Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 410 - Roy Palmer - Страница 5
1.
ОглавлениеAm 30. Juli 1594 war alles überstanden. Die Belagerung der Schlangen-Insel durch die Spanier war endgültig abgebrochen, der Kampf hatte seinen Abschluß gefunden – und der Bund der Korsaren hatte den Sieg davongetragen. Insgesamt über zwanzig Schiffe hatte der Feind einbüßen müssen: Kriegsgaleonen, Kriegskaravellen und armierte Schaluppen. Die Insel hatte sowohl dem Angriff des Verbandes von Don Garcia Cubera als auch dem „Bombardement“ der sechs Galeonen aus Cádiz unter dem Kommando von Don Gonzalo de Vallejo standgehalten.
Es hatte Tote und Verletzte gegeben, und Jean Ribault hatte im Gefecht seine „Le Vengeur III.“ verloren. Doch diese Bilanz stand in keinem Verhältnis zudem Verlust an Menschen und Material auf spanischer Seite. Alle Schiffe waren gesunken, und überlebt hatten nur diejenigen, die fahnenflüchtig geworden waren, als Cuberas Verband nach Grand Turk verholt hatte.
Der Hurrikan war vorbei, ein neuer Tag zog mit strahlend blauem Himmel und wärmendem Sonnenschein herauf. Auf der Schlangen-Insel wurde aufgeklart. An Bord der Schiffe mußten Schäden behoben werden, und die Gefechtsstände und „Kanonennester“ in den Felsen wurden von Trümmern befreit, die während des heftigen Beschusses angefallen waren. Don Juans Schebecke verließ die Bucht mit dem ablaufenden Mahlstrom und unternahm eine erste Patrouille.
Auch Old O’Flynn befand sich auf „Inspektionskurs“, aber nicht zur See, sondern an Land. Nachdem sich die Lage nun wieder normalisiert hatte, galt seine größte Sorge der „Rutsche“, seiner Höhlenkneipe am Ostufer. Mary begleitete ihn nicht, sie blieb vorläufig noch am Ufer der Bucht, unterstützte den Kutscher, Mac Pellew, Arkana, Araua und die Schlangen-Kriegerinnen bei der Versorgung der Verwundeten, die unmittelbar nach dem Kampf sofort verarztet worden waren. Sie wurden jetzt erneut untersucht, denn bei den meisten mußten die Verbände gewechselt werden.
Ben Brighton, der Hasard bei einem Rundgang über die Insel begleitete, hatte sich seines Kopfverbandes inzwischen wieder entledigt.
„Es geht“, sagte er grinsend. „Und die frische Luft und die Sonneneinwirkung tun meiner Birne gut.“
Sie blieben stehen, als sie das östliche Felsenufer erreichten und die Geräusche vernahmen, die aus „Old Donegals Rutsche“ ertönten. Klappern und Klirren, begleitet von saftigen Flüchen – irgendwie hörte es sich einladend an. Sie stießen sich mit den Ellenbogen an und suchten die Höhle auf.
Der Alte hob den Kopf und blickte sie wie Geister an, als sie eintraten.
„Hallo“, sagte er brummig. „Ihr seid meine ersten Gäste. Was darf’s denn sein?“
„Bier, wenn die Fässer nicht ausgelaufen sind“, entgegnete der Seewolf.
„Sie sind voll.“
„Warum fluchst du dann herum?“ fragte Ben.
„Weil es einen meiner schönsten Krüge zerschlagen hat“, erwiderte der Alte. „Weiß der Henker, warum. Ich räume jetzt gerade sämtliche Humpen, Becher und Mucks um, damit so was nicht wieder passiert, weder bei Sturm noch im Gefecht.“
„Vorläufig wird man uns ja wohl in Ruhe lassen“, sagte Ben.
