Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 545 - Roy Palmer - Страница 6
1.
ОглавлениеZornig spuckte der Bandenhäuptling ins Feuer. „Fraß“, murmelte er. „Nichts als Dreck. Lieber hungre ich. Seit Wochen keine gute Beute mehr – beim Scheitan, das geht nicht mit rechten Dingen zu!“
Datteln, nur Datteln – mehr gab die Natur für die Kerle nicht her. Sogar beim Angeln hatten sie in den letzten Tagen unglaubliches Pech gehabt. Es war, als habe sie ein Fluch getroffen, als wollten die Götter sie langsam verrecken lassen.
Daher stellte sich Ebel, der bärtige Hüne, die prinzipielle Frage: hatte es einen Wert, als Schnapphahn sein Fell zu riskieren? Was brachte es ihm ein? Praktisch nagte er am Hungertuch. Die goldenen Zeiten, in denen man ein Handelsschiff nach dem anderen überfallen konnte, waren vorbei.
Viele Kauffahrer, die früher mit ihren Schiffen den Tigris hinaufgesegelt waren, hatten jetzt andere Ziele. Die Flußfahrt war ihnen zu beschwerlich geworden, und Städte wie Bagdad boten nicht mehr die Gewinne von einst, wenn man dort auf dem Bazar seine Waren verkaufte.
Ausländische Handelsleute hatten sich deswegen neuen, besseren Absatzmärkten zugewandt. Im übrigen hatten sie Angst vor der Bedrohung durch die Galgenstricke an der Piratenküste. Die Überfälle hatten dort überhandgenommen, so daß viele Segler den Golf von Persien ohnehin mieden.
Zumindest war dies die Vorstellung, die Ebel Schachnam hatte. Verdammte Giaurs, dachte er, ungläubige Hunde, der Scheitan soll euch alle holen. Wieder spuckte er aufgebracht aus.
Seine Kerle rückten vorsichtshalber von ihm ab. Sie wollten nicht ähnlichen Ärger wie Haschira bekommen. Der Grinser hatte sich derweil wieder aufgerappelt und schüttelte die Schmerzen ab. Er konnte schon wieder grinsen.
Hat ein dickes Fell, der Bastard, dachte Güner, der Kurde. Güner war ein schlanker Mann mit langen, sehnigen Armen – einer der kühnsten und wendigsten Kämpfer der Meute. Ebel Schachnam schätzte ihn, und im Grunde war Güner so etwas wie ein Berater, eine rechte Hand für ihn.
Aber Ebel, der Häuptling, wußte auch, daß er sich vor dem Kurden in acht zu nehmen hatte. Nicht immer stand der Kerl auf seiner Seite. In Augenblicken wie diesem hätte Güner, seinem Anführer liebend gern ein Messer zwischen die Rippen gestoßen, denn er haßte Ausbrüche wie den, dessen Zeuge sie eben gewesen waren.
Ebel Schachnam schien sich zu einem Entschluß durchgerungen zu haben. Er fuhr zu seinen Kerlen herum.
„Los, macht die Guffas klar!“ herrschte er sie an. „Wir versuchen es noch einmal!“
„Jetzt?“ fragte einer der Kerle verdutzt.
„Hast du Datteln in den Ohren?“ fauchte Ebel ihn an.
„Los, beeilt euch“, sagte Güner. „Vielleicht stoßen wir weiter flußabwärts auf einen Kahn, den wir ausplündern können.“
Die Kerle fügten sich. Es war ihnen nicht ganz geheuer, um diese Stunde auf Beutezug zu gehen. So grausam und skrupellos sie auch waren – sie waren abergläubisch. Es war nach Mitternacht und zu dem völlig finster.
Der Mond war in der letzten Nacht nur noch als hauchdünne Sichel zu sehen gewesen, jetzt überhaupt nicht mehr. Neumond – das brachte Unglück, wenn einem die Flußgeister und die Walddämonen nicht wohlgesonnen waren.
Aber Ebel Schachnam hatte natürlich recht. Beute mußte her. Alle Möglichkeiten mußten genutzt werden, Müßiggang hatte keinen Sinn. Bald hatte die Bande nicht einmal mehr Datteln zu beißen.
