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1.

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Langsam glitt die sechsriemige Jolle durch einen der schmalen Sumpfkanäle. Es war drückend heiß, kein Windhauch rührte die flirrende Schwüle auf. In dieser stickigen und feuchten Luft fiel selbst das Atmen schwer. Keiner der sieben Insassen des Bootes sprach ein Wort, es war nur das leise Geräusch zu vernehmen, mit dem die Riemenblätter ins Wasser tauchten und sich wieder daraus hoben.

Bald wurde der natürliche Kanal so eng, daß nicht mehr gepullt werden konnte. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, gab seinen sechs Begleitern ein Handzeichen. Sie hielten mit der Arbeit an den Riemen inne und blickten sich mit mürrischen und mißmutigen Mienen nach allen Seiten um: Carberry, Gary Andrews, Matt Davies, Blacky, Jack Finnegan und Paddy Rogers, die nicht die Spur von Begeisterung für das Rohr- und Schilflabyrinth aufzubringen vermochten, in das sie sich begeben hatten.

Carberry brach das Schweigen, indem er sich mit der linken Hand gegen die Wange klatschte und einen saftigen Fluch ausstieß.

„Verdammte Moskitos!“ wetterte er. „Zum Teufel, wir holen uns hier noch das Sumpffieber oder sonstwas weg. Wir hauen am besten gleich wieder ab, ehe wir steckenbleiben oder im Morast versacken.“

„Ganz meine Meinung“, sagte Blacky. „Außer Mücken, Blutegeln, Schlangen und Spinnen scheint es hier nämlich keine Lebewesen zu geben.“

„Die Spanier müssen total verrückt sein“, sagte Matt Davies. „Sie haben diese beschissene Ecke Welt ‚La Florida‘ getauft, das Land der Blumen. Das hört sich nach Paradies und so an, aber in Wirklichkeit ist es eine Fieberhölle, wenn ihr mich fragt.“

„Dich fragt aber keiner“, sagte Gary Andrews mit schiefem Grinsen. „Und falls irgendwo in diesem dämlichen Dickicht doch die Seminolen lauern sollten, bist du der erste, der einen Giftpfeil in die Gurgel kriegt – bei dem Geschrei, das du veranstaltest.“

Hasard hatte sich von seiner Ducht erhoben und ausgiebig Umschau gehalten, jetzt nahm er wieder Platz.

„In einem Punkt gebe ich euch recht“, sagte er. „Siedlungen scheinen sich hier nicht zu befinden, jedenfalls nicht in der Nähe. Wir sind die einzigen Menschen weit und breit. Aber wir sollten uns nicht gleich entmutigen lassen.“

„O nein, das tun wir ja auch nicht“, sagte der Profos. Wieder landete seine Hand klatschend, diesmal auf seinem Halsansatz. Mit einer gemurmelten Verwünschung löste er die Mücke von seiner Haut, die er zerquetscht hatte, dann warf er erneut einen wütenden Blick zu den Myriaden von Moskitos, die sich in zitternden Wolken über den Sümpfen bewegten. „Wir haben eben nur ein bißchen Pech. Dauernd geraten wir in diese verfluchten Kalmen, und die Hitze ist so groß, daß sich die Planken der ‚Isabella‘ biegen. Sonst ist nichts los. Nicht mal ein lausiger Küstenschnapphahn läßt sich blicken, dem man die Haut in Streifen von seinem Affenarsch ziehen könnte.“

„Mit anderen Worten, wir sterben noch vor Langeweile“, sagte Jack Finnegan.

„Ich glaube, ich habe schon Fieber“, sagte Carberry düster.

Hasard lächelte seinen Männern mit gespielter Herzlichkeit zu. „Gegen eure Leiden kenne ich aber die richtige Arznei. Erstens: Wir können tun, was ich bislang vermieden habe, weil die Flaute nie von Dauer war.“

Blacky horchte auf. „Willst du – beide Boote ausbringen und die ‚Isa‘ in Schlepp nehmen? Bei diesen Temperaturen ist das aber eine höllisch schweißtreibende Arbeit.“