Old O’Flynn füllte die Humpen, sah ihn dabei aber mit verkniffener Miene an. „Sag das nicht zu früh, Mann. Man soll’s nicht berufen. Zu viele Leute wissen jetzt, wo die Schlangen-Insel liegt. Das darfst du nicht vergessen.“
„Aber wir haben gesiegt“, sagte Hasard und stieß mit den beiden an. Er kostete von dem Bier, es schmeckte vorzüglich.
„Und du bist von den Toten wiederauferstanden“, sagte Ben. „O Lord, was hast du uns für einen Schrecken eingejagt.“
„Reden wir nicht mehr davon“, sagte Hasard. „Wir wollen versuchen, das alles so schnell wie möglich zu vergessen.“
Der Alte leerte seinen Humpen, stieß einen schmatzenden Laut des Wohlbehagens aus und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Ja, klar. Der Gegner ist geschlagen, und der Ausbau der Insel zur Festung hat sozusagen seine Bewährungsprobe bestanden.“
„Auch wenn eins unserer geplanten Konzepte nicht durchgeführt werden konnte“, sagte der Seewolf. „Ich meine das Vorhaben, den Gegner außerhalb des Bereichs der Schlangen-Insel zu stellen und zu vernichten.“
„Widrige Umstände haben dazu beigetragen“, sagte Ben. „Du darfst den verdammten Nebel nicht vergessen.“
„Das tue ich auch nicht. Aber dies ist eine der Lehren, die der Bund der Korsaren ziehen muß.“
„Und was bedeutet diese Lehre, wenn man fragen darf?“ Old O’Flynn legte den Kopf ein wenig schief und wirkte in diesem Moment wie Sir John, der karmesinrote Aracanga an Bord der „Isabella IX.“.
„Daß wir ein System finden müssen, die Insel noch besser abzuschirmen.“ Hasard tippte dem Alten mit dem Finger gegen die Brust. „Ich weiß auch schon, wie sich das bewerkstelligen läßt. Wir brauchen flinke, wendige Avisos.“
„So wie meine ‚Empress‘?“
„Ja. Fahrzeuge, die leicht und mit einer kleinen Crew zu handhaben sind.“
„Sehr gut“, sagte Old O’Flynn. „Ich stimme schon jetzt voll dafür. Die Sache ist ja auch dringlich, nicht wahr? Unsere Position ist kein Geheimnis mehr. Diese fette Qualle, der Gouverneur von Kuba, weiß Bescheid, und er ist bestimmt noch nicht in der Hölle, wie ich es ihm von ganzem Herzen wünsche.“
Ben setzte seinen Humpen ab. „Ein frommer Wunsch, würde Pater David sagen. Ja, du hast recht. Auch die Kerle, mit denen er aus dem Verband des Capitáns Cubera desertiert ist, wissen Bescheid.“
„So ist nicht auszuschließen, daß sich jemand versucht fühlt, aus diesem Wissen Kapital zu schlagen, ganz gleich, wer“, sagte Hasard. „Das hat ja bereits die Black Queen getan.“
„Was aus der wohl geworden ist“, sagte Ben.
