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Isidro Flores, der kleine dicke Piratenführer, lag versteckt im Uferdickicht an der Bucht beim Golf von San Blas und wußte, was die Glocke geschlagen hatte, als die Drehbassenschüsse auf See krachten.

Man hatte die drei Flöße entdeckt, mit denen diese Narren unter Führung Gitanos nach Mitternacht losgepaddelt waren, um die Karavelle zurückzuerobern.

Er selbst, Isidro Flores, hatte sich noch frühzeitig genug seitwärts in die Büsche geschlagen, um an diesem Wahnsinnsangriff gar nicht teilzunehmen. Niemand hatte sein Verschwinden bemerkt.

Etliche Kerle, so wußte Flores, befanden sich noch an Land. Gewiß hatten sie aus dem Krachen der Kanonen und dem Geschrei der Kumpane vernommen, wie der Angriff verlaufen war. Jetzt waren sie heilfroh, daß sie nicht mit dabeigewesen waren. Sie rechneten bestimmt nicht damit, daß ausgerechnet der kleine Dicke, den sie am vergangenen Abend als Anführer abgesetzt hatten, noch am Leben war, weil er sich klugerweise vorher verdrückt hatte.

Lumpenpack, dachte Flores erbittert, ihr werdet euch noch wundern. Er lag eine Weile zwischen den knorrigen Luftwurzeln der Mangroven und wartete ab. Später richtete er sich halb auf und blickte zu der Karavelle, die nach wie vor draußen auf See vor Anker lag. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Hasses.

Hurensöhne, dachte er, warum krepiert ihr nicht?

Nach wie vor wußte er nicht genau, mit wem er es zu tun hatte. Wahrscheinlich handelte es sich um englische Piraten, doch es waren auch Franzosen dabei, wie es schien, und ein Schwarzer. Diese Kerle hatten die Karavelle im Handstreich geentert und entführt, als er und seine Bande am Ufer der Bucht eine Freß- und Sauforgie veranstaltet hatten. Zweimal hatte die Bande versucht, die Karavelle zurückzugewinnen, beide Male war sie gescheitert.

Die Schatzbeute befand sich an Bord des Dreimasters. Wie sollte er, Flores, sie jemals wieder in seinen Besitz bringen? Er hatte kein einziges Boot mehr und nicht mehr genug Leute, höchstens noch etwas mehr als ein Dutzend Kerle, und die waren obendrein noch aufsässig geworden. Überdies schien der Gegner mit dem Teufel im Bunde zu stehen, er war nicht zu besiegen. Er hatte geheime Wunderwaffen: Flaschen und Pfeile, die explodierten. Außerdem hatte er bewiesen, daß er ausgezeichnet mit den Schiffsgeschützen umzugehen verstand.

Daran gab es nichts mehr zu rütteln: Isidro Flores hatte hier seinen Meister gefunden. Wenn er jetzt klug war, verzichtete er auf eine neue Attacke. Zweimal hatte er es überstanden. Jetzt tat er gut daran, sich so tief wie möglich in den Dschungel zurückzuziehen. Denn es war nicht auszuschließen, daß die Feinde an Land setzten, um nach Überlebenden der Bande zu suchen.

Leise erhob sich Flores und drang durch das Dickicht der Landzunge zu dem eigentlichen Buchtufer vor. Es war noch dunkel, und wieder hatten sich Wolken vor die Mondsichel geschoben.

In den frühen Morgenstunden dieses 26. März 1595 war es wahrhaftig nicht einfach, sich zu orientieren. Einmal stolperte er über eine Luftwurzel und stürzte um ein Haar in das Messer, das er jetzt in der Hand hielt. Es war die einzige Waffe, die ihm die Kerle gelassen hatten.

Er fluchte still vor sich hin und umrundete die Bucht im Schutz des Gestrüpps. So erreichte er das Lager. Ein paar Hütten standen noch, die anderen waren abgebrannt. Auf dem Strand lagen die Trümmer der Schaluppen und Boote, im Wasser trieben Wrackteile, und an einigen Stellen ragten noch die Mastspitzen der versenkten Schaluppen auf.

Eine totale Niederlage – das war das Fazit einer Auseinandersetzung, die völlig unerwartet über die Bande hereingebrochen war.

Wo steckten die letzten Kerle? Hatten sie sich verkrochen oder waren sie davongelaufen? Flores blickte sich lauernd nach allen Seiten um. Wehe, wenn ich euch erwische, dachte er, dann gnade euch Gott.

