Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 188 - Roy Palmer - Страница 4

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Das letzte blaßrote Licht der Abenddämmerung stahl sich nach Westen davon und verlor sich in den scheinbar endlosen Weiten der See. Dunkelheit breitete sich über der Insel Tutuila aus und schien alles Unheil dieser Welt zuzudekken.

Aber die Nacht vermochte das blutige Drama nicht auszulöschen, das sich soeben hier, in der großen Nordbucht, abgespielt hatte. Sie konnte auch das schallende Gelächter Don Mariano José de Larras nicht erstikken, das in den Ohren der Männer der „Isabella“ gellte und nicht abreißen wollte.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand wie gelähmt auf der Kuhl seines Schiffes. Sein Blick war starr auf die doppelläufige sächsische Reiterpistole gerichtet. Sie lag auf den Planken, leergefeuert, nicht mehr zu gebrauchen für einen blitzschnellen, tollkühnen Ausfall gegen Don Mariano José de Larra. Ein wenig Schmauch kräuselte sich noch aus den Mündungen und bildete eine weißliche Spur im Schwarz der Nacht, das jetzt alle Konturen zerfließen und untergehen ließ.

Nie hätte sich Hasard auch nur auszumalen gewagt, daß es eines Tages ausgerechnet seine eigene Waffe sein würde, die seinen Sohn und einen seiner Männer schwerverletzte.

Und doch war es geschehen. Das schier Unfaßbare war eingetreten: Hasard junior war von dem ersten, Batuti von dem zweiten Schuß aus der Doppelläufigen niedergestreckt worden.

Der Blick des Seewolfs wanderte langsam zu ihren reglosen, blutüberströmten Gestalten, die jetzt kaum noch wahrzunehmen waren. Der Kutscher hatte sich über den Jungen und den schwarzen Herkules aus Gambia gebeugt, und er tat sein Bestes, um ihnen zu helfen. Aber vielleicht war hier jede Hilfe bereits zu spät, vielleicht konnte der Kutscher nur noch ihren Tod feststellen und ein letztes Gebet für sie sprechen.

Gerade hielt er sein Ohr an Hasard juniors Brust, um nach dem Herzschlag zu lauschen. Er verharrte, und aus seinem Benehmen ließ sich nicht erkennen, welches Ergebnis die Untersuchung gebracht hatte.

Es war ein einziges Bild des Jammers, wie Hasard junior und der Gambia-Mann dalagen und der Rest der Crew mit gesenkten Köpfen um sie herum versamme’t stand.

Hasard schloß in ohnmächtiger Erschütterung die Augen.

Dies war die größte Niederlage seines Lebens.

Wenn Hasard junior und Batuti starben, dann würde er, der Seewolf, sich nie wieder von diesem Schlag erholen, soviel wußte er mit Sicherheit. Es würde auch sein Ende sein.

Seine Haltung war gebeugt. Er schien um Jahre gealtert zu sein.

De Larras Lachen brach plötzlich ab.

Der Spanier begann wieder zu schreien: „Das Logbuch des Satans läßt uns nicht im Stich! Es wird uns den Weg weisen, den richtigen Kurs – zum Südland, zum Südland! Bewegt euch, ihr Hunde! Wir gehen noch heute nacht in See. Ich will keine Zeit verlieren. Du da, Bastard, nimm deinen Kameraden alle Waffen ab, alle, hörst du? Trag sie hier herüber und wirf sie vor mir auf einen Haufen! Wird’s bald?“

Bill, der Moses, trat zu Smoky und zog diesem die Pistole und das Entermesser aus dem Gurt. Er ging weiter und wandte sich Matt Davies zu.

Der Seewolf öffnete wieder die Augen, sah den glatzköpfigen Spanier an und spürte eine Woge kalten Hasses in sich aufsteigen.

De Larra hatte das Logbuch jetzt wieder im Ausschnitt seines Hemdes versenkt. Er war eine ausgemergelte, zerlumpte Erscheinung, die geradewegs den Tiefen der Hölle entstiegen zu sein schien – der leibhaftige Teufel. Immer noch glaubte Hasard in seinen Augen das Licht des Irrsinns glimmen zu sehen.

