Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 400 - Roy Palmer - Страница 6
2.
ОглавлениеDon Garcia Cuberas Miene drückte äußerste Besorgnis aus. Er, der Verbandsführer des spanischen Geschwaders, war ziemlich ratlos. Er hatte seine drei Offiziere auf dem Achterdeck der „San José“ zusammengerufen und hielt eine kurze Lagebesprechung mit ihnen ab.
„Señores“, sagte er. „Die Lage bleibt weiterhin verworren. Schlimmer als das, sie wird noch rätselhafter, denn ich weiß mir nicht zu erklären, was diese Schüsse zu bedeuten haben.“
Die Schüsse waren vor kurzer Zeit zu vernehmen gewesen, sie waren von Nordwesten zu dem Verband herübergedrungen – einmal in rascher Folge und kurz darauf noch einmal im Stakkato. Wer hatte sie abgefeuert? Auf wen? Was ging hier, im Nicolas-Kanal vor der Küste von Kuba, vor?
Keiner wußte es, alle konnten nur Vermutungen anstellen.
„Zweifellos waren es Drehbassenschüsse“, sagte der Erste Offizier. „Aber sie können uns nicht gegolten haben. Ich meine – es handelt sich keinesfalls um einen Angriff gegen eines unserer Schiffe.“
„Wohl nicht“, sagte Don Garcia. „Aber zu denken gibt mir die Angelegenheit trotzdem. Was ist da los, Señores?“
„Vielleicht sind es Piraten, die ihr Unwesen treiben“, sagte der Zweite Offizier.
„Auf der Cay-Sal-Bank?“ fragte der Kommandant. „Von dort kamen die Schüsse.“
„Mit Sicherheit“, sagte der Dritte Offizier. „Möglich, daß irgendwelche Schnapphähne einen Segler aufgebracht haben. Wir können uns aber nicht darum kümmern.“
„Nein. Aber ich fürchte, es ist wieder der unbekannte Zweimaster, der herumspukt“, sagte Don Garcia. Daß ausgerechnet der Zweimaster von Don Juan de Alcazar versenkt worden war, konnte er nicht ahnen. „Ich hoffe, daß wir ihn früher oder später zu fassen kriegen“, fuhr er fort. „Und dann gnade Gott den Galgenstricken, die sich an Bord befinden. Sollte der Kahn noch einmal in unsere Nähe geraten, veranstalten wir ein Zielschießen auf ihn, das schwöre ich Ihnen.“
Der Verband befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf Ostkurs im Nicolas-Kanal. Don Garcia Cubera hatte nach den letzten Ereignissen gewisse taktische Veränderungen vorgenommen, so daß die Schiffe nicht mehr den heimtückischen Angriffen aus dem Dunkel ausgeliefert waren – eine wichtige Sicherheitsvorkehrung, wie er seinen Offizieren und den Kapitänen der Schiffe auseinandergesetzt hatte.
Von dem Kapitän der mittlerweile zurückgekehrten Karavelle war ihm gemeldet worden, daß man querab der Cay-Sal-Inseln in der See treibende Wracktrümmer gefunden habe. Die Karavelle hatte den Auftrag gehabt, nach jener Karavelle zu forschen, die in der letzten Nacht den mysteriösen Zweimaster verfolgt hatte. Über den Verbleib des Schiffes war nichts mehr bekannt gewesen – doch jetzt war klar, was geschehen war. Wieder hatte der unheimliche Zweimaster zugeschlagen – oder?
Es gab keinerlei Zweifel über die Herkunft der Schiffstrümmer. Die Karavellenbesatzung hatte unter anderem ein paar Riemen mit den wie üblich eingebrannten Anfangsbuchstaben des Schiffsnamens aus dem Wasser gefischt. So stand es fest – die gesuchte Karavelle war gesunken. So und nicht anders mußte sich das Unglück abgespielt haben, es gab keine andere Erklärung.
Cubera war immer noch nicht vollends überzeugt. Die Ursache für den Untergang der Karavelle blieb letztlich unbekannt, und doch hielt er es bei genauer Betrachtung für völlig ausgeschlossen, daß der unbekannte Zweimaster die Karavelle versenkt haben konnte.
