Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 307 - Roy Palmer - Страница 5
2.
ОглавлениеDie „Isabella IX.“, das Schiff der Seewölfe, teilte mit ihrem Bug das Wasser der Ostsee. Wie schwere Schollen klafften die Fluten unter dem Bugspriet mit den beiden Blinden und der sanftmütig lächelnden Galionsfigur auseinander, sanken nach Backbord und Steuerbord weg, glitten am Rumpf entlang und liefen hinter dem Heck fächerfömig auseinander.
Platt lag die „Lady“, wie die Männer sie zu nennen pflegten, vor dem Wind und lief Nordostkurs. Die Häfen der Ostsee anzusteuern und neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen – das war der Auftrag, den Philip Hasard Killigrew und seine Männer in Plymouth von Lord Gerald Cliveden, dem Sonderbeauftragten der englischen Königin, in einer geheimen, versiegelten Order entgegengenommen und akzeptiert hatten.
Als Hasard die Mappe bei Skagen geöffnet und den Inhalt der Schriftstükke verlesen hatte, war die Begeisterung der Crew nicht sonderlich groß gewesen. Doch inzwischen wußte man, daß die Ostsee keineswegs ein Heringstümpel oder eine Pißrinne für Schwäne und Reiher war, wie die meisten von ihnen geäußert hatten. Auch dieses Meer hatte seine Tücken und Gefahren und durfte nicht unterschätzt werden – und langweilig, wie sie befürchtet hatten, ging es hier schon gar nicht zu.
Gary Andrews, der eine Wache als Ausguck im Hauptmars übernommen hatte, dachte über die Begebenheiten nach, die hinter ihnen lagen, und unwillkürlich mußte er grinsen. Nils Larsen hatte mit Gewalt verheiratet werden sollen – das war schon ein starkes Stück gewesen. Und die Sache mit Stenmark? Die Ereignisse im Sund und auf Gotland? Hart war es dort hergegangen, und teilweise auch sehr heiß.
No, Sir, die Ostsee war ganz gewiß kein harmloser Tümpel.
Plötzlich richtete er den Blick starr voraus. Grau verhangen war der Himmel, dunkel die See – und doch vermochte er die Rauchwolke, die an der nordöstlichen Kimm stand, sehr deutlich zu erkennen.
„Hol’s der Henker“, murmelte er. „Entweder ist da vorn eine Insel, auf der jemand ein hübsches Feuerchen angezündet hat – oder es befindet sich jemand in Gefahr.“
Er blickte zu Arwenack, dem Schimpansen, der ihm – dick vermummt und mit einer Wollmütze auf dem Kopf – Gesellschaft leistete, doch der Affe konnte ihm ganz bestimmt nicht verraten, was die Rauchsäule zu bedeuten hatte.
Gary richtete sich auf, beugte sich über die Verkleidung der Plattform und schrie: „Deck! Rauchwolke voraus!“
„Ist es ein brennendes Schiff?“ rief Hasard, der auf dem Achterdeck bei Ben Brighton, Big Old Shane und den beiden O’Flynns stand.
„Ich weiß es noch nicht, Sir!“ antwortete Gary. Dann richtete er sein Spektiv voraus und spähte erneut angestrengt hindurch.
Die Männer an Deck sahen jetzt ebenfalls den Rauch. Hasard gab den Befehl, Kurs darauf zu nehmen. Pete Ballie, der Rudergänger, korrigierte die Stellung des Ruderrades um einen Strich, die Segel wurden nachgetrimmt, die „Isabella“ hielt genau auf die Wolke zu, die sich schwarz und unheimlich am Mittagshimmel ausnahm.
Wenig später stand es fest: Der Rauch rührte von einem brennenden Schiff her, von einer Dreimast-Galeone, deren Besatzung sich in Lebensgefahr befand. Hasard zögerte keinen Augenblick.
„Wer immer es ist“, sagte er, „wir müssen ihm helfen.“
„Hölle und Teufel“, sagte der alte Donegal Daniel O’Flynn. „Wenn das man mit rechten Dingen zugeht. Nein, versteht mich nicht falsch. Ein Spuk ist es ganz bestimmt nicht, aber vielleicht eine Falle.“
„Unmöglich“, meinte Shane. „Siehst du nicht, daß die Flammen bei denen schon bis in die Takelage aufsteigen? Mann, die haben nicht nur ein paar Feuerchen angezündet, um ein Unglück vorzutäuschen, das ist doch offensichtlich.“
„Na schön, dann ist es eben offensichtlich“, sagte Old O’Flynn. „Aber geheuer ist mir die Sache trotzdem nicht. Wir kriegen Ärger, das schwöre ich dir.“
„Glaubst du, es ist ein Spanier?“ fragte sein Sohn, der soeben durch den Kieker geblickt hatte. „Der Flagge nach nicht.“
„Der Flagge nach ist es ein Finne!“ rief Nils Larsen.
