Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 169 - Roy Palmer - Страница 5
2.
ОглавлениеDie Flasche dümpelte in den graugrünen, recht trostlos wirkenden Fluten, als hätte sie immer dort geschwommen. Ihr Äußeres wies keine besonderen Merkmale auf, kein Korb- oder Bastgeflecht, das sie schützend umhüllte, keine Aufschriften, keine ausgefallenen Formen. Sie war ganz einfach nur eine „Buddel“ aus grünlichem Glas. Wenn es sich überhaupt lohnte, sie aus dem Meer zu holen, dann des Textes wegen, der auf dem Dokument festgehalten war.
Hasard bedeutete seinen Männern, mit dem Pullen innezuhalten. Er beugte sich vor, streckte die rechte Hand aus und griff nach der Flasche, während die Jolle in langsam werdender Fahrt darauf zuglitt. Einen Moment schien es Hasard so, als wolle sich die Flasche seinem Zugriff entziehen, dann aber packte er ihren Hals und zog sie an Bord.
Der Seewolf drehte die Flasche hin und her und versuchte etwas von dem zu entziffern, was auf dem angegilbten Dokument geschrieben stand. Er vermochte aber nur die Buchstaben „U-l-y“ zu lesen, und die ergaben keinerlei Sinn.
„Warum öffnest du die Flasche nicht, Sir?“ wollte Batuti wissen.
Hasard blickte auf und gab ihm und den anderen fünf Rudergasten das Zeichen zum Wenden. „Wir pullen zurück zur ‚Isabella‘. Ich will, daß alle dabei sind, wenn ich das Dokument heraushole und auseinanderrolle.“
Die Spannung wuchs, sowohl im Boot als auch an Bord der „Isabella“. Dort stand der komplette Rest der Crew am Schanzkleid versammelt und blickte der zurückkehrenden Jolle erwartungsvoll entgegen. Arwenack, der Schimpanse, war vom Großmars bis in die Hauptwanten der Leeseite abgestiegen und klatschte in die Vorderpfoten, als die Jolle längsseits ging. Sir John saß auf der linken Schulter des Profos’, der dies alles mit gemischten Gefühlen verfolgte, und stieß Worte wie „Armleuchter“, „Hering“ und „Kanalratte“ aus. Das endete damit, daß der Profos den brabbelnden Papagei schließlich von der Schulter nahm und ihn mit einem Grunzlaut im Brustausschnitt seines Wamses versenkte.
Die Männer aus dem Boot enterten an der Jakobsleiter auf. Die Jolle wurde wenig später von Luke Morgan, Batuti, Stenmark und Jeff Bowie wieder an Bord der Galeone gehievt. Hasard hatte sich inzwischen mit leicht abgespreizten Beinen vor die Kuhlgräting gestellt und zeigte den näherrückenden Männern, den Zwillingen und der Roten Korsarin die Flasche.
Besonders für den kleinen Philip und den kleinen Hasard war die Sache aufregend und von beinah exotischem Reiz.
„Was ist drin, Dad?“ rief Hasard junior. „Eine Schatzkarte?“
„Maul halten“, fuhr der Profos ihn an. „Ihr Bengel habt nur zu reden, wenn ihr was gefragt werdet.“
„Aye, Mister Carberry“, sagte Hasard junior.
Der Seewolf bewegte den Korken, der ziemlich tief in der Flaschenöffnung steckte, ein wenig mit Daumen und Zeigefinger, aber nach den ersten Versuchen hielt er inne und sagte: „Der Korken ist ein bißchen mürbe geworden. Ich bin sicher, daß er abbricht, wenn ich so weitermache. Kutscher, hol doch mal deinen Korkenzieher.“
Der Kutscher drehte sich um, lief zum Kombüsenschott, verschwand für ein paar Sekunden und kehrte mit jenem unansehnlichen Ding aus einem Stück Holz und einem Stück gebogenen Eisendraht, das er selbst konstruiert hatte, zurück. Unterdessen war die Spannung weiter gewachsen.
