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Wollte man die Lage nach Mac Pellews Gesichtsausdruck beurteilen, so stand der Weltuntergang unmittelbar bevor. Mac blickte dermaßen griesgrämig und sauertöpfisch drein, daß einem angst und bange werden konnte.

Mißmutig trat er mit dem Handwerkszeug seiner Feldscherzunft, einem hölzernen Kasten voller Gerätschaften, Flaschen, Fläschchen und Verbandszeug, aus der Kombüse der „Isabella IX.“ auf die Kuhl. Dann schlurfte er mit hängendem Kopf zum Achterkastell.

„He“, sagte Higgy, der Neue, der gerade neben Batuti und Smoky auf der Back stand. „Was ist denn mit dem los? Ist was nicht in Ordnung?“

Batuti grinste von einem Ohr zum anderen. „Mac sieht immer so aus, als gehe er hinter seinem eigenen Sarg her.“

„Das ist so seine Art“, fügte Smoky ergänzend hinzu. „Aber sonst ist er ein feiner Kerl.“

„Das glaub’ ich wohl“, sagte Higgy, der mit richtigem Namen Mac O’Higgins hieß und in gewisser Weise so etwas wie Sympathie und Solidarität für Mac Pellew empfand, da dieser den gleichen Vornamen hatte. „Aber er braucht doch nicht traurig zu sein. Wir haben schließlich gesiegt.“

„Das ist so“, versuchte Smoky zu erklären. „Mac ist von Natur aus grämlich veranlagt. Ihm scheint immer die Petersilie verhagelt zu sein. Oder er schaut aus, als habe er einen Kübel Essig getrunken. Aber das hat gar nichts zu bedeuten.“

„Heute ist er dennoch mächtig sauer“, sagte der Gambiamann grinsend. „Weil er Hasard verbinden muß und der Kutscher nicht an Bord ist.“

„Der Kutscher?“ fragte Higgy. „Wer ist das denn?“

„Unser erster Koch und Feldscher“, erwiderte Smoky. „Zur Zeit befindet er sich bei Old O’Flynn. Old Donegal ist der Kapitän der ‚Empress of Sea II.‘, das hast du vielleicht schon gehört.“

„Ja, habe ich“, sagte Higgy. „Und er ist mit seiner Crew irgendwo in der Gegend von Andros unterwegs, wenn mich nicht alles täuscht.“

„Carberry und die Zwillinge sind auch mit dabei“, sagte Blacky, der soeben hinzugetreten war. „Und Sven Nyberg und Nils Larsen. Na, du wirst unsere Leute schon alle noch kennenlernen, Higgy.“

„Ja“, sagte Smoky und kratzte sich am Hinterkopf. „Das mit unseren Leuten – wie sie alle heißen und wo sie stecken – ist ein bißchen kompliziert für dich als Neuen. Aber du gewöhnst dich bestimmt daran. Jedenfalls, was den Kutscher betrifft: Der ist ein heller Kopf. Er war bei Doc Freemont in Plymouth als Kutscher beschäftigt, deshalb nennen ihn alle nur Kutscher. Keiner weiß, wie er richtig heißt. Ist auch egal. Der Kutscher hat schwer was auf dem Kasten, sowohl als Feldscher wie als Koch. Ein Kombüsenhengst und Knochenflicker, wie er im Buche steht. Na ja, und Mac Pellew hat schon eine Menge von ihm gelernt.“

„Er kann aber auch noch ’ne Menge hinzulernen“, sagte Blacky und grinste genauso breit wie Batuti.

„Macht den armen Mac nicht schlecht“, sagte Smoky. „Das hat er nicht verdient.“

„Meinetwegen“, brummte Batuti. „Aber seine Suppen sind nicht immer die besten.“

„Jetzt verstehe ich“, sagte Higgy, und seine Miene hellte sich auf. „Mac soll den Seewolf verbinden, und deswegen ist ihm ein bißchen mulmig zumute.“

„Ein bißchen ist gut“, sagte Blacky leise lachend. „Sieh dir an, wie er dahinschleicht. Als ob er jeden Augenblick tot umfallen müsse.“

„Wenn der Kutscher jetzt an Bord wäre, hätte er’s ihm natürlich abgenommen“, sagte Smoky. „Aber Mac wird das schon hinkriegen. Schließlich ist es nur ein Kratzer.“

„Wenn Ed hier wäre, würde er Mac ganz schön Dampf machen“, meinte der Gambiamann, und seine Mundwinkel berührten die Ohrläppchen.