„Ja!“ pflichtete Stenmark bei. „Und wenn mich nicht alles täuscht, ist es eine Handelsgaleone!“
„Dem Tiefgang nach zu urteilen, hat die Galeone schwer geladen!“ rief Gary Andrews hoch über ihren Köpfen.
„Na bitte“, sagte der Seewolf mit einem Blick zu Old O’Flynn. „Jetzt bleibt nur noch die Möglichkeit offen, daß er ein Piratensegler ist, der uns durch seine Flagge zu täuschen versucht. Aber das wird sich ja gleich herausstellen. Auf keinen Fall dürfen wir ihm unsere Hilfe versagen. Ben, laß die beiden Jollen zum Aussetzen klar machen.“
„Aye, Sir.“ Ben Brighton gab den Befehl an das Hauptdeck weiter. Die Männer lösten die Zurrings der Boote, plötzlich herrschte überall rege Betriebsamkeit. Die „Isabella“ glitt näher an das fremde Schiff heran. Kurze Zeit darauf waren die Schreie zu vernehmen, die von den Decks zu ihnen herübergellten.
Gary vermochte jetzt auch den Namen am Backbordbug der Galeone zu entziffern: „Katkorapu“. Er gab dies ans Deck weiter, und Stenmark wußte den Namen zu übersetzen.
„Das bedeutet Krabbe“, sagte er zu Hasard gewandt.
Die „Katkorapu“ brannte lichterloh, von ihrer Flagge war nichts mehr übriggeblieben, auch die Segel standen jetzt in Flammen. Wie Höllenzungen leckten die Feuer auch aus den Ladeluken hoch, stiegen an den Masten nach oben, belegten die Decks mit einem glühenden Teppich. Nichts schien mehr zu retten zu sein, und doch ließ der Seewolf nicht von seinem Vorhaben ab. Er konnte sein Mitgefühl für den Schrecken und die Qualen der Gestalten, die drüben schreiend auf und ab eilten, kaum verbergen.
Dicht bei der brennenden Galeone, und zwar in Luv, gingen die Männer der „Isabella“ in den Wind, geiten die Segel auf und setzten in Windeseile die Boote aus. Hasard hatte die Männer bestimmt, die zu dem Schiff pullen sollten – über die Hälfte der Mannschaft. Sie enterten in die Jollen ab und setzten zu dem Finnen über, Edwin Carberry und Ferris Tucker waren die Bootsführer.
Hasard und Ben blieben mit Old O’Flynn und Pete Ballie auf dem Achterdeck der „Isabella“ zurück und beobachteten gemeinsam mit Batuti, Will Thorne, Al Conroy, Sam Roskill, den Zwillingen, Gary Andrews und einigen anderen, was jetzt geschah.
Die Boote waren bei der „Katkorapu“ angelangt und gingen längsseits. Die Männer enterten auf, kletterten über das Schanzkleid, griffen zu Kübeln und Pützen und halfen beim Feuerlöschen mit. Auf dem Schiff herrschte die Hölle.
Carberry und Ferris Tucker erkannten auf einen Blick, wie verzweifelt die Lage der Finnen war, doch sie konnten nicht umhin, den verbissenen Mut dieser Männer zu bewundern.
Matti Hakulinen und Alavus hatten die Laderäume erreicht und kämpften wie von Sinnen gegen die Flammen. Noch hatten sie nicht bemerkt, daß Helfer an Bord waren, doch jetzt konnten sie die Rufe von Pulkila vernehmen.
„Wer seid ihr?“ schrie der Bootsmann den fremden Männern zu, die völlig unverhofft im Rauch vor ihm auftauchen.
Stenmark, der neben Carberry war, dolmetschte, dann rief er zurück: „Engländer! Gebt uns mehr Kübel! Habt ihr Feuerpatschen?“
„Ich verstehe dich nicht!“ brüllte Pulkila.
Stenmark wiederholte seine Worte auf Schwedisch, und der Bootsmann begriff. Er gab Kuhmo einen Wink, Kuhmo wollte ein paar Schwabber an die Helfer weiterreichen, doch auch die waren bereits vom Feuer angesengt.