Hasard nahm den Korkenzieher aus der Hand des Kutschers entgegen, drückte das spitze Ende in den weichen Korken und begann zu drehen. Der Draht drang in das Material ein. Hasard drehte, bis die Spitze zum unteren Ende des Korkens herausschaute, hörte dann auf und begann vorsichtig am Holzgriff des einfachen Instruments zu ziehen.
„Hasard“, sagte Old O’Flynn warnend.
Der Seewolf fixierte den Alten mit einem keineswegs freundlichen Blick. „Donegal, geht das schon wieder los? Keine Angst, ich fliege nicht in die Luft, und es kriecht auch kein Nebeldämon aus der Flasche, der uns alle vertilgt. Du mußt nur ganz ruhig bleiben, immer hübsch ruhig, klar?“
Die Zwillinge hielten sich die Hand vor den Mund und kicherten. Carberry starrte sie an, als ob er sie mit Haut und Haaren verschlingen wolle. Siri-Tong legte den Zeigefinger an die Lippen, und daraufhin verstummten die Jungen sofort wieder.
„Hör mal zu, Sir“, sagte Old O’Flynn. „Du sprichst ja gerade so mit mir, als wäre ich ein alter Bock, der nicht mehr ganz richtig im Kopf ist.“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Aber du denkst es.“
„Donegal, leg mir nichts in den Mund, was ich nie denken oder behaupten würde, verstanden? Du weißt ganz genau, daß ich dich hoch einschätze und für einen ausgezeichneten Seemann und Kämpfer halte. Ich habe nur was gegen übertriebene Schwarzmalereien. Wenn die auch tausendmal dein liebstes Steckenpferd sind – halte dich ein wenig damit zurück.“
„Ist das ein Befehl?“
„Genau das ist es.“
„Aye, Sir“, sagte der Alte verbissen. Er wandte den Kopf, sah die Kameraden an und fragte: „He, ihr! Seid ihr auch der Meinung, ich soll die Luke halten?“
„Hm“, antwortete Big Old Shane.
„Ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt“, zischelte Old O’Flynn.
Hasard zog den Korken aus dem Flaschenhals, und das erzeugte das typische trocken-hohle Geräusch, das die Männer nur allzu gut kannten. Er reichte dem Kutscher den Korkenzieher samt, Korken, stülpte dann die Flasche um und schüttelte das zusammengerollte Stück Papier heraus. Geschickt fing er es auf.
Die Flasche warf er Ben Brighton zu. Ben fing sie auf, betrachtete sie ausgiebig, schüttelte den Kopf und reichte sie an Ferris Tucker weiter, der sie dann seinerseits Carberry übergab.
Hasard rollte das Schriftstück auseinander und sagte: „Uns ist ein Beobachtungsfehler unterlaufen. Dies ist kein Papier, sondern gegerbtes Material. Ganz feines Leder – von irgendeinem Tier.“
„U-l-y“, buchstabierte Dan O’Flynn, was auf der ihm zugewandten Seite des Pergaments geschrieben stand. „Darauf kann ich mir keinen Reim bilden.“
Hasard hatte den Text auf der anderen Seite der Pergamentrolle mit einem Blick überflogen und ließ das Dokument ein Stück sinken. „Die Worte hier sind in tadellosem Englisch aufgeschrieben worden“, erklärte er. „Der Verfasser der Nachricht schien weder Federkiel noch Tinte zur Verfügung zu haben, er hat die Buchstaben irgendwie eingeritzt. Es muß ihn einige Mühe gekostet haben …“
„Dad“, sagte Philip junior in geradezu flehendem Tonfall. „Lies doch vor – bitte!“
„Ich steck euch gleich in die Vorpiek, ihr Rübenferkel, und zwar alle beide“, herrschte Carberry sie an – und das war keine leere Drohung, denn die Zwillinge waren wie alle anderen Mitglieder der Crew der Borddisziplin unterworfen und hatten wirklich zu schweigen, wenn es ihnen auferlegt wurde.