Die Pistole, die de Larra von seinem Landsmann Domingo erbeutet hatte, nachdem er ihn mit einem Speer getötet hatte, zielte nach wie vor genau auf Philip juniors Schläfe. Knapp eine Handspanne Distanz lag zwischen der Mündung der Waffe und dem Kopf des Jungen.

Und wenn es das letzte war, was er in seinem Leben tat – der Spanier würde nicht zögern, auch auf Philip junior abzudrücken, falls einer der Männer ihn anzugreifen wagte.

Das Risiko war zu groß. Sie waren machtlos gegen diesen Satan, der durch einen gemeinen Trick die „Isabella“ in seine Gewalt gebracht hatte.

De Larra war der Sieger und würde von jetzt an das Kommando über die „Isabella“ und ihre Crew führen.

Bill, der Moses, war bei Ben Brighton angelangt und entledigte auch ihn seiner Waffen. Polternd landeten Bens Pistole, der Degen und das Messer auf den Planken. Traurig wirkte das Arsenal, das vor de Larras Füßen wuchs und wuchs.

Bill schaute zu seinem Kapitän auf.

De Larra kicherte. „Ich habe ihn ja schon um seine Waffen erleichtert, den stolzen Lobo del Mar, aber sieh nach, ob er nicht etwa ein Messer in seinem Stiefel verborgen hat. Na los, taste ihn ab.“

Bill tat noch einen halben Schritt auf den Seewolf zu und blieb dann wieder stehen. „Sir, ich …“

„Tu, was er sagt“, befahl Hasard mit leiser, brüchiger Stimme.

„Recht so“, sagte der Spanier schrill. „So gefällst du mir besser, Bastard! So benimmt sich ein kluger Mann, der sich endlich seinem Schicksal beugt, statt ihm zu trotzen. Du willst doch nicht noch mehr Dummheiten begehen, oder? Antworte!“

„Nein.“

„Nein, Senor!“ verbesserte de Larra.

Hasard schwieg.

Der Spanier stand geduckt und allem Anschein nach sprungbereit da. Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sich auf den Seewolf stürzen.

Aber dann lachte er nur auf und rief: „Das Wort ‚Senor‘ will dir nicht so leicht über die Lippen, wie? Aber keine Angst, auch das bringe ich dir noch bei. Ich bin der Capitán auf diesem Schiff, und ihr alle habt vor mir zu kuschen. Ich werde euch Lumpenbande schon lehren, wie man sich zu benehmen hat. Ich werde euch zu einem halbwegs ordentlichen Haufen erziehen, das ist mal sicher.“

Luke Morgan konnte nicht mehr an sich halten und schrie: „Und du wirst unser Schiff so gut durch die Südsee steuern wie deinen elenden Kahn, die ‚Hernán Cortés‘? Sie ist doch dein Schiff gewesen, oder? Was hast du mit ihr getan – und was ist mit ihrer Mannschaft geschehen?“

De Larra bückte sich überraschend und klaubte eine der Pistolen auf, die Bill vor ihm hatte aufschichten müssen. Es war Ben Brightons Waffe, ein teures Radschloß-Modell. De Larra hob sie hoch und spannte den Hahn, und somit hatte er jetzt in jeder Hand eine Pistole. Während er mit der ersten weiterhin auf Philip junior zielte, legte er mit der zweiten auf Luke Morgan an.

„Schweig, du Hund!“ schrie er zurück. „Sei still, oder ich schieße dich auf der Stelle nieder. Es steht dir nicht zu, Fragen zu stellen. Es geht keinen was an, was der ‚Hernán Cortés‘ widerfahren ist. Für deine bodenlose Frechheit entschuldigst du dich, du Strolch. Los, bitte mich um Verzeihung!“

Luke Morgan dachte nicht daran, dies zu tun. Er stand neben der Kuhlgräting, nicht weit von Bob Grey und Sam Roskill entfernt, und wartete nur darauf, daß der Spanier sich eine Blöße gab.