Carberry griff sich ganz einfach eine Taurolle und benutzte sie als Werkzeug gegen die alles verschlingenden Flammen. Blacky, Luke Morgan und Matt Davies unterstützten ihn, die anderen eilten mit Ferris Tucker und Stenmark in die Laderäume hinunter, wo der schlimmste Zustand herrschte.
„Was habt ihr geladen?“ schrie Stenmark hustend.
„Eichenholz!“ brüllte Hakulinen. „Der Teufel soll das Zeug holen!“
„Allmächtiger“, sagte Ferris, als Stenmark ihm dies übersetzte. „Da kommt wirklich alles zu spät. Die Galeone ist verloren.“
Trotzdem kämpfte er mit seinen Kameraden an der Seite der Finnen weiter, und auch Carberry und die anderen auf dem Oberdeck gaben nicht auf. Sie banden sich nasse Tücher vor die Münder, um atmen zu können, husteten, fluchten und hievten in rasendem Tempo pützweise das Seewasser, das sie sich auch selbst über die Köpfe und über die Körper schütteten, um in der Hitze aushalten zu können.
Hasard und Ben Brighton standen auf dem Achterdeck der „Isabella“ wie auf Stützen, denn auch sie erkannten, daß der Kampf gegen das Feuer bereits verloren war.
„Herrgott“, sagte Ben. „Das geht übel aus.“
Hasard nickte. „Ja, aber noch kann ich die Löschcrew nicht zurückrufen. Ich tue es erst, wenn auch die Finnen aufgeben. Im übrigen müssen Ed und Ferris selbst entscheiden, wann sie zum Rückzug blasen.“
Ben gab ihm recht, doch wie es aussah, war dieses brennende Schiff hoffnungslos verloren. Vom Vorschiff bis zur Kuhl hatte sich die finnische Galeone in eine einzige Fackel verwandelt. Die Flammen schlugen immer höher und fanden in den Masten und Rahen reichlich Nahrung. Es knackte und knisterte, und die Rauchwolke, die schwarz und fett aufstieg, wurde immer dichter.
Es begann zu regnen, doch die wenigen Tropfen, die in das Feuer fielen, wirkten eher wie ein Hohn. Nichts vermochte den Brand zu löschen, jede Hoffnung war sinnlos.
Matti Hakulinen stand inmitten der brennenden Stapel Eichenholzplanken und versuchte nach wie vor, das Feuer einzudämmen. Doch eine Bö pfiff über das Schiff und ließ die Flammen noch höher auflodern. Er sah auf und stellte voll Entsetzen fest, daß das Feuer ihn umzingelt hatte.
„Kapitän!“ schrie Alavus. „Wir sind alle des Todes, wenn wir den verfluchten Kahn nicht verlassen!“
„Rette sich, wer kann!“ brüllte Kuhmo.
Hakulinen wußte nicht, wo Pulkila und die anderen waren, er sah auch nicht mehr die Engländer, die so völlig unerwartet aufgetaucht und ihnen zu Hilfe geeilt waren. Plötzlich stand er allein da und war der Macht der Natur ausgeliefert. Selten hatte er den Tod dichter vor Augen gehabt. Die Angst stieg erneut in ihm auf und bemächtigte sich seiner, er war für einen Augenblick wie gelähmt.
„Kapitän!“ schrie Alavus wieder.
Da reagierte Hakulinen. Er vollführte einen Satz durch die Flammen und wollte zum nächsten Niedergang, doch der Niedergang stürzte, vom Feuer verzehrt, in sich zusammen. Mit einem wüsten Fluch erstieg er die brennenden Stapel, versengte sich die Hände, schlug nach den Flammen, die an seinen Hosenbeinen hochzüngelten und nach seiner Jacke griffen, erreichte die Ladeluke und kroch auf die Kuhl. Er überrollte sich zweimal, um die Flammen abzuschütteln, entdeckte einen noch vollen Wasserkübel, sprang auf und entleerte ihn über seinem Kopf.
Um ihn herum war ein einziges tosendes Flammenmeer. Über ihm knackte und knirschte es, und er sah voll Panik, wie die Großrah ins Taumeln geriet. Jeden Moment konnte die schwere Spiere aufs Deck niedersausen.
„Alle Mann von Bord!“ schrie Matti Hakulinen.
Ja, auch er hatte die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen eingesehen. Er hastete durch die zischenden, zukkenden Flammen, hielt nach seinen Männern Ausschau und sah Pulkila, der soeben Abromeit und ein paar andere der Crew zum sofortigen Verlassen der Galeone antrieb.
„Wo ist Mäkilä?“ schrie Hakulinen.