Es brachte auch nichts ein, die verstreut liegenden Dörfer in der Nähe des Flusses oder im Schwemmland zu überfallen. Da gab es nichts zu holen. Die Menschen, die in den erbärmlichen Hütten lebten, waren bettelarm und kämpften selbst gegen Hunger und Durst.
Leise fluchend gingen die Flußräuber zu ihren Guffas. Guffas – das waren Gerüstrundboote, wie sie in Mesopotamien üblich und gebräuchlich waren. Bug und Heck waren nicht zu unterscheiden, die Fahrzeuge waren völlig rund. Sie wurden mit Fell oder Häuten überspannt und der Boden mit Stroh ausgelegt. Oft wurden sie auch mit heimischem Naturbitumen abgedichtet.
Guffas wurden als Lasten- und Personenfahrzeuge auf Flüssen benutzt, auch in der Nähe der Meeresküste. Größere Guffas bis zu zehn Menschen Tragfähigkeit – dazu noch einige Tiere – waren keine Seltenheit in dieser Gegend, wo der Euphrat und der Tigris zusammentrafen.
Es gab auch die Möglichkeit, mehrere Rundboote mit Plattformen zu größeren Fahrzeugen zu verbinden. So nutzten die Menschen des Schwemmlandgebietes sie als schwimmende Brücken. Die Guffas hatten den großen Vorteil, daß sie bei Stromschnellen sehr sicher gegen das Kentern waren.
Ein anderes Wasserfahrzeug in Mesopotamien war das Kelek, ein aus Assyrien stammendes Tierbalgfloß, das aus einer Anzahl aufgeblasener und zusammengenähter Häute und einem verbindenden, gerüstartigen Flechtwerk bestand. Die Assyrer bedienten sich dieser Flöße, die auch Burdjuks genannt wurden, zur Überquerung von Flüssen und zum Transport von Tieren und Waren.
Die Schachnammeute hatte von jeher auf die Verwendung von Keleks verzichtet. Das Guffa war für sie das ideale Boot – flach, schnell und wendig. Die Kerle konnten wahrlich gut damit umgehen. Wie kundig sie waren, das bewiesen sie auch jetzt, in der Finsternis: wie Katzen glitten sie in die Guffas, griffen nach den Paddeln und stießen sich vom Ufer ab. Ihre Waffen waren Pfeil und Bogen, Schwert und Messer. Griffbereit lagen sie auf dem Strohboden der Boote.
Ebel Schachnam hockte vorn in seinem Guffa, verschränkte die Arme vor der Brust und hielt nach allen Seiten Ausschau. Was er da erspähte, war herzlich wenig. Besser gesagt – nichts. In der tintenschwarzen Dunkelheit vermochte man kaum die eigene Hand vor Augen zu sehen.
Eine Zeitlang trieben die Guffas den Tigris hinunter, unförmigen Tieren gleich. Anfangs fühlte sich Ebel von einer gewissen Euphorie gefangengenommen, dem Drang nach Taten. Aber dieser Eifer ließ sehr schnell wieder nach. Bald sank seine Laune erneut auf den absoluten Nullpunkt.
Ebel Schachnam wollte den barschen Befehl zum Umkehren geben, denn es war keine mögliche Beute in Sicht oder in Hörweite – da drang plötzlich ein schwacher Laut an seine Ohren.
„Hört ihr das?“ zischte er seinen Kerlen zu.
„Ja“, raunte Güner zurück. „Da winselt was.“
„Ein Hund?“ fragte Haschira, der Grinser.
„Halt doch das Maul, du räudige Kröte“, erwiderte Ebel mit verzerrtem Gesicht. „Sonst stopfe ich es dir noch. Elender Hurenbock.“
Haschira fragte sich im stillen, womit er all diese Verwünschungen und Beleidigungen wohl verdient hatte, und wie es wäre, wenn er jetzt dem Schweinehund von Ebel Schachnam einen Pfeil mitten in die Brust schießen würde.
