Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 429 - Roy Palmer - Страница 6
1.
ОглавлениеPhilip junior riskierte einen Blick über die rechte Schulter seines Vaters.
„Vielleicht haben sie sich zurückgezogen“, murmelte er.
„Nein“, sagte der Seewolf. „Sie lauern nach wie vor im Dickicht.“
„Klarer Fall“, brummte Carberry. „Wenn’s sein muß, halten sie es Wochen aus, sogar Monate. Aber dann sind wir längst verreckt. O Hölle, was für eine beschissene Lage.“
Matt Davies stieß einen saftigen Fluch aus. Er blickte dabei zu Pater David, aber der tat so, als habe er nichts gehört.
„Wir haben wirklich nicht die geringste Chance“, sagte Matt. „Wir sitzen hier in der Falle wie die Fliegen.“
„Wie die Ratten, meinst du wohl“, sagte Jean Ribault.
„Ist doch egal.“
„Von Ratten will ich nichts mehr hören, zum Teufel noch mal“, sagte der Profos. „Mit den Biestern haben wir in der letzten Zeit zuviel zu tun gehabt.“
„Die Tierchen wären mir lieber als schießwütige Indianer“, sagte Smoky und verzog gequält sein Gesicht. Die Kopfwunde schmerzte wieder.
Sie schwiegen und blickten mit ernsten Mienen vor sich hin. Ja, sie saßen wirklich in der Klemme – und die Kameraden, die sich an Bord der „Esperanza“ befanden, konnten ihnen auch kaum helfen. Es war wie verhext. Sie steckten hier, in der Grabstätte, fest und konnten sich aus eigener Kraft nicht befreien. Wenn nicht ein Wunder geschah, waren, sie geliefert.
Aber wie hatte das alles geschehen können? Hatten sie nicht Panama mit dem Vorhaben verlassen, direkt südwärts zu segeln, um den Silberminen von Potosi einen „Besuch“ abzustatten? Das war der eigentliche Plan gewesen, aber dann hatten Hasard und Dan bei der genauen Untersuchung der Kapitänskammer der „Esperanza“ jenes Geheimfach im Pult entdeckt, in dem die beiden Karten lagen: eine vom Golf von Guayaquil und die andere von der Isla de Puná, die sich mitten in dieser Bucht befand.
Der spanische Capitán der dreimastigen, lateinergetakelten Karavelle, der jetzt nicht mehr am Leben war, hatte einen sehr genauen Lageplan angefertigt. Was hatte das Kreuz zu bedeuten, das auf der Zeichnung der Insel eingetragen war?
Nun, inzwischen wußten sie es. Es handelte sich bei diesem geheimnisvollen Ort, den sie unbedingt hatten auskundschaften wollen, um eine Grabstätte – um ein „lausiges Loch“, wie Carberry es nannte.
Die felsige Grabstätte lag unter Palmitos, dreißig Fuß hohen Palmen, und Sarsaparilla, einem Stechpalmengewächs, im Herzen der Insel verborgen. Mit Entermessern hatten sich die Männer und die beiden Jungen einen Pfad durch den Verhau schlagen müssen, um das Ziel zu erreichen, das der spanische Capitán durch gestrichelte Linien auf der Karte genau fixiert hatte.
Ein Gewirr buckliger Felsen – das war alles. Karl von Hutten hatte als erster erkannt, daß es sich um eine Grabstätte handelte. Die Chimús, ein Indianerstamm, hatten solche Stätten angelegt, allerdings hatte ihr Reich, das bis ins 15. Jahrhundert bestanden hatte, südlicher gelegen.
Matt Davies wurde bei der eingehenden Untersuchung der Buckelfelsen schließlich fündig: Ein senkrechter Felsen von ovaler Form, mannsbreit und schulterhoch, ließ sich drehen und entpuppte sich als armdicke Felsenplatte, die mit ihren abgerundeten Spitzen oben und unten in entsprechende Gesteinsvertiefungen eingelassen war.