Hasard zweifelte nicht daran, daß Luke es wagen würde, über die Gräting zu springen und sich auf den Glatzkopf zu werfen. Es war fast soweit. Luke war ein leicht aufbrausender, jähzorniger Typ, der in gewissen Situationen seine Natur nicht bezwingen konnte. Jetzt war er an der Grenze seiner Beherrschung angelangt.

„Luke“, sagte Hasard. „Halt dich zurück. Sei vernünftig. Du würdest es nie schaffen. Und Philip darf kein Haar gekrümmt werden.“

„Ist das ein Befehl, Sir?“

„Natürlich, Luke.“

„Aye, Sir.“ Luke ballte die Hände zu Fäusten, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Er zwang sich dazu, den Spanier nicht mehr anzusehen und um jeden Preis an sich zu halten.

„Was habt ihr wieder auf englisch zu reden?“ fuhr de Larra sie an. „Ich will kein Wort mehr von eurer verdammten Sprache hören. Ich verbiete euch jede Unterhaltung auf englisch. Sprecht spanisch!“

„Ich habe diesem Mann die Order gegeben, den Mund zu halten“, sagte der Seewolf in seinem fehlerfreien und nur leicht akzentgefärbten Kastilisch. „Er wird jetzt keine Fragen mehr stellen.“

„Aber er soll sich bei mir entschuldigen!“

„Das wird er nie tun“, sagte Hasard.

„Du da“, wandte sich der Glatzkopf an den dunkelblonden Mann mit den blauen Augen. „Wirst du mich jetzt gefälligst um Vergebung für deine Dreistigkeit bitten?“

Luke schwieg. Er richtete nur wieder seinen Blick auf den Spanier und schien ihn damit durchbohren zu wollen.

Totenstille lastete plötzlich über dem Deck der „Isabella“.

Luke Morgan dachte nicht daran, auch nur noch ein einziges Wort zu sprechen. Er bremste sich und ergriff keinerlei Initiative. Er stand einfach nur da und fixierte kalt den Todfeind.

Schieß doch, du Satansbraten, dachte er, dann hast du eine Kugel weniger, und vielleicht entwischt Philip junior dir genau in dem Moment, in dem du mich abknallst. Dann bist du geliefert, du Hundesohn!

Don Mariano José de Larras Überlegungen schienen sich in ähnlicher Richtung zu bewegen. Er feuerte nicht, sondern ließ Ben Brightons Radschloßpistole jetzt sinken. Voll Hohn und Verachtung musterte er Luke Morgan. Dann rief er: „Verfluchter Engländer, du wirst deinen Starrsinn noch bereuen. Heute nacht, auf hoher See, lasse ich jeden Widerstand mit der Neunschwänzigen aus dir herauspeitschen, und dann wirst du mich winselnd um Verzeihung anflehen.“

Bill hatte de Larras Anordnung Folge geleistet und richtete sich jetzt von den ledernen Stulpenstiefeln des Seewolfs auf.

Der Spanier wandte den Kopf. „Nun, bist du nicht fündig geworden?“

„Nein, Senor.“

„Ich will für dich hoffen, daß du die Wahrheit sprichst. Für dich und für den kleinen Bastard hier.“ De Larra wies mit Bens Waffe auf den Sohn des Seewolfs, während er mit der anderen Pistole unverändert auf Philip juniors Schläfe zielte.

„Der Kapitän hat kein Messer im Stiefel“, sagte Bill laut und deutlich, und das stimmte auch – leider. Wäre es nämlich der Fall gewesen, dann hätte Bill es im Schaft des Stulpenstiefels belassen und auf diese winzige, letzte Chance alle Hoffnungen gesetzt.

Aber so – welche Aussichten gab es jetzt noch, den hinterhältigen Spanier durch einen Trick zu überlisten?

Bill schaute zu Philip junior, der erschüttert und hilflos wie ein Häufchen Elend auf dem Rand der Kuhlgräting hockte, und plötzlich war ihm zum Heulen zumute.

Der Seewolf richtete seinen Blick nach rechts und konnte über das Steuerbordschanzkleid der Kuhl hinweg gerade noch die Umrisse der „Hernán Cortés“ erkennen. Die Dreimast-Galeone schien noch ein Stück tiefer gesunken zu sein, ihre Masten hatten sich näher zur Wasseroberfläche geneigt. Im Morgengrauen würden wohl nur noch die Mastspitzen aus den Fluten aufragen.

