Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 48 - Roy Palmer - Страница 5
2.
ОглавлениеDer Besitzer des Mietstalles hatte keine Einwände gehabt, ihre Pferde unterzustellen, zumal Dan O’Flynn ihm eine Münze als Vorschuß in die Hand gedrückt hatte. Dan und Bob Grey verließen den Stall und wanderten auf Plymouth zu. Der Bau blieb hinter ihnen zurück und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Er lag etwas außerhalb der Stadt, jedoch am nördlichen Rand, so daß sie es zur North Road nicht weit hatten.
„Wieso sind wir eigentlich nicht direkt zu Sir Freemont geritten?“ fragte Bob. Er war ein drahtiger Mann, blond, braunäugig, flink mit dem Messer und eigentlich auch geistig sehr gewandt.
Aber jetzt blickte Dan ihn verblüfft von der Seite an. „Sag mal, willst du Buck den Rang ablaufen?“ Buck Buchanan, auch einer der ehemaligen Karibik-Piraten an Bord der „Isabella“, gehörte ganz gewiß nicht zu den Schnellmerkern. „Es wäre Wahnsinn, dort mit den Pferden aufzukreuzen“, fuhr Dan fort. „Wir würden viel zu viel Aufsehen erregen. Nein, wir müssen schleichen.“
„Wegen Burton und Keymis?“
„Aha, jetzt fällt der Penny.“
„Kleiner, hör auf zu unken. Ich dachte, die Hunde von Friedensrichtern hätten es allmählich aufgegeben, das Haus zu beschatten.“
„Denken ist nicht wissen.“
„Was du nicht sagst ...“
„Ich habe bereits mit einem der Geheimposten von Burton einen Zusammenstoß gehabt, habe ich dir das nicht erzählt?“
Bob grinste. „Ja, das war, als du aufbrachst, um nach uns zu suchen. Und für den Kerl ging die Sache tödlich aus. Burton wird deswegen getobt haben.“
„Das glaube ich auch. Und wir müssen verdammt aufpasen.“
„Darum bin ich zu deinem persönlichen Schutz mit hierher geschickt worden, Dan.“
„Und darum haben wir die Gäule im Mietstall zurückgelassen“, entgegnete Dan und grinste wie ein Teufel. Während sie auf ihr Ziel zumarschierten, griff er noch einmal in die Tasche und tastete nach dem Beutel mit den Perlen und dem goldenen Tukan. Ben Brighton hatte ihm beides mitgegeben, und er, Dan, würde sich notfalls mit Händen und Füßen dagegen wehren, daß man ihm auch nur eine Perle abnahm.
Einmal hatte Sir Freemont ja bereits Bezahlung abgelehnt. Aber wenn er auch auf diesem Prinzip beharrte, so konnten doch Hasard und Gwen Zahlungsmittel benötigen.
Der goldene Tukan stammte aus dem Privatschatz des spanischen Vizekönigs in Lima. Verschlungene Wege hatten den Seewolf und seine Männer zu den legendären Guano-Inseln vor der Küste von Peru geführt. Dort hatten sie die Schatzkisten jenen armen Irren abgenommen, die ihn dorthin verschleppt und bitter dafür gebüßt hatten – mit dem Leben. Miguel Casias, der Wirt des „Gabian Feroce“, Antonio Savedra, Marcos Chocano, Esteban Pereda und Eloy Campoamor hatten diese Banditen geheißen – aber das Ganze lag lange zurück und schien fast schon einer Art Geschichtsepoche anzugehören, in unerreichbare Ferne gerückt und beinahe vergessen. Viele Abenteuer hatten die Männer der „Isabella“ seither unter ihrem Seewolf durchgestanden. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der Alten und Neuen Welt waren so mannigfach, daß viele Einzelheiten inzwischen ihrem Gedächtnis verlorengingen. Und dann war da die Gegenwart – die harte Wirklichkeit, die ihnen höchste Konzentration und ständige Einsatzbereitschaft abverlangte und keine Schwärmereien über die Vergangenheit zuließ.
Endlich daheim in England! Der Schatz war in Sicherheit!
Oh, das waren Träume gewesen, wie sie inzwischen hatten feststellen müssen. Und die Erkenntnis hatte einen gallebitteren Beigeschmack, denn alles hätte die Seewolf-Crew erwartet, nur diesen Empfang nicht. Baldwin Keymis und Samuel Taylor Burton waren heimtückische Schakale auf ihrer Spur, Sir John Killigrew nicht weniger als das, obwohl er auf eigene Faust vorging und mit den Burtons nichts zu schaffen haben wollte, da die beiden Sippen seit Menschengedenken in Fehde lagen.
Ziel beider Parteien war es, den Schatz von der „Isabella“ zu rauben und dem Seewolf samt seiner Mannschaft den Garaus zu bereiten. Endlich war es gelungen, die Feinde zumindest vorübergehend abzuwimmeln, da hatte sich ein neuer Widersacher eingestellt. Er hieß Crocker, war ein Bulle von Kerl und Anführer einer Bande von Strandräubern, die schon seit einiger Zeit die Bewohner von Cornwall in Atem hielt.