Aber der Ablauf der Ereignisse brachte ihn auf andere Gedanken. Da war wieder ein Laut – klagend, wimmernd, offenbar im Dickicht des südlichen Flußufers.
„Wir sehen nach, was das ist“, sagte Ebel Schachnam. „Los, paddelt, ihr Faulpelze!“
Die Kerle hielten mit den Guffas auf das Ufergestrüpp zu. Was immer da sein mochte, es erregte in ihnen gemischte Gefühle. Einerseits waren sie neugierig und versessen darauf, der Sache auf den Grund zu gehen. Andererseits fürchteten sie die Gespenster und Dämonen, die in Nächten wie diesen ihr Unwesen trieben und schon so manchen Mann das Fell über die Ohren gezogen hatten.
Da konnte auch ein bärenstarker Kerl schnell außenbords gehen und im Tigris ersaufen, ohne daß man je wieder etwas von ihm sah. Wenn sich einem die Tangdämonen an die Beine hängten, versackte man blitzartig und erstickte unter Wasser.
Diese und andere Erwägungen und düstere Ahnungen beschäftigten den Geist der Flußräuber, während sich die Guffas dem Dickicht näherten. Da waren sie wieder, die rätselhaften und unheimlichen Geräusche. Weinen und Wimmern, Schluchzen und Schnüffeln. Was, zur Hölle, hatte das zu bedeuten?
War das wirklich ein Tier? Ein Hund? Kaum – Hunde trieben sich nur selten in dieser Gegend herum. Eher schon ein Fischotter. Aber warum sollte der solch seltsame Laute von sich geben?
Fragen über Fragen, auf die es keine Antwort gab. Ebel Schachnams Guffa drängte sich zwischen die Schilf- und Bambushalme, aber die Ursache des Wimmerns war immer noch nicht zu erkennen, obwohl sie inzwischen in unmittelbarer Nähe des Rundbootes erklang.
Der bärtige Anführer der Meute hatte einen glorreichen Einfall. Er ließ ein Talglicht entfachen. Die Flamme züngelte auf und flackerte im Wind, der über den Tigris strich. Doch das rötliche Licht erwies sich als ausreichend. Es tanzte wie ein Irrwisch über Wasser und Schilf – und plötzlich sahen die wüsten Kerle, was sie vor sich hatten.
Ein Mensch war es, der da zwischen dicken und widerspenstigen Rohren festsaß und sich offenbar nicht mehr zu bewegen vermochte, weder vor noch zurück. Ebels Gesicht war eine Maske des Staunens. Sein Mund stand ziemlich weit offen.
„Das gibt’s doch nicht“, murmelte er.
„Das ist ja ein Weib“, sagte Haschira kichernd, obwohl er riskierte, wieder von seinem Häuptling geschlagen zu werden.
„Du merkst aber auch alles“, zischte Güner.
„Also ist es doch kein Hund“, brummte ein Kerl in dem nächsten Boot, das sich näherte.
„Ein Weib“, sagte ein anderer Flußpirat gierig, „wäre ’ne ganz gute Beute für uns.“
„Vorsicht“, warnte einer der älteren Kerle. „Das ist kein richtiges Weib. Das ist ein Dämon.“
„Wie denn?“ begehrte Haschira auf. „In Fleisch und Blut?“
„Eine Hexe“, sagte nun selbst Güner. Sonst gehörte der Kurde zu den sachlichen Kerlen, die von Mummenschanz, Spuk und Zauber nicht viel hielten. In dieser Nacht aber war auch ihm einiges nicht geheuer.
Hatte man jemals ein Frauenzimmer im Röhricht angetroffen? Nein, es war das erstemal. Warum ausgerechnet heute nacht? Ging das mit rechten Dingen zu?
„Wie kommt die da rein, ins Dickicht?“ wollte einer der Galgenstricke, wissen.
„Sie steckt in einem Wasserloch fest“, erwiderte Ebel Schachnam.
In der Tat war es die Erklärung. Überall im Ufergestrüpp und in den angrenzenden Sümpfen des Schwemmlandes gab es diese Wasserlöcher. Es handelte sich um Vertiefungen in dem sonst flachen, manchmal nur knöcheltiefen Wasser.
