Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 379 - Roy Palmer - Страница 6

2.

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Für Don Juan de Alcazar erwachte der Tag mit rötlichen Ringen und grauschwarzen Schleiern, die unstet vor seinen Augen auf und ab wogten. Und Schmerzen hatte er – sein Kopf tat von der Verletzung weh, die die Rahrute des Besanmastes verursacht hatte.

So erlangte er sein Bewußtsein wieder und richtete sich stöhnend halb auf. Er stützte sich auf die Arme und registrierte als erstes, daß seine Unterlage bedrohlich schaukelte und keine sehr großen Ausmaße hatte.

Jetzt entsann er sich wieder: Ehe er ohnmächtig geworden war, hatte er sich auf den schwimmenden Lukendeckel der „Pax et Justitia“ gerettet. Hier war er dann zusammengesunken.

Wie lange war er besinnungslos gewesen? Er wußte es nicht. Lange Zeit konnte nicht verstrichen sein, er schloß dies aus dem Stand der Sonne. Sie stand noch recht tief über der See. Es war Vormittag – früh am Tag, aber zu spät für jede Art von Reaktion auf den forschen, rigorosen Angriff des Engländers.

Die „Pax et Justitia“ war verschwunden. Ob es Überlebende gab, konnte er auf den ersten Blick nicht feststellen. Unwillkürlich schloß er wieder die Augen, in ohnmächtiger Wut und wegen der Schmerzen und der Übelkeit, die heftiger als zuvor in ihm aufstiegen.

Er drehte sich auf den Rücken und atmete ein paarmal tief durch. Jetzt ging es besser. Er tastete seinen Kopf sorgfältig ab, konnte aber nichts finden außer einer mächtigen, schwellenden Beule, die bei der leisesten Berührung neue Schmerzen verursachte.

Blut konnte er aber nicht finden. Keine Platzwunde also, dachte er, um so besser. Auch sonst schien er unversehrt zu sein. Eigentlich überraschte ihn dieses Ergebnis. Er hatte, wie es schien, großes Glück im Unglück gehabt. Er hätte verbluten oder ertrinken können. Und die Haie? Wo blieben sie? Hatten sie noch nicht gewittert, daß es hier Beute gab?

Don Juan untersuchte seinen ganzen Körper und gelangte wieder zu dem Ergebnis, daß er keine Blessur hatte. Alles in Ordnung, dachte er, du bist dem Teufel noch mal von der Schippe gesprungen.

Auch seinen Degen hatte er noch – und das Messer, das er vorsorglich im Schaft eines seiner Stulpenstiefel untergebracht hatte. Die Bilanz fiel also nicht schlecht aus.

Er wandte den Kopf und spähte nach Westen. Jetzt entdeckte er die Galeone der Engländer – die „Isabella IX.“. Philip Hasard Killigrew, dachte er, fahr zur Hölle, ich wünsche es dir.

Es hatte den Anschein, als suche die Mannschaft der „Isabella“ die See ab. Nach Überlebenden? Um sie ebenfalls zu töten? Don Juan konnte es nicht glauben. Bei aller Wut mußte er sachlich bleiben und dem Seewolf zuerkennen, daß er durchaus fair gekämpft hatte. Schließlich war er, Don Juan, es gewesen, der ihn herausgefordert hatte.

So mochte es zutreffen, daß der Seewolf das Wasser abforschte, um etwaige Schiffbrüchige zu bergen und zu versorgen. Ritterlich war er also – so, wie man ihn Don Juan beschrieben hatte. Don Juan unterdrückte jedoch das Gefühl der Nachsicht, das in ihm aufzukeimen drohte. Killigrew war der Todfeind der spanischen Krone, das durfte er nie vergessen. Er hatte ihn festzunehmen und nach Spanien zu überführen, wo ein Schauprozeß stattfinden würde, der England bewies, daß es sich selbst nicht überschätzen durfte.

Dies waren Don Juans Gedanken, während er seinen Blick weitergleiten ließ.

Endlich hatte er durch Cariba in Havanna eine heiße Fährte aufgenommen und gehofft, den Schlupfwinkel der Seewölfe zu finden – und nun war er wieder weiter von seinem Ziel entfernt als zu Beginn der Aktion.

In einiger Entfernung, kaum noch deutlich wahrzunehmen, bewegte sich das Beiboot der „Pax et Justitia“. Es entfernte sich vom Schauplatz des Gefechts. Sechs oder sieben Gestalten zählte Don Juan an Bord, aber er vermochte nicht zu sagen, ob auch der Kapitän Luis de Segovia unter ihnen war.

Die Engländer behelligten das Boot nicht. Auch das sprach für das faire Verhalten des Seewolfes. Zur Hölle, verstieß er denn nie gegen die Gesetze der See? Beging er nie einen Fehler? Das konnte nicht sein.