Plötzlich entdeckte er eine Gestalt. Sie schlüpfte aus einer Hütte und näherte sich mit dem Becher in der Hand einem Weinfaß, das neben dem abgebrannten Lagerfeuer und dem zerstörten Schweinespieß der letzte Rest der Orgie war.

Als der Pirat seinen Becher mit Wein füllen wollte, stand Flores plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihm.

„Achtung“, sagte er gedämpft. „Hier bin ich. Paß auf!“

Der Pirat glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Er war völlig perplex. Als er nach seiner Pistole greifen wollte, huschte Flores Messer auf ihn zu. Ehe der Kerl ausweichen konnte, hatte es ihn getroffen. Mit einem erstickten Laut brach er auf dem Sand zusammen.

Zwei andere Kerle verließen die Hütte. Sie blieben wie vom Donner gerührt stehen, als sie den kleinen Dicken erkannten.

Der hatte die Pistole und den Säbel des Toten an sich gebracht, und auch sein Messer hielt er wieder in der Hand. Langsam rückte er auf die Kerle zu.

„Da“, sagte er mit einer Geste zu dem Toten hin. „Einen habe ich bereits erledigt. Jetzt seid ihr dran!“

Sie griffen zu den Waffen, aber das Messer wirbelte wieder durch die Luft und erwischte einen von ihnen an der Schulter. Stöhnend brach er in die Knie.

Flores zielte mit der Pistole auf den anderen.

„Ihr Narren!“ zischte er. „Habt ihr wirklich gedacht, daß ihr mich erledigen könnt?“

Der Kerl gab jeden Widerstand auf. Er ließ die Waffe fallen und hob die Hände.

„Nicht schießen“, sagte er. „Ich ergebe mich, Flores.“

Flores überlegte scharf. Warum knallte er diesen Hund nicht einfach nieder? War er nicht genauso ein Bastard wie die anderen auch? Doch er zögerte. Irgendwo mußten auch die anderen stecken. Wenn er sie alle tötete, hatte er niemanden mehr. Dann stand er allein da. Wie sollte er Caspicara, seinem Oberkumpan, gegenübertreten, wenn dieser zurückkehrte?

„Wo sind die anderen?“ fragte er barsch.

„Hier, in der Hütte.“

„Kommt raus“, sagte Flores. „Und versucht keine Tricks. Den ersten, der auch nur einen Finger gegen mich erhebt, geht es dreckig.“

Daß er keine leeren Drohungen ausstieß, sahen sie. Ein Kerl war tot, ein anderer verletzt. Er stöhnte wieder und konnte das Blut, das aus seiner Schulter rann, nicht aufhalten.

Nach und nach traten die restlichen Kerle aus der Hütte. Sie hätten Flores mit einem Schuß niederstrecken können. Doch das Exempel, das er statuiert hatte, lähmte ihren Widerstandsgeist. Die Autorität und die Brutalität, die er wieder hervorkehrte, überzeugten sie.

„Die Waffen weg!“ herrschte er sie an.

Die Waffen fielen in den Sand.

„Wo ist meine Peitsche?“ fragte Flores.

„In der Hütte“, entgegnete der Mann, der die Hände gehoben hatte.

„Hol sie!“

Der Kerl verschwand im Inneren der Hütte. Als die Meuterei ausgebrochen war, hatte Gitano die kurzgriffige Peitsche mit den geknoteten Lederriemen an sich gebracht und Flores damit erniedrigt. Bei dem Angriff auf die Karavelle hatte er sie nicht mitgenommen, denn er hätte sie ohnehin nicht verwenden können, sie wäre ihm nur eine Last gewesen.

Der Pirat brachte die Peitsche und duckte sich unterwürfig, als er sie dem kleinen Dicken aushändigte.

„Nicht schlagen“, sagte er mit flehender Stimme.

Doch Flores hieb zu. Er prügelte auf sie ein, bis sie im Sand vor ihm lagen und jammerten und wimmerten. Erst dann hielt er inne und stemmte die Fäuste in die Seiten.

„Gnade“, flehten sie ihn an.

„Also gut“, sagte er. „Ich vergebe euch. Daran seht ihr, was für ein großherziger und gerechter Mann ich bin. Gitano und die anderen haben für die Rebellion mit ihrem Leben bezahlt. Sie haben es nicht anders verdient. Wenn einer von euch noch mal die Hand gegen mich hebt, steche ich ihn ab. Klar?“

„Klar“, murmelten die Kerle.

