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Wie vom Donner gerührt stand Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, auf dem großen freien Platz, der sich zwischen den Holzhütten und der geräumigen Hafenbucht des spanischen Gefangenenlagers erstreckte.

Nur wenige Zoll neben seinem rechten Stiefel lag der Degen, den er soeben auf Don Felix Maria Samaniegos Befehl hin hatte fallen lassen müssen.

Es war aus.

Der Kampf, den Hasard an der Spitze seiner Männer so kühn begonnen und durchgefochten hatte, war verloren. Die Spanier waren als Sieger daraus hervorgegangen, und dabei hatte doch alles so ganz anders kommen sollen.

Hasard hatte Sumatra-Jonny und die anderen in Ketten liegenden Engländer, aber auch einige Franzosen und Holländer aus dem Palisadenlager und dem zum Teil fertiggestellten Festungsneubau von Airdikit auf Sumatra befreien wollen, aber das hatten der Kommandant und seine Soldaten gründlich zu vereiteln verstanden – und auch Ben Brighton und die anderen Männer der Crew, die draußen auf See an Bord der „Isabella VIII.“ warteten, konnten dagegen nichts mehr unternehmen.

Jetzt würden auch Hasard und seine Männer in Ketten gelegt werden, und man würde sie mit Peitschenhieben dazu zwingen, das Kastell zu errichten, von dem aus die Spanier eines Tages den Süden der großen Insel und die gesamte Mentawaistraße kontrollieren und beherrschen wollten.

Aber das war noch lange nicht das Schlimmste. Zwei von Hasards sieben Männern, die an diesem verwegenen Raid teilgenommen hatten, hatten die Niederlage mit ihrem Blut bezahlt.

Blacky lag reglos auf der dunklen Erde, die Soldaten hatten ihn hergeschleppt und soeben zu Boden sinken lassen. Ein Musketenschuß hatte ihn getroffen. Die Wunde schien sich unterhalb seiner rechten Schulter zu befinden, soweit der Seewolf erkennen konnte. Blacky verlor viel Blut, und es würde immer mehr werden, was im weichen, warmen Untergrund versickerte.

Ferris Tucker konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, er kniete mehr, als daß er stand, obwohl zwei Soldaten ihn fest im Griff ihrer Hände hielten. In seiner Brust war ein häßliches, düsteres Loch. Er hatte die Augen weit aufgerissen und öffnete in diesem Augenblick den Mund, als wollte er seinem Kapitän etwas zurufen.

Er brachte jedoch nur ein unterdrücktes Röcheln hervor.

Don Felix trat mit zwei Schritten zwischen den Seewolf und die breite Front seiner Soldaten und hob den Kopf. Sein schmales Gesicht mit den scharfgeschnittenen Asketenzügen nahm den Ausdruck des Triumphes und der Genugtuung an.

Heiß blies der Sturmwind über die Lichtung und griff nach Hasards schwarzen Haaren. Er zerrte daran und schien ihm höhnisch in die Ohren zu heulen: Du hast verloren, bist ein Versager, ein Versager auf der ganzen Linie!

Erst jetzt wurde dem Seewolf bewußt, daß er sich grenzenlos leichtsinnig benommen hatte. Während Don Felix seinen Männern Worte der Anerkennung zurief, überschüttete er sich in seinen Gedanken mit Selbstvorwürfen.

Dabei hatte alles vielversprechend und mit den besten Aussichten auf einen vollen Erfolg begonnen.

Am frühen Morgen hatte die „Isabella VIII.“ die südliche Küste von Sumatra erreicht. Unter dem Einfluß des stürmischen Windes und dem drohenden Ausbruch eines schweren Wetters hatte der Seewolf dicht unter Land manövrieren lassen, um nötigenfalls in eine geschützte Ankerbucht verholen zu können.

So hatten die Männer der „Isabella“ aus reinem Zufall Morgan Young, den entflohenen Kettensträfling, entdeckt und ihn aus dem Wasser gezogen, ehe seine Verfolger oder die gefährlichen Salzwasserkrokodile über ihn herfallen konnten. Young war nur leicht am Bein verletzt worden.

Er hatte alles erzählt: wie sie in der Nacht zu zweit aus dem Palisadenlager geschlüpft waren, nachdem sie sich von ihren Ketten hatten befreien können, wie sie aber die Verfolger dicht im Nacken gehabt hatten. Romero, der junge Spanier, war von den Soldaten erschossen worden, bevor er sich wie Young im Dschungel hatte verstecken können.