„Einiges ist verwischt, einiges verblaßt“, fuhr der Seewolf fort. „Trotzdem kann ich alles entziffern. Hört zu.“
Er hob das Dokument wieder vor die Augen und begann zu lesen.
„Hilfe“, stand in undeutlichen Lettern auf der gelblichen, leicht transparenten Tierhaut zu lesen. „Rettet unsere Seelen, denn sonst sind wir verloren. Kapitän Cyril Auger von der ‚Ulysses‘ ruft euch aus größter Not heraus an. Der Himmel steh uns bei, denn sie haben uns gefangen und lassen uns nicht mehr frei. Unser Schiff – verloren, gestrandet, vielleicht findet ihr es bei N 56 Grad W 60 Grad auf den Klippfelsen, die sie Tunungayualok nennen. Von dort aus sind es rund sechs Meilen in NW-Richtung, dann: eine Kanzel, vielleicht fünfunddreißig, vierzig Yards hoch, ein Einschnitt. Fünfhundert Schritte landeinwärts, und ihr stoßt auf einen verkrüppelten Baum. Von dort aus zweihundert Schritte nach W zum Bach, über ihn hinweg und weitere dreihundert Schritte nach W, wo der Platz inmitten einer Senke liegt …“
Hasard blickte die Crew über den Rand des Schriftstücks hinweg an.
„Weiter“, drängte Siri-Tong.
„Weiter geht es nicht“, sagte er. „Sicherlich hätte dieser Kapitän Cyril Auger gern noch mehr geschrieben, aber er ist offensichtlich dabei gestört worden. Wer weiß, unter welch schwierigen Umständen er die Flaschenpost dann in die See befördert hat.“
„Verdammt“, entfuhr es Ferris Tucker. „Da scheint ein Landsmann von uns im dicksten Schlamassel zu stecken, aber weiß der Teufel, wo dieser Platz liegt, an dem er und seine Leute festgehalten werden. Und diese geheimnisvollen Feinde, von denen er berichtet – was sind das für Kerle?“
Siri-Tong war zu Hasard getreten und betrachtete eingehend die ihr zugewandte Seite des Schriftstücks.
„U-l-y“, buchstabierte nun auch sie. „Und der Rest ist verwischt. Das soll bestimmt ‚Ulysses‘ heißen. ‚Ulysses‘, das Schiff des Cyril Auger. Hat jemand von euch jemals von einem Segler dieses Namens und seinem Kapitän gehört?“
„Nein“, erwiderte der Seewolf. Er hob den Kopf und erkundigte sich: „Ist euch irgend etwas über dieses Schiff und seine Besatzung zu Ohren gekommen?“
Alle schüttelten sie den Kopf – einschließlich Arwenack, der die Gesten seiner zweibeinigen Freunde gern imitierte.
„Ulysses“, sagte der Seewolf. „Ulixes oder auch Odysseus, ein Held der griechischen Sage. Der König von Ithaka, der sich auf eine gefahrvolle Seereise begab – ja, der arme Auger scheint sich auf eine furchtbare Odyssee, eine Irrfahrt mit bitterem Ende, eingelassen zu haben, und insofern trifft der Name seines Schiffes wohl genau zu.“
„Eine Ironie des Schicksals“, murmelte der Kutscher.
„Trägt der Hilferuf denn kein Datum?“ fragte Siri-Tong.
