Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 189 - Roy Palmer - Страница 5
2.
ОглавлениеDas Ruderhaus erzitterte unter den Hieben des Sturmes. In seinem Inneren mußte man unweigerlich zu der Überzeugung gelangen, daß die nächste Sturmbö es mühelos vom Quarterdeck losrupfte und kopfüber in die Fluten beförderte. Es knackte und knirschte, und das Dach des Häuschens schien wie dünnes chinesisches Reispapier auf und ab zu flattern.
Der Seewolf stand neben seinem Rudergänger Pete Ballie und rief ihm zu: „Hart Steuerbord, Pete!“
„Hart Steuerbord, Sir!“ Das Ruderrad begann sich unter Petes schwieligen Fäusten zu drehen.
Hasard beugte sich aus dem Ruderhaus, klammerte sich am Türrahmen fest und schrie Ben Brighton, der ihm am nächsten stand, zu: „Ben, wir halsen und gehen Kurs Norden!“
„Kurs Norden – aye, Sir!“
Ben hielt sich an der Balustrade zwischen Quarterdeck und Kuhl fest und gab die Order weiter. Von unten drangen ein paar undefinierbare Rufe zu Hasard, Ben und Pete herauf, aber danach war Carberrys Stimme klar im Heulen des Wetters zu vernehmen.
„Schiften, ihr Kanaillen, und herum mit der Lady, anluven und auf neuen Kurs, dalli, dalli, oder ich mach euch Feuer unter dem Arsch! Donegal, du Stint, nimm deine verfluchte Krücke weg, sonst stolpere ich noch darüber. Beim Donner, Jeff – he, Jeff Bowie! Muß ich dir ein paar Silberbarren in die Taschen stopfen, damit du nicht über Bord gehst? Hölle, Mann, ich spring dir nicht nach, wenn es dich erwischt, merk dir das, du gehörnte Makrele! Hölle und Teufel, Donegal, haust du endlich ab? Was hast du hier auf der Kuhl verloren?“
Der alte O’Flynn antwortete zwar, aber seine Worte gingen in dem Getöse des nächsten Brechers unter, der über die „Isabella“ wegflutete.
Alles schien diese Riesenflut von zischendem, schäumendem Wasser unter sich zu begraben, der von Old O’Flynn prophezeite Untergang schien gekommen zu sein, und als erstes mußte das Ruderhaus fortgerafft werden. Es krachte und donnerte, und das Wasser schoß Hasarad zwischen den Beinen hindurch. Es riß seine Füße weg, und er wäre fortgespült worden, wenn er sich nicht mit beiden Händen festgehalten hätte. Pete Ballie fluchte und hustete und schien Salzwasser geschluckt zu haben. Es knackte in den tiefsten Verbänden der „Isabella“, und jeden Augenblick schien es das Schiff in zwei oder drei Teile zu zerreißen.
Aber das Ruderhaus hielt sich wacker in seinen Verankerungen, und auch die Planken und Verbände trotzten dem Sturm.
Pete Ballie spuckte aus, stemmte sich mit aller Kraft gegen das Ruderrad und rief: „Ich halte Hartruder, Sir, aber, verdammt, wenn das Ruder bricht, sind wir verraten und verkauft!“
„Das verdammte Ruder hat nicht zu brechen, Mister Ballie!“ schrie der Seewolf. „Schreib dir das hinter die Ohren!“
„Aye, aye, Sir!“
Von der Kuhl ertönte wieder das Organ des Profos’: „Donegal, verhol dich, du Rochen, oder ich werde ungemütlich. Du störst mich in der Ausübung meiner … Heda, ihr Satansbraten! Braßt an, braßt an, oder es haut euch die Sturmsegel um die Ohren!“
Dann verfiel er in sein grauenvolles Spanisch: „O, ihr spanischen Himmelhunde, was seid ihr doch bloß für Gestalten! Packt die verdammte Schot an, ihr seekranken Heringe, und laßt sie nicht mehr los, oder ihr fliegt achtkantig von Bord! Donegal, du fliegst gleich hinterheeer …“
Wieder rollte ein Brecher donnernd gegen die „Isabella“ an und ließ alle weiteren Worte Carberrys in seinem Lärmen untergehen. Diesmal rauschten die Fluten jedoch nicht von Backbord heran, sondern erreichten die Galeone mitten im Manöver von achtern. Sie stemmten ihr Heck hoch, hüllten das Achterkastell in einen Mantel von Gischt, drückten das ganze Schiff mit jähem Schub voran und verwandelten die Decks in einen einzigen glatten Abhang.