„Ich hoffe, daß sie an der Beulenpest und den pechschwarzen Blattern eingegangen ist“, sagte Old O’Flynn. „Aber keiner hat eine Ahnung, ob sie wirklich tot ist oder zäh wie eine Ratte noch einmal überlebt hat. Don Juan hat ihren Kahn zwar versenkt, aber sie braucht nicht unbedingt abgesoffen zu sein. Vielleicht spucken die Haie sie auch wieder aus, wegen des vielen Giftes, das sie im Leib hat.“
„Wir können über ihr Schicksal nur Mutmaßungen anstellen“, sagte der Seewolf. „Die Ungewißheit bleibt, aber sie hat uns oft genug böse Überraschungen bereitet. Auch sie und Caligula gehören mithin zu dem Kreis der Gegner, mit denen wir ständig rechnen müssen. Die Existenz der Schlangen-Insel ist weiterhin gefährdet. Wir müssen uns darauf einstellen.“
„Ja“, sagte Ben. „Das Gefühl des Triumphes darf uns nicht dazu verleiten, jetzt leichtsinnig zu werden.“
„Übrigens, ich frage mich dauernd, was aus den beiden letzten spanischen Galeonen geworden sein mag“, sagte der Alte. „Nun, sie werden wohl im Sturm gesunken sein. Angeschlagen, wie sie waren, haben sie ihn nicht überstanden.“
„Cubera dürfte tot sein“, sagte Hasard. „Davon bin ich überzeugt. Aber wenn es einen Mann auf seiten des Feindes gab, für den ich Hochachtung empfinde, dann war er es. Er hätte sich zurückgezogen, wenn nicht die Verstärkung eingetroffen wäre.“
„Das stimmt“, pflichtete Old O’Flynn ihm bei. „Und doch hat ihn nichts vor dem Heldentod bewahrt. Beim Donner, dieser de Vallejo war wirklich wahnsinnig. Größenwahnsinnig!“
Der Wikinger hatte Don Gonzalo de Vallejo, den Generalkapitän und selbsternannten Kommandanten des Gesamtverbandes, in einem kurzen Duell getötet, nachdem dieser von seinen eigenen Leuten abgewiesen worden war. Hasard und die Männer der „San Donato“ sowie Old O’Flynn und dessen Crew hatten es von den anderen erfahren, als sie – buchstäblich im letzten Augenblick vor dem Losbrechen des Hurrikans – mit ihren Schiffen in die große Bucht der Schlangen-Insel eingelaufen waren.
Hasard, Ben und Old O’Flynn schnitten versonnene Mienen. Noch einmal dachten sie an alle Episoden des Kampfes zurück. Dann räusperte sich der Alte und füllte noch einmal die Humpen.
„Noch was fällt mir ein“, sagte er. „Wir müssen Arne, Jörgen und Jussuf über alles unterrichten.“
„Ich habe schon eine Botschaft abgefaßt“, sagte der Seewolf. „Nils übersetzt sie ins Deutsche. Wir schicken Achmed damit los.“
„Da wird seine Taubendame aber traurig sein“, sagte Old O’Flynn.
„Sie heißt Fatima.“
„Zur Hölle, das lerne ich nie.“
„Das spielt keine Rolle“, sagte der Seewolf lächelnd. „Die Hauptsache ist, daß unser Informations-System nach wie vor funktioniert – und daß Arne und Jörgen inzwischen nach Havanna zurückgekehrt sind. Ich habe nämlich noch was anderes vor. Ich will, daß die ‚Wappen von Kolberg‘ nach Havanna segelt – so schnell wie möglich.“
Zur selben Stunde trieb eine herrenlose Schaluppe im westlichen Bereich der Caicos-Passage. Ihr Ruder war zerbrochen, das Rigg zerfetzt und das Schanzkleid beschädigt. Kein Mensch schien sich mehr an Bord zu befinden – und doch war sie nicht vollends verlassen. Unter Deck lag ein Mädchen in einer Koje und wälzte sich unruhig hin und her.
„Papa“, murmelte sie immer wieder. „Papa, das ist sie – die Sintflut. Gott – straft uns. Fliegendes Wasser. Heilige Mutter Gottes …“
Sie war Spanierin, blutjung, gertenschlank und bildhübsch. Sie konnte höchstens zwanzig Jahre alt sein. Sie hatte eine Familie gehabt, Vater und Bruder. An Bord der Schaluppe hatten sich außer ihnen noch einige Männer mehr befunden. Aber die See hatte ihre Opfer verlangt.
Der Hurrikan war erbarmungslos. Er packte ganze Schiffe und zerstörte sie, und er riß ihre Mannschaften in die Tiefe, auf Nimmerwiedersehen. Er hatte die Männer der Schaluppe vom Oberdeck gefegt wie winzige, hilflose Insekten, und doch war ein Wunder geschehen. Die Schaluppe war nicht von den orgelnden, entfesselten Naturgewalten verschlungen worden.