Wer durch die Sümpfe irrte und sich nicht auskannte, der konnte sehr leicht in ein solches Loch tappen und darin steckenbleiben. Der Grund bestand aus tückischem Morast, der einen langsam, aber beständig nach unten zog.
Also doch – hier schienen die Dämonen am Werk zu sein.
Die sonst so kaltblütigen, brutalen Kerle stöhnten unwillkürlich auf. Entweder war das fremde Weib selbst ein Geist oder ein Dämon, oder aber die Gespenster der Nacht hatten sie gepackt. Man durfte sie nicht anfassen, sonst war man selbst verloren.
„Weiter!“ befahl jedoch Ebel Schachnam, den die Schrecken und Mächte der Finsternis einen Dreck kümmerten.
Es blieb den Kerlen nichts anderes übrig – sie mußten das Guffa weiter vorantreiben. Die Halme und Rohre knackten und krachten. Das Rundboot schob sich auf die fremde Frau zu. Wild zuckte der Lichtfleck durch die Nacht. Es war eine beängstigende, bizarre Szene.
Die Frau, so stellte sich beim näheren Hinsehen heraus, war sehr jung und nur dürftig bekleidet. Sie war höchstens zwanzig Jahre alt, vielleicht noch jünger, ein halbes Kind noch. Die blonden Haare hingen ihr naß auf die Schultern.
Die letzten Fetzen ihres Kleides – wenn man die Überreste überhaupt als Kleid bezeichnen wollte – klebten ihr am Körper fest. Sie war über und über mit Morast beschmutzt. Dennoch konnte Ebel, der Bärtige, ganz klar erkennen, daß sie ein hübsches und obendrein noch gutgebautes Weib war.
Er streckte die Hand nach ihr aus.
„Komm, ich helfe dir“, sagte er.
Wenn schon keine Beute, dann doch wenigstens ein Weib. Das war schon mal etwas, und den Rest würde man am nächsten Tag erledigen, wenn es wieder hell war und man Schiffe von weitem erspähen konnte. Vielleicht brachte dieses seltsame Weib ja sogar Glück.
Plötzlich aber stieß die Frau einen spitzen Schrei aus.
Ebel Schachnam kippte fast aus seinem Guffa. Das hatte er nicht erwartet. Statt sich über die Rettung zu freuen, kreischte sie wie von Sinnen! Ihre Augen drohten aus den Höhlen zu quellen, ihr Gesicht war zu einer Fratze verzerrt. Sie steckte die Zunge heraus, gurgelte und schrie Worte in einer Sprache, die die Kerle nicht verstanden.
„Weg hier!“ stieß Haschira hervor. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. „Weg! Sie ist eine Wasserhexe!“
Viele Meilen weiter südöstlich vom Schauplatz dieses Geschehens lag eine Dreimastgaleone vor Anker – die „Santa Barbara“. Zu weit für Ebel Schachnam und dessen Schnapphähne. Sie ahnten nicht, daß Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, im Begriff war, sich dem Schlupfwinkel der Bande zu nähern.
Aber auch Hasard und seine Crew hatten nicht im geringsten eine Vorstellung davon, was sich in den nächsten Tagen abspielen würde. Die Männer hatten keine sonderlich gute Laune. Im Schein der Ankerlaterne hockten sie an Deck herum und spielten mit Würfeln oder tranken einen Schluck Wein. Die Freiwache lag in den Kojen.
Bei Nacht konnte man nicht segeln. Die Schwemmlandebene von Mesopotamien war viel zu gefährlich. Überall konnte man mit dem Schiff steckenbleiben. Und ein gebranntes Kind scheut bekanntlich das Feuer. Vor kurzem waren die Mannen mit ihrer Lady Barbara schon einmal aufgebrummt – bei Abu Dhabi, an der Küste der Piraten.
Inzwischen hatten sie den Persischen Golf ganz durchquert und waren bei Abadan den Shatt-al-Arab hinaufgesegelt – jenen Strom, der Euphrat und Tigris in sich vereinte. Der Seewolf wollte die Stelle erreichen, wo beide Flüsse zusammentrafen.