„Ich sage das nur, weil ihr es offenbar sehr eilig habt“, sagte der Seewolf gelassen. „Sonst können wir meinetwegen auch die nächste Brise abwarten und solange unsere Umgebung auskundschaften, denn ich hatte mir eigentlich vorgenommen, diese Gegend so genau wie möglich kennenzulernen. Zweitens: Ed, wenn du dich krank fühlst, gebe ich dich in die Obhut Mac Pellews und des Kutschers, die werden dich bestimmt kurieren.“

„Um Himmels willen, nein!“ stieß der Narbenmann entsetzt hervor, dann setzte er rasch ein Grinsen auf. „Ich hab’ doch nur Spaß gemacht. Mir geht es prächtig, und wenn du willst, pullen wir noch den ganzen Nachmittag über kreuz und quer durch diesen herrlichen Sumpf. Vielleicht gerät uns sogar noch ein alter Erpel vor die Muskete, dann haben wir frisches Wild zum Abendessen.“ Bedeutungsvoll klopfte er mit der Hand gegen den Kolben seiner Muskete, die er geladen und unter der Ducht verstaut hatte.

Die anderen lachten, aber ganz wohl war ihnen dennoch nicht zumute. So ging es auch den Männern, die an Bord der „Isabella IX.“ auf die Rückkehr der Jolle warteten. Das Ziel, das sich der Seewolf bei dieser Reise gesetzt hatte, war recht vage. Keiner von ihnen war sicher, ob sie es auch wirklich erreichen würden. Sie waren zum ersten Male in Florida und wußten nicht, was sie hier erwartete. Gastfreundschaft würde es aber wohl auf keinen Fall sein, das stand für sie – nach all den Erfahrungen, die sie gesammelt hatten – fest.

Im Grunde war es ein zumindest nur sehr schwierig zu verwirklichender Plan. Hasard wollte nach einem Indianerstamm suchen, der bereit war, Florida zu verlassen und auf die Caicos-Inseln überzusiedeln. Es gab einige Anhaltspunkte, die darauf schließen ließen, daß er mit der Verwirklichung seiner Idee Erfolg haben könnte. Doch andererseits war auch bekannt, daß die Seminolen, die in Florida hausten, ein grimmiger und angriffslustiger, ja, sogar blutrünstiger Menschenschlag waren.

Freiwillig hatten sich die Männer der „Isabella“ nie zuvor auf die Suche nach Eingeborenen begeben, ganz gleich, wo sie den Anker geworfen hatten. Viel zu leicht handelte man sich einen Giftpfeil oder einen Speer ein, es war stets ratsam, zunächst vorsichtige Distanz zu wahren.

Die „Heiden“, wie die Spanier und Portugiesen sie nannten, hatten in allen Teilen der Welt unliebsame Begegnungen mit den weißen Entdeckern, Forschern und Plünderern aus dem alten Europa gehabt, aus denen sie ihre Lehren gezogen hatten. So gesehen, war es eigentlich verständlich, daß sie auf überraschende Besuche nur feindselig reagierten.

Folglich standen die Männer der „Isabella“ Hasards Vorhaben mit einiger Skepsis und höchst gemischten Gefühlen gegenüber, sie waren von dem Gelingen der Sache nicht überzeugt. Der Plan indes entsprang einer echten Notwendigkeit. Denn die Schlangeninsel war jetzt viel dichter bevölkert als jemals zuvor, und es traten ernstliche Versorgungsprobleme auf.

Aus diesem Grund war der Seewolf mit der „Isabella IX.“ und seiner Crew zu den Caicos-Inseln gesegelt, um nach einem für ihr Vorhaben passenden „Island“ zu suchen. Dabei waren sie auf „Coral Island“ gestoßen, das sich geradezu als ideal erwies und obendrein den Indios, die sie umzusiedeln gedachten, sobald sie den richtigen Stamm gefunden hatten, auch noch alle erforderlichen Lebensbedingungen bot.

Sobald sie dieses Problem gelöst hatten, würde es fortan keine Schwierigkeit mehr darstellen, die Schlangeninsel und ihre Bewohner auf Dauer mit allem Notwendigen zu versorgen.