Einer von ihnen sagte: „Gitano war ein Narr. Wir hätten nicht auf ihn hören dürfen.“

Flores deutete auf den Verletzten. „Verbindet ihn. Und verscharrt den Toten. Ich will ihn nicht mehr sehen.“

Wenig später trank Flores einige Becher von dem dunkelroten, süffigen Wein. Nachdem der Tote beigesetzt und der Verwundete verarztet war, ließ er auch die Kerle an den Zapfhahn. Das war sein Versöhnungs- und Friedensangebot. Sie setzten sich im Hellerwerden mit ihren Bechern in den Sand zwischen zwei Hütten und beratschlagten, was unternommen werden konnte.

„Die Karavelle ankert noch auf See“, sagte Flores. „Aber ich werde sie auf keinen Fall ein drittes Mal angreifen. Das wäre glatter Selbstmord.“

Die Kerle atmeten auf. Sie hatten schon befürchtet, Flores würde sie in ein neues Himmelfahrtskommando schicken, das nur mit dem Tod der Handvoll Kerle enden konnte. So war auch Flores vernünftig geworden. Er sah ein, daß er gegen die Eroberer der Karavelle keine Chance mehr hatte.

„Wir müssen sogar darauf gefaßt sein, daß sie noch mal an Land kommen, um nach Überlebenden zu forschen“, sagte der kleine Dicke. „Immerhin werden sie damit rechnen, daß sie uns noch nicht ganz vernichtet haben und daß wir ihnen noch einmal gefährlich werden könnten.“

„Dann sollten wir uns verstecken“, sagte einer der Kerle.

„Genau das tun wir“, sagte Flores. „Wir ziehen uns ins Dickicht zurück, mindestens für einen Tag. Sie können von mir aus die Hütten durchsuchen, dort gibt es sowieso nichts mehr zu holen.“

„Wie wär’s, wenn wir ihnen einen Hinterhalt legen würden?“ fragte ein krausköpfiger Kerl, der aus Malaga stammte.

Flores sah ihn an. „Das ist keine schlechte Idee. Wir können sie aber nur in die Tat umsetzen, wenn wir es nicht mit zu vielen Gegnern zu tun haben. Falls es nur eine Bootscrew ist, überrumpeln wir sie und nehmen die Hunde als Geiseln gefangen. Danach erpressen wir ihren Kapitän und erzwingen die Herausgabe der Karavelle.“

Die Kerle lachten und stießen sich untereinander an.

„Großartig“, sagte einer von ihnen. „Also haben wir doch noch eine Möglichkeit, diese Bastarde zu überlisten.“

„Falls sie nicht verschwinden“, sagte Flores.

„Warten sie vielleicht auf jemanden?“ fragte der Mann aus Malaga.

„Das weiß ich nicht“, erwiderte Flores. „Es ist mir auch egal. Der Teufel soll sie holen. Aber wenn sie an Land kommen, erleben sie ihr blaues Wunder, das versichere ich euch.“

„Wir sollten uns jetzt zurückziehen“, mahnte ein anderer.

Flores drängte ebenfalls zum Aufbruch. Sie räumten das Lager und nahmen ihre wenigen Habseligkeiten, vor allem aber das Pulver und die Kugeln für die Schußwaffen, die sie noch besaßen, mit. Fast hundert Yards drangen sie in den Dschungel ein.

Als das Gelände anzusteigen begann, wählte Flores als Lagerplatz eine winzige Lichtung aus. An ihrem Rand ragte ein großer Mangrovenbaum auf. Seine Äste hingen tief herunter, doch er hatte auch eine hoch aufsteigende Gabel, die sich als Aussichtspunkt eignete.

Der Mann aus Malaga kletterte auf Flores’ Befehl hin nach oben. Tatsächlich konnte er von dort aus sowohl die Bucht als auch die Karavelle sehen.

„Sie sind noch da“, meldete er im heraufziehenden Morgengrauen, als er das Schiff gerade eben erkennen konnte.

„Das habe ich mir gedacht“, brummte Flores. „Nun gut, wir werden sehen, wie es weitergeht.“

Sie richteten es sich so gemütlich wie möglich ein. Das Weinfaß hatten sie nicht mitgeschleppt, wohl aber einen Krug voll Rebensaft, den sie jetzt kreisen ließen. Isidro Flores trank und überlegte, welche Möglichkeiten es noch gab, dem Gegner zumindest einen Schaden zuzufügen.