Ein Zufall, ein Fall von Gnade und Vorsehung – und doch war dies schlimmer als der Tod. Das Mädchen vermochte sich an kaum etwas zu erinnern. Sie wußte nicht mehr, wie sie hieß und woher sie kam, und sie fühlte sich in die Gedankenwelt der ersten Jahre ihrer Kindheit zurückversetzt.
Sie hatte ihren Vater und ihren Bruder schreiend in den schwarzen Fluten verschwinden sehen, ehe sie sich mit letzter Kraft unter Deck hatte verkriechen können. Die Tragödie hatte ihren Geist verwirrt.
„Papa, Papa“, stammelte sie, und wieder warf sie sich in der Koje hin und her. „Papa, die Sturmhexen!“
Die Angst und das Alleinsein brachten immer neue, dumpfe und deprimierende Fragen hervor. Das Mädchen lag in einem von Alpträumen durchwebten Zustand, etwas schien mit großem Druck auf ihrer Brust zu lasten. Ihr Gesicht und ihr Körper waren schweißbedeckt, hin und wieder durchlief sie ein heftiges Zucken. Manchmal schlug sie mit den Fäusten gegen die Bordwand, dann wieder schluchzte sie und verhielt sich nahezu reglos.
Die Dünung entführte die Schaluppe, eine Drift setzte sie gefangen und ließ sie nach Südwesten abtreiben. Ein hölzerner Sarg schien sich um das Mädchen zu schließen. Sie war ihrem Schicksal ausgeliefert. Sie würde verhungern oder verdursten oder an Erschöpfung oder Verzweiflung sterben. Es gab keine Rettung für sie, denn sie selbst würde nichts unternehmen, um ihre Lage in irgendeiner Weise zu verbessern. Dazu war sie nicht fähig, gleichzeitig begriff sie nicht, daß ihr Ende schon sehr nah sein konnte.
Auch über die Insel Great Inagua war in dieser Nacht vom 29. auf den 30. Juli der Hurrikan hinweggefegt. Er hatte mit erbarmungsloser Wildheit gewütet. Er hatte Palmen und Mangroven wie lächerliche Halme geknickt und entwurzelt, den Urwald verheert und den Sand des Strandes in gewaltigen Fontänen aufgewirbelt. Er hatte Büsche durch die Luft entführt und die Tiere des Dschungels in ihre Höhlen, Erdlöcher und Nester getrieben, an denen er wiederum mit heulendem Zorn gezerrt hatte.
Wie die Tiere hatten sich auch die Menschen verkrochen und um ihr Leben gezittert. Aber es waren keine Eingeborenen, die hier um die nackte Existenz bangten, sondern Spanier. Einundzwanzig Männer: ein Gouverneur, ein Schiffsproviantmeister, ein Sub-Teniente und achtzehn Seeleute und Seesoldaten.
Sie hatten Glück und Pech gehabt. Die Flucht von Grand Turk war ihnen gelungen, sie hatten ihre Haut gerettet, die sie sonst für einen gewissen Don Gonzalo de Vallejo zu Markte hätten tragen müssen. Aber von dessen Auftauchen wußten sie schon nichts mehr. Sie waren Don Garcia Cubera von der Fahne gegangen, als sich eine günstige Gelegenheit dazu geboten hatte.
Mit anderen Worten: Don Antonio de Quintanilla, der dicke Gouverneur von Havanna, hatte Alonzo Coloma, den fetten Proviantmeister der „San José“ und den Schaluppenführer Vicente de Pinzón bestochen und zu dem Unternehmen überredet. Die Besatzung der Schaluppe hatte auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, zu desertieren. So hatte sie sich abgesetzt und waren auf Umwegen nach Great Inagua gelangt, wobei sie auch noch eine Kriegskaravelle und die „Empress of Sea“, abgehängt hatten, die sie verfolgt hatten.
Hier hatten sie erst einmal ein Gelage gefeiert, mit einem erlegten Schwein und reichlich Rotwein. Aber dann ging plötzlich alles schief. Jetzt waren sie ihre schöne Schaluppe los und hatten nur noch das Beiboot. Außerdem hatte der Hurrikan ihnen schwer zugesetzt. Sie alle erweckten einen verwahrlosten, abgerissenen und verbiesterten Eindruck. Sie waren völlig nüchtern und gaben sich, was ihre Situation betraf, keinen Illusionen mehr hin.
