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2.

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Arne hatte schon bei der ersten Besichtigung des Hauses festgestellt, daß es solide gebaut war. Es gab keine Probleme mit feuchten oder brüchigen Mauern, mit morschen Deckenbalken oder wurmstichigen Bohlen. Alles erweckte einen recht gepflegten, ordentlichen Eindruck. Die Lage direkt am Hafen war ideal – eine der Grundvoraussetzungen für das reibungslose Funktionieren einer kleinen Faktorei.

Im oberen Stock, von der Halle aus erreichbar, befanden sich die Schlafzimmer und Wohnräume, die nicht nur Arne und seinen Gehilfen, sondern auch Gästen Platz bieten würden. Das Erdgeschoß bot sich als Kontor an, und im Keller konnte das Lager eingerichtet werden. Der ummauerte Hinterhof war geräumig, dort befanden sich ein paar Schuppen und Remisen.

Einige Möbelstücke waren vorhanden. Arne mußte damit zu Beginn auskommen, den Rest würde er sich nach und nach beschaffen. Als er die Wohnhalle betrat, ließ er sich probeweise in den Sessel sinken, in dem der dicke Antonio am Vortag mehr gelegen als gesessen hatte.

Arnes Blick wanderte die Treppe hinauf und wieder herunter, und wie zur Selbstbestätigung sagte er: „Ja, das Haus ist wirklich wie geschaffen für unsere Zwecke.“

Jussuf setzte die Kiste mit den Tauben auf dem Steinfußboden der Halle ab und breitete die Arme aus. „Hier würde ich notfalls auch auf dem Boden schlafen, Kapitän.“

„Übertreib nicht“, sagte Arne. Er grinste und erhob sich wieder. „Ein gemütliches Bett oder eine Koje ist besser. Komm, wir gehen nach oben und legen die Platzverteilung in den Zimmern fest.“

Jussuf folgte ihm in das obere Stockwerk. Unten trafen inzwischen die anderen ein, Hein Ropers und zwölf Mann der Crew, die nach Arnes vorher erteilten Anweisungen Gepäck aus der Kapitänskammer der „Wappen von Kolberg“, Fracht und Proviant herübermannten.

Arne hatte sich das Zimmer ausgesucht, dessen zwei Fenster direkt auf den Hafen blickten. Die Einrichtung bestand aus einem Bett, einem Stuhl und einem Waschtisch.

„Großartig“, sagte er. „Zwar nicht halb so prunkvoll wie Don Antonios Residenz, aber dafür um so gemütlicher. Jussuf, wäre es dir recht, die Nachbarkammer zu beziehen?“

„Aber – die ist doch genauso groß wie deine, Kapitän.“

„Na und? Hat das irgendeine Bedeutung?“

„Es ziemt sich nicht für einen Untertanen, dieselben Rechte wie sein Gebieter zu genießen“, erklärte Jussuf. „So schreibt es der Koran vor.“

Arne drehte sich zu ihm um und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Hör mal zu. Bei allem Respekt vor deiner Religion: Mein Gesetzbuch ist nicht der Koran, höchstens die Bibel, wenn du so willst. Da steht nichts über die Zimmerverteilung in einem deutschen Handelshaus auf spanischem Kolonialboden drin. Und noch was – du bist ein selbständiger Taubenzüchter und kein Lakai.“

Jussuf lächelte breit. „Brieftaubenzüchter aus Beirut. Aber es bereitet mir ungeheuren Spaß, dir zu dienen, Kapitän. Außerdem hast du mir das Leben gerettet, hast du das schon vergessen?“

„Fang nicht wieder davon an“, sagte Arne. „Ich erwarte keinen Dank dafür, daß wir dich von dem Riff abgeborgen haben.“

Jussuf verbeugte sich tief. „Ja, Herr.“ Er richtete sich wieder auf, seine kohleschwarzen Augen funkelten vergnügt. „Wie lauten deine Befehle, ehe ich mich um meine gefiederten Lieblinge kümmere?“

„Wie wär’s, wenn du hier ein bißchen aufräumst?“

„Eine gute Idee.“ Jussuf schritt quer durch das Zimmer und mimte das Öffnen von Türen nicht vorhandener Schränke. „Und hier bringe ich deine Garderobe unter, nicht wahr?“

Arne lachte. „Selbstverständlich. Vergiß nicht, meine Perücken zu sortieren und einzupudern.“ Er verließ den Raum, sah sich noch einmal die anderen Zimmer an und kehrte dann nach unten zurück.