Diese Platte ließ sich ohne großen Kraftaufwand um ihre ganze Achse drehen. Nur probeweise hatte Matt seinen Prothesenhaken links in die Fuge gehakt und gezogen, da hatte sich die Platte gedreht. Sie gab zwei enge Eingänge frei, durch die sich ein ausgewachsener Mann gerade hindurchzwängen konnte.
Nach dieser Entdeckung war alles sehr schnell gegangen: Dan O’Flynn, der als Posten auf dem nördlichen Festlandfelsen zurückgeblieben war, hatte ein Zeichen mit der roten Flagge gegeben. Hasard hatte es gesehen und sofort reagiert – die Indianer hatten sie eingekreist und sie mit ihren Pfeilen befeuert.
Carberry entging nur um ein Haar einem Pfeil, Fred Finley wurde an der linken Schulter verletzt. Pater David zog den Pfeil heraus. Ein anderer Pfeil hatte Smoky einen Scheitel gezogen, eine blutige Schramme, die verbunden werden mußte.
Die acht Männer und die beiden Jungen saßen fest. Was sollten sie unternehmen? Es nutzte ihnen nicht viel, daß sie Schußwaffen hatten, sie konnten sich den Fluchtweg unmöglich freischießen. Die Indianer lagen im Hinterhalt und boten kein Ziel. Auch hatte es wenig genutzt, daß der Seewolf mit seinem Radschloß-Drehling einen Warnschuß abgegeben hatte.
Bei der Stätte, so hatte sich inzwischen herausgestellt, handelte es sich um einen großen Grabhügel, der eine Anzahl von Grabkammern und Nischen enthielt. Die Gerippe der Toten waren von verfallenen Tüchern umhüllt, neben ihnen lagen die Grabbeigaben: steinerne Streitäxte und Streitkeulen, bemalte Teller und Krüge, Goldschmuck und goldene Gesichtsmasken. Ohne Zweifel waren hier bereits zwei Kammern auf den Kopf gestellt und ausgeplündert worden.
Karl von Hutten hatte einen Versuch unternommen, sich mit den Indianern zu verständigen, aber sie glaubten ihm nicht, daß es sich bei den Weißen um Freunde handelte. Sie wollten die „verfluchten Fremden“ töten, aushungern oder den Dursttod sterben lassen.
Ihr Haß schien keine Grenzen zu kennen, und jeder Eindringling, der allein durch seine Anwesenheit ihr Heiligtum schändete, verdiente es, eines grausamen Todes zu sterben.
In gewisser Weise konnte Hasard sie sogar verstehen. Aber was sollte er unternehmen, wenn sie zu Verhandlungen nicht bereit waren? Vor allem – was würde Ben Brighton tun?
Früher oder später begriff er, was geschehen war, und dann handelte er, wie sie das vereinbart hatten. Das wiederum würde zu einem Blutbad führen. Ein Massaker aber mußte um jeden Preis verhindert werden.
So stand der Seewolf im doppelten Sinn auf Stützen: Er konnte seine Kameraden und sich nicht aus dieser aussichtslosen Lage befreien, und er konnte sich auch mit Ben Brighton und den anderen an Bord der „Esperanza“ nicht verständigen.
Hasard sah eine geringe Chance darin, jede Ecke und jeden Winkel des Grabhügels zu untersuchen. Vielleicht gab es einen zweiten Aus- beziehungsweise Eingang? Das ovale Loch wies nach Westen. Daraus ergab sich die Annahme, daß möglicherweise ein östlicher Durchschlupf existierte.
Jean Ribault hatte Hasards Order befolgt und bereits einen ersten Erkundungsversuch unternommen, der keinen Erfolg gebracht hatte, aber er resignierte noch nicht. Gleich würde er sich wieder auf den Weg begeben, quer durch die Höhle, in Staub und Schmutz und völliger Dunkelheit.