Aus diesem Grunde war der Inselrat zusammengetreten, zu dem der Seewolf, Siri-Tong, der Wikinger, Jean Ribault, Arkana und ihre Tochter Araua sowie Karl von Hütten gehörten. Man hatte beschlossen, auf einer der Caicos-Inseln eine Plantage zu errichten, und der Seewolf hatte es übernommen, mit der „Isabella“ und seinen Männern nach einem geeigneten Indianerstamm Ausschau zu halten. Es mußte sich dabei aber um Indios handeln, die sich auf Ackerbau verstanden und möglichst auch auf Viehzucht. Solche Stämme gab es im Süden Nordamerikas – und so war die „Isabella“ dorthin gesegelt.

Es verstand sich von selbst, daß man die Indios nicht als Sklaven, sondern als Partner und Freunde behandeln würde. Sie würden auf der Plantageninsel ihren eigenen Ältestenrat haben, außerdem sollten sie für ihre Arbeit Bezahlung erhalten. Die Einzelheiten würden sich aus den Verhandlungen mit den Indios ergeben.

So blieb nur die Möglichkeit, nach Menschen zu suchen, die freiwillig zu einer Übersiedlung auf die Plantageninsel bereit waren. Wo waren sie zu finden? Hasard hatte einmal vernommen, und auch die von Arkana gefundenen Boote und Toten bewiesen das ziemlich sicher, daß im Süden Nordamerikas Indianerstämme existierten, die mit ihrem Dasein nicht zufrieden waren und hin und wieder versuchten, mit Kanus, Piraguas, Balsas und ähnlichen simplen Wasserfahrzeugen zu den Inseln der Karibik überzusetzen.

Bislang waren solche Unternehmungen wahrscheinlich immer kläglich gescheitert, denn die Indianer waren keine richtigen Seefahrer, sie betätigten sich allenfalls als Fluß- oder Küstenfischer. Doch wenn jemand diesen Menschen half, dann konnte es sein, daß sie tatsächlich bereitwillig das Festland verließen und auf einer Insel eine neue Heimat gründeten – das Paradies, das ihnen bisher versagt geblieben war.

Sollte es sich nicht doch nur um eine Legende handeln, dann hatte Hasard Chancen, den Plan in die Tat umzusetzen. Wo er die Siedler für die Plantagenkolonie aber genau finden würde, wußte er noch nicht. Der Süden von Nordamerika war groß, er bestand nicht nur aus Florida, und es gab auch nicht nur die Seminolen, sondern eine Vielzahl von Eingeborenenstämmen, mit denen er Kontakt aufnehmen konnte. Die Suche würde viel Zeit in Anspruch nehmen, dessen war er schon jetzt sicher.

Die Ostküste von Florida lag den Caicos-Inseln am nächsten, deshalb hatte der Seewolf beschlossen, sie als erstes anzulaufen, statt beispielsweise in den Golf von Mexiko zu segeln und die Mündung des Mississippi oder eines anderen großen Flusses als Ziel zu wählen. Bei den derzeit schlechten Windverhältnissen war es ohnehin ratsam, nicht zu große Entfernungen überbrücken zu wollen und dann womöglich tagelang in einer Kalmenzone gefangengesetzt zu sein.

Doch es gab noch einen anderen Grund für Hasard, zunächst die Ostküste dieses „Blumenlandes“ abzuforschen. Hier lag Fort St. Augustine, die bedeutendste Niederlassung der Spanier in dieser Gegend, die 1565 gegründet worden war. Vielleicht lohnte es sich, auch den Spaniern „ganz nebenbei“ einen Besuch abzustatten.

Von diesem Teil des Planes waren die Arwenacks hellauf begeistert, sie konnten es daher kaum erwarten, Fort St. Augustine zu erreichen. Die „Dons“ endlich mal wieder auf ihre Art zu begrüßen – das war ganz nach ihrem Geschmack.

Hasard ging all das wieder durch den Kopf, während er eine Abzweigung des Sumpfkanals benutzte und die Jolle noch ein Stück tiefer in die eigentümliche Landschaft steuerte, die von den Franzosen und den Kreolen auch „Bayou“ genannt wurde. Schließlich blieben sie tatsächlich auf einer Untiefe sitzen. Jack Finnegan und Paddy Rogers gingen außenbords, brachten das Boot wieder frei, kehrten aber mit einer Ladung von Blutegeln an Bord zurück, die sich mit geradezu unheimlicher Geschwindigkeit an ihren nackten Oberkörper festgesaugt hatten.