Dann hatten die Seewölfe zu ihrer Überraschung erfahren, daß auch Sumatra-Jonny und zehn Männer seiner neuen Crew im Lager der Spanier festsaßen und zur Fronarbeit gezwungen wurden. Wie Jonny mit der „San Rosario“ hierhergeraten war, obwohl er doch die beiden seinerzeit von den Spaniern entführten Maori-Mädchen zurück nach Neuseeland hatte bringen sollen, war Hasard und seinen Männern unbegreiflich, aber das stand auf einem anderen Blatt.

Es galt weiterhin, Youngs Gefährten Trench, Josh Bonart, Sullivan und Christians sowie alle Holländer, Franzosen, Spanier und auch Portugiesen aus der Gewalt der Soldaten zu befreien, die willens waren, an diesem waghalsigen Ausbruchsversuch teilzunehmen.

Hasard hatte eine Pinasse kapern können, deren Besatzung auf der Suche nach dem im Busch verschwundenen Morgan Young die Küste abgeforscht hatte. Die komplette Mannschaft – acht Spanier – saß jetzt gefesselt im Kabelgatt der „Isabella“. Hasard, Carberry, Shane, Blacky, Dan O’Flynn, Luke Morgan, Ferris Tucker und Smoky hatten ihre Plätze eingenommen und waren als Spanier verkleidet mit der Pinasse in die Hafenbucht von Airdikit gesegelt. Hier hatten sie schließlich auch die „San Rosario“, Jonnys Schiff, vor Anker liegen sehen.

Sie hatten an einer Pier vertäut und gehofft, unerkannt bis zur Hütte des Kommandanten Samaniego zu gelangen, die ihnen von Morgan Young genau beschrieben worden war, aber dann, urplötzlich, waren sie von den Soldaten auf der Pier entlarvt worden. Daher hatte Hasard einen Sturm auf das Lager unternehmen müssen – mit Musketen, Tromblons, Pistolen, Flaschenbomben und Blankwaffen.

Don Felix Maria Samaniego mußte es geahnt haben, daß die Männer der Galeone, die seine Landtrupps von der Küste aus beobachtet hatten, mit einem Trick in das Lager zu gelangen trachteten.

Hasard erhielt jetzt die Bestätigung dafür, daß er sich dies nicht nur einbildete.

Don Felix wandte ihm das Gesicht zu und sagte: „Killigrew, meine Leute sind nach der erfolglosen Jagd auf Morgan Young rechtzeitig genug hierher zurückgekehrt, um mir alles melden zu können. Und aus ihrer Beschreibung des Schiffes, das da draußen vor der Küste liegt, habe ich folgern können, daß es sich um die berüchtigte ‚Isabella‘ handelt. Woher ich sie kenne? Ich war eine Zeitlang in Manila stationiert, und dort hat man mir ausführlich von ‚El Lobo del Mar‘ und seinem Schiff erzählt. Ich konnte es mir an den zehn Fingern abzählen, daß Sie durch eine List die Sträflinge herauszuhauen versuchen würden. Darauf habe ich mich eingerichtet und habe meinen Leuten entsprechende Anweisungen gegeben.“

Hasard hörte nur mit halbem Ohr hin. Sein Blick war unablässig auf die Gestalten seiner Männer gerichtet.

Smoky und Luke Morgan standen mit hängenden Köpfen da. Er konnte sich gut vorstellen, was jetzt in ihrem Inneren vorging. Sie schrieben sich die Schuld an der verhängnisvollen Wende zu, die die Dinge genommen hatten. Aber sie hatten selbst ihr Bestes gegeben und keinen einzigen Fehler begangen. Sie waren ganz einfach überrumpelt worden.

Ehe Ferris, Blacky, Smoky und Luke der Durchbruch zum Palisadenlager gelungen war, hatten die Spanier Verstärkung und Nachschub an frisch geladenen Waffen erhalten, und nur so hatten sie die vier Männer zur Aufgabe zwingen können.

Dann hatten die spanischen Soldaten ihre vier Gefangenen als Geiseln benutzt und somit das Duell zwischen dem Seewolf und Don Felix abrupt unterbrochen.

Nur Ed Carberry, Big Old Shane und Dan O’Flynn hatten das Palisadenlager erreicht und waren darin verschwunden. Soviel hatte der Seewolf während seines erbitterten Degenkampfes mit Samaniego verfolgen können. Aber was nutzte dieser Teilerfolg jetzt noch? Auch der Profos, Shane und Dan würden die Waffen strecken müssen.

Heftig fegte der Wind über Airdikit und trug alle Hoffnungen des Seewolfs davon, tief in den Dschungel hinein, wo sie sich zwischen Mangroven und Lianen verloren.

Hasards Blick richtete sich wieder auf Blacky.