Karl von Hutten hatte inzwischen bestätigt, daß die Vermutung, es gebe einen zweiten Ausgang, richtig sein könne. Die Chimús glaubten, sie seien göttlichen Ursprungs. Ihr Gründer Naymlap sollte vom Meer her erschienen sein, und zwar von Westen. Bei seinem Tode sollte er sich mit Flügeln nach Osten in die Lüfte erhoben haben und im Himmel verschwunden sein.
Hasard spähte ins Freie und versuchte, etwas zu erkennen. Aber der Gegner hielt sich, perfekt getarnt, im Dickicht versteckt, kein Kopf war zu sehen, keine Schulter, keine Hand. Die Chimús waren ihnen gewiß zahlenmäßig überlegen, und sie hatten, weil sie das Gelände kannten, alle Trümpfe in der Hand.
Jean Ribault hatte etwas aus dem Proviantsack gegessen, den sie mitgenommen hatten. Jetzt zog er wieder los, um die Grabstätte zu durchsuchen.
Pater David kümmerte sich noch einmal um Smokys Kopfverletzung und Fred Finleys Schulterwunde. Die Blutungen hatten aufgehört, aber Schmerzen hatten beide noch.
Es wurde wärmer. Der Inseldschungel war zu seinem lärmenden Leben erwacht. Vögel zeterten, Äffchen kreischten, und aus den Sarsaparilla-Büschen ertönte das Zirpen von Zikaden.
Es war der Vormittag des 26. Oktober 1594 – ein Tag, der noch jede Menge Überraschungen bereithielt.
Unausgesetzt lauerte Hasard am Eingang der Grabstätte. Er hatte die Felsplatte so weit um ihre Mittelachse geschoben, daß kein Pfeil hindurchpaßte. Durch den seitlichen Spalt hatte er zwar nur ein begrenztes Blickfeld, aber für seine Beobachtungen reichte es vorläufig aus.
In dem Verhau rings um die Grabstätte rührte sich nach wie vor nichts, und im Bereich des Sichtfeldes zeigte sich niemand. Die Annahme Philip juniors, die Indianer könnten die Belagerung aufgehoben haben, war demzufolge berechtigt. Aber Hasard und die anderen Männer wußten es besser, sie kannten die Gepflogenheiten der Indianer nur zu gut. Sie waren zäh und verfügten über große Ausdauer und Geduld.
Die Chimús waren da. Hasard unternahm einen vorsichtigen Versuch, die Felsplatte etwas weiter zu öffnen. Da geschah es auch schon. Surrende Geräusche waren zu vernehmen, und wieder flogen die Pfeile heran. Sie prallten am Gestein ab und fielen zu Boden.
„Beim Henker“, sagte Carberry. „Das geht mir auf den Geist.“
„Ich habe auch die Schnauze voll“, sagte Matt Davies. „Und weißt du, was ich mache? Ich helfe Jean beim Suchen.“
Karl von Hutten war bereits hinter Ribault hergekrochen. Pater David setzte sich ebenfalls in Bewegung, gefolgt von den Zwillingen. Herumsitzen hatte keinen Zweck – man mußte etwas unternehmen. Matt und der Profos tasteten sich in eine der Grabkammern vor und schoben sich an den Wänden entlang.
Carberry stolperte dabei prompt über ein Gerippe, das klappernd in sich zusammenfiel.
„Hölle und Teufel!“ wetterte er. „Kann man hier denn nicht mal ein Licht anzünden?“
„Wir müssen damit haushalten!“ rief Karl von Hutten aus der Nachbarkammer. „Das weißt du doch, Ed! Wir müssen alles einteilen, auch den Proviant. Wir wissen ja nicht, wie lange wir hier noch festsitzen!“
„Ist doch klar“, sagte der Profos wütend. „Aber hier liegen mir zu viele Knochenmänner rum.“
Er arbeitete sich weiter, verharrte, bückte sich und tastete eine kleine Felsnase ab. Was war das? Ein Hebel für eine Geheimtür? Nein, er hatte sich geirrt.