Die Gestalten seiner Männer am Ufer der großen Bucht waren jetzt beim besten Willen nicht mehr zu erkennen. Aber selbstverständlich waren Big Old Shane, Dan O’Flynn, Blacky und Al Conroy noch dort, und sie mußten auch mitgekriegt haben, welche Tragödie sich an Bord der „Isabella“ abgespielt hatte. Jetzt sahen sie sich vielleicht untereinander bestürzt an und beratschlagten miteinander.

Verdammt, können wir denn nichts tun? fragte sich Hasard immer wieder. Könnten sich die Männer dort an Land nicht im Schutz der Dunkelheit an die „Isabella“ heranpirschen und heimlich am Heck aufentern?

Aber Shane, Dan, Blacky und Al hatten ja nicht einmal ein Boot zur Verfügung, mit dem sie zu ihrem Schiff übersetzen konnten. Und wenn sie es schwimmend zu erreichen versuchten, konnte es sein, daß de Larra ihnen zuvorkam, mit der „Isabella“ ankerauf ging und ihnen vor der Nase davonsegelte.

Dan O’Flynn hatte die besten Augen von allen Männern, die auf der „Isabella“ fuhren, aber im Dunkeln konnte auch er jetzt nichts mehr erkennen. Er schob seinen Messingkieker zusammen, steckte ihn sich hinter den Gürtel und sagte zu den drei Kameraden, die mit ihm auf dem breiten Sandstrand der Nordbucht standen: „Es scheint wirklich so zu sein, wie wir schon vermutet haben. Wir sind um Minuten zu spät eingetroffen. De Larra, dieser Hund von einem Spanier, hat Hasard überwältigen können. Wie, das weiß der Henker. Aber er hat’s geschafft und ist mit dem Seewolf an Bord unserer alten Lady gegangen.“

„Die zwei Schüsse, die gefallen sind, stammten aus Hasards Reiterpistole“, stellte Al Conroy nachdrücklich fest. „Ich bin da völlig sicher, denn so einen Klang hat nur die Doppelläufige.“

„Aber es war nicht Hasard, der gefeuert hat“, sagte Shane. „Der Spanier muß ihm die Pistole abgenommen haben und …“

„Aber warum hat der Dreckskerl geschossen?“ unterbrach ihn Blacky. „Warum nur?“

„Unsere Kameraden haben Widerstand geleistet“, murmelte Al. „Doch offenbar hat’s ihnen wenig eingebracht. Dan, du hast doch deutlich genug gesehen, wie sie plötzlich alle stocksteif dastanden, oder? Du hast dich nicht getäuscht, nicht wahr?“

„Leider nicht.“

„Die beiden Kugeln aus der Doppelläufigen – zum Teufel, sind die ins Leere gegangen oder was ist eigentlich passiert?“ stieß Big Old Shane hervor. „Mann, mir wird immer scheußlicher zumute, wenn ich daran denke, was …“

„Hör auf“, schnitt Dan ihm das Wort ab. „Es hat keinen Zweck, Vermutungen anzustellen. Wir haben nicht sehen können, ob einer von unserer Crew verletzt worden ist. Wie auch immer, die ‚Isabella‘ befindet sich in der Gewalt des verteufelten Spaniers, und wir müssen zusehen, daß wir sie ihm wieder entreißen.“

„Auf was warten wir noch?“ zischte Al. „Wir haben zwar kein Boot, weil der Spanier und Hasard die Jolle der spanischen Galeone benutzt haben, aber das kann uns nicht aufhalten. Schwimmen wir!“

„Und die Flaschenbomben?“ fragte Blacky. „Und unsere Schußwaffen? Die werden im Wasser unbrauchbar. Allein mit unseren Entermessern sind wir dem Satanskapitän de Larra glatt unterlegen. Der kann mit den Pistolen und Musketen, die er auf der ‚Isabella‘ vorfindet, ein Zielschießen auf uns veranstalten.“