„Blacky“, sagte er, und seine eigene Stimme klang ihm fremd und brüchig. „Mein Gott, Blacky.“

Blackys Gesicht hatte die Farbe alten Talges. Er schien nicht mehr zu atmen. Diese Feststellung traf Hasard wie ein Hieb. Er fühlte sein Herz heftig pumpen, bis in den Hals hinauf, und seine Knie wurden jetzt so weich, als müßten sie jeden Augenblick nachgeben.

War Blacky schon tot?

Der Profos hatte Sumatra-Jonny von den Eisenfesseln befreit, jetzt arbeitete er wie ein Besessener an den Ketten von Trench, einem von Morgan Youngs Kameraden. Big Old Shane und Dan O’Flynn waren dabei, mit dem von der „Isabella“ mitgebrachten Werkzeug Josh Bonarts Handschellen und Beinschäkel zu öffnen. Jonny kümmerte sich um einen halbnackten, hageren Eingeborenen – offenbar einen Batak oder Atjeh von Sumatra –, der zu seiner „glorreichen Zehn“ zu gehören schien.

Was draußen, vor den Palisaden, vorgefallen war, hatten sie nicht verfolgen können, und es war jetzt auch keine Zeit dafür, das Tor zu öffnen und ins Freie zu spähen.

„Verdammt“, sagte Carberry nur. „Das Schießen hat aufgehört. Das ist kein gutes Zeichen, Leute.“

„Unsinn“, meinte Shane und versuchte dabei zu lachen, was ihm allerdings mißlang. „Gleich geht das Tor auf, und Hasard, Blacky, Luke, Ferris und Smoky erscheinen. Ich schätze, Hasard hat Don Felix, den Oberhurensohn, besiegt und benutzt ihn jetzt als Geisel.“

„Genau das denke ich auch“, sagte Dan, aber seiner Miene war anzusehen, daß er davon genausowenig überzeugt war wie der graubärtige Schmied von Arwenack.

Carberry verzog das Narbengesicht zu einer wüsten Grimasse. „Ihr palavert euch selbst was vor. Da draußen ist eine Mordssauerei passiert, das schwöre ich euch. Los, beeilen wir uns, ehe die Dons auch uns zu packen kriegen.“

Er hatte Trenchs Ketten gelöst und wandte sich jetzt Sullivan zu. Trench gab er einen Schlegel, und dieser Mann eilte nun seinerseits zu Christians hinüber, der wie alle anderen Sträflinge nicht nur schwer mit Eisen behängt, sondern zusätzlich an einem in den Boden gerammten Pfahl festgekettet war.

Jonny hatte den hageren Eingeborenen befreit, und beide Männer arbeiteten nun an den Ketten ihrer gleich in der Nachbarschaft hockenden Kameraden.

Auch Josh Bonart konnte jetzt aus seinen Handschellen und Beinschäkeln schlüpfen.

Etwas später waren insgesamt neun Mann befreit, und Jonny nickte dem Profos zu. „Vier meiner Leute stehen hier neben mir, Profos, die anderen sitzen oben in der verfluchten Festung im Kerker, wie ich vorhin wohl schon gesagt habe.“

Der Narbenmann nickte ihm nur knapp zu, dann wandte er sich an Shane und Dan. „Und wir müssen die Burg im Sturm erobern, Freunde, sonst haben wir hier gleich verspielt. Wir müssen Ben mit einem der schweren Geschütze, die ich auf dem Söller gesehen habe, ein Zeichen geben, und er wird mit unserer alten Lady in die Hafenbucht rauschen, um den Dons Zunder zu geben.“

„Los, verlieren wir keine Zeit mehr“, drängte Big Old Shane. „Auf was warten wir noch?“

Sie drehten sich um und wollten zur Nordseite des Palisadenlagers laufen, aber einige Sträflinge streckten flehend die Hände nach ihnen aus und begannen, laut durcheinanderzurufen.

„Helft auch uns!“

„Laßt uns hier nicht zurück!“

„Habt Erbarmen mit uns!“

Carberry warf ihnen einige seiner Werkzeuge zu, so daß sie sie vom Boden aufnehmen und damit selbst an ihren Ketten arbeiten konnten. Shane und Dan folgten seinem Beispiel.

Jonny verfolgte dies nicht ohne Argwohn. „Es sind einige echte Galgenstrikke und Schlagetots unter diesen Kerlen“, gab er zu bedenken. „Das sind nicht alles Leute, die zu Unrecht hier eingesperrt wurden.“

„Egal“, sagte Shane. „Auch die größten Himmelhunde und Satansbraten sind uns jetzt eine Hilfe.“ Er blickte einen der Männer an, der gerade mit Carberrys Schlegel und Scharfeisen an seinen Handschellen herumwerkte. „He, du! Wißt ihr, wo die Spanier ihre Waffen aufbewahren?“ Er sprach ihn auf spanisch an.