Er richtete sich wieder auf – und knallte mit dem Schädel gegen Matts Kopf, der sich in der Zwischenzeit an der Wand entlang zu ihm gepirscht hatte.
„Aua!“ brüllte Carberry, daß die Felsen wackelten. „Kannst du nicht aufpassen, du blöder Hirsch?“
Draußen prasselten wieder Pfeile gegen das Oval. Vielleicht hatten die Chimús das Gebrüll als den Beginn eines Ausbruchsversuches gewertet – oder sie hatten sich einfach nur erschrocken.
„Ed“, sagte Hasard. „Hör mit dem Geschrei auf. Du machst die Indianer verrückt.“
„Was? Ja, hoffentlich drehen sie durch. Dann reißen sie vielleicht aus.“
„Mister Carberry, Sir“, sagte Matt. „Es tut mir leid, daß wir zusammengerasselt sind, aber das war nicht meine Schuld.“
Carberry stemmte die Fäuste in die Seiten. „Hör mal zu, Mister Davies, du Salzhering. Noch so ein Wort, und ich jage dich zu den Wilden raus, die dir mit ihren Pfeilen eine zusätzliche Furche ziehen. Kapiert?“
„Aye, Sir.“
„Eins ist mal sicher“, sagte der Profos. „Einen zweiten Ausgang gibt es hier nicht. Wäre ja auch gelacht. Sonst würden die Knochenkerle womöglich noch weglaufen.“
„Glaubst du das wirklich?“ fragte Matt.
„Daß sie zum Leben erwachen könnten? Hölle, wenn ich daran denke, was wir an dem verfluchten Nil mit den eingewickelten Leichen erlebt haben …“
„He!“ rief Smoky, der alles verstanden hatte. „Wir sind aber auch dort keinen lebendigen Toten begegnet! Die gibt es nämlich gar nicht! Die existieren bloß in der Phantasie eines gewissen Old Donegal Daniel O’Flynn, der aber zum Glück diesmal nicht unter uns weilt.“
„Ihr wollt euch wohl alle mit mir anlegen, was?“ fragte Carberry angriffslustig.
„Nein“, sagte Matt. „Ich meinte auch was anderes. Ob du glaubst, daß es keinen zweiten Ausgang gibt.“
„Ich glaube nur, was ich sehe.“
„Aber Karl hat gesagt, daß sich der Ausgang nur auf der Ostseite des Grabhügels befinden kann.“
„Und? Hast du vielleicht einen Kompaß dabei?“
„Nein, aber …“
„Hör auf zu quatschen“, sagte der Profos barsch. „Das führt zu nichts. Los, suchen wir weiter.“
Das taten auch die anderen, aber es war Jean Ribault, der schließlich fündig wurde. In dem muffigen Dunkel hatte er eine gedachte Linie vom Westeingang nach Osten gezogen – und jetzt stieß er auf einen Gang, dessen Ende genauso mit einer ovalen Felsplatte verschlossen war wie der Westeingang.
„Donnerwetter!“ murmelte er. „So eine Überraschung.“
Mit beiden Händen tastete er die Platte ab und stellte fest, daß auch sie oben und unten in Mulden ruhte und um ihre Achse drehbar war. Vorsichtig, ganz langsam, drückte er sie auf.
Carberry war inzwischen zu ihm gestoßen und befand sich direkt hinter ihm.
„Ist was, Jean?“ fragte er.
„Ja. Ich habe soeben den Stein der Weisen gefunden.“
„Den was? Beim Donner, warum könnt ihr euch nicht klar und deutlich ausdrücken?“
„Ist was nicht in Ordnung?“ fragte hinter Carberrys Rücken Hasard junior.
„Er spielt mit dem Stein der Weisen“, brummelte der Profos.