„Was mag wohl aus Nogales geworden sein?“ fragte einer der Kerle. „Ob der überhaupt noch am Leben ist?“

Nogales war der Mann, der auf dem Schiff die Ankerwache gehabt hatte, als die Fremden es geentert hatten. Er hatte nicht aufgepaßt – sie hatten ihn niedergeschlagen und die Karavelle vereinnahmt. Dann hatten sie das Feuer auf die Versammlung am Strand und auf die Schaluppen und Boote eröffnet und waren aus der Bucht auf die offene See gesegelt.

„Sie haben ihn abgemurkst, diese Bastarde“, sagte Flores. „Das ist doch klar. Aber er hat selbst schuld. Ich kann ihn nicht bedauern.“

„Ja, das war Pech“, murmelte ein anderer. „Er hätte eben nicht auf Wache schlafen dürfen.“

Flores hatte Nogales nie gut leiden können. Der Mann war ihm nicht geheuer. Ständig hatte er damit gerechnet, daß sich Nogales irgendwie querlegte und zu meutern versuchte. Deshalb hatte er ihn schikaniert und mit Arbeit eingedeckt.

Daß es dann doch Gitano gewesen war, der den Aufstand angezettelt hatte, hatte Flores am meisten getroffen und überrascht.

„Wir haben noch eine andere Möglichkeit“, sagte Flores. „Nehmen wir mal an, die Bastarde bleiben noch ein paar Tage hier liegen. Der Henker mag wissen, was sie dazu veranlaßt – es ist mir egal. Wir werden sie belauern, und wenn wir ein wenig Glück haben, kehrt Caspicara mit seiner ‚El Toro‘ rechtzeitig genug zurück.“

„Der?“ Einer der Kerle lachte. „Der ist weit weg von uns, und es kann lange dauern, bis er wiederauftaucht.“

„Oder er kommt nicht wieder, einfach so“, sagte ein anderer. „Zuzutrauen wäre es ihm.“

„Wer wird sich schon auf den verlassen?“ sagte ein dritter verdrossen.

Flores’ Miene verfinsterte sich etwas. Er war sonst nicht sonderlich scharf auf Caspicaras Gesellschaft. Zwar hatte er mit dem Kerl eine Art Bündnis geschlossen, doch das bedeutete noch lange nicht, daß sie in allen Lebenslagen Bundesgenossen sein mußten. Jeder tat, was ihm gerade paßte oder in den Sinn kam. So klapperte Caspicara derzeit die Küste bis hinunter nach Cartagena ab, um neue Beutezüge zu erkunden. Aber nie zuvor hatte Flores seine Rückkehr so herbeigewünscht wie jetzt. Aus gutem Grund: Die „El Toro“ war ein gut armiertes Schiff. Mit ihr konnte man die Karavelle zurückholen.

„Caspicara erscheint eher, als ihr denkt“, sagte Flores. „Er ist ein Mann der Überraschungen.“

„Also gut“, sagte der Kerl, der ihm gegenübersaß. „Die Hurensöhne da draußen warten, und wir warten auch. Auf Caspicara. Mal sehen, wer eher schwarz wird.“

Flores’ Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Du kannst ja abhauen, wenn es dir nicht paßt.“

„So habe ich das nicht gemeint“, versicherte der Kerl hastig. „Aber es kann schon ein paar Tage dauern, wie du eben richtig gesagt hast.“

„Achtung“, sagte über ihren Köpfen plötzlich der Mann aus Malaga. „Da tut sich was. Sie haben das Boot ausgesetzt, es wird zum Ufer gepullt.“

„Ich hab’s ja geahnt“, sagte Flores. „Sie kommen, um im Lager herumzuschnüffeln. Wie viele sind es, Malaga?“

Der Kerl hatte ein Spektiv auseinandergezogen und spähte hindurch. Das Licht nahm zu, es versprach ein sonniger Tag zu werden. Deutlich genug konnte er die Gestalten in dem Boot erkennen.

„Fünf Mann“, sagte er.

Flores grinste und rieb sich die Hände. „Ausgezeichnet. Mit denen werden wir fertig. Wir sind fünfzehn.“

„Sie halten nicht auf unsere Bucht zu“, meldete der Ausguck.