Noch eine Weile beobachtete Don Juan das Beiboot, das von seinen Insassen eiligst nach Süden gepullt wurde. Im Süden – so wußte der einsame Mann auf dem Lukendeckel – lag die Küstenlinie der Islas de Camagüey, die der eigentlichen kubanischen Küste vorgelagert waren.

Sollte auch er sich dorthin wenden? Aber wie? Er hatte keinen Bootsriemen, kein Hilfsmittel, um sich vorwärts zu bewegen.

Er blickte sich nach allen Seiten um und entdeckte eine kleine Insel – Lobos Cay – etwa nordöstlich von seinem derzeitigen Standort. Hoffnung stieg in ihm auf. Wenn es ihm gelang, diese Insel zu erreichen, war er auch vor den Haien sicher, die zweifellos im Verlauf der nächsten Stunden erscheinen würden.

Er sah sich nach einem Hilfswerkzeug um und entdeckte einige Planken und Plankenteile, die nicht weit entfernt von ihm im Wasser trieben. Sofort richtete er sich wieder mit dem Oberkörper auf, stützte sich ab und versuchte, wenigstens einen Plankenrest zu sich heranzuziehen.

Es mißlang – und fast glitt er ins Wasser ab. Er fluchte leise vor sich hin. Eine Strömung schien den Lukendeckel nach Süden zu entführen, fort aus der Reichweite der treibenden Planken.

Jetzt legte sich Don Juan auf den Bauch und begann, mit den Händen zu paddeln. Es war eine mühsame Sache, aber er schaffte es. Bald hatte er seinen Untersatz neben eine Planke getrieben und konnte sie aus dem Wasser ziehen.

Er setzte sich auf und drehte und wendete das Brett zwischen den Händen. Viel war von der „Pax et Justitia“ nicht übriggeblieben – und es war seine Schuld, daß sich alles so entwickelt hatte. Luis de Segovia hatte ihn vor dem Unternehmen und der direkten Auseinandersetzung mit den englischen Korsaren gewarnt. Hätte er, der Jüngere, dem erfahrenen Mahn nicht mehr Gehör schenken müssen?

Es war zu spät, sich deswegen mit Vorwürfen zu plagen. Don Juan setzte eine grimmige, entschlossene Miene auf und begann, mit der Planke zu paddeln – auf Lobos Cay zu.

Er verspürte wieder starke Schmerzen, aber sie waren zu ertragen. Durch eiserne Selbstkontrolle und Beherrschung hielt er sich aufrecht und versuchte, nicht mehr an die Niederlage zu denken. Sie war vollkommen und hätte schlimmer nicht ausfallen können.

Aber es war zu verlockend gewesen, den gesuchten und so überraschend heransegelnden Gegner anzugreifen und zur Aufgabe zu zwingen. Die Suche nach dem Schlupfwinkel wäre Don Juan erspart geblieben. Aber es hatte nicht sein sollen, und jetzt bestand nicht mehr die geringste Chance, den Engländer zu überrumpeln oder in seinem Versteck zu stellen.

Denn Cariba, der Kreole, war zweifellos mit der Dreimastkaravelle gesunken. Er war ja zuletzt wieder in die Vorpiek gesperrt worden und hatte sich aus dem Raum nicht befreien können. Nicht aus eigener Kraft, soviel stand fest, und von der Mannschaft hatte ihm bestimmt keiner geholfen, weder einer der Seesoldaten noch einer der Decksleute. Cariba war also jämmerlich ertrunken.

Somit war auch die bereits so aussichtsreiche Spur abgebrochen, die ihn, Don Juan, zu dem Schlupfwinkel der englischen Korsaren hatte führen sollen. Angeblich hatten sie dort, irgendwo auf den Turk- oder Caicos-Inseln, ihr Versteck.

Don Juan hatte keinen Grund, an Caribas vagen Hinweisen zu zweifeln. Nur hatte der Kreole sein letztes Wissen, die präzise Lage der Insel, nicht preisgegeben. Er hatte es mit auf den Grund der See genommen.

Don Juan de Alcazar war sich darüber klar, daß er auch weiterhin eine Menge Glück brauchte, um überhaupt zu überleben. Denn zur Zeit war er nichts weiter als ein Schiffbrüchiger auf einem fragwürdigen Untersatz, der von Seewasser überspült wurde.

Ein Plan reifte in seinem Geist heran. Auf Lobos Cay konnte er den Lukendeckel mit einigem Geschick zum Floß erweitern. Er brauchte ihn nur mit Lianensträngen auf zwei oder drei entsprechend zugeschnittene Baumstämme zu binden. Die Werkzeuge dazu hatte er – seinen Degen und das Messer im Stiefelschaft.

Mit einem solchen Gefährt mußte es möglich sein, zur Küste von Kuba zu gelangen. Seine Zuversicht wuchs. Er setzte alles in ein Gelingen des Unternehmens, Willenskraft und körperliche Energie.