Schwerfällig erhob sich Don Antonio de Quintanilla von seinem provisorischen Nachtlager und wankte von der Lichtung, auf die sich im Sturm hatten zurückziehen können, durch das Dickicht zum Strand der Bucht. Hier blickte er sich um.
Die Spuren der Orgie waren verschwunden, keine Holzkohlenreste zeugten mehr davon, daß sie hier gegessen und getrunken hatten. Nichts deutete noch auf ihre Landung und das Lager hin, das sie in unmittelbarer Nähe des Ufers eingerichtet hatten. Der Sturm hatte alles davongefegt und ein wirres Schlachtfeld hinterlassen. Umgestürzte Bäume lagen am Strand, der Sand war aufgewühlt und, in Löcher und bizarre Dünen verwandelt worden. Daß das Boot noch da war, war eine glückliche Fügung. Bevor der Sturm endgültig losgebrochen war, hatten die Decksleute es auf de Pinzóns Befehl hin ausreichend festgezurrt und beschwert.
Don Antonio stand da und blickte an sich hinunter. Sein Gesicht hatte die Farbe alten Talges, von der Amtswürde des „Señor Gouverneurs“ war rein äußerlich nichts geblieben. Aber auch innerlich war er erledigt: Er hatte nichts mehr, keinen Besitz, keinen lächerlichen Silberling mehr, nur noch die Ringe an seinen Fingern. Sonst war ihm alles genommen worden.
Der Gedanke daran trieb ihm fast die Tränen in die Augen. Das Selbstmitleid brachte ihn um. Warum hatte ihm das zustoßen müssen? Warum hatte nicht alles klappen können? Er hatte es sich so fein ausgedacht: Ein bißchen ausruhen und feiern und dann nach Kuba übersetzen, in Havanna wieder den Gouverneurspalast beziehen und mit der altgewohnten Selbstherrlichkeit wie ein Kaiser regieren. So hatte er sich das ausgemalt, und er hatte sich bereits überlegt, wie er sich der Verbündeten entledigen sollte, die allmählich unbequem und lästig wurden.
Aber ein Teufel in Menschengestalt hatte die Schaluppe entführt – so hatte der Kerl das dargestellt, der die Wache an Bord gehabt hatte. Weder Don Antonio noch seine Kumpane ahnten, daß der „Attentäter“ jener Philip Hasard Killigrew gewesen war, dem der Angriff auf die Schlangen-Insel im Grunde genommen gegolten hatte. Don Antonio wußte nur eines: Er war dem Tod wieder einmal sehr, sehr nah gewesen.
Sein wertvolles Leben war ständig in Gefahr. Er schluchzte trocken und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Wie tief er gesunken war! Man hatte ihn gedemütigt, solange er sich noch an Bord der „San José“ befunden hatte, er war unter Kammerarrest gestellt worden. Und jetzt mußte er sich mit der Gesellschaft dieser Primitivlinge abfinden, die nichts anderes im Sinn hatten, als zu fressen und zu saufen.
Er hockte mit ihnen auf dieser elenden Insel fest und hatte keine Chance, in absehbarer Zeit der Hölle zu entrinnen. Er mußte dahinvegetieren, schlimmer als jedes Tier, konnte sich nicht waschen und nicht pudern, hatte keine kandierten Früchte mehr und keinen Portwein, die ihm über den schlimmsten Gemütszustand hinweghalfen, und er war vor allen Dingen seiner finanziellen Mittel beraubt – was noch viel schlimmer war.
Diese Kerle – er konnte sie nicht mehr sehen. Zwei von ihnen hockten im Sand und sahen ihn wie einen Fremden an. Er wandte ihnen den Rücken zu und schritt zum Boot. Verzweifelt überlegte er dabei, was er unternehmen sollte. Gab es keine Möglichkeit, die verfluchte Insel zu verlassen und Kuba doch noch zu erreichen?