Als Gegner mußte dieser Zweimaster allerdings eingestuft werden. „Zumal feststeht, daß durch ihn die Schaluppe versenkt und die Crew ermordet wurde“, sagte Cubera im Gespräch mit seinen Offizieren. Die Schaluppe der „San José“ – auch ihr Verlust war ein schwerer Schlag auf dieser Reise von Havanna zur Schlangen-Insel, die unter einem Unstern zu stehen schien.
„Ja, Señor“, sagte der Zweite Offizier. „Aber ist es auch der Zweimaster gewesen, der unsere Ruderanlage und die der ‚Gaviota‘ zerschossen hat?“
„Das ist nicht sicher“, entgegnete Cubera. „Aber ich nehme es an.“
Er wußte nicht, wie sehr er sich irrte. Don Juan und Arne von Manteuffel waren die heimlichen „Attentäter“ gewesen. Sie folgten dem Verband mit der dreimastigen Schebecke und taten alles, was in ihrer Macht stand, um den Angriff auf die Schlangen-Insel zu verhindern.
Cubera war sich darüber im klaren, daß der Zweimaster als Feind gestellt und versenkt werden mußte. Doch er mußte auch Prioritäten setzen. Das Unternehmen gegen die englischen Piraten war wichtiger, alles andere mußte vorerst beiseite geschoben werden.
Er konnte jetzt nicht neun Kriegsschiffe darauf ansetzen, einen einzelnen, kleinen Zweimaster zu jagen, der im übrigen jederzeit in flachere Gewässer verschwinden konnte. Dennoch war er der Ansicht, daß das letzte Wort bezüglich des Zweimasters noch nicht gesprochen war.
So rechnete er damit, daß dieses rätselhafte und gefährliche Schiff dem Verband auch weiterhin folgen würde. Vermutlich würde es einen neuen Angriff fahren, aller Wahrscheinlichkeit nach – wie Cubera sich leicht ausrechnen konnte – wieder im Schutz der Nacht.
Aus diesem Grund hatte er auf allen Schiffen seines Verbandes die Kriegswachen aufziehen lassen, so daß sie jederzeit gefechtsbereit waren. Und alle hatten die strikte Order, verschärft Ausguck zu halten.
Das war noch nicht alles. Cubera war von der bisherigen Marschformation, der Kiellinie, mit der der Verband sich voranbewegt hatte, abgegangen. Die Schiffe segelten nunmehr in Doppelkiellinie. Das bedeutete: Je vier Schiffe bildeten eine Kiellinie und segelten mit der anderen Vierergruppe auf Parallelkurs, wobei das Flaggschiff „San José“ zwischen den beiden Gruppen vorn die Spitze bildete.
Auf diese Weise blieb der Verband enger zusammen als bisher. Er hatte gewissermaßen „Tuchfühlung“, die Verständigung von Schiff zu Schiff würde im Gefahrenfall reibungslos funktionieren. Im Fall eines Angriffs konnte das Geschwader auch seine Abwehr besser konzentrieren. Ein weiteres wichtiges Detail: Auch die Innenflanken dieser Formation waren geschützter.
Don Garcia Cubera hoffte, mit dieser neuen Taktik besser zu fahren. Er war entschlossen, jeden neuerlichen Einbruch in den Verband im Ansatz zu unterbinden. Er begegnete der Ungewißheit und den Fragen, die sich auch wegen der zuletzt ertönten Schüsse stellten, mit Härte. Dies schien ihm die einzige Möglichkeit zu sein, Herr der Situation zu bleiben.
An seinen „hochwohlgeborenen“ und „durchlauchten“ Gast Don Antonio de Quintanilla dachte er im Moment nicht. Er wollte sich nicht den ganzen Abend verderben. Aber er ahnte, daß es auch von der Seite noch Ärger geben würde. Es wäre bedeutend besser gewesen, wenn Don Antonio das Deck der „San José“ niemals betreten hätte, in diesem Punkt waren sich alle einig. Aber jetzt ließ sich daran nichts mehr ändern.