Wirklich, er hatte Glück mit diesem Haus. Noch während der Überfahrt von der Schlangen-Insel nach Kuba hatte er nicht damit gerechnet, so schnell das gewünschte Ziel zu erreichen. Aber er hatte in den Kampf der spanischen Galeone aus Sevilla gegen die Küstenschnapphähne eingegriffen und die Besatzung gerettet – samt Don Juan de Alcazar, den er bei dieser Gelegenheit kennengelernt hatte.

Diese Episode war der beste Einstand für das Havanna-Unternehmen gewesen. Eine bessere Empfehlung gab es nicht. Don Antonio de Quintanilla hatte nicht nur die Genehmigung für die Eröffnung eines deutschen Handelshauses erteilt, er hatte Arne auch gleich das Gebäude verkauft, das dieser natürlich offiziell von der Spanischen Krone erworben hatte.

„Wo ist Jörgen Bruhn?“ fragte Arne Hein Ropers.

„Unten“, erwiderte Ropers, der gerade Munition und ein paar Handfeuerwaffen in einem gut versteckten und geschützten Nebenraum verstaute.

Arne stieg in den Keller hinunter. Die meisten Männer waren hier und sortierten die „Ware“ aus den Stauräumen der „Wappen von Kolberg“. Um als Kaufmann in Havanna nicht ganz unbedarft dazustehen, hatte Arne von der Schlangen-Insel nicht nur Geldmittel und Schmuck, Perlen und Diamanten, sondern auch Leinen und Seide, Bernsteinschmuck und etliche Fässer Wein mitgenommen.

Die Stoffballen wurden in die höchsten Fächer bereits vorhandener Holzregale geschoben. Die Kisten mit dem Bernstein brauchten nur in eine Ecke gestellt zu werden. Für die Weinfässer zimmerten die Männer einfache Gestelle, die Rollbewegungen oder ein Umkippen verhinderten und die Fässer im übrigen vor Bodenfeuchtigkeit schützten.

Arne überprüfte sein „Grundkapital“, dann nahm er Jörgen Bruhn beiseite.

„Mit dir habe ich noch was zu besprechen“, sagte er. „Ich brauche neben Jussuf einen zweiten Mann, der mir hier ständig hilft. Mit anderen Worten: Ich biete dir den Posten des Schreibers in der Faktorei von Manteuffel an, Jörgen.“

Bruhn wurde rot vor Stolz. „Aber – es gibt doch sicher andere Männer, die besser für diese Aufgabe geeignet sind. Hein Ropers zum Beispiel. Oder Renke Eggens.“

„Die müssen beide an Bord der ‚Wappen‘ bleiben, genau wie Oliver O’Brien. Fühlst du dich der Stellung nicht gewachsen?“

„Doch, Kapitän.“

„Hast du Angst vor den Spaniern, die uns früher oder später entlarven könnten?“

„Ganz und gar nicht“, sagte Bruhn und drückte seine Brust noch ein bißchen mehr heraus. „Ich bin jederzeit auf alles gefaßt und bereit zum Kampf.“

„Ja, warum reden wir dann eigentlich noch groß herum?“

„Weil vielleicht jemand ältere Rechte und einen Anspruch auf den Posten hat“, sagte Jörgen Bruhn.

„Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen“, sagte Arne. „Aber es freut mich trotzdem, daß du zuerst an die Kameraden und erst dann an dich selber denkst.“

„Das ist meine Pflicht.“

„In Ordnung.“ Arne wies zur Treppe. „Also los, inspizieren wir das künftige Kontor. Du sollst es selber einrichten, und ich bin gespannt auf deine Vorschläge.“

Jörgen Bruhn bedauerte es natürlich, von Bord der „Wappen von Kolberg“ gehen zu müssen, aber die Ehre, an Arne von Manteuffels Seite arbeiten zu dürfen, wog alle möglichen Nachteile voll auf. Bruhn begann unverzüglich damit, alles zu organisieren und sich in seine neue Aufgabe als Schreiber, Sekretär, Lagerist und Warenverwalter des Handelshauses mit dem nötigen Ehrgeiz und Engagement einzuarbeiten.

Er stammte aus Hamburg und hatte dort in jungen Jahren die kaufmännische Praxis in einem der alten, ehrwürdigen Kontore gelernt. Später war er aus Abenteuerlust zur See gefahren und schließlich an Bord der „Wappen von Kolberg“ gelandet.