Old O’Flynn glitt auf der Kuhl aus, hieb Carberry die Krücke gegen das Schienbein und wäre um ein Haar tatsächlich außenbords gegangen, wenn der Narbenmann sich nicht gedankenschnell nach ihm umgewandt hätte. Ein Griff seiner Pranke genügte, und der Alte hing zappelnd und fluchend in der Luft.
Mit der anderen Hand hielt sich der Profos am Manntau fest. Es war ein richtiges Wunder, daß er noch stehen konnte, fast alle anderen hatte es umgerissen. Big Old Shane war mit Ferris Tucker ins Gehege geraten, und sie waren ein Stück übers Deck gerutscht und gegen die Gräting geprallt. Jetzt rappelten sie sich wieder auf und brüllten sich gegenseitig an.
Carberry hingegen stand wie ein Baum, schüttelte Old O’Flynn wie einen beim Naschen ertappten Moses und schrie: „Donegal, du Filzlaus, ich hab dir doch gesagt, du sollst dich mit deiner verfluchten Krücke verkrümeln!“
„Du läßt mich ja nicht vorbei!“
„Du triefäugiger …“
„Halt dich zurück, Profos“, brüllte der Alte.
„Wohin willst du denn, du Gewitteraal?“
„Ins Achterdeck natürlich – zu Hasard junior und Batuti!“
Carberry ließ einen grunzenden Laut vernehmen, der im Heulen des Sturmes und im Donnern der See unterging. Dann beförderte er Old Donegal in Richtung auf das Achterdecksschott und entließ ihn mit einem saftigen Fluch und einem wütenden „Das hättest du ja auch gleich sagen können“.
Die „Isabella“ ging auf neuen Kurs und krängte so schwerfällig wie ein todwundes Riesentier vom einen auf den anderen Bug. Mit Steuerbordhalsen segelte sie jetzt nordwärts – hart am Korallenatoll vorbei oder mit Wucht direkt auf die tückischen Bänke, die in der kochenden See weder zu sehen noch zu ahnen waren.
Pete Ballie und sein Kapitän hielten das Ruderrad gemeinsam. Sie bissen beide die Zähne aufeinander, preßten die Lippen zusammen und sprachen kein Wort.
Jetzt mußte sich zeigen, ob Hasards Manöver schnell genug erfolgt war.
Aber kein Schaben und kein häßliches Krachen, kein Ruck, der durch den Rumpf der „Isabella“ lief, kündete von dem Schicksal, das sie alle fürchteten. Nach wie vor segelte ihr Schiff frei in den aufgerührten Fluten. Das heftige Knacken und Knirschen, das bedrohliche Schwanken der Masten, das Brüllen, Heulen und Toben blieben, aber die „Old Lady“ setzte ihren Kiel nicht aufs Riff.
Pete Ballie sah seinen Kapitän über das Ruderrad hinweg an. „Was meinst du, Sir? Haben wir das Atoll hinter uns?“
„Pete, ich bin kein Hellseher.“
„Aber wir schaffen es.“
„Der Teufel soll dich holen, wenn wir irgendwo aufbrummen, Mister Ballie!“
Pete grinste und stemmte sich gegen das Ruderrad. Hasard, der auf der anderen Seite stand, zeigte ebenfalls ein hartes, verwegenes Lächeln.
Ein Brecher schob sich von der Steuerbordseite heran, stieg an der Bordwand der „Isabella“ auf und lappte übers Schanzkleid. Schwerer krängte die Galeone nach Backbord, steiler fielen ihre Decks ab, aber auch diesmal brachte der Sturm sie nicht zum Kentern. Das Wasser sprudelte und rauschte durchs offene Ruderhaus hindurch und näßte die Gesichter und die Gestalten der beiden Männer. Sie prusteten – und grinsten sich immer noch wie die Teufel an.
Auf der Kuhl hatte sich Ferris Tucker mit einem saftigen Fluch von Big Old Shane losgerissen. Er hielt sich in den Manntauen fest, warf einen Blick quer über Deck und brüllte: „Hölle und Teufel! Wir haben unseren schönen Kahn gerade wieder instand gesetzt, und schon kriegen wir wieder was aufs Haupt! Am besten rühren wir überhaupt keinen Finger mehr, das kommt bei der Scheißlady letzten Endes ja doch aufs selbe ’raus!“
Er hatte allen Grund, erbost zu sein: Fast vier Tage lang hatte er mit seinen Helfern an der ramponierten „Isabella“ gearbeitet und die vor Tutuila erlittenen Gefechtsschäden ausgebessert – und jetzt dies!