Der Wind wehte nach wie vor aus Nordosten, so daß die Schiffe des Verbandes den Ostkurs gut anliegen konnten, zumal er – entsprechend dem Verlauf der Küste – mehr auf einen Kurs Osten zum Süden übergehen würde.
Alle Kommandanten hatten die strikte Order, ihre Position im Verband beizubehalten. Niemand durfte beispielsweise ausscheren oder sich sacken lassen, der Verband mußte geschlossen bleiben, um jeden Preis.
Cubera ließ seine drei Offiziere auf ihre Posten zurückkehren. Das kurze Gespräch, das keinerlei Aufschluß über die Herkunft und Ursache der Drehbassenschüsse hatte geben können, war beendet. Cubera trat an die Schmuckbalustrade des Achterdecks und verfolgte das Auf und Ab der Decksleute, die für die Segelmanöver zuständig waren. Der Profos bedeutete ihm, daß alles in Ordnung sei, aber Cubera bemerkte es kaum.
Seine Gedanken waren jetzt doch wieder bei Don Antonio de Quintanilla. Er konnte nicht anders – er mußte darüber nachgrübeln, was es mit diesem Mann auf sich hatte. Was hatte sein mehr als merkwürdiges Verhalten zu bedeuten?
Am Vormittag war Don Antonio völlig überraschend bei ihm, Cubera, erschienen. Er schien sich eine neue Theorie zurechtgelegt zu haben, der dicke Widerling – wie ihn die Decksleute heimlich zu nennen pflegten. Cubera war erstaunt und völlig unvorbereitet auf das gewesen, was Don Antonio ihm eröffnet hatte.
Eben: Don Antonio, der allmächtige und selbstherrliche Gouverneur von Havanna und Kuba, war zu der Überzeugung gelangt, daß er einem Schwindel aufgesessen wäre, was die Nachricht über die Position des Piratenschlupfwinkels und Verstecks der englischen Korsaren betraf.
Er hatte sogar gefordert, das Unternehmen abzubrechen. Aber da war er bei dem „Señor Comandante“ auf sehr massiven Widerstand gestoßen. Don Garcia Cubera lehnte strikt ab, von dem einmal begonnenen „Marsch auf die Piraten-Insel“ abzulassen. Für ihn gab es kein Zurück mehr, dazu vermochte ihn auch ein Don Antonio nicht zu bewegen. Und befehlen konnte er es ihm schon gar nicht. Nur ein Mann hatte die volle und absolute Befehlsgewalt an Bord der „San José“ und der anderen Schiffe des Verbandes, er, Don Garcia Cubera.
War er anfangs skeptisch gewesen, was dieses Unternehmen betraf, so hatte er seine Meinung inzwischen doch geändert. Gewiß, die Sache hatte für seinen Geschmack schlecht begonnen – angefangen mit dem zu hastigen Aufbruch in Havanna auf das Drängen des Gouverneurs hin. Weitere Erwägungen hatten sich hinzugesellt. Für die bevorstehende Schlacht gab es keinerlei Konzeption, niemand hatte daran gedacht, sie zu entwerfen, am allerwenigsten Don Antonio.
Hinzu kam die Einschätzung des Gegners. Don Garcia Cubera war davon überzeugt, daß die Engländer harte Kämpfer und ein Feind waren, an dem man sich möglicherweise die Zähne ausbiß.
Seine Meinung zu diesem letzten Punkt war unverändert, doch mittlerweile hatte er sich darauf eingestellt. Er war jetzt gewillt, den Stier bei den Hörnern zu packen und das Unternehmen durchzustehen, wie es sich für den Befehlshaber eines spanischen Kriegsgeschwaders gehörte.