Ed Carberry war in der Schenke „Bude Bay“ in Bude als Oberhaupt der Strandräuberbande bezichtigt worden, und das hatte natürlich eine wüste Keilerei zur Folge gehabt. Dan, noch auf der Suche nach der in einer Bucht der Bude-River-Mündung ankernden „Isabella“, war zufällig vorbeigeritten und hatte in den Kampf eingegriffen. Die Crew hatte gesiegt, doch später waren zwei von Crockers Galgenvögeln auf ihren Fersen gewesen, als sie zu ihrer Galeone zurückkehrten.
Als Dan O’Flynn wieder aufgebrochen war, hatten Crocker und seine Kerle ihn abgefangen und gefoltert. Dan hatte schon den für Gwen Killigrew bestimmten Perlensack und den als Geschenk für Sir Freemont ausgewählten goldenen Tukan bei sich getragen. Crocker hatte herauskriegen wollen, ob sich noch mehr Reichtümer an Bord der „Isabella“ befanden, aber Dan O’Flynn hatte eisern geschwiegen.
Wenn ihn nicht Arwenack, der Schimpansenjunge, entdeckt hätte, wäre es wahrscheinlich mit ihm aus gewesen. So aber rief der Affe die Crew auf den Plan, und dann wurde die Räuberhöhle ausgehoben. Crokker hatte mit Dans Pferd fliehen können. Er besaß weitere Schlupfwinkel, seine Bande war längst noch nicht zerschlagen.
Das war England! Kaum hatten sie sich eines aus dem Dunkel zuschlagenden Feindes erwehrt, war ein anderer zur Stelle. Irgendwie hatten sich Hasards Männer Hoffnungen hingegeben, im Heimatland wären sie sicher, aber auch diese Illusion hatten sie ausräumen müssen.
Tausend Gefahren hatten sie getrotzt, aber hier standen sie Feinden gegenüber, die erheblich tückischer waren als jeder Gegner zur See. Ein Lichtblick bei der ganzen Sache war nur, daß sich Bootsmann Sullivan von der Kriegskaravelle „War Song“ offen gegen Sir John gestellt hatte, nachdem er herausgefunden hatte, welche eigennützigen Ziele dieser verfolgte. Wenigstens Sullivan stand also auf ihrer Seite, wenn sie auch nicht mit ihm rechnen konnten. Der Himmel mochte wissen, wo er nach den letzten Auseinandersetzungen mit Sir John steckte.
Dan streckte die Hand aus. „Wir sind gleich da, Bob.“
„Gut. Hasard wird warten.“
Häuser wuchsen aus der Dunkelheit vor ihnen empor, sie waren schemenhafte Schatten vor dem etwas helleren Nachthimmel. Der Stonehouse Mill Pond war nicht fern, und die beiden Männer konnten das Meer riechen. Dan erkannte das Gebäude von Sir Abraham Anthony Freemont.
„Wir pirschen uns an, Bob.“
„Wie die Katzen, mein Junge.“
Samuel Taylor Burton war ein fetter Mann mit überlappendem Bauch, der wie ein mit Wasser gefüllter Schlauch von seinem Leib abstand. Burtons Kleidung war in Unordnung, er lag träge auf einem Diwan, der zu klein für seine Körperfülle geraten war, und ließ sich gehen, wie man das in seinen eigenen vier Wänden getrost tun konnte. Seine kurzen, dicken Finger hielten ein Glas. Er hatte getrunken, musterte Baldwin Keymis aus trüben Augen und zeigte keine Bereitschaft, sich dessen Gedanken zu öffnen.
„Du bist ein Narr, Baldwin. Ich sage dir, du bist ein gottverdammter Narr.“
Keymis war in der guten Stube seines Amtskollegen auf- und abgetigert, aber jetzt blieb er stehen und blickte Burton erbost an. „Ich lasse mich nicht beleidigen. Von dir schon gar nicht.“ Er war ein hagerer Mensch mit einer Art Ziegenbart, rein äußerlich, jedoch auch von der Wesensart her das genaue Gegenteil von Burton. Doch der Hang zur Intrige und die Gier nach Reichtum verband sie.