Er war etwa Mitte Dreißig, braunäugig und dunkelblond. Sein schmales, ausdrucksvolles Gesicht wies ihn als intelligenten Mann aus. Er war vor allem ein guter und kühler Rechner. Aber nicht nur mit dem Federkiel konnte er umgehen – sondern auch mit den Fäusten und mit dem Degen. Und das Wichtigste: Arne konnte sich in jeder Situation auf ihn verlassen.

Jussuf hatte unterdessen die oberen Räume gereinigt und aufgeräumt. Er half Jörgen Bruhn eine Weile beim Einrichten des Kontors, begab sich dann aber auf Arnes Geheiß hin auf den Hof. Hier begann er mit den Arbeiten an dem Taubenschlag.

Arne wußte, daß er bald noch mehr dienstbare Geister brauchte, aber er würde sie sehr sorgfältig auswählen. Von der „Wappen von Kolberg“ war kein Mann mehr abkömmlich, O’Brien brauchte die vollzählige Crew, um manövrierfähig und gefechtsbereit zu bleiben. Die Galeone durfte auf keinen Fall unterbemannt segeln.

Folglich hatte Arne vorerst keine Aussicht, noch mehr Helfer in die Faktorei aufzunehmen. Fremde konnte er nicht einstellen. Er brauchte Männer, die er Kannte und auf die er sich voll und ganz verlassen konnte, wobei Verschwiegenheit unabdingbar war.

Denn alle, wie sie da in dem neuen Domizil herumwirtschafteten, saßen sie auf einem Pulverfaß. Flog das sorgfältig einstudierte Spiel auf, waren sie geliefert. Die Geheimhaltung mußte außerordentlich streng gehandhabt und durfte nie vernachlässigt werden.

Arne durfte sich in keiner Weise auffällig benehmen, Don Juan de Alcazar hatte sich ohnehin schon mißtrauisch genug gezeigt. So würde es Jussufs und Jörgen Bruhns Aufgabe sein, im Hafen herumzustreifen und zu erkunden, ob und wann und mit welcher Ladung ein Schiff via Spanien den Hafen verließ – von Geleitzügen ganz abgesehen.

Arne legte sich ein einfaches Konzept zurecht. Jussuf sollte sein Haupt-Zuträger sein, Jörgen Bruhn wurde nur im Bedarfsfall als „Agent“ eingesetzt. Drohte Gefahr, wurden beide unverzüglich zurückbeordert. Er war für sie verantwortlich und durfte sie keinem unbedachten Risiko aussetzen. Aber über all das wollte er sich noch eingehend mit ihnen unterhalten.

Der Taubenschlag war fertig, Jussuf kehrte ins Haus zurück. Auch Jörgen Bruhn hatte die gröbsten Arbeiten abgeschlossen, und aus dem Keller stiegen die Männer ins Erdgeschoß hoch.

„Zeit für einen Umtrunk“, sagte Arne von Manteuffel.

Jussuf mußte Becher verteilen, und aus einem der Fässer wurde ein Krug Rotwein gezapft. Jussuf füllte die Becher. Arne prostete seinen Männern zu.

„Auf ein gutes Gelingen“, sagte er. „In jeder Hinsicht.“

Damit war das Handelshaus von Manteuffel eingeweiht.

Der Nachmittag verging mit weiteren Einrichtungs- und Aufräumungsarbeiten wie im Fluge. Er wurde aber unterbrochen, als vorn gegen die Tür geklopft wurde. Arne und Jörgen Bruhn blickten von der bescheidenen Inventar-Aufnahme auf, die sie soeben angefertigt hatten. Jussuf eilte zur Tür.

Sie vernahmen, wie er sie öffnete und ein paar halblaute Worte sprach, dann kehrte er zu ihnen zurück.

„Kapitän“, sagte er. „Soeben ist ein Untertan erschienen und bittet um Gehör. Ob das wohl ein Spitzel ist?“

„Wer schickt ihn denn?“ fragte Arne gedämpft.

„Der Gouverneur“, erwiderte Jussuf und seufzte. „Wenigstens behauptet er das.“

„Laß ihn vor, ich will ihn mir selbst ansehen.“

Jussuf bat den Mann herein. Arne empfing ihn in der Wohnhalle. Er erkannte ihn wieder: Es war einer der Lakaien, die er in Don Antonio de Quintanillas Residenz gesehen hatte.