„Leider nicht“, antwortete Hasard. „Wer weiß, wann Auger die Post der See übergeben hat.“
„Junge, Junge, so ein Mist“, sagte Dan O’Flynn. „Wer weiß, ob die bedauernswerten Männer überhaupt noch am Leben sind. Ich will’s ja hoffen, aber bei der Verzweiflung, mit der dieser Notruf geschrieben wurde, muß man wirklich an das Schlimmste denken.“
„Es ist unsere heilige Pflicht, nach Auger und seiner Mannschaft zu forschen“, sagte der Seewolf ernst. „Was immer auch aus ihnen geworden ist – wir müssen es herausfinden. Ben, hol doch mal die Karte.“
Ben Brighton drehte sich zum Quarterdeck um und ließ sich von Pete Ballie gleich zwei Karten bringen, die vom Seewolf angefertigte Skizze mit den Kurseintragungen und die einzige gedruckte Karte des Seegebietes oberhalb von „Bacalaos“, die nach übereinstimmender Ansicht der Männer jedoch höchst ungenau war.
Hasard las noch einmal Kapitän Cyril Augers Hilferuf, dann rollte er das Stück Leder wieder zusammen und versenkte es in seiner Jackentasche. Er ließ die Karten von Ben Brighton auf der Kuhlgräting ausbreiten und suchte nach der Position, die in der Flaschenpost genannt war.
„56 Grad nördlicher Breite und 60 Grad westlicher Länge“, wiederholte er. „Nach der gedruckten Karte müßte das ein Punkt mitten im Meer sein …“
„Aber wo sind da Klippfelsen?“ fragte die Rote Korsarin, die sich neben ihm über die Zeichnungen gebeugt hatte.
„Warte.“ Hasard suchte die Position auch auf seiner Skizze, die er aus dem Gedächtnis in erster Linie aufgrund von Hendrik Laas’ Angaben angefertigt hatte – und tatsächlich verharrte seine Fingerkuppe auf einem Fleck inmitten der zerklüfteten Küste von Labrador. „Tunungayualok“, sagte er. „Hier muß es liegen – keine fünfzig Meilen von unserer jetzigen Position entfernt. Ben, Ferris, Shane, Ed!“
„Sir?“
„Wir setzen Vollzeug und laufen dieses Tunungayualok an“, befahl der Seewolf.
Noch am selben Abend erreichten sie ihr Ziel. Die Sonne schien nur zögernd zu weichen und der blassen Mondscheibe ihren Platz zu überlassen. Das Licht der ausklingenden Dämmerung war rötlich-grau und immer noch ausreichend, um Einzelheiten in der Küstenlandschaft zu erspähen.
Bill, der Moses, und Dan O’Flynn hatten den Großmars besetzt, und als „Verstärkung“ stand Gary Andrews hoch oben im Vormars und nahm seine alte Aufgabe als Fockmastgast wahr. Alle drei hielten sie ihre Kieker auf das Land gerichtet und forschten nach Masten, Rumpfteilen oder den Resten eines Segelschiffes.
Die „Isabella“ glitt mit nordwestlichem Kurs parallel zum Verlauf des Ufers dahin. Nur noch das Großsegel, die Fock und die Blinde trugen sie voran, das übrige Zeug hatte der Seewolf wegnehmen lassen, damit sie bei verlangsamter Fahrt ausgiebig die Küstenregion erkunden konnten.
Siri-Tong stand am Backbordschanzkleid des Achterdecks neben Hasard. Der Abendwind, der handig und eisig kalt immer noch von Süden einfiel, spielte mit ihrem schwarzen Haar. Sie hatte sich eine ärmellose Pelzweste über ihre rote Bluse gezogen, um es besser mit der zunehmenden Kälte aufnehmen zu können.