„Ed?“ fragte Higgy.

„Ed Carberry, unser Profos“, entgegnete Smoky. „Er ist der Profos mit den stärksten Flüchen der Welt, und sein Papagei heißt Sir John.“

Mac Pellew blieb vor dem Achterdecksschott stehen und drehte sich langsam um. Er blickte zu Smoky, Blacky, Batuti, Higgy und den anderen Kameraden, als wolle er sie fragen: Hat einer was über mich zu meckern?

Aber dann fragte er doch nichts, sondern stieß nur einen tiefen Seufzer aus. Er wandte sich wieder ab und betrat das Achterkastell.

Hasard saß in der Kapitänskammer. Er hatte sich während des Gefechts gegen das Flaggschiff des spanischen Geleitzuges eine Blessur zugezogen – eine heftig blutende Schramme am linken Oberarm. Ein Holzsplitter hatte ihm diese Verletzung zugefügt. Mac Pellew hatte einen ersten Notverband angelegt, der die Blutung stoppen sollte. Außerdem hatte er „Kojenruhe“ verordnet, was der Seewolf nur unwillig akzeptiert hatte. Inzwischen blutete die Wunde immer noch. Der Verband mußte dringend ausgewechselt werden.

Big Old Shane hatte vertretungsweise das Kommando über die „Isabella“ übernommen. Bei anderen Gelegenheiten war es stets Ben Brighton, der das Schiff führte, wenn Hasard „außer Dienst“ war. Aber Ben hatte zur Zeit den Befehl über die erbeutete „Chubasco“, eine spanische Kriegskaravelle mit sechzehn Culverinen und vierundzwanzig Drehbassen. Sie segelte im Verband mit der „Isabella“ und dem Schwarzen Segler.

Das Flaggschiff des spanischen Konvois war ein harter Brocken für die Männer des Bundes der Korsaren gewesen. Der Kommandant hatte sich dem Seewolf, Thorfin Njal und Ben Brighton gestellt. Der Geleitzug und seine restlichen fünf Bewacher, Kriegsschiffe waren unterdessen weitergesegelt. Das Gefecht zwischen den vier Seglern hatte vom Morgen bis zum Mittag dieses 2. Mai 1595 gedauert. Dann war der Gigant gesunken.

Die „Isabella“, „Eiliger Drache“ und die „Chubasco“ hatten leichte bis mittlere Treffer. Diese konnten allerdings mit Bordmitteln behoben werden. Gegen zwei Uhr nachmittags, während an Bord der Schiffe noch gehämmert und gezimmert wurde, nahm der kleine Verband seine Fahrt wieder auf und setzte dem Konvoi der Spanier nach.

Hasard hockte auf dem Rand seiner Koje und befaßte sich mit seinem linken Arm, als Mac Pellew anklopfte.

„Komm rein, Mac“, sagte der Seewolf. „Ich habe schon auf dich gewartet.“

Mac trat mit todtraurigem Gesicht ein. Was er sah, war nicht dazu angetan, seine Stimmung zu heben.

„Ich habe eben noch schnell Sam versorgt“, erklärte er. „Im Logis. Er hatte einen leichten Kratzer am Kinn abgekriegt, von dem er zuerst gar nichts gemerkt hat.“

Hasard schaute auf. „Auch ein Splitter?“

„Ja. Aber – Sir, ich hatte Ruhe verordnet.“

„Ich ruhe mich ja aus“, erwiderte der Seewolf. „Los, wechsle schon den Verband aus.“

Mac seufzte zum Steinerweichen, setzte seinen Feldscherkasten ab und begab sich ans Werk.

„Liegen wäre viel besser“, sagte er. „Dann hört das Bluten nämlich schneller auf.“

„Das weiß ich auch“, entgegnete Hasard. „Aber nach Liegen ist mir nicht zumute.“ Er musterte Mac, während dieser den durchtränkten Notverband löste und die Blessur mit einer Tinktur reinigte. „Was ist eigentlich los mit dir? Du ziehst ein Gesicht wie vier Wochen Regenwetter.“

„Ach, mir geht’s gut.“ Mac behandelte die Wunde mit Alaun und Kampfer, dann legte er straff und fest den neuen Verband an.