„Achtung“, sagte Ribault. „Ich habe den Ausgang gefunden. Bitte weitergeben.“
Carberry dreht sich halb um und erkannte ganz schwach die Gestalten der Zwillinge. „Herhören! Jean hat den Ausgang entdeckt. Meldet das eurem Vater und den anderen.“
Die Zwillinge krochen davon und suchten den Seewolf, Smoky und Fred Finley auf, die nach wie vor den Posten im vorderen Höhlenbereich hielten. Philip junior meldete, was der Profos ihnen aufgetragen hatte.
„Sehr gut“, sagte Hasard. „Aber sie sollen erst einmal abwarten, was sich draußen tut. Vielleicht belagern die Indianer auch bereits das zweite Loch.“
In diesem Moment war Ribault aber schon ins Freie geschlüpft. Er sicherte nach allen Seiten und glaubte, nicht beobachtet zu werden, da geschah es: Als er sich aufrichtete, ertönte ein Zischen, und ein Pfeil sauste heran. Er versuchte noch, ihm auszuweichen, war aber nicht schnell genug. Der Pfeil traf seinen rechten Oberschenkel und durchbohrte ihn.
Dann war auch schon ein zweiter Pfeil heran. Geistesgegenwärtig duckte sich der Franzose – trotz der Schmerzen, die er im Bein verspürte – aber wieder erfolgte seine Reaktion zu spät. Der Pfeil sirrte über seinen Kopf weg und zog ihm einen Scheitel über die Haut, wie es auch Smoky passiert war.
Ein dritter Pfeil raste mit unheimlicher Schnelligkeit heran und streifte seinen linken Arm. Stöhnend sank Ribault zusammen, seine Hände waren um den rechten Oberschenkel gepreßt. Über seine Augen lief Blut von der Kopfwunde, und er konnte plötzlich nichts mehr sehen. Da nutzte es ihm auch nichts, daß er ein paar saftige Flüche ausstieß.
Alles hatte sich atemberaubend schnell abgespielt. Carberry kroch ebenfalls ins Freie, sah den Franzosen getroffen zu Boden sinken, fluchte laut und hob seine Muskete. Er spannte den Hahn, drückte ab, und krachend brach der Schuß. Die Kugel flog blind in den Verhau und traf keinen der Gegner, denn wieder war niemand zu sehen.
Carberry warf die Muskete vor den Eingang der Grabstätte, bückte sich nach dem Franzosen und packte seine Arme unter den Achselhöhlen. Er zerrte ihn zurück zum Oval und in den Gang, und er hatte dabei Glück, daß er selbst nicht verletzt wurde, denn schon zischten weitere Pfeile heran.
Nur um ein Haar entging der Profos den gefiederten Geschossen. Sie prallten gegen die Felsen und auch gegen die Platte, und sie hagelten immer noch, als Ribault in Sicherheit war und Carberry noch einmal die rechte Hand nach draußen schob, um sich seine leergefeuerte Muskete zu angeln.
„Ihr Höllensöhne!“ fluchte er dabei. „Wenn ich euch erwische, reiße ich euch die Haut in Streifen von euren Affenärschen, aber hübsch langsam, verlaßt euch drauf!“
Hastig brachte er die Felsplatte in ihre alte Lage zurück. Inzwischen waren die Kameraden heran. Nur Smoky und Finley waren vorn geblieben und bewachten mit den Waffen im Anschlag den Westeingang.
„So ein verdammter Mist!“ wetterte der Seewolf. „Mann, das mußtest du doch ahnen! Du hast dich wie ein Narr benommen!“
„Tut mir – wirklich leid“, murmelte Ribault, dann schwanden ihm die Sinne. Er sank in sich zusammen.