„Es ist die trostloseste Küste, die ich je gesehen habe“, sagte sie. „Graue Felsen, kaum ein Baum oder Strauch, keine Lebewesen. Das ist kein Platz zum Verweilen.“
„Sehr einladend sieht das in der Tat nicht aus“, meinte er. „Aber wenn man Augers Schilderung recht geben darf, wohnen wirklich Menschen in dieser öden Landschaft. Das heißt, es gibt genügend Wasser und Nahrung und auch die übrigen Bedingungen, die man zur einfachsten Form des Lebens braucht.“
„Zum Dahinvegetieren, wolltest du wohl sagen.“
„Nicht unbedingt. Die Eskimos leben in einer ewigen Wüste aus Eis und Schnee und scheinen sich dort ziemlich wohl zu fühlen.“
„Ja“, sagte sie. „Auch das hat dir Hendrik Laas erzählt. Aber ich weiß nicht, ob wir seine Begeisterung für Grönland und die weiße Einöde der Arktis teilen werden.“
Hasard sah sie lange an, bevor er antwortete. „Niemand hat gesagt, daß wir diesem Mann nacheifern wollen. Das, was er empfindet, ist seine ganz persönliche Sache. Mir geht es um etwas anderes. Ich will die Nordwest-Passage finden.“
„Ich weiß. Aber haben das nicht schon viele Männer vor dir versucht?“
„Ich habe die Informationen eines Mannes, der bis nach Thule vorgedrungen ist – und noch weiter nordwärts. Vielleicht ist er der einzige Europäer, der jemals Kontakt zu den Eskimos dort oben gehabt hat. Genau deswegen kennt er sich weitaus besser aus als alle anderen, die auf Entdeckungsfahrt ins Eismeer gegangen sind.“
„Aber Laas hat die Nordwestpassage nicht gefunden“, widersprach sie.
„Das nicht, aber er war ziemlich sicher, zu wissen, welchen Kurs man nehmen muß, um sie zu finden.“
„Warum hat er die Passage dann nicht selbst befahren?“
Der Seewolf drehte sich noch ein Stück weiter zu ihr herum und legte eine Hand aufs Schanzkleid. „Erstens hatte er nicht das geeignete Schiff dazu, und zweitens hat er keinerlei Absichten in dieser Richtung. Ich möchte aber nicht, daß du den Eindruck gewinnst, ich habe mich auf törichte Weise für eine Idee begeistern lassen und segle nun einfach drauflos – in unser aller Verderben. Du solltest mich besser kennen. Ich weiß genau, was ich tue.“
„Entschuldige, wenn ich dich verletzt habe“, sagte sie einlenkend.
„Du hast mich keineswegs verletzt.“
„Ich frage mich nur, warum wir dies tun. Was bringt es uns denn letztlich ein?“
„Vielleicht mehr als alles Gold und Silber, das wir bislang gehortet und nach England geschafft haben. Diese Passage stellt für jeden Seefahrer einen unschätzbaren Reichtum dar. Wann siehst du endlich ein, daß ein Korsar nicht nur ein Kaperfahrer ist, sondern auch ein Entdecker?“
Sie lächelte jetzt. „Schätze mich bitte nicht falsch ein. Ich habe nur so meine Bedenken, weil es eine niederschmetternde Enttäuschung für uns alle geben könnte. Wenn wir die Passage nicht finden, was dann? Dann wird auch dein Selbstvertrauen ganz erheblich erschüttert.“
„Ich werde es verkraften können.“
„Besser wäre es, wenn uns dieser Hendrik Laas als Lotse begleitet hätte.“
„Sicher, und wir alle hätten ihn gern bei uns an Bord gehabt. Aber er hat nun mal mit der ‚Sparrow‘ nach Dänemark segeln wollen, in seine Heimat. Wer wollte ihm das verwehren oder gar verübeln?“
„Keiner“, erwiderte sie seufzend.
Ja, dieser Hendrik Laas, dieser geheimnisvolle Fremde, den sie seinerzeit bei Plymouth vom Strand aufgelesen hatten – er hatte Hasard aus Dankbarkeit für die Lebensrettung seine streng gehüteten Geheimnisse offenbart: über Thule, die Eskimos, Nanoq, den Eisbär, die Pelztierjagd und alle Eigenarten des Lebens im arktischen Sommer und Winter. Die Seewölfe hatten nicht nur ihm geholfen, sie hatten auch Bert Anderson und Sheldon Gee, Laas’ Kameraden, aus der Gefangenschaft der Piraten befreit und deren Anführer van Dyck die „Sparrow“ entrissen.