„Und wie heißt das Nest?“ fragte Old O’Flynn gerade noch einmal.
„Welches?“ wollte Ferris Tucker wissen.
„Na, das Nest, wo Euphrat und Tigris zusammenfließen.“
„Korna“, sagte Hasard lächelnd.
„Al-Qurnah auf arabisch“, fügte Philip junior hinzu.
Der Alte schnitt eine Grimasse. „Ja, ihr Klugscheißer habt mal wieder eine dicke Lippe. Aber das sage ich euch: wir verirren uns noch ganz gehörig in dieser Ecke Welt.“
„Donegal“, sagte Carberry mit grollendem Organ. „Wenn du damit auf den Nil anspielen willst, gibt es Ärger.“
„Ah, du willst mir drohen?“
„Gar nichts will ich. Nur vom Nil will ich kein Sterbenswort mehr hören, verdammt noch mal. Und wir haben da eine Vereinbarung, vergiß das nicht.“
„Klar, denke ich dran.“
Richtig – sie hatten sich seinerzeit, nachdem die „Isabella VIII.“ im Treibsand von Ägypten steckengeblieben war, darauf geeinigt, über diese wohl blamabelste Episode ihres Lebens nie wieder zu reden. Außerdem hatten sie sich geschworen, daß so etwas nie wieder passieren würde.
Aber jetzt hockten sie auf ihrem Schiff mitten im Schwemmland, und den Seewolf schien wieder mal der Hafer zu stechen. Was tun? Mitgegangen, mitgehangen – sie konnten sich nur fügen, denn sie waren alle mit dieser Fahrt einverstanden gewesen.
„Freunde, ihr braucht euch keine Sorgen zu bereiten“, sagte Hasard. „Auf die Karten können wir uns verlassen. Bisher haben sie uns den richtigen Weg gewiesen. Und die ‚Santa Barbara‘ ist nur ein Leihschiff. Wir können sie verkaufen, wann wir wollen. Wir können sie auch verschenken, denn sie hat uns keinen Silberling gekostet.“
„Das ist alles richtig“, entgegnete Don Juan de Alcazar. „Aber wo willst du eigentlich hin?“
„Dorthin, wo wir noch nicht waren.“
„In die Wüste der Türkei?“ fragte Old O’Flynn aufsässig.
„Unsinn“, sagte der Seewolf. „Es gibt ein paar Plätze, die wir noch nicht erkundet haben. Zum Beispiel den Süden von Rußland.“
„Ich werd’ verrückt“, sagte Big Old Shane ächzend. „Das ist selbst für mich zuviel.“
„Ich möchte dich daran erinnern, daß wir mit unserem Schiff nicht fliegen können“, gab selbst der sonst so besonnene Ben Brighton zu bedenken.
„Das brauchen wir auch nicht“, erwiderte Hasard vergnügt. „Wir kommen überall hin, keine Angst.“
„Aber zur Zeit stecken wir in einer beschissenen Gegend“, meinte der Profos. „Der Arsch der Welt, meine ich. Und Abadan – na, das kann man ja wohl auch vergessen.“
„Weil es dort keinen Rum zu kaufen gab?“ fragte Higgy grinsend.
„Ach, du kannst mich mal.“
„Rum gibt es nirgends in Arabien“, erklärte der Kutscher. „Wer welchen feilbietet, dem wird der Kopf abgehackt. Das gilt für alle alkoholischen Getränke. Der Koran verbietet sie.“
„Das hast du uns schon hundertmal erzählt“, sagte Blacky.
„Ist ja gut“, meinte Matt Davies. „Die Muselmanen dürfen keinen Wein und keinen Schnaps trinken. Aber ich habe allmählich die Nase voll von diesen scheinheiligen Alis. Heimlich sind sie nämlich doch alle Sünder, oder täusche ich mich?“
„Wir alle sind Sünder in Gottes Augen“, sagte der Kutscher.