„Basteln wir ein kleines Floß“, schlug Shane vor. „Wir legen unsere Waffen darauf und schieben es vor uns her.“

Blacky schüttelte den Kopf. „Entschuldige, wenn ich dir widerspreche, Shane, aber das dauert viel zu lange. Bis wir etwas Treibholz zusammengetragen haben, aus dem sich so ein Behelfsfloß zusammenzimmern läßt, ist dieser Bastard von einem Don mit unserer ‚Isabella‘ auf und davon. Oder was meint ihr, warum hat er sie sich wohl unter den Nagel gerissen?“

„Mann“, flüsterte Al entsetzt. „Wir müssen uns höllisch beeilen, wenn wir noch was ausrichten wollen.“

„Augenblick mal“, sagte Dan plötzlich. „Als wir vorhin hier auf dem Strand eingetroffen sind, habe ich im Büchsenlicht noch eine Planke in der Brandung liegen sehen. Vielleicht finde ich sie wieder.“

Er lief los, um danach zu suchen, und versuchte angestrengt, sich daran zu erinnern, an welcher Stelle er die Planke erblickt hatte. Er glaubte es zu wissen und steuerte auf den Platz zu, aber nach zehn, zwölf Schritten gab er es auf, in dem schäumenden, vor- und zurückgleitenden Wasser nach dem Stück Holz zu forschen.

Dan drehte sich um und sah Shane, Blacky und Al, die auf ihn zugingen.

„Laß es bleiben“, sagte Shane. „Ich schätze, das ablaufende Wasser hat die Planke mit in die Bucht hinausgenommen.“

Weder er noch die anderen ahnten, daß es sich bei dieser Planke, die tatsächlich mit dem Ebbstrom immer weiter in die offene See trieb, um das Hilfsmittel handelte, das Kapitän Don Mariano José de Larra bei seiner Flucht von der „Hernán Cortés“ zur Insel benutzt hatte.

Al Conroy schob sich näher an Dan heran und meinte: „Außerdem würde uns der Schweinehund von einem Don mit einem Stück Holz und unseren darauf festgezurrten Waffen im Wasser entdecken, sobald wir an der wracken Galeone vorbei wären und auf die ‚Isabella‘ zusteuerten. Mit anderen Worten, er würde uns auf jeden Fall abknallen, und wir könnten uns unserer Schußwaffen nicht bedienen, solange wir schwimmen oder tauchen müssen.“

Blacky stemmte die Fäuste in die Seiten. „Aber, Mann, wir könnten wenigstens eine Flaschenbombe zur ‚Isabella‘ rüberschleudern.“

„Vom Wasser aus?“

„Zum Teufel, ja.“

„Der Don läßt uns nicht auf Wurfweite heran, meine ich.“ Conroy warf einen prüfenden Blick an der sinkenden Galeone der Spanier vorbei auf die „Isabella“. „Im übrigen würden wir nicht unser eigenes Schiff zerbomben, sondern auch unsere Kameraden gefährden, hast du das vergessen?“

„Nein, aber ich habe gedacht, wir könnten die Höllenflasche auf die Galion schmeißen“, sagte Blacky, dem selbst einleuchtete, daß sein Vorschlag nicht der glücklichste war.

„Mein Gott“, stieß Dan hervor. „Wir stehen hier herum und quatschen sinnloses Zeug zusammen, und drüben spitzt sich die Lage wahrscheinlich immer mehr zu.“

„Ich hab’s“, sagte Big Old Shane. „Wir müssen uns trennen. Ich weiß, wir sind nicht genug Männer, um zwei Gruppen zu bilden, aber wir müssen es trotzdem versuchen. Wir holen den Profos und Gary Andrews als Verstärkung, dann stellen wir zwei Trupps von je drei Mann zusammen. Der eine Haufen lenkt den Don auf der ‚Isabella‘ ab, während der andere sich anschleicht.“

Dan fuhr plötzlich herum und brachte seine Muskete zum Inseldikkicht hin in Anschlag.