Fluchend befreiten sie sich von den Plagegeistern, Blacky und Gary halfen ihnen dabei. Hasard stand wieder auf, zog den Messingkieker auseinander und spähte eine Weile in alle Himmelsrichtungen.

Dann ließ er ihn sinken und sagte: „Schluß für heute, wir pullen zurück zur ‚Isabella‘.“

Auch er hatte die Nase voll. Es war seine erste Erkundungsfahrt durch das rätselhafte und geheimnisvolle Land Florida, doch Begeisterung vermochte das, was er gesehen hatte, auch in ihm nicht zu erwecken.

Sam Roskill hatte den Posten des Ausgucks im Großmars der „Isabella“ übernommen und die kleine Jolle auf ihrer Fahrt durch das Sumpfland keinen Moment aus den Augen gelassen. Jede Phase hatte er durch das Spektiv verfolgt, das baumlose Gebiet gestattete ihm einen großartigen Überblick. Das war aber auch das einzig Positive. Paradiesisch schöne Plätzchen mit viel Grün und unzähligen Blumen, an denen strahlende Menschen lebten, die ihnen begeistert zuwinkten, konnte auch er nicht entdecken.

Die Luft flimmerte vor Hitze. Mückenschwärme standen wie gewaltige Säulen über dem Schilfdickicht und vibrierten drohend, als wollten sie jeden Augenblick über das Schiff herfallen. Die Stille wirkte tödlich, sie schien nahendes Unheil anzukündigen.

„Sie kehren zurück!“ meldete Sam. „Viel scheinen sie nicht entdeckt zu haben!“

„Das glaube ich“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn. Er stand auf dem Achterdeck, am Backbordschanzkleid neben Ben Brighton, Big Old Shane und Ferris Tucker, und spähte argwöhnisch in das von der Sonne ausgebleichte Dickicht, aus dem sich die Jolle hervorschob. „Wir haben uns den falschen Platz ausgesucht.“

„Ja“, pflichtete Ferris ihm bei. „Mir scheint, das ist der Arsch der Welt.“

„Schlimmer“, sagte der Alte. „In solchen Sümpfen hausen Geister und Dämonen, die nur auf ein paar arme, verirrte Seelen warten, denen sie das Blut aus den Adern saugen können.“

Big Old Shane drehte sich um.

„Fein“, sagte er grollend. „Und Hexen gibt’s hier sicher auch. Wenn mich nicht alles täuscht, ist eben so ein Biest auf einem Schwabber übers Schilf geflogen.“

„Du kannst mich ruhig auf den Arm nehmen“, sagte Old O’Flynn so beherrscht wie möglich. „Ich weiß, von was ich rede. Eines Tages wirst auch du einsehen, daß ich immer recht gehabt habe. Es gibt übersinnliche Erscheinungen.“

„Ja, schon gut“, sagte der graubärtige Riese. „Ich will mich nicht mit dir streiten. Es ist viel zu heiß dazu.“

Die Jolle glitt längsseits und hielt an, die Männer vertäuten sie an der Bordwand. Dann enterten sie an der Jakobsleiter auf, sprangen auf das Hauptdeck und erstatteten ihren Kameraden Bericht, die sich mit wenig erwartungsvollen Mienen um sie versammelten. Der Angriff der Blutegel auf Jack und Paddy war das Interessanteste. Mit angeekelten Mienen betrachteten die Männer die Wunden, die die Tierchen hinterlassen hatten.

Der Kutscher rückte mit seiner Truhe an, entnahm ihr ein Fläschchen und bepuderte Jacks und Paddys Rücken mit einem Pülverchen. Er nickte, packte seine Sachen wieder zusammen und wandte sich zu den anderen Männern um.

„Was schneidet ihr denn für Gesichter?“ sagte er erstaunt. „Wißt ihr nicht, daß ein Aderlaß hin und wieder wahre Wunder vollbringt?“

„Ja, schon gut“, erwiderte Carberry ziemlich hastig und aufgebracht. „Das ist bekannt. Aber uns geht es prächtig, keiner von uns hat so eine Sauerei nötig. Nun hau schon ab und verschone uns mit deinen Vorträgen.“

Betreten blickten sich die Männer untereinander an.