„Raus mit der Sprache“, sagte Hasard. „Dich bedrückt doch was.“

„Es ist so – ich hab’ dich eigentlich noch nie richtig verarztet“, erklärte Mac mit dumpfer Stimme. „Wenn was schiefgeht, was dann?“

„Was soll schiefgehen?“

„Na ja, der Kutscher …“

„Der Kutscher ist nicht an Bord, und du erfüllst die Aufgaben, die ihr sonst zu zweit verseht“, sagte der Seewolf. „Das ist zwar mehr Arbeit für dich, aber ich sehe, daß alles bestens klappt. Warum sollst du also an dir selbst zweifeln?“

„Nun, der Kutscher versteht sich besser aufs Quacksalbern“, erwiderte Mac mit einem Gesicht, das jeden etwas rührselig veranlagten Menschen in Tränen hätte ausbrechen lassen.

„Unsinn“, sagte Hasard. „Du kannst das genauso gut wie er. Du hast mein volles Vertrauen. Und sieh mal – der Verband hier ist der beste Beweis für dein Können. Das Bluten hat aufgehört.“

Mac betrachtete sein Werk. „Stimmt, ja.“ Vor Stolz wurde er rot. „Na, dann – um so besser.“

„Das finde ich auch“, sagte der Seewolf, erhob sich von der Koje und bewegte probeweise den linken Arm. „Morgen fängt die Wunde an zu vernarben. Also los – auf zu neuen Taten. Wir müssen zusehen, den Konvoi so schnell wie möglich wieder zu packen.“

„Was, du willst schon wieder an Deck?“ stieß Mac entsetzt hervor. „Zu früh! Der Arm …“

Hasard klopfte ihm freundlich auf die Schulter. „Mac, übertreibe es nicht. Ich bin schon wieder auf dem Damm und habe nicht einmal sonderlich große Schmerzen. Ich habe schon Schlimmeres erlebt, erinnerst du dich?“

„Ja. Trotzdem solltest du nicht leichtsinnig sein.“

„Das bin ich auch nicht“, erwiderte Hasard lächelnd. „Ich schone den Arm, das verspreche ich dir.“

Gemeinsam kehrten sie an Oberdeck zurück. Mac sah ungemein erleichtert aus – was sofort auch seinen Kameraden auffiel. Als er seinen Kasten zur Kombüse trug, trat Blacky ihm entgegen und fragte: „Na, Mac, alles in Ordnung?“

„Was soll denn nicht in Ordnung sein?“

„Du hast vorhin ziemlich trübe dreingeschaut“, sagte Blacky grinsend. „Als ob du Angst hättest, am verkehrten Ende zu ziehen.“

„Ich? Angst? Vor was denn?“ Mac stieß einen verächtlichen Laut aus. „Kümmer dich lieber um deinen eigenen Kram. Was stehst du überhaupt hier rum? Hast du nichts anderes zu tun, als Maulaffen feilzuhalten?“ Mit diesen Worten ließ er Blacky stehen und verschwand in der Kombüse.

Hasard stand unterdessen auf dem Achterdeck bei Big Old Shane, Ferris Tucker und Dan O’Flynn. Er blickte durchs Spektiv und spähte aufmerksam zur nördlichen Kimm. Dann bewegte er das Rohr leicht nach rechts und forschte in nordöstlicher Richtung weiter. Doch von dem Konvoi war nichts zu sehen.

Die „Isabella IX.“, der Schwarze Segler und die „Chubasco“ befanden sich in dem Seegebiet nördlich der Bahamas. Sie segelten unter Vollzeug nordostwärts. Der Wind fiel handig bis frisch aus Norden ein.

Der Konvoi, der zu Beginn des Gefechts am Morgen an der nordöstlichen Kimm Richtung Bermudas verschwunden, war, hatte zwar einige Stunden Vorsprung, aber sein Marschtempo war vergleichsweise „schneckenlangsam“, wie Shane es ausgedrückt hatte.

Es stand also außer Zweifel, daß die „Isabella“, der Schwarze Segler und die „Chubasco“ die Schiffe mit Leichtigkeit wieder einholen würden.

Allerdings war es verfrüht, schon jetzt nach den Mastspitzen Ausschau zu halten. Das sah auch Hasard ein. Er ließ das Spektiv wieder sinken, steckte es weg und trat zu Will Thorne, der inzwischen ein neues Besansegel angeschlagen hatte. Das alte war im Gefecht gegen das spanische Flaggschiff völlig zerschossen und zerfetzt worden.

Die Instandsetzungsarbeiten an Bord der „Isabella“ waren fast abgeschlossen. Das schien auch an Bord der „Chubasco“ und des schwarzen Schiffes der Fall zu sein. Von „Eiliger Drache“ tönten allerdings die wildesten, übelsten Flüche herüber.

