran messen, wie ihm zumute sein mußte. Sie protestierten nicht, sondern schwiegen unvermittelt.

Für einen Moment war nur das Knarren und Knacken der Planken und Verbände zu vernehmen, und das Rauschen des Seewassers an den Bordwänden. Hasard war es, der dann wieder das Wort ergriff.

„Tut mir leid, Kutscher, aber ich muß eine traurige Bilanz halten. Die Trinkwasserreserven sind hinüber. Sämtlicher Proviant ist verdorben, auch der in der Kombüse. Das Brot ist vom Schimmelfraß befallen, Pökelfleisch, Speckseiten, Fisch und Dünnbier und alles andere, was wir hier gehortet haben, sind verfault. Sogar das Salz zerfließt.“

Der Kutscher hob die Schultern und senkte sie wieder. Es war eine Geste völliger Resignation. Plötzlich verstand er die Welt nicht mehr.

„Woran liegt das bloß?“ murmelte Ben Brighton immer wieder. „Woran bloß?“

„Mann, Kutscher, hast du denn überhaupt nichts bemerkt?“ fragte Ferris mit einem scheelen Blick auf den stinkenden Fisch in Hasards Hand. „Ich meine, bei der Zubereitung des Essens hättest du doch …“

„Nein!“

Der Kutscher funkelte den rothaarigen Schiffszimmermann an, und für einen Moment sah es so aus, als wolle er sich den verfaulten Fisch angeln und ihn Ferris rechts und links um die Ohren hauen. Aber so etwas tat er denn doch nicht.

Er sagte nur: „Ich schwöre euch, daß alles, was ich oben in der Kombüse zurechtgelegt habe, bevor ich die Feuer anheizte, vor – ja, vor einer Stunde noch frisch war.“

„Hier spukt’s“, unkte Old O’Flynn.

Er handelte sich dafür die zornigen Blicke der versammelten Crew ein.

Hasard warf den Fisch fort. Seine Miene war von tödlichem Ernst, denn es gab in einer Situation wie dieser wahrhaftig keinen Grund, unbeschwert zu lachen.

Trotzdem sagte er: „Nun dramatisiert mal nicht. Es gibt für alles eine logische Erklärung.“

„Old Donegal soll mit seiner Spökenkiekerei aufhören!“ rief Jeff Bowie. „Wir haben die Nase gestrichen voll vom Jonas und von ähnlichem Blödsinn.“

„Dabei bist du abergläubischer als ich“, fauchte der Alte.

„Ruhe“, fuhr Hasard dazwischen. „Haltet die Luft an, Männer, oder es gibt Stunk. Hört zu. Das Klima in dieser Gegend ist vernichtend. Wir befinden uns jetzt unmittelbar vor dem nördlichen Bereich des Amazonasdeltas. Wir kriegen die Auswirkungen der Urwaldluft voll zu spüren. Nichts hält sich. Was eben noch genießbar gewesen ist, vergeht binnen Minuten. Die Hitze und die Feuchtigkeit sind vernichtend.“

Ben fuhr sich mit der Hand über die nasse Stirn. „Stimmt. Verdammter Mist, warum mußte uns das bloß passieren?“

Hasard blickte reihum. „Ihr könnt mich jetzt kritisieren, weil ich mich mit dem Schiff zu dicht in Küstennähe gehalten habe. Aber erstens dachte ich, immer noch weit genug vom Einzugsgebiet des großen Stromes entfernt zu sein. Zweitens befürchtete ich, weiter draußen auf See in eine entsetzliche Flaute zu geraten.“ Sein Blick verharrte auf Carberrys grimmigem Gesicht. „Ihr könnt mir die volle Schuld an diesem Vorfall zuschreiben, obwohl ich mich nicht rechtfertigen will. Nur laßt den Kutscher in Ruhe, er trägt keinerlei Verantwortung.“

„Danke, Sir“, sagte der Kutscher.

Carberry kratzte sich verlegen am Kinn. Es klang, als bewege sich eine Kolonie Küchenschaben über trokkenes Laub. „Himmel, ich hab’s ja auch nicht so gemeint. Aber was tun wir jetzt?“

„Kutscher, Bill, Blacky und Jeff Bowie, ihr kehrt zunächst mal das ganze Gammelzeug zusammen und befördert es außenbords. Sollen die Haie sich daran erfreuen. Kutscher, du weißt ja, daß du anschließend Provianträume und Kombüse tüchtig zu schrubben hast.“

„Aye, aye, Sir. Wegen des verfaulten Drecks.“

Der Profos polterte los: „Hol der Teufel diesen ganzen Kram! Was futtern wir jetzt? Und was trinken wir? Hölle, meine Kehle ist ganz trocken und kratzig.“

Hasard ging an ihm vorbei und führte den Trupp nach oben auf die Kuhl zurück. Hier drehte er sich um und sagte: „Ed, du kannst von mir aus eine Ration Rum austeilen lassen, wenn dich das beruhigt. Aber in den nächsten Stunden müssen wir hungern und auch mit unserem Durst irgendwie fertigwerden. Nicht einmal Pökelfleisch und Schiffszwieback sind genießbar, von dem Rest ganz zu schweigen. Wir haben keinen Tropfen verwendbares Trinkwasser. Oder willst du, daß wir uns alle vergiften?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Carberry. „Aber wie soll’s weitergehen, Sir?“

„Das hast du schon mal gefragt“, wandte Matt Davies trocken ein. „Du wiederholst dich, Ed. Wir haben dir ja gesagt, du sollst einen Hut oder was Ähnliches aufsetzen.“

Schnaubend wandte Carberry sich ihm zu. „Dich kratzt das Ganze wohl überhaupt nicht, was, wie?“

„Doch. Aber ich hab längst begriffen, daß wir eine Weile Kohldampf schieben müssen, bevor wir unsere Vorräte erneuern können.“

Hasard bat sich mit einer Gebärde Ruhe aus, dann rief er zu Dan O’Flynn hoch: „He, Dan, signalisiere Siri-Tong, sie soll auf Rufweite heranstaffeln!“

„Aye, aye, Sir!“ tönte es zurück.