„Ich kümmere mich um ihn“, sagte Pater David. „Laßt mich das erledigen.“
„Ja, das dürfte wohl das beste sein“, sagte Carberry. „Er hat da einen feinen Pfeil im Bein stecken, Pater, und der kann nur auf die bewährte Art entfernt werden. Aber darin hast du ja schon Übung.“
„Es war jedenfalls damit zu rechnen, daß die Indianer auch diesen Ausgang kennen“, sagte der Seewolf. Er war ziemlich aufgebracht. „Hölle, Jean hat selbst schuld, daß ihm das passiert ist. Er konnte sich denken, daß die Chimús das Grab umstellen würden.“
„Aber es ist nun mal passiert“, sagte Pater David. „Es bringt nichts, ihn mit Vorwürfen einzudecken.“
„Die kann ich ihm nicht ersparen, auch wenn er sie im Moment nicht hört“, sagte Hasard. „Wir haben jetzt einen Trumpf verspielt, den einzigen, den wir hatten. Wir hätten in der Nacht durch den Ostausgang heimlich verschwinden können.“
„Stimmt“, sagte Carberry. „Aber jetzt wissen die Indianer Bescheid. Die lassen uns nicht raus. Die spicken uns mit ihren verdammten Pfeilen, daß wir bald wie die Stachelschweine aussehen.“
„Schöne Aussichten“, sagte Karl von Hutten. „Aber ich schätze, daß Ben und die anderen nicht untätig sein werden.“
„Weißt du, was es bedeutet, wenn sie eingreifen?“ fragte der Seewolf grimmig.
„Ja. Es gibt ein Gemetzel, denn die Chimús werden nicht zurückweichen.“
„Sie haben nichts anderes verdient“, sagte Carberry zornig.
„So darfst du das nicht sehen, Ed“, sagte Hasard. „Wir haben uns das selbst eingebrockt, allerdings unwissend. Sie handeln so, weil wir ihr Heiligtum verletzt haben.“
„Ach, zum Teufel“, brummte der Profos. „Die sind scharf darauf, uns abzumurksen. Also handeln wir in Notwehr.“
Die Männer schwiegen verdrossen. Sie stimmten Carberry zu – die Chimús hätten sich wenigstens zu Verhandlungen bereit erklären können. Jetzt gab es zwangsläufig nur noch einen Weg, um eine Wende der Lage herbeizuführen: Gewalt.
Pater David verarztete Jean Ribault. Wie im Fall von Fred Finley mußte er auch dieses Mal die Pfeilspitze abbrechen, um den Pfeil aus dem rechten Oberschenkel ziehen zu können. Zum Glück war der Franzose bereits ohnmächtig und spürte es nicht.
Als Pater David sich wieder aufrichtete und den Pfeil fortwarf, sah Hasard ihn an und sagte: „Drei Verletzte. Eine schöne Bescherung.“
„Und bei allen dreien besteht die Gefahr von Wundbrand“, sagte der Gottesmann mit gedämpfter Stimme.
„Und wofür das alles? Für nichts – für gar nichts.“ Hasard stieß mit dem Fuß gegen einen Geröllstein, der ihm im Weg lag. Der Stein prallte gegen die Innenwand. „Wenn wir gewußt hätten, daß wir hier auf Gräber stoßen, hätten wir die Finger davongelassen.“
„Ja, sicher“, sagte Karl von Hutten. „Aber leider ist das den Chimús da draußen nicht klarzumachen. Für die haben wir ganz einfach einen Frevel begangen.“
„Ich will euch mal was sagen“, entgegnete Carberry. „Meiner Meinung nach ist es überhaupt ein Wunder, daß die Indianer noch nicht über uns hergefallen sind oder einen Sturmangriff unternommen haben.“
Karl von Hutten schüttelte den Kopf. „Wenn es sich tatsächlich um Nachkommen der Chimús handelt, wie wir annehmen, dann betreten sie die Grabstätte nicht. Dieser Platz ist den Toten geweiht und somit für sie tabu.“
„Und das gilt auch für den Umkreis rund um den Grabhügel?“ fragte Philip junior.
„Ja“, erwiderte Karl von Hutten.
„Nur gilt das leider nicht für ihre Pfeile“, sagte Hasard wütend.