Burton rülpste, wischte sich den Mund mit dem Handrücken und erwiderte: „Schon gut. Reg dich nicht gleich wieder auf.“
„Ich sage dir, die Posten müssen kontrolliert werden.“
„Sie können selbst auf sich aufpassen.“
„Sie schlafen. Ich kenne diese Burschen.“
„Du kennst sie nicht. Ich verlasse mich auf sie. Hundertprozentig.“
Keymis lachte freudlos auf. „Das ist der reinste Hohn! Und der Kerl, der sich in jener verfluchten Nacht hat erledigen lassen? Wir wissen nicht, wer ihn umgebracht hat, aber ich schwöre dir, der Kutscher des Leiterwagens war’s nicht.“
„Wer denn?“
„Einer von den Hunden aus Freemonts Haus.“
„Wer? Der Seewolf?“
Keymis ballte die Hände und knirschte mit den Zähnen. „Du glaubst mir nicht. Du nimmst mich auf den Arm. Aber ich werde dir beweisen, daß Killigrew in dem Haus steckt und einige seiner Leute bei sich hat. Vielleicht hockt die Hure O’Flynn an seinem Krankenbett, vielleicht ist auch ihr Bruder zugegen.“ Er hob einen bebenden Zeigefinger. „Der zum Beispiel! Der wäre imstande, einen Geheimposten kaltblütig ins Jenseits zu befördern.“
Burton trank das Glas leer, schmatzte genüßlich und stellte es weg. Er führte die Hände zusammen, faltete sie und drehte die Daumen. „Baldwin, wir haben das verdammte Haus durchsucht und nicht die Spur von Killigrew und seinem Anhang gefunden.“
„Und doch stecken sie dort.“
„Du kannst das nicht beweisen, und somit haben wir nichts, mit dem wir Freemont zu Fall bringen können.“
„Oh, dieser Bastard“, sagte Keymis erbittert. „Wie er uns erniedrigt hat! Aber ich werde mich dafür rächen. Der Henker mag wissen, hinter welcher geheimen Luke er den Seewolf verborgen hält, aber ich kriege es noch heraus.“
„Jedenfalls kannst du beruhigt sein, der Geheimposten und seine Ablösung sind von mir ins Gebet genommen worden. Sie melden jede Veränderung in der Nähe des Hauses. Hör zu, Baldwin, was immer sich dort tut, wir werden schon rechtzeitig alarmiert.“ Burton grinste. Er sah wirklich aus wie ein gemästetes, zufriedenes Schwein. „Also komm her, setz dich und trink mit mir. Laß uns über vergangene Zeiten plaudern.“
„Nein.“
„Du bist ein Narr, ich sag’s ja.“
„Und Gardener? William Gardener?“
„Der Hauptmann der Stadtgarde? Was soll mit dem sein?“
„Ich traue ihm nicht über den Weg“, erklärte Keymis. „Er ist dir nicht so ergeben, wie er es sein sollte. Er könnte was aushecken. Etwas, das Freemont unterstützt. Vielleicht plant er was, das den Posten vor Freemonts Haus ablenkt. Vielleicht für heute nacht.“
Burton lachte, es klang fett und glucksend. „Du siehst ja Gespenster, Mann. Solltest mal ordentlich ausschlafen. Unsere Stunde schlägt, wenn du es am wenigsten erwartest.“
Keymis sah ihn in einer Mischung aus Wut und Widerwillen an. „Wie du meinst. Aber ich gehe jetzt.“
„Tu, was du nicht lassen kannst.“
Baldwin Keymis verließ das Haus des Friedensrichters und bewegte sich raschen Schrittes durch die dunklen, nur teilweise durch Laternen erleuchteten Straßen und Gassen von Plymouth. Er verzichtete auf eine Kutsche. Er wollte überraschend bei dem Posten auftauchen.
Seine vom Haß genährte Phantasie gaukelte ihm die wüstesten Bilder vor – beispielsweise, wie der Seewolf mit einer halben Streitmacht aus dem Haus des Arztes brach, den Posten niedermetzelte und sich mit Booten auf das Meer zurückzog. Konnte er nicht gesundet sein? Natürlich war das möglich! Er, Baldwin Keymis, war dabeigewesen, als Philip Hasard Killigrew die halbe Spiere gegen den Schädel gekracht war. Er wußte, welcher Art die Verletzung war, aber er war auch darüber im Bilde, welch unverwüstliche Natur dieser Mann hatte. Keinen Augenblick verschwendete er an die Überlegung, der Tod könnte ihn dahingerafft haben.
Je mehr er darüber nachgrübelte, desto mehr versteifte er sich darauf: Der Seewolf lebte! Der Seewolf würde die Stadt verlassen und seinen Schatz der Königin von England überbringen!
Baldwin Keymis tauchte ohne jeglichen Laut neben dem Geheimposten auf – und dieser fuhr zusammen. Er zückte ein Messer, aber dann erkannte er den Friedensrichter von Falmouth und atmete auf.
„Verdammt, haben Sie mich jetzt aber erschreckt, Sir!“
„Du Hund döst mit offenen Augen.“
„Nein, Sir.“
„Besondere Vorkommnisse?“
„Keine, Sir. Ich habe meinen Kollegen vor einer halben Stunde abgelöst.“
Keymis nickte. Sie standen in einem hohen Hauseingang. Ihre Gestalten verschmolzen mit der Dunkelheit. Der Blick auf Sir Anthony Abraham Freemonts Haus war frei, und nichts von dem, was am und um das Gebäude passierte, konnte ihnen entgehen. Nur was im Inneren geschah, blieb ihnen verborgen. Keymis hätte viel Geld dafür gegeben, es in Erfahrung zu bringen.
„Also schön“, sagte er gedämpft. „Ich bleibe hier, und wir kontrollieren jeden, der vorbeigeht.“