Was war dort los?

An Bord des Schwarzen Seglers herrschte Gewitterstimmung. Auch Thorfin Njal war nicht ganz unversehrt aus dem Gefecht gegen das spanische Flaggschiff hervorgegangen. Sein Kupferhelm – das gute Stück – hatte eine Beule!

Der Wikinger hatte den Helm dem Stör übergeben mit dem Auftrag, ihn wieder auszubeulen. Schließlich konnte der Kapitän eines Schiffes nicht mit einer Delle im Helm herumlaufen. Einen Ersatz gab es nicht. Und ohne seinen Helm fühlte sich Thorfin irgendwie nackt. Das versetzte ihn in einen Zustand der Unruhe und eines nur mühsam bezwungenen Grolls.

Der Stör stand auf der Kuhl und hämmerte an dem Helm herum. Mal stützte er ihn am Schanzkleid ab, mal drückte er ihn gegen den Großmast oder auf die Nagelbank, denn er brauchte eine solide Unterlage. Aber all das Hämmern und Klopfen nutzte nichts. Die Delle wollte nicht richtig verschwinden, und weitere kleinere Beulen bildeten sich rundherum.

Thorfin Njal stand an der Querbalustrade des Achterdecks und verfolgte mit dem Blick jede Bewegung des Störs. Er wurde immer ungeduldiger.

„Sag mal!“ stieß er schließlich barsch hervor. „Was stellst du da eigentlich mit meinem Helm an?“

„Ich beule ihn aus“, erwiderte der Stör.

„Und warum, bei Odin und seinen Raben, dauert das so höllisch lange?“ fragte der Wikinger drohend.

„Alles braucht seine Zeit“, sagte der Stör mit grimmiger Miene.

„Du haust nicht richtig drauf“, sagte Thorfin. Sein Blick war mißtrauisch. Er hatte Angst, daß ihm der Stör das edle Stück noch mehr verbeulte.

„Ich haue aber doch richtig drauf.“

„Du sollst nicht immer alles nachquatschen, was ich sage“, stieß der Nordmann aufgebracht hervor.

„Gar nichts quatsche ich nach“, erklärte der Stör. „Ich sage nur, wie es ist: Ich haue richtig drauf!“

„Du mußt anders hauen“, sagte der Wikinger. „Das ist es.“ Er ging zum Niedergang, stieg ihn hinunter und steuerte auf den Stör zu.

Dem Stör riß allmählich der Geduldsfaden. „Warum haust du dann nicht selber drauf?“ fragte er wütend.

„Weil ich der Kapitän bin“, erwiderte Thorfin. „Und du bist für das Helmausbeulen der zuständige Mann. Klar?“

„Klar.“

„Du wiederholst schon wieder, was ich sage!“ grollte der Nordmann.

Der Stör hieb sich mit dem Hammer auf den Daumen und stieß einen Fluch aus. „Verdammter Mist!“

„Siehst du, ich habe recht“, sagte der Wikinger. „Du kannst mit dem Hammer nicht richtig umgehen. Vielleicht ist er auch zu groß, der Hammer. Du solltest einen kleineren benutzen.“

„Einen kleineren habe ich nicht gefunden!“ Der Stör schrie es fast.

„Knall nicht so fest drauf!“

„Wie denn sonst?“

„Vorsichtiger!“ brüllte Thorfin Njal. „Das ist ein Kapitänshelm, du Walroß!“

„Ein feiner Kapitänshelm!“ brüllte der Stör zurück. „Ich mußte erst mal die ganzen Läuse rausschütteln!“

„Bist du krank? Ich hab’ doch keine Läuse im Helm!“

„Läßt du mich jetzt endlich in Ruhe?“ schrie der Stör.

Alle – von Arne und Eike bis hin zu Muddi, der dreckigsten Ratte an Bord – horchten auf. Was war denn in den Stör gefahren? So hatte er sich noch nie aufgeführt. Nein – keiner konnte sich erinnern, ihn jemals richtig wild gesehen zu haben. Aber jetzt schien etwas im Stör überzukochen. Zornig sah er Thorfin Njal an. Die Männer wandten die Köpfe und blickten zu den Streithähnen. Wie ging es weiter? Sprangen sie sich jetzt gegenseitig ins Gesicht?

„Wie sprichst du eigentlich mit deinem Kapitän, du Sausack?“ brüllte Thorfin Njal.