Allmählich rückte das Eiland näher. Im Sonnenlicht vermochte Don Juan nähere Einzelheiten zu erkennen. Aha, dachte er, da wachsen Kokospalmen. Damit war vorerst auch das Versorgungsproblem gelöst. Vor allem brauchte er keinen Durst zu leiden.

Wieder fiel ihm der Mann ein, den er auf Anweisung der Krone hin zur Strecke bringen sollte. Philip Hasard Killigrew – er ging ihm nicht aus dem Kopf! Zum ersten Male hatte er ihn lebend vor sich gesehen – durchs Spektiv, kurz bevor die erste Breitseite zur „Pax et Justitia“ herübergedonnert war. Killigrew – verdammt, das war ein Gegner!

Gern hätte sich Don Juan gewünscht, in der Person dieses schwarzhaarigen Engländers die Bestie zu entdecken, den Blutsäufer und reißenden, mörderischen Wolf, als der er in Spanien und auch anderswo dargestellt wurde. El Lobo del Mar – der Töter, der Hetzer, der Feind aller spanischen Galeonen. Ein Teufel in Menschengestalt – oder?

Nein. Nichts davon hatte sich in dem scharfgeschnittenen männlichen Gesicht gezeigt, gar nichts. Aber eine kühne Verwegenheit war herauszulesen gewesen.

Ich muß sachlich bleiben, dachte Don Juan. Was war richtig und was falsch?

Richtig war mit Sicherheit, daß Killigrew auch weiterhin Spaniens grimmigster Feind blieb – falsch hingegen, ihn zu menschlich zu zeichnen und daraus Verständnis für ihn abzuleiten. Don Juan preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Er mußte aufpassen, daß er seinen Auftrag nicht zu persönlich nahm. Das konnte ein großer Fehler sein.

Aber da war noch etwas – die verblüffende Ähnlichkeit, die zwischen Killigrew und Arne von Manteuffel, dem deutschen Kaufherrn in Havanna, bestand. Es war wirklich merkwürdig, wie die Schöpfung zwei einander so ähnliche Männer hervorbringen konnte. War es ein Zufall oder eine Laune der Natur? Wie sollte man es nennen? Hier stand der englische Korsar, der spanische Schiffe überfiel, dort der honorige und auch kühne Deutsche, der für Don Juan schon fast so etwas wie ein guter Freund geworden war.

Arne von Manteuffel und der Seewolf kannten sich nicht, wie Arne ihm glaubhaft versichert hatte. Sie waren einander nie begegnet. Eine Verwandtschaft zwischen ihnen war auszuschließen. Und auch sonst hatten sie nichts miteinander gemeinsam. Im übrigen hatte der Deutsche mit den Engländern absolut nichts im Sinn, denn sein Land und sein Handelshaus in Kolberg nahmen eine neutrale Position ein und hatten im Prinzip nur das Geschäft im Sinn.

Don Juan paddelte, und in seinem lädierten Kopf kreisten unaufhörlich die Gedanken. Jäh wurden sie jedoch unterbrochen – durch einen Stoß, der den Lukendeckel traf.

Der Stoß erfolgte schräg von hinten und erschütterte den Lukendeckel. Er schleuderte Don Juan fast ins Wasser. Er duckte sich unwillkürlich, riß die Planke zu sich heran, ließ sie auf den Deckel fallen und hielt sich mit beiden Händen fest. Nur so verhinderte er, daß er das Gleichgewicht verlor und ins Wasser kippte.

Ein langgestreckter, geschmeidiger Leib schoß pfeilschnell an ihm vorbei, tauchte weg und schnellte herum. Don Juan entging nicht die dreieckige Rückenflosse. Er wußte sofort, mit welcher Art von Gegner er es zu tun hatte.

Ein Hai! Grau, stumm, unheimlich näherte er sich dem Mann auf dem wackligen Untersatz. Plötzlich erhielt er Gesellschaft. Ein zweiter Hai tauchte aus den Tiefen der Fluten auf und glitt ebenfalls auf Don Juan zu.

Don Juan riß den Degen aus der Scheide. Er kniete mit breitgespreizten Oberschenkeln auf dem Lukendeckel, um sein Gewicht so gut wie möglich zu verteilen. Er mußte jetzt kämpfen. Die Haie waren gefährlich und gewitzt zugleich, sie Würden versuchen, ihn von dem Lukendeckel zu stoßen. Das würde sein Ende bedeuten. Im Wasser konnte er sich gegen sie nicht behaupten, auch nicht mit dem Degen und mit dem Messer. Dort waren sie in ihrem Element, griffen ihn von zwei Seiten an und zerrissen ihn.

Er verspürte wieder heftige Schmerzen, kämpfte aber gegen sie an. Schweiß lief ihm übers Gesicht, und er wußte, daß er Angst hatte. Aber es gelang ihm, seine aufsteigende Panik zu bezwingen.

„Na los“, sagte er mit rauher, grimmiger Stimme, „fangt schon an!“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 379

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