Der Mann verbeugte sich.

„Señor“, sagte er devot. „Ich bitte um Verzeihung, aber ich bringe eine Nachricht des Gouverneurs, Seiner Durchlaucht Don Antonio de Quintanilla, Abgesandter von Gottes Gnaden und Seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philipps II. von Spanien.“

„Schon gut“, sagte Arne und warf Jussuf und Jörgen Bruhn einen Blick zu, der besagte, daß alles in Ordnung sei. „Um was handelt es sich?“

„Um eine Einladung“, entgegnete der Lakai. „Heute abend findet in der Residenz ein Bankett statt. Don Antonio würde sich glücklich schätzen, auch den Señor de Manteuffel an seiner Tafel begrüßen zu dürfen.“

Jetzt fiel es Arne wieder ein: Der dicke Gouverneur hatte ihm gegenüber eine solche Einladung bereits angekündigt. Bei dieser Gelegenheit wollte er ihn den Honoratioren von Havanna vorstellen, beispielsweise Kaufleuten, Offizieren und Beamten.

Arne lächelte. Das Bankett kam ihm gelegen, alles verlief nach Plan. Es begann sich schon jetzt auszuzahlen, daß er den Dicken ein wenig korrumpiert hatte. Der Goldring und die fast taubeneigroße Perle waren die richtige Investition in das neue Geschäft, eine langfristige Kapitalanlage, die er keineswegs bereute.

„Ich bedanke mich“, sagte Arne. „Und selbstverständlich nehme ich mit Vergnügen an. Wann beginnt das Bankett?“

„Beim achten Schlagen der Kirchturmglocke“, antwortete der Lakai.

„Ich werde pünktlich sein.“

Der Bote zog sich zurück, seine Schritte entfernten sich. Jussuf spionierte ihm ein bißchen nach, aber wieder stellte sich heraus, daß kein Grund zu irgendwelchen Befürchtungen bestand. Der Lakai kehrte zur Residenz zurück.

Arne hatte genug Zeit, sich auf das Festessen vorzubereiten. Er legte seine beste Kleidung an, nachdem er ein Bad genommen hatte. Jussuf überprüfte, ob alles, ordentlich saß. Am liebsten hätte er den „Kapitän“ wohl noch mit einem Staubwedel abgeklopft. Jörgen Bruhn konnte sich bei der Prozedur ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen.

„Gesellschaftliche Verpflichtungen“, sagte Arne. „So was habe ich eigentlich schon immer gehaßt. Aber was tut man nicht alles im Dienst der Sache?“

„Gut siehst du aus, Kapitän“, sagte Jussuf. „Das ist wichtig. Es sind sicherlich auch Damen anwesend.“

„Das genügt“, sagte Arne. „Solltest du gute Ratschläge auf Lager haben, verkneife sie dir. Die brauche ich nämlich nicht.“

„Ja, Herr. Nur eine Empfehlung: Don Antonio wird entzückt sein, wenn du ihm wieder ein kleines Geschenk mitbringst.“

„Daran habe ich auch schon gedacht“, sagte Arne und stattete seinem Kellerlager erneut einen kurzen Besuch ab. Er öffnete die Kisten und suchte eine hübsche Bernsteinkette aus, die nach seinem Dafürhalten sowohl dem Dicken als auch dem Anlaß angemessen war.

Pünktlich begab er sich zu Fuß auf den Weg, den er ja schon kannte. Auf Begleitung verzichtete er, obwohl Jussuf, Bruhn, Eggens, Ropers und O’Brien sie ihm angeboten hatten.

Die Mannschaft befand sich unterdessen wieder vollzählig an Bord der „Wappen von Kolberg“. Jörgen Bruhn hielt in der Faktorei die Stellung, Jussuf tat sich ein wenig in den Hafenkneipen um, in denen jetzt der übliche Betrieb einsetzte.

Arne erreichte die Residenz und wurde von einem Wachtposten zu einem Lakaien geführt, dessen Aufgabe es war, die Gäste in die heiligen Hallen des durchlauchten Gouverneurs zu geleiten.

Einen Anflug von Ironie konnte Arne sich nicht verkneifen, als er die Säle betrat. Was hätten die hochwohlgeborenen und honorigen Dons wohl gesagt, wenn sie gewußt hätten, daß sie den Vetter des Seewolfs vor sich hatten?

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 369

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