„Wenn ich den blöden Helm richtig reparieren soll, muß ich meine Ruhe haben!“ schrie der Stör.

„Du wanderst gleich ab in die Vorpiek, da hast du deine Ruhe!“

„Aber kein Licht!“

„Du frecher Bube!“ röhrte der Wikinger. „Warte, dir bieg’ ich die Knochen zurecht! Und schlag meinen Helm nicht kaputt!“

„Da!“ Der Stör schleuderte den Helm auf die Planken. Es schepperte, und das „wertvolle Stück“ rollte Thorfin genau vor die Füße.

Thorfin drohten die Augen aus den Höhlen zu quellen. Deutlich sah er es: Jetzt hatte der Helm eine zweite dicke Beule, verursacht durch den Aufprall auf das harte Eisenholz.

„Bring deinen verdammten Kochtopf gefälligst selbst in die richtige Fasson!“ brüllte der Stör. „Ich habe die Schnauze voll!“ Damit fuhr er herum und schritt wütend davon. Er riß das Schott zum Vordeck auf, trat ein und knallte es hinter sich zu.

Der Wikinger war derart verblüfft, daß er sich nur sprachlos den grauroten Schädel kratzte. Dann bückte er sich nach dem zweigebeulten Ding und rammte es sich wieder auf den Schädel. Besser als gar nichts – und lieber hatte er einen ramponierten Helm auf dem Kopf als gar keinen.

Aber der Stör, dachte Thorfin, was der nur hat?

Das fragte man sich nicht nur an Bord des Schwarzen Seglers, sondern auch an Bord der „Chubasco“ und der „Isabella IX.“.

„Der Stör ist ganz schön wütend“, sagte Ferris Tucker grinsend. „Es wundert mich, daß Thorfin ihn deswegen nicht in ein Kanonenrohr steckt und als Kartusche abfeuert.“

Hasard wollte etwas darauf entgegnen, aber jetzt erschien Al Conroy auf dem Achterdeck.

„Sir“, sagte er mit grimmiger Miene. „Ich habe eine wichtige Meldung.“

„Was ist los, Al?“ fragte der Seewolf.

„Ich habe soeben die Pulver- und Kugelvorräte überprüft“, erwiderte Al. „Da ist nicht mehr viel drin. Die Vorräte, die wir noch im Depot haben, reichen allenfalls für ein kurzes Gefecht.“

„Teufel auch“, sagte Big Old Shane. „Das mußte ja kommen.“

„Allerdings“, pflichtete Hasard ihm bei. „Beim Beschuß von Fort St. Augustine und in dem Gefecht mit dem Flaggschiff ist zuviel Munition draufgegangen. Das habe ich mir schon fast gedacht.“

„Was jetzt?“ fragte Dan. „Da ist guter Rat teuer.“

„Wir holen uns bei den Dons Nachschub“, sagte der Seewolf.

Die Männer blickten ihn einigermaßen überrascht an. Er sagte das ganz trocken, als brauche man bei einer Kriegsgaleone nur längsseits zu gehen, um sich neu einzudecken.

Das bringt der glatt fertig, dachte Al Conroy.

Hasard trat ans Schanzkleid und preite den Wikinger an.

„He!“ schrie er zum Schwarzen Segler hinüber. „Thorfin! Wie sieht es bei dir mit den Munitionsvorräten aus?“

Da kratzte sich der Wikinger wieder an seinem verbeulten Helm und war zunächst überfragt. Mit dem Blick suchte er nach dem Mann, der ihm am nächsten stand.

„Eike“, sagte er. „Prüf das mal.“

Eike verschwand unter Deck und kehrte nach fünf Minuten wieder zurück. Er erstattete Thorfin seinen kurzen Bericht, und der Wikinger brüllte zu Hasard hinüber: „Sieht mager aus! Unsere Munitionsvorräte sind arg geschrumpft!“

Hasard konnte sich nicht verkneifen, dem Poltermann jetzt etwas gegen den Helm zu feuern.

„Da schau mal an!“ rief er. „Hattest du etwa die Absicht, die Beute im Geleitzug mit der Wurfleine einzufangen?“

Grinsend verfolgte der Seewolf durchs Spektiv, wie dem Wikinger buchstäblich der Eisenhut hochging.

„Mann, Mann“, sagte Dan. „Jetzt explodiert er.“

„Klar“, meinte Ferris. „Kein Wunder. Erst die Sache mit dem Stör – und jetzt so was.“

„Dem steigt die Galle hoch“, sagte Al Conroy grinsend.