„Da ist jemand“, raunte er den Kameraden zu. „Vorsicht.“

Tatsächlich: Unter den verhalten im Wind raschelnden Wipfeln der Palmen hervor traten sechs Gestalten auf den Strand. Um wen es sich handelte, blieb allerdings nicht lange ungelöst, denn eine wohlbekannte Stimme dröhnte los: „He, nehmt die Finger von euren Kanonen, ihr Schnarchhähne! Ich sehe euch zwar nur undeutlich, aber ich könnte schwören, daß ihr uns für ein paar Buschungeheuer oder so was haltet und schon auf uns zielt.“

„Ed“, sagte Big Old Shane. „Reiß jetzt keine Witze. Es ist nicht der richtige Augenblick dafür.“

„Was hatten die zwei Schüsse zu bedeuten, die wir gehört haben?“ wollte Gary Andrews wissen, der sich rechts neben der wuchtigen Gestalt Carberrys befand.

Blacky hatte sich geduckt und leicht vorgebeugt. Er blickte aus schmalen Augen zu den Ankömmlingen und rief ihnen zu: „Halt! Wer ist bei euch?“

Carberry wies mit dem Radschloß-Drehling des Seewolfs, den er von der Lichtung der Insel aufgelesen hatte, auf die Rücken der beiden vor ihm und Gary schreitenden Männer. „Serafin und Joaquin, die beiden spanischen Decksleute“, erwiderte er auf spanisch. „Und hinter uns marschieren Maguro, der Häuptling der Eingeborenen, und unser Freund Otalu, der uns als erster auf dem gastlichen Eiland empfangen hat. Nein, keine Angst, die Dons entwischen uns nicht. Sie werden sich hüten, auszukneifen, denn sie wissen genau, daß es ihr sicheres Ende wäre.“

„Wir sind nicht wie Capitán de Larra“, stieß der schwarzbärtige Serafin gepreßt hervor. „Und wir haben mit seinen Teufeleien nichts zu tun. Er ist vor uns geflohen, weil wir ihm angedroht hatten, wir würden ihn töten.“

„Sei still“, sagte der Profos barsch. „Du kannst deine Verse später noch herunterbeten. Shane, Al, Dan, Blakky, was ist auf der ‚Isabella‘ los? Nun redet schon!“

Big Old Shane trat vor den Profos und Gary Andrews hin, die jetzt mit ihren Gefangenen auf dem weißkörnigen Sandstrand stehenblieben. Er gab einen kurzen Bericht der Lage, soweit es ihm aufgrund ihrer Beobachtungen möglich war.

Carberrys und Garys Mienen wurden lang und länger. Als der graubärtige Riese seine Schilderung beendet hatte, erkundigte sich der Spanier Serafin: „Könnten wir vielleicht auch erfahren, was geschehen ist?“

„Meinetwegen“, entgegnete der Profos.

Gary Andrews übersetzte ihnen, was Shane auf englisch erzählt hatte, und auch die beiden Spanier zeigten plötzlich betroffene Mienen.

„So ist das also“, sagte Joaquin. „De Larra hat zuerst Domingo getötet, dann hat er dem Seewolf, der hinter Domingo her war, aufgelauert. Er hat ihn als Geisel genommen und hat auf diese Weise euer Schiff in seinen Besitz gebracht. Satanás – wir haben ihm den richtigen Beinamen gegeben …“

„Wohin will der Hund?“ fragte Blacky. „Welches Ziel hat er vor Augen? Und warum segelte eure Galeone überhaupt so durch die Weltgeschichte? Willst du uns das endlich erklären?“

„Ich sage es euch“, erwiderte Serafin. „Vor gut zwei Monaten verließen wir mit einem Sonderauftrag des spanischen Gouverneurs auf den Philippinen Manila. Don Mariano José de Larra sollte auf einer einsamen Expedition nach dem Südland suchen. Wir hofften, durch ruhige Wasser zu segeln, aber wir verloren in etlichen Stürmen jegliche Orientierung, litten unter Erschöpfung und schließlich auch noch unter Skorbut und Gelbfieber. Unsere Mannschaft wurde arg dezimiert. Irgendwie gelangten wir bis hierher, zu dieser Insel – und hier, in dieser Bucht, bestatteten wir am Nachmittag unseren Kameraden Esteban. Sein Leichnam ruht jetzt auf dem Grund der Bucht.“

„Und dann habt ihr gegen de Larra gemeutert?“ wollte Shane wissen.