Fahnenflüchtige. Deserteure allesamt, Kerle, die keinen Schuß Pulver wert waren – und mit dieser Bande hockte er zusammen. Das war eine Schande, schlimmer noch als die Schmach, die er auf der „San José“ erlitten hatte. Er mußte danach trachten, sie loszuwerden. Einen anderen Weg gab es nicht, sonst war er verloren.
Die beiden Männer, die am Strand saßen und hinter dem Dicken herstarrten, hießen Victor und Ermano. Sie waren beide Decksleute. Ermano hatte die Wache an Bord der Schaluppe gehabt, als der Fremde plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er hatte ihn, Ermano, niedergeschlagen und ihn später, als er wieder bei Bewußtsein war, von Bord gejagt.
Victor war derjenige, der Ermano hatte ablösen sollen. Im berauschten Zustand hatte er mit der Jolle wie ein Verrückter nach der Schaluppe gesucht. Es hatte Streit gegeben, und um ein Haar hätten de Pinzón und Don Antonio Ermano erwürgt, als dieser wieder aufgetaucht war. Dann aber hatte Ermano erklären können, was geschehen war, und irgendwie hatten sie es ihm auch geglaubt.
Was man ihnen einmal an Disziplin eingebleut hatte, war seit dem Verschwinden der Schaluppe ohnehin restlos in die Binsen gegangen. Ermano behauptete, ein „gehörnter Teufel mit einer Faust aus Eisen“ habe sie entführt. Es war wohl dem tief verwurzelten Aberglauben dieser Kerle zuzuschreiben, daß sie es ihm tatsächlich abnahmen.
Wenn nun schon der Teufel und die Wasserdämonen die Hand im Spiel hatten – was nutzte das Ganze ihnen dann überhaupt noch? Wer desertierte, kriegte früher oder später doch seine Strafe, auf die eine oder andere Weise. Der Raub der Schaluppe und der Hurrikan waren Zeichen, die man nicht unterschätzen durfte. Vielleicht war es doch falsch gewesen, den Verband im Stich zu lassen.
Und wer war schuld daran? Natürlich der dicke Gouverneur. Er hatte sie dazu überredet. Und de Pinzón hatte gleich bereitwillig mitgemacht. Er war auch so ein krummer Hund, darüber waren sich zumindest Victor und Ermano inzwischen einig.
Victor verzog verächtlich das Gesicht und spuckte in den Sand. „Schau ihn dir an, den Fettsack. Sieht er nicht aus wie ein überfütterter Truthahn, der kaum die Kraft hat, sich auf den Beinen zu halten?“
„Dann schon eher wie ein Wildschwein“, sagte Ermano.
„Ich hätte Lust, ihm einen Tritt zu verpassen.“
„Und das, was er uns versprochen hat?“
„Ein schöner Posten in Havanna? Daran glaub’ ich nicht mehr“, erwiderte Victor.
„Ich auch nicht.“
„Warum schnappen wir uns nicht das Boot?“
„Und die anderen?“ fragte Ermano. „Wir können sie doch nicht einfach im Stich lassen.“
Victor grinste hämisch. „Nicht? Was würden sie denn deiner Ansicht nach tun, wenn sie’s könnten?“
„Sie würden abhauen“, erwiderte Ermano.
„De Pinzón und der andere Fettsack sowieso“, sagte Victor. „Deswegen empfehle ich dir, es dir gründlich zu überlegen – ehe sie uns zuvorkommen. Wir brauchen nur einen günstigen Zeitpunkt abzupassen, beispielsweise den Einbruch der Dunkelheit.“
„Ja. Gut. Ich überlege es mir“, sagte Ermano. Er beobachtete weiterhin mit finsterer Miene Don Antonio de Quintanilla, der in diesem Augenblick an dem Boot vorbeiging, ihm aber weiter keine Beachtung zu schenken schien.