Serafin und Joaquin, die immer noch verbissen die Fockschot festhielten, wie Carberry es ihnen befohlen hatte, blickten verdutzt zu dem wetternden Rothaarigen hinüber. Sie verstanden kein Wort von dem, was er auf englisch schrie, aber sie dachten, es gelte ihnen – und fuhren unwillkürlich zusammen.
Der Profos hangelte zu ihnen hinüber und begann wieder in seinem schauderhaften Spanisch zu brüllen. „Ihr Kakerlaken, ihr Enkel eines triefäugigen Tintenfischs! Wollt ihr die Scheiß-Schot wohl belegen? Oder wollt ihr daran baumeln bleiben und verhungern, was, wie?“
Die Spanier beeilten sich, seine neue Anordnung zu befolgen, aber sie fühlten sich mehr als verunsichert.
Old O’Flynn hatte derweil unbeschadet das Achterdecksschott erreicht. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, unbedingt nach Batuti und Hasard junior zu sehen – ja, und auch nach dem Mädchen Lavida, das auch im Achterkastell untergebracht war. Schön, der Kutscher und Philip junior wachten an den Kojen der drei Patienten und paßten auf, daß sie nicht herausfielen und sich irgendwo stießen. Aber was war, wenn der Kutscher und Philip junior nicht mehr gegen das Schlingern des Schiffes ankämpfen konnten und Verstärkung brauchten?
Schimpfend löste Old O’Flynn die Verschalkung des Schotts. Er hatte sein Werk vollbracht und wollte das Schott gerade öffnen, da prallte es ihm auch schon entgegen. Der Alte wich schnell einen Schritt zurück, sonst hätte die hölzerne Kante garantiert sein gesundes Bein getroffen.
„Hölle, Tod und Teufel“, schrie er. „Was wird hier …“
Weiter gelangte er nicht. Eine schlanke, geschmeidige Gestalt schlüpfte an ihm vorbei und war auf der Kuhl, ehe er sie daran hindern konnte. Sie arbeitete sich in den Manntauen voran und enterte das Achterdeck.
Lavida, das Polynesiermädchen!
Die Öffnung der Grotte war in der Dunkelheit, die über der Insel Ngau lag, kaum zu erkennen. Rafael Sabicas nahm sie nur vage wahr, er mußte erst ein paarmal mit den Lidern blinzeln, um die bewaldeten Hänge sehen zu können, die links und rechts der Jolle aufstiegen.
Das Boot war aus dem Wasserstollen heraus, und die Piraten pullten gegen die Strömung des Bachlaufes an, der sich etwa vom Zentrum der Insel aus in vielen Windungen durch das Berg- und Hügelland schlängelte und schließlich in der Bucht mündete. Jahrtausende – so nahm der Andalusier an – mußten vergangen sein, ehe das Süßwasser die Grotte in die Felsen gewaschen hatte, die ihr den Ausfluß ins Meer versperrt hatten.
Hoch über den Köpfen der Freibeuter war Bewegung. Sabicas schaute auf. Der Sturmwind bog die Stämme der Bäume und ließ ihre Wipfel rauschen. Oben, im Regenwald, der die Bergkuppen überzog, sang das Wetter sein heulendes Lied, aber hier unten war kaum ein Windhauch wahrzunehmen.
Nahezu lautlos glitt das Boot durch die geschützte Schlucht. Sabicas lehnte sich ein wenig zurück und versuchte, sich zu entspannen. Er hatte es geschafft. Über was machte er sich jetzt noch Sorgen?
„Männer“, sagte er. „Es ist vollbracht. Wir haben dem Teufel ein Schnippchen geschlagen. Hölle, ihr solltet froh darüber sein.“
Keiner antwortete ihm. Selbst Donato schwieg.
Sabicas betrachtete die Mienen der zehn Kerle. Er las darin und wußte plötzlich, warum ihm immer noch nicht ganz wohl in seiner Haut war. Die Meute hatte sich keineswegs beruhigt. Er spürte ihre Niedergeschlagenheit und den schwelenden Zorn.
Es roch nach Meuterei.
„Und noch etwas“, sagte er leise. „Etwas, das wir bislang nicht bedacht haben. Überlegt doch mal, was wohl aus der ‚Isabella‘, dem Seewolf und seiner verfluchten Mannschaft geworden ist. Na?“
Keiner der zehn sprach.
„Donato!“ zischte der Andalusier.