Der Mann schaute kurz zu ihm auf und antwortete in einer Mischung aus Englisch und Holländisch: „Natürlich. In der zweiten Hütte gleich vor dem Tor der Palisaden.“

Shane sah zu Jonny hinüber. „Jonny, kann man sich auf diesen Mann verlassen?“

„Auf den schon“, erwiderte der dickbäuchige, krummbeinige Engländer. „Der ist ein brauchbarer Bursche, abgesehen davon, daß er eine schauderhafte Art zu sprechen am Leibe hat. Er heißt Leusen und stammt aus Holland.“

„Vorwärts“, sagte Carberry. „Ab zum Zaun und her mit dem Tau, das du am Gürtel trägst, Mister O’Flynn!“

Er lief als erster los. Dan folgte ihm und knotete hastig das Tau mit dem kleinen Enterhaken von seinem Gurt los, das er vorsichtshalber mitgenommen hatte, als sie von der „Isabella“ in die Pinasse der Spanier abgeentert waren.

„Leusen“, sagte Big Old Shane noch zu dem Holländer, diesmal auf englisch. „Übernimm du die Führung aller, die sich hier jetzt noch befreien können. Versucht, die Waffenhütte zu erreichen und das Arsenal soweit wie möglich auszuräumen. Dann kämpft ihr euch bis zu den Piers vor, nehmt eins der Boote und ergreift die Flucht.“

„In Ordnung!“ stieß Leusen gepreßt hervor.

Dann drehte auch Big Old Shane sich um und folgte seinen Kameraden.

Der Profos, Dan O’Flynn, Jonny und die acht anderen Männer hatten die Umzäunung derweil erreicht, und Dan schwenkte bereits das Tau und ließ den Enterhaken wirbeln. Der Haken flog an der Palisadenwand hoch und über die oben zugespitzten Pfähle weg. Das Tau straffte sich. Dan zog daran, und der Haken krallte sich hinter den Zaunspitzen fest.

Dan hangelte als erster an dem Tau hoch. Sekundenlang balancierte er auf den spitzen Pfählen, dann verschwand seine Gestalt. Die Palisadenwand war nicht höher als zehn Fuß, daher konnte man den Sprung hinunter riskieren, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich die Knochen zu brechen.

Carberry kletterte als nächster an der hölzernen Wand hinauf und sprang Dan nach, dann folgten Shane, Jonny und die vier ehemaligen Decksleute der „Balcutha“ und schließlich die vier Männer, die zu Jonnys neuer Crew zählten. Drei von ihnen waren Eingeborene, einer ein Weißer.

Einer nach dem anderen landete sicher auf dem weichen, morastigen Boden jenseits der Palisadenwand. Dan, der Profos und Big Old Shane sicherten jetzt mit ihren Waffen nach allen Seiten, aber vorläufig tauchte keiner der Gegner auf.

Die Nordseite der Palisadenwand war vom Lagerplatz aus nicht zu überblicken. Die Spanier mußten erst ganz um das Lager herumlaufen, um sehen zu können, was sich an dieser Stelle abspielte, aber im Moment schien sich alles auf die Vorgänge bei den Hütten zu konzentrieren. Deshalb blieb der zwölfköpfige Trupp unbehelligt.

„Wir können uns ins Dickicht schlagen und ein Stück durch den Busch bis zu der Anhöhe laufen, auf der das Kastell steht“, schlug Jonny vor. „Ich kenne den Weg und weiß auch, wie wir am günstigsten in den Bau geraten, um ihn zu vereinnahmen.“

„Dann übernimm du jetzt die Führung“, zischte der Profos ihm zu. „Los, Mann, jeder Augenblick ist kostbar.“

Sie verschwanden in dem dichten, verfilzt und undurchdringlich wirkenden Gesträuch, das Feuchtigkeit und Hitze ausatmete.

Dichter ballten sich jetzt die Gewitterwolken über Airdikit zusammen, und es wurde immer dunkler, obwohl es auf die Mittagsstunde zuging. Die Schwüle war unerträglich und ließ jede Bewegung zur Last werden. Auch der Wind brachte keine Abkühlung. Nahe der Küste zuckte ein weit verästelter Blitz auf die See nieder, kurz darauf war ein drohendes Grollen zu vernehmen, das wie Kanonendonner heranrollte und verkündete, daß das schwere Wetter im Begriff war, sich direkt über Airdikit auszutoben.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 205

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