Wenig später hatte sich der schwarze Segler auf weniger als eine Drittel Kabellänge an die „Isabella“ herangeschoben, und der Seewolf turnte ein Stück in die Luvwanten des Besanmastens hinauf, drehte sich um und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund.

„Siri-Tong!“

„Was ist passiert, Hasard?“ ertönte ihre Stimme. Sie stand immer noch auf dem Achterdeck. Ihre Haare bewegten sich im Wind und ihre rote Bluse bauschte sich, daß es einem den Atem rauben konnte.

„Kontrolliere deinen Proviant!“ schrie Hasard.

„Geht in Ordnung!“

Sie fragte nicht groß nach dem Warum, vielleicht schwante ihr auch schon etwas. Jedenfalls scheuchte sie sofort Juan und den Boston-Mann los, und die kehrten nach wenigen Minuten mit völlig verstörten Mienen wieder auf das Achterdeck zurück und erstatteten ihr Meldung.

Was sie sagten, konnte Hasard nicht verstehen. Aber er vernahm kurz darauf, was Siri-Tong ihm zurief.

„Alles hinüber, Hasard! Verfault! Was hat das zu bedeuten?“

Er erklärte es ihr in einem Satz, dann fügte er hinzu: „Wir müssen unseren Kurs ändern, es bleibt uns nichts anderes übrig.“

Sie lachte gezwungen, ganz wohl war ihr plötzlich auch nicht mehr.

„Du hast das Kommando. Wir folgen dir!“

Hasard winkte ihr zu, danach enterte er auf das Achterdeck ab und versammelte Ben, Shane, Ferris und Old O’Flynn um sich und die Crew auf dem Quarterdeck.

„Da gibt es nur eins“, sagte er. „Wir müssen in den sauren Apfel beißen und das Amazonasdelta anlaufen. Irgendwie müssen wir Nachschub für den verdorbenen Proviant heranschaffen, das ist klar. Das Mündungsgebiet des großen Flusses scheint mir am besten dafür geeignet, Eßbares und Trinkwasser zu finden. Inseln gibt es hier in der Umgebung meines Wissens nicht.“

„Was ist das für eine Gegend?“ erkundigte sich Carberry.

Hasard hob die Augenbrauen. „Was erwartest du, Ed?“

„Urwald.“

„Na also, warum fragst du dann?“

„Himmelarsch, ich hab noch von Guayana genug.“

„Profos“, sagte der Seewolf scharf. „Hast du vielleicht einen besseren Vorschlag?“

„Ich – nein, Sir.“

„Dann halt gefälligst den Rand und stinke nicht dauernd gegen meine Anordnungen an“, entgegnete Hasard scharf. „Sonst lasse ich dich vielleicht noch wegen Aufmüpfigkeit ein paar Stunden ins Vordeck sperren.“

Das saß. Carberry duckte sich wie unter Peitschenhieben. Er war zutiefst verletzt, aber er hörte auch mit seinem Gefluche und seiner Mäkelei auf. Wenigstens für die nächste Stunde. Und ganz tief in seinem Inneren sah er ja ein, daß hier nur einer das Sagen hatte: der Seewolf.

Hasard wandte sich an Ben. „Ich wollte ursprünglich das Amazonasdelta um jeden Preis meiden, aber jetzt habe ich keine andere Wahl. Verflixt, und dabei hatte ich mir eingebildet, ohne weiteren Aufenthalt an der Küste der Neuen Welt entlang bis nach Kap Horn segeln zu können.“

„Du meinst, wir seien vom Pech verfolgt?“ fragte Ben Brighton vorsichtig.

„Nicht unken, Ben.“

Hasard ließ wieder zum schwarzen Schiff hinübersignalisieren. Wenig später übernahm die „Isabella VIII.“ die Führung. Siri-Tong äußerte keine Einwände an Hasards Vorhaben, denn sie hatte von dem Augenblick an, in dem Juan und der Boston-Mann ihr die Hiobsbotschaft überbracht hatten, den Ernst und die Tragweite der Lage in vollem Umfang erfaßt.

Beide Schiffe fielen ab. Sie nahmen Kurs nach Südwesten und gelangten nun relativ schnell, zur Küste, weil sie platt vor dem aus Nordosten wehenden, immer noch handigen Wind hersegeln konnten.

Carberry blickte finster zu Bill hinüber. Schließlich marschierte er über das leicht schwankende Deck der Kuhl auf den Jungen zu. Bill traf Anstalten, die Flucht anzutreten, aber der Profos sagte nur: „Weißt du was? Der einzige Glückspilz bei der ganzen Schweinerei bist du, Söhnchen.“

„Wieso denn?“

„Weil du um die Äquatortaufe herumkommst, du Schlingel.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 83

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