„Ja. Ich selbst forderte ihn heraus und kämpfte mit ihm.“

„Das waren also die Schüsse, die wir hörten, als wir uns Tutuila näherten?“ fragte Dan O’Flynn.

Serafin nickte. „Das müssen sie gewesen sein. Der Capitán floh, und wir jagten ihm noch ein paar Kugeln nach, trafen ihn aber nicht. Ich glaube, er hat nur einen Streifschuß am Bein.“

„Anschließend habt ihr ihn im Urwald gesucht“, schlußfolgerte Al Conroy. „Ihr fandet aber nicht ihn, sondern die beiden Polynesier, die dieser Hurensohn umgebracht hatte.“

„Ja, so ist es“, stieß Joaquin erregt hervor. „Dann erschient ihr und dachtet, wir hätten das getan.“

„De Larra will weitersegeln“, sagte Serafin. „Nach Süden. Er hat seinen Plan, den rätselhaften Kontinent zu entdecken, immer noch nicht aufgegeben. Er war ein guter Seefahrer und Navigator, dieser Capitán, deshalb wurde er in Manila als der richtige Mann für dieses Unternehmen ausgewählt. Aber er hatte großes Pech und beging eine Reihe von Fehlern. Am Ende unserer Reise mit der ‚Hernán Cortés‘ muß ihn der Wahnsinn gepackt haben.“

„Wahnsinn?“ Carberry ließ einen ächzenden Laut vernehmen. „Das heißt, er ist zu allem fähig …“

Maguro und Otalu, die Polynesier, hatten kein Wort von der Unterhaltung verstanden, aber sie schienen aus den Mienen der weißen Männer genug herauslesen zu können. Maguro trat vor, schob sich zwischen Shane und Carberry und wies mit der Hand auf den Inseldschungel.

„Nein“, sagte Carberry. „Wir können jetzt nicht nach Pago Pago, in euer Dorf, zurückkehren. Wir müssen an Bord der ‚Isabella‘. Unser Kapitän und unsere Kameraden schweben in Lebensgefahr. Hasard, der Seewolf – ach, du verstehst mich ja nicht.“

Maguro begann zu gestikulieren.

Dan O’Flynn meinte: „Ich glaube, er will uns was ganz anderes zu verstehen geben. Seht doch mal genau hin.“

Maguro gab sich redlich Mühe, seine weißen Freunde auf etwas hinzuweisen. Immer wieder ballte er die Hände zu Fäusten und bewegte sie, als halte er einen Gegenstand fest und führe eine Arbeit damit aus. Zwischendurch deutete er auf das Dickicht jenseits des westlichen Ufers der Bucht.

„Ich hab’s“, sagte Blacky. „Mann, warum ist uns das nicht gleich eingefallen? Die Insulaner ernähren sich doch nicht nur von dem, was ihnen der Regenwald bietet, die leben auch vom Fischfang.“

„Sie haben Boote“, keuchte Carberry. Aus geweiteten Augen blickte er auf Maguro. Dessen Geste war jetzt klar: Sie gab die Bewegung des Paddelns wieder. „Er will uns zeigen, wo sie liegen. Los, Leute, nichts wie hin!“

Maguro erkannte, daß sie ihn verstanden hatten. Er winkte Otalu zu, und beide setzten sich an die Spitze des kleinen Trupps. Shane, Carberry, Gary Andrews, Al Conroy, Blacky und Dan O’Flynn schlossen sich sofort an. Keiner paßte mehr so richtig auf die Spanier Serafin und Joaquin auf, aber diese beiden dachten an alles andere als an Flucht. Sie liefen mit, denn auch sie wollten Kapitän de Larra greifen, überwältigen, und zur Rechenschaft ziehen.

Zehn Männer hasteten über den weißen, weichen Sand, und jeder dachte in seiner Muttersprache das gleiche: Hoffentlich kommen wir nicht zu spät, hoffentlich schaffen wir es noch.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 188

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