„Der schwimmt schon!“ erwiderte der Bootsmann. „Er ist als erster von Bord!“
„Den Hund kaufe ich mir noch!“ stieß Hakulinen außer sich vor Wut hervor. Schließlich war es der Koch, dem sie das alles zu verdanken hatten. Hätte der Hund besser aufgepaßt und das Feuer niedrig gehalten, dann wäre nichts passiert.
Auch Pulkila verließ das Schiff, dann erschienen Alavus und Kuhmo an Backbord und sahen ihren Kapitän im roten Schein der Flammen fragend an.
„Wie sieht es auf dem Achterdeck aus?“ fragte Hakulinen noch.
„Genau wie hier!“ rief Alavus.
„Dann springt!“ schrie Hakulinen. „Auf was wartet ihr noch?“
„Was hast du vor?“ wollte Alavus wissen. „Du willst doch nicht etwa …“
„Kümmere dich nicht um mich!“ brüllte der Kapitän und versetzte ihm einen Stoß, der ihn bis ans Schanzkleid beförderte. „Hau ab! Wird’s bald?“
Alavus schwang die Beine übers Schanzkleid und ließ sich fallen, Kuhmo folgte ihm. Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Matti Hakulinen wandte sich noch einmal zur Kuhl um und blickte in die alles vernichtenden Flammen, dann stand auch sein Entschluß fest.
Mit dem Schiff untergehen wie ein Held? Er sah nicht ein, warum er es tun sollte. Die „Katkorapu“ gehörte nicht ihm, sondern dem Handelshaus in Abo. Was geschehen war, war schlimm genug, doch er wollte nicht mit dem Leben dafür bezahlen.
So trat auch er ans Schanzkleid – und dann sprang er, mit dem Kopf nach unten, an den Berghölzern und Rüsten der Schiffsaußenhaut vorbei, hinein in die eiskalten Fluten. Sie schlugen über ihm zusammen, nahmen ihn auf, die Kälte raubte ihm den Atem. Gleichzeitig aber befreite sie ihn von dem halb betäubten Zustand, in dem er sich befunden hatte. Der Rauch hatte für einen würgenden Brechreiz gesorgt, die Hitze der Flammen verursachte Schwindelgefühle.
Jetzt aber, als Matti Hakulinen wieder auftauchte, war dies alles vorbei. Er war voll bei Sinnen, die Übelkeit war von ihm gewichen. Er schwamm auf eine der beiden Jollen zu, von denen aus sich ihm helfende Hände entgegenstreckten. Ein Mann mit einem narbigen Gesicht und einem ungewöhnlich großen, vorspringenden Kinn half ihm ins Boot, grinste ihn an und sagte: „Zum Teufel mit dem Kahn, die Hauptsache ist, daß ihr lebt, Leute.“
Hakulinen verstand kein Wort. Er ließ sich auf eine Ducht sinken und blickte zu den fremden Männern, die ihm aufmunternd zunickten und lächelten. Wer waren sie? Was suchten sie in der Ostsee? Warum hatten sie sich derart aufopfernd für ihn und seine Mannschaft eingesetzt?
Die Crew! Hakulinen blickte sich um. Alavus und Kuhmo waren heran und wurden ebenfalls in die Jolle gezogen. Drüben, bei dem zweiten, größeren Boot, klammerten sich Pulkila, Abromeit, Mäkilä und zwei andere Männer am Dollbord fest und trafen soeben Anstalten, an Bord zu klettern. Die anderen saßen schon bei den Engländern auf den Duchten.
„Pullt an!“ schrie der rothaarige Riese, der in dem großen Boot der Führer zu sein schien.
Auch die Jolle, in der Matti Hakulinen saß, setzte sich in Bewegung. Rasch schoben sich beide Boote auf die Galeone zu. Hakulinen widmete ihr erst jetzt seine volle Aufmerksamkeit.
Ein schönes Schiff – neu allem Anschein nach, gut und gern fünfhundert Tonnen groß, mit hohen Masten und flachen Decks, vielen Stückpforten und Drehbassen auf dem Vor- und Achterdeck. Die Galionsfigur war eine blonde Frau, das Schiff hieß „Isabella“.
Interessant, dachte Matti Hakulinen, sehr interessant sogar. Fast hätte er trotz der üblen Lage, in der er steckte, gegrinst. Dann aber meldeten sich seine Brandwunden, Schmerzen breiteten sich über seinen Körper aus. Er verzog jedoch keine Miene, diese Blöße wollte er sich vor den Fremden nicht geben – und auch vor seinen eigenen Leuten nicht.