„Von mir aus“, sagte Flores. „Sollen sie ihre dreckigen Nasen doch überall reinstecken. Sie werden schon noch unsere Bucht besuchen, verlaßt euch drauf. Keiner rührt sich vom Fleck, keiner spricht ein Wort, verstanden?“

„Ja“, brummten die Kerle.

„Hört zu, Leute“, sagte Flores. „Wir lassen sie dicht genug ranschleichen, die Schweinehunde. Dann locken wir sie ins Dickicht. Überlaßt das mir. Wenn sie erst mal hier, zwischen den Mangroven, sind, haben wir leichtes Spiel mit ihnen.“

Sie bereiteten sich auf den bevorstehenden Kampf vor. Doch es kam anders, als Flores sich das ausgemalt hatte. Die Jolle legte westlich der Landzunge an. Ein Mann sprang ans Ufer, dann legte das Boot wieder ab und kehrte zur Karavelle zurück. Der Mann, das konnte der Ausguck im Mangrovenbaum verfolgen, verschwand im Dickicht, nachdem man ihm ein Messer gegeben hatte.

„Das soll einer begreifen“, sagte Flores, als er die neue Meldung des Malagamannes vernommen hatte. „Was hat das jetzt zu bedeuten?“

„Das ist Nogales“, murmelte der Kerl rechts neben ihm. „Sie haben ihn an Land gesetzt, wetten?“

„Quatsch“, raunte Flores ihm zu. „Das ist ein Späher.“

Doch der Pirat sollte recht behalten. Wenig später schlüpfte der Mann an der ihnen zugewandten Seite aus dem Dickicht. Es war Nogales. Flores war selbst auf den Mangrovenbaum geklettert und beobachtete ihn durch das Spektiv.

„Der Teufel soll dich holen, du Hurensohn“, murmelte Flores. „Wie hast du das bloß fertiggebracht?“

„Soll ich ihm ein Zeichen geben?“ flüsterte der Malagamann.

„Nein.“

Flores war ein Gedanke gekommen. Möglicherweise hatte sich Nogales mit dem Feind verbündet. Dafür hatte dieser ihn am Leben gelassen. Nogales diente als Köder, um den Rest der Meute aus dem Versteck zu locken. Ja, so mußte es sein.

Aber Nogales hielt sich nicht lange an dem Dickicht auf, sondern marschierte westwärts.

Nur weg, dachte er, ehe mich der Rest der Bande entdeckt. Er kehrte der Bucht des Schreckens den Rücken. Irgendwo, so wußte er, würde er schon Unterschlupf finden, vielleicht sogar bei den Indios. Für ihn begann ein neues Leben.

Flores ließ ihn ziehen. Er konnte zwar jeden Mann gebrauchen, wollte auf Nogales jedoch verzichten.

„Ich will keinen Verräter“, sagte er leise zu den Kerlen. „Soll er doch abhauen. Ein Kerl, der nicht mal richtig Wache halten kann, taugt nichts.“

Er hätte Nogales töten können, doch auch davon sah er ab. Vielleicht wartete der Gegner nur darauf – daß er einen Anlaß hatte, um auch mit dem Rest der Bande abzurechnen.

Die Karavelle konnte zurückkehren, in die Bucht. Wenn sie wieder das Feuer eröffnete, gab es erneut Tote und Schwerverletzte. Vielleicht konnten er und seine letzten Kerle sich nicht schnell genug in den Dschungel zurückziehen. Vielleicht setzte der Gegner mit seinen Wunderwaffen den ganzen Urwald in Brand. Das waren Risiken, die Flores nicht mehr eingehen wollte.

So verschwand Nogales in dem festen Glauben, einer der letzten Überlebenden der Piratenbande zu sein – und er dachte nicht im entferntesten daran, etwa auf Caspicara zu warten. Den konnte er noch weniger leiden als Isidro Flores. Er, Nogales, war heilfroh, nicht mehr zu der Meute von Schnapphähnen und Galgenstricken zu gehören.

Flores und die Kerle harrten im Dickicht aus. Kein Boot wurde noch einmal von der Karavelle an Land gepullt, das erwartete Landunternehmen des Feindes blieb aus.

Die Piraten warteten auf Caspicara. Caspicara war ihre letzte Hoffnung. Aber würde er wirklich noch rechtzeitig genug aufkreuzen, wie Flores erhoffte?

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 455

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