Er fühlte sich herausgefordert – dies um so mehr, da sein Verband bereits von einem unbekannten Gegner angegriffen worden war. Daß der geheimnisvolle Zweimaster mit Dunkelhäutigen bemannt war und von einer Schwarzen geführt wurde, ließ die ganze Sache nur noch mysteriöser werden. Kurzum: Mit allem Piratengesindel, das in der Karibik sein Unwesen trieb, mußte aufgeräumt werden. Er, Cubera, hatte die Chance, einen entscheidenden Schlag zu landen. Er wollte sich diese Möglichkeit nicht nehmen lassen, zumal die Aussicht bestand, daß alle anderen Freibeuter das Gefecht als Präventiv- und Abschreckungsmaßnahme werten würden – was es ja auch war, wenn die Spanier den Sieg errangen. Für einige Zeit würden spanische Konvois vor Angriffen geschützt sein, zumindest in diesem Teil der Neuen Welt. Vielleicht wurde die Karibik sogar zu einem sicheren Gewässer. Noch wagte Cubera nicht, dies zu hoffen, aber der Wunsch nahm in seinem Geist Gestalt an.
Im übrigen hatte er den deutlichen Eindruck, daß Don Antonio de Quintanilla ihm etwas verheimlichte. Was? Er hatte lange darüber nachgedacht und war zu der Erkenntnis gelangt, daß er den Mann nicht aus den Augen lassen durfte.
Er war verschlagen und korrupt, dieser Don Antonio, daran gab es keinen Zweifel. Cubera war ein Menschenkenner. Er brauchte keine Beweise, um zu wissen, daß ein Don Antonio nur an sein persönliches Wohlergehen dachte. Seit dem Auslaufen aus dem Hafen von Havanna hatte er durch sein selbstherrliches Auftreten immer wieder gezeigt, daß er nicht gewillt war, Zugeständnisse irgendwelcher Art zu machen – schon gar nicht dem „gemeinen Schiffsvolk“ und dem „Decksgesindel“ gegenüber, wie er die Seeleute im Gespräch mit seinen Lakaien zu nennen pflegte. Er verachtete jeden Subalternen und war es gewohnt, Fußtritte zu verteilen.
So handelte er daheim in Havanna, in seiner Residenz. Er hatte sich jedoch getäuscht, als er angenommen hatte, an Bord der „San José“ genauso verfahren zu können wie innerhalb seines Machtbereiches. Episoden wie die mit der Balje, die Cubera hatte beschaffen müssen, damit der ehrenwerte Don Antonio ein Bad nehmen konnte, hatten den Kommandanten rasch in Wut versetzt. Schließlich hatte er dem Dicken auseinandergesetzt, wer der Herr an Bord der „San José“ war. Hier galten das Wort und das Gesetz des Gouverneurs nicht, denn Cubera unterstand der direkten Order der Admiralität in Spanien. Das hatte er begreifen müssen – Cubera hatte ihm das deutlich auseinandergesetzt, als ihm der Kragen geplatzt war.
Don Antonio hatte daraufhin einen Rückzieher vollführt. Vielleicht begriff er zum erstenmal in seinem Leben, daß er sich leicht die Finger verbrennen konnte, trotz seiner Position.
Cubera war innerlich darauf vorbereitet, daß ihm von seiten Don Antonios noch Unangenehmes bevorstand. Irgendwie spürte er es, aber er sagte sich auch, daß es keinen Zweck hatte, sich deswegen jetzt zu sorgen.
Immerhin hatte er sich Don Antonio, dieser „schillernden und undurchsichtigen Persönlichkeit“, gegenüber bisher durchgesetzt und war gewillt, dies auch weiterhin zu tun. Darauf war sein Bestreben ausgerichtet – und darauf, daß sie ihr Ziel unbehelligt erreichten und das gesamte Kommandounternehmen zu einem brillanten Erfolg wurde. Illusionen schuf er sich dennoch nicht. Er kannte die Kampfkraft und Entschlossenheit der Engländer, und er wußte aus früheren Erfahrungen, daß sie auch dann nicht aufgaben, wenn sie ihr gesamtes Pulver verschossen hatten.
Unter diesem Aspekt empfand Cubera sogar Respekt für die Engländer. Sie waren die erklärten Feinde der spanisch-portugiesischen Nation, und doch konnte er sich eines Anflugs von Bewunderung nicht erwehren, wenn er an diesen tollkühnen Philip Hasard Killigrew und dessen Korsaren dachte.