Mac Pellew warf ihm einen schiefen Seitenblick zu. „Spinnst du? Du hast wohl deinen Beruf verfehlt. Hättest Bordkaplan werden sollen.“
„Alles Quatsch“, erklärte Old O’Flynn. „Was Ed eben sagen wollte, ist die Tatsache, daß Nester wie Abadan reichlich langweilig sind.“
„Danke“, sagte der Profos. „So habe ich das gemeint.“
„Vielleicht ist in Bagdad mehr los“, sagte Hasard. Er lächelte immer noch.
„Ein bekannter Name“, brummte Shane. „Aber wo liegt das eigentlich genau?“
„Hinter Korna“, erwiderte Hasard junior.
Shane stieß einen Fluch aus. „Das sagt mir auch nichts.“
„Nördlich von Korna“, ergriff der Seewolf wieder das Wort. „Und in Bagdad gibt es einen großen Bazar, wo man alles mögliche kaufen kann. Nur keinen Schnaps.“
„Das haben wir doch alles schon gehabt“, sagte Blacky. „In Masquat beispielsweise. Der Sultan war so großzügig.“
„Sogar Frauen hätten wir haben können“, sagte Carberry mit einem Seufzer.
„Aber wir benehmen uns wie die frommen Klosterbrüder“, meinte Roger Brighton. „Ist ja unsere eigene Schuld.“
„Jedenfalls kann Bagdad uns nichts Neues bieten“, sagte Ferris zusammenfassend.
„Laßt euch vom Zauber des Orients einfangen“, erklärte der Seewolf. „Wir sind nicht nur Korsaren, wir sind auch Entdecker. Will euch das nicht in den Kopf?“
„Sie werden’s nie begreifen.“ Der Kutscher seufzte.
Carberry musterte ihn drohend. „Nicht, wie? Aber du hast den großen Durchblick, was, wie? Nur du bist ein kluger Kopf, wenn man dich so quatschen hört.“
Hasard gab seinem Koch und Feldscher Schützenhilfe. „Der Kutscher meint das nicht so, Ed. Er wirbt nur um mehr Verständnis für Reisen dieser Art.“
„Na gut, na gut“, sagte Carberry einigermaßen beschwichtigt. „Wir können nicht immer nur die Dons überfallen und ihre Galeonen von den Masttoppen bis zum Kielschwein ausnehmen, das sehe ich ein. Wir können auch nicht immer nur andere Leute retten. Aber, zum Henker, wir können auch nicht monatelang nur öde Gegenden wie diese auskundschaften.“
„Willst du meckern, Ed?“ fragte der Seewolf freundlich.
Der Profos blickte seinen Kapitän entsetzt an. „Was? Ich doch nicht!“
„Dann laßt uns das Thema wechseln“, sagte Hasard. „Wir können ja sehen, was der morgige Tag bringt. Ich schätze, daß wir Korna noch am Vormittag erreichen. Dann entscheiden wir, was wir weiter tun. Wie wäre es jetzt mit einem kleinen Umtrunk?“
„Einverstanden, Sir“, antworteten die Männer.
„Mac“, sagte der Seewolf. „Hiermit verordne ich als Seelenmedizin eine Extraration Brandy. Doppelt, verstanden?“
„Aye, Sir.“ Mac war schon in der Kombüse verschwunden.
„Das gleiche empfängt nachher noch mal die Wachablösung“, sagte der Seewolf.
Er wußte, daß er seinen Mannen moralisch ein wenig auf die Beine helfen mußte. Die Schwemmlandebene wirkte sich in gewisser Weise deprimierend auf sie aus. Und nicht nur auf sie – ihm ging es, wenn er ganz ehrlich war, genauso.
Es war ein seltsames, bedrückendes Land, feucht und schwül. Der Nacht fehlten die typischen Laute wie das Zirpen von Zikaden, das Quaken von Fröschen, das Kreischen der Nachtvögel. Gespenstische Stille herrschte. Alles schien tot oder verlassen zu sein.
Es war nur gut, bald nach Korna zu gelangen. Vielleicht sah die Welt dort schon wieder etwas besser aus.