„Kein Wunder“, sagte Hasard. „Er hätte auch von allein darauf kommen können.“

Der Wikinger schien wirklich kurz davor zu sein, wie ein chinesischer Brandsatz in die Luft zu rasen. Er stieß eine der übelsten Verwünschungen aus, die er kannte, aber das änderte auch nichts an der Tatsache: Pulver und Kugeln an Bord von „Eiliger Drache“ waren knapp.

Weder der Wikinger noch seine Mannen hatten an die Munitionsknappheit gedacht – erst der Seewolf hatte sie darauf hinweisen müssen. Das war ein starkes Stück! Ein Hammer sozusagen! Der Wikinger war derart mit seinem Beulenhelm beschäftigt gewesen, daß er es versäumt hatte, die Depots kontrollieren zu lassen.

Dabei waren die Munitionsvorräte genauso wichtig wie genügend Trinkwasser und Proviant – oder Holzkohle für die Kombüse und für die Kupferbecken, in denen die Lunten entfacht wurden, wenn sie sich im Gefecht befanden. Ohne Munition konnten sie den Geleitzug vergessen.

Al Conroy an Bord der „Isabella“ hatte den Mangel rechtzeitig genug bemerkt. Was wäre auf beiden Schiffen wohl passiert, wenn sie sich jetzt mit den noch vorhandenen fünf Kriegsgaleonen angelegt hätten und in ein hartnäckiges Gefecht verwickelt worden wären? Die Munition hätte nicht ausgereicht. Fatale Folgen hätte das ergeben – Dinge, die man sich gar nicht ausmalen mochte.

Der einzige, der in puncto Munition noch nicht „verschossen“ war, das war Ben Brighton mit seiner „Chubasco“.

Aber Ben und seine „Prisencrew“ brauchten ihre Munition selbst. Für Hasard bestand zwar kein Zweifel daran, daß Ben ihnen bereitwillig ausgeholfen hätte, aber was nutzte das? Es hätte nur zur Folge gehabt, daß die drei Schiffe unzureichend mit „Futter“ für ihre Kanonen ausgestattet gewesen wären. Das war keine Lösung.

Kurzum, die Männer mußten ihre Munition ergänzen.

„Thorfin!“ schrie der Seewolf zum Schwarzen Segler hinüber. „Wir holen uns bei den Dons, was wir brauchen! Pulver und Kugeln!“

„Wie?“ brüllte der Wikinger.

„Wir versuchen, eine der fünf Kriegsgaleonen zur Übergabe zu zwingen!“

„Verstanden!“

„Das bedeutet, daß wir sie nicht versenken dürfen!“ rief Hasard.

„Ist klar!“ schrie der Wikinger und griff dabei mit beiden Händen an den Helm, der immer noch nicht richtig zu sitzen schien. Zornig rückte er ihn hin und her. „Entern und plündern!“

„Oder sollen wir lieber umkehren?“ rief der Seewolf.

„Niemals!“ stieß der Wikinger mit Donnerstimme hervor. „Lieber lasse ich mich vom Höllenwolf fressen!“

„Auch keine schlechte Idee“, brummte der Stör, der im Vorschiff hockte. „Da meckert der Mensch über die Beulen in seinem Helm und vergißt, nach dem Pulver zu sehen. Nicht zu fassen ist das.“

„Also!“ rief der Seewolf. „Wir halten unseren Kurs!“

„Weiter hinterher!“ brüllte der Wikinger.

Don Juan de Alcazar stand neben Ben Brighton auf dem Achterdeck der „Chubasco“ und lächelte. „Für den Wikinger scheint es ein schwerer Tag zu sein – trotz der erfolgreichen Schlacht gegen das Flaggschiff. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß er etwas durcheinander ist.“

„Der beruhigt sich auch wieder“, sagte Ben. „Ich kenne ihn gut genug.“

Hasard hingegen wollte es gar nicht gefallen, daß Thorfin Njal so ausgesprochen rappelig war. Carberry hätte – wenn er jetzt hiergewesen wäre – den Wikinger wieder mal einen „behelmten Nordpolaffen“ genannt. Irgendwie schien sich Unheil anzukündigen.

Mann, Thorfin, dachte der Seewolf, halt bloß die Luft an. Es hängt einiges davon ab, daß wir jetzt ruhig und konzentriert gegen die Dons vorgehen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 468

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