Hendrik Laas hatte geschworen, daß er es Hasard und den Männern der „Isabella“ nie vergessen würde, was sie für ihn, Anderson und Gee getan hatten.
„Sir!“ rief Dan O’Flynn. „Schiff Backbord voraus! Ja, es ist ein Wrack, das zwischen Felsen eingeklemmt ist. Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht die ‚Ulysses‘ ist!“
„Immer langsam, nicht so voreilig“, brummte Carberry, der von der Kuhl aus zur Küste hinüberäugte. „Noch wissen wir’s nicht genau. Erst müssen wir uns vergewissern, daß es wirklich der gesuchte Kahn ist.“
„Der Teufel wird uns alle holen“, sagte Old O’Flynn. „Er haust mit seinen Dämonen zwischen den Felsen und spießt uns auf, sobald wir an Land gehen.“
Hasard junior und Philip junior leisteten ihm auf dem Quarterdeck Gesellschaft und blickten aus geweiteten Augen zu ihm auf.
„Grandpa“, sagte Hasard junior und zupfte den Alten am Jackenärmel. „Wie sieht der Teufel aus? He, wie? Hast du ihn schon mal gesehen?“
„Jungs“, murmelte Old Donegal. „Ihr habt doch alle beide schon mal einen Gaul gesehen, stimmt’s? Nun stellt euch mal einen Zweibeiner vor, der anstelle seines rechten Beines einen Pferdefuß hat, mit ’nem richtigen Huf daran, meine ich, und …“
„Und das andere Bein?“ fragte Philip junior. „Was ist mit dem anderen Bein los?“
„Mann“, sagte Pete Ballie, der im Ruderhaus jedes Wort verstehen konnte. „Meiner Meinung nach ist es Unfug, den Jungen solche Schauermärchen zu erzählen, Donegal!“
„Du hast mir nicht ’reinzureden, Pete Ballie“, zischte der Alte, der seinerseits gehört hatte, was der Rudergänger gesagt hatte.
Pete wollte etwas erwidern, aber in diesem Moment ertönte der Ruf des Seewolfs: „Pete, Ruder vier Strich Backbord, wir nehmen Kurs auf das Wrack! Al, du steigst auf die Galionsplattform ’runter und lotest die Wassertiefe aus!“
„Aye, aye, Sir“, sagten Pete Ballie und Al Conroy.
„Wir gehen so dicht wie möglich an die Felsen heran!“ rief Hasard. „Wir ankern, fieren zwei Boote ab und pullen zu dem Schiff, um es genau zu inspizieren.“
„Au fein“, sagte Hasard junior. „Vielleicht kriegen wir dann ja auch den Teufel zu sehen – oder den Wassermann.“
„Wie?“ wunderte sich Old O’Flynn. „Habt ihr Heringe denn gar keine Angst vor diesen Ungeheuern?“
„Ach wo“, entgegnete Philip junior. „Die Galeone der Toten war ja auch nur ein alberner Mummenschanz. Teufel, Dämonen und Geister – die gibt’s überhaupt nicht.“
„Das schlägt dem Faß den Boden aus“, sagte der Alte.
Pete Ballie blickte aus dem Ruderhaus zu ihm herüber und grinste sich eins.
„Geit auf die Segel!“ brüllte auf der Kuhl der Profos los. „Wollt ihr wohl traben, ihr müden Böcke? Und macht die Jollen klar, und zwar ein bißchen dalli, oder es raucht in der Kombüse, daß euch euer blödes Grinsen vergeht!“
Das Vorschiff der „Isabella“ drehte sich der Küste zu, die Galeone schob sich auf Dan O’Flynns Entdeckung zu. Düsterer waren die Schatten der Nacht jetzt geworden, aber die Umrisse des Wracks waren immer noch deutlich genug zu erkennen.
Sie wirkten skelettähnlich, zwei Maststummel ragten wie mahnende Finger in den Abend auf.