„Du glaubst, der Sturm zerschlägt die ‚Isabella‘“, entgegnete der Kalabrier langsam. „Aber du täuschst dich. El Lobo del Mar steht mit dem Satan im Bund, er hat schon ganz anderen Gefahren getrotzt. Erinnerst du dich nicht an die Legenden, die von ihm und seiner Crew in den spanischen und portugiesischen Siedlungen Ostindiens erzählt werden? Er geht nicht unter. Niemals. Er ist unsterblich – Senor.“
Sabicas winkte ab. „Gewäsch! Du sprichst wie ein altes Weib, Donato. Legenden sind nun mal Märchen, das sagt ja schon das Wort. Und dieser Seewolf ist ein ganz gewöhnlicher Sterblicher wie alle anderen Menschen auch. Nein, er übersteht diesen Taifun nicht.“
„Du vergißt Lavida.“
„Die braunhäutige Hündin? Sie ist vor Tutuila ertrunken, nachdem ich ihr die Musketenkugel verpaßt habe. Geschieht ihr recht. Diese Hure hat nichts Besseres verdient.“
„Sie lebt“, sagte der Kalabrier. „Wir haben gesehen, wie die ‚Isabella‘ beigedreht hat …“
„Und?“ stieß Sabicas aufgebracht aus. „Was haben wir noch gesehen? Nichts. Wenn du dir einredest, der Seewolf habe das Dreckstück aus der See gefischt, dann täuschst du dich.“
„Sie ist an Bord der ‚Isabella‘.“
„Nein!“ schrie Sabicas.
„Sie befindet sich auf dem Schiff dieser Bastarde und weist ihnen den Weg nach Ngau. Einen besseren Lotsen als Lavida konnten sie nicht finden!“
Sabicas griff mit einer geradezu traumhaft schnellen Bewegung an seinen Waffengurt. Er zückte die Radschloßpistole, die er bei einem seiner Raubzüge erbeutet hatte, spannte den Hahn und zielte auf den Kalabrier.
„Das Weib ist vor Tutuila wie eine Ratte abgesoffen“, sagte er kalt. „Kein Mensch konnte sie noch retten. Das siehst du doch ein, Donato, nicht wahr?“
Der Kalabrier hielt mit dem Pullen nicht inne. Er überlegte, ob er sich in der nächsten Vorwärtsbewegung seines Körpers auf den Andalusier werfen sollte, schnell und völlig unverhofft.
Aber dann besann er sich doch eines Besseren. Trotz der Wut und des Hasses, die in ihm überzuschäumen drohten, nickte er und erwiderte: „Doch. Ich sehe es jetzt ein, Senor.“
Sabicas grinste höhnisch. „Und du gibst mir auch in dem anderen Punkt recht?“
„Ja. Die ‚Isabella‘ wird sinken.“
„Nicht nur das“, sagte der Andalusier. „Ich versichere, sie läuft mitten in das Atoll hinein und bleibt auf einem der Riffe hängen. Sie zerbricht, ihre Besatzung ersäuft jämmerlich – und all die Schätze des Seewolfs gehören uns.“
Plötzlich sahen ihn die Männer ungläubig an.
„Ja“, bestätigte Sabicas seine eigenen Worte. „Ein Teil bleibt wohl im Wrack des Schiffes, ein Teil wird vom Sturm auf die kleinen Inseln und die Riffe verteilt – und der Rest soll von mir aus sinken. Aber auch diesen Rest werden wir uns holen, denn das Wasser ist an der Stelle nicht sehr tief. Wir können danach tauchen, versteht ihr? Gold, Silber und Juwelen werden uns gehören! Und wir brauchen nicht mehr mit Ponce und den anderen von der ‚El Gabian‘ zu teilen! Starrt mich nicht so dämlich an, ihr Holzköpfe! Lacht! Ich will, daß ihr lacht! Wird’s bald?“
Die wilden Kerle blickten sich untereinander an.
„Er könnte recht haben“, murmelte der Eurasier. „Warum denn nicht? Es gibt keinen unsinkbaren Kahn, verdammt noch mal. Ho, das wird ein Fest! Wenn der Sturm sich gelegt hat, laufen wir wieder aus und holen uns die sichere Beute. He, warum haben wir nicht eher daran gedacht?“ Er begann als erster zu lachen.
Die anderen fielen mit ein.
Donato grinste und nahm seinen Blick nicht von Sabicas’ Gesicht. Die Mündung der Radschloßpistole zielte immer noch auf ihn, und deshalb stimmte er gezwungenermaßen ebenfalls ein gekünsteltes Gelächter an.
Plötzlich lachte er immer lauter, fast hysterisch. Er lachte Sabicas ins Gesicht und dachte dabei immer wieder: Ich werde dich töten, jawohl. Bei der ersten Gelegenheit bringe ich dich um, du Hund, denn du hast uns die längste Zeit verschaukelt.