„Die Hitze schafft einen wirklich“, sagte Smoky. „Wenn nicht bald wenigstens ein laues Lüftchen weht, geht uns das Klima noch auf den Geist, und wir springen uns gegenseitig an die Gurgeln.“

Hasard hatte inzwischen das Achterdeck geentert und nahm sich noch einmal die Karten vor.

„Ich habe mich nicht geirrt“, sagte er zu Ben, Shane, Ferris, den beiden O’Flynns, Roger Brighton und Nils Larsen, die zu ihm traten. „Die Eintragungen auf den Karten stimmen mit meinen Positionsberechnungen überein.“

„Ja, ich habe eben auch noch mal nachgerechnet“, sagte Ben. „Wir befinden uns tatsächlich an dem Platz, den die Spanier ‚Cabo Canaveral‘ getauft haben.“

„Richtig.“ Hasard rollte die Karten wieder zusammen. „Und wir sind nur noch knapp eine Tagesreise von Fort St. Augustine entfernt. Es liegt rund hundert Meilen weiter nördlich.“

„Na, dann hoffen wir mal, daß bald wieder ein Lüftchen weht“, sagte Big Old Shane. „Dieses Kap Canaveral können wir uns schenken. Ich habe keine Ahnung, was die Spanier veranlaßt hat, hier seinerzeit zu landen und den Ort auf Karten zu vermerken, aber sie sind bestimmt bald wieder weitergesegelt, weil es hier von Ungeziefer nur so wimmelt.“

Der Seewolf lächelte. „Die Namensgebung wurde bestimmt von Juan Ponce de León vollzogen, der schon vor Jahrzehnten dieses Land erforschte. Vielleicht hatte auch er mit Flauten zu kämpfen und landete hier nur zufällig.“

„Schon möglich“, sagte der alte O’Flynn. „Aber das eine steht für mich fest: Aus diesem verwunschenen Moskitosumpf wird nie was werden, alle Menschen werden ihn meiden. Daß sich hier jemals jemand niederläßt und etwas aufbaut, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

„Die Zeiten ändern sich, man weiß nie, was kommt“, sagte Big Old Shane mit versonnener Miene. „Merk dir das mal, Donegal. Allwissend bist du nämlich auch nicht. Aber eins ist sicher: Sollte irgendein Verrückter eines Tages auf die Idee verfallen, dieses Fleckchen Erde zu kultivieren, bist du längst tot, und deine Knochen sind zu Staub zerfallen.“

„So?“ Der Alte setzte eine höhnische Grimasse auf. „Deine aber auch. Mit dem, was von dir übrigbleibt, kann man dann höchstens noch einen halben Quadratyard Rübenacker düngen.“

Die Männer lachten. Plötzlich aber verstummten sie, denn Sam Roskill ließ vom Großmars einen grellen Pfiff ertönen.

„Deck!“ schrie er. „Es frischt auf!“

Alle hoben die Köpfe. Ein lauer Wind hatte sich erhoben und fächelte von Südwesten heran. Zuversicht zeichnete sich auf den Gesichtern der Männer ab: es ging wieder weiter. Sie hievten die Jolle an Bord und zurrten sie auf dem Hauptdeck fest, lösten die Segel aus dem Gei und begaben sich auf ihre Posten. Pete Ballie nahm seinen Platz hinter dem Ruderrad ein und legte das Ruder zwei Strich Steuerbord – die „Isabella“ segelte wieder.

Mit Kurs Norden verließ sie Kap Canaveral. Hasards einzige Sorge war jetzt, daß die Backstagsbrise wieder einschlafen würde. Doch sie hielt an und frischte zum Abend hin sogar noch etwas auf. Die „Isabella“ lief mit drei bis vier Knoten Geschwindigkeit und schob eine sanfte Bugwelle vor sich her, der Abstand zur Küste vergrößerte sich nach und nach.

Bei Einbruch der Dunkelheit ließ der Seewolf den Kurs mit anderthalb Strich nach Backbord leicht korrigieren und folgte auf acht bis zehn Meilen Distanz dem Verlauf des Landes. Es wurde eine ruhige Nachtfahrt. Sie begegneten keinem anderen Schiff, und auch an der Küste kündeten keine Lichter davon, daß sich außer ihnen noch andere Menschen in der näheren Umgebung befanden.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 336

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