Читать книгу Bomba auf dem Heimkehrpfad - Roy Rockwood - Страница 4
1 Der Sturm
ОглавлениеBomba erwachte mit einem bedrückenden Gefühl von innerer Unruhe. Das Camp war ruhig, und nur die Wachtposten schritten als dunkle Schatten vorsichtig auf und ab. In der Nacht war nichts Ungewöhnliches geschehen, doch eine untrügliche Ahnung verriet ihm, dass eine Gefahr in der Luft lag — eine lauernde Gefahr von ungewöhnlicher Art.
Seit einigen Tagen waren sie nun schon auf dem Marsch zur Küste, aber noch immer befanden sie sich im Gebiet jener Kannibalenstämme der Molas, aus deren Gefangenschaft sie Bombas Vater, Andrew Bartow, nach unsäglichen Mühen befreit hatten. Gibo, der junge Indianer, der Bomba schon bei seinen abenteuerlichen Zügen durch den südamerikanischen Dschungel begleitet hatte, war auch hier, im Herzen Afrikas, an seiner Seite. Der bärenstarke, treue Zulu Wafi hatte sich Bomba angeschlossen, als dieser in dem riesigen, dunklen Kontinent die Suche nach seinem verschollenen Vater begonnen hatte. Einen weiteren treuen Freund hatte Bomba in Lowando gefunden, der jetzt auch mit einigen Männern seines Stammes der „Bemalten Jäger“ den Schutz der Safari bis zur Küste übernommen hatte.
Er war also von treuen Freunden umgeben, und trotzdem konnte er das nagende Gefühl von Unruhe nicht unterdrücken. Er schnüffelte voll Sorge in die Luft. Sein Geruchssinn war durch das Leben in der freien Natur aufs höchste entwickelt, und er spürte sofort jenen eigentümlichen metallischen Geruch in der Atmosphäre, der am vergangenen Tage noch nicht da gewesen war: Ein Dunstschleier verhüllte noch die Sonne, die eben erst über den östlichen Horizont stieg. Das klare Morgenlicht hatte sich in ein grünlich-gelbes flirrendes Leuchten verwandelt.
Nicht der kleinste Windhauch bewegte die Luft. Die ganze Natur schien wie in einem Zustand gespannter Erwartung erstarrt zu sein.
„Was siehst du, Bomba?“, fragte unvermittelt eine Stimme neben ihm.
Bomba blickte auf und sah Lowando neben sich stehen.
„Ich ahne Gefahr“, erwiderte Bomba. „Ein Sturm kommt auf. Wir müssen so schnell wie möglich aus der gefährlichen Nähe der Bäume in offenes Gelände ziehen.“
„Solch eine Stelle wird schwer zu finden sein“, murmelte Lowando und ließ seinen Blick über die von Unterholz und Schlinggewächsen verfilzte Dschungelwildnis gleiten.
„Wir müssen es jedenfalls versuchen“, sagte Bomba.
Lowando rief einen hellen Weckruf, und im nächsten Augenblick war das Camp auf den Beinen. Die Männer ließen sich kaum Zeit für ein hastiges Frühstück, und dann war die Safari wieder auf dem Marsch.
Die Unruhe der Anführer übertrug sich auch auf die anderen, und jeder bemühte sich, seine Traglast so schnell wie möglich aufzunehmen und sich in die Kolonne einzureihen.
In stummer Eile marschierten sie dahin. Drückendes Schweigen lastete auf dem drohenden Dschungel. Die Singvögel und Papageien hatten mit ihrem Zwitschern und Kreischen aufgehört, und die Affen kauerten schweigend in den Baumwipfeln. Sogar das Summen der Insekten klang gedämpfter als sonst.
Stunde um Stunde dauerte diese Spannung an, bis sie fast unerträglich wurde. Die drückende Stille zerrte an den Nerven der Bemalten Jäger. Gegen menschliche Feinde konnten sie mit tollkühnem Mut kämpfen, aber sie hatten eine geradezu kindliche Furcht vor allen Anzeichen göttlicher Ungunst.
Etwas Schreckliches bedrohte sie. Sie waren fest davon überzeugt, dass die Götter zornig auf sie waren und furchtbare Vergeltung an ihnen üben wollten.
Aber warum?
Die Anwesenheit der weißen Männer musste es sein, die die Götter erzürnte. Zweifellos waren es gute weiße Männer. Sie waren durchaus nicht mit jenen Händlern zu vergleichen, mit denen sie mitunter zu tun gehabt hatten, und von denen sie übervorteilt und verraten worden waren. Doch auch ihre Begleiter waren Menschen einer fremden Rasse und einer anderen Hautfarbe, und sie waren Fremde auf dem Boden Afrikas. Sie verehrten einen anderen Gott. Afrika war das Land der dunkelhäutigen Menschen. Die Gottheiten der schwarzen Menschen blickten mit Misstrauen auf die hellhäutigen Fremden, die ihnen keine Opfer brachten und sie nicht anerkannten.
Ja, das musste der Grund für jenes schreckliche Schweigen sein, das sich über die Natur gebreitet hatte — für diese dumpfe Ruhe vor dem Sturm, den die Götter vorbereiteten.
Bomba hatte diese Anzeichen einer bevorstehenden Panik längst bemerkt, und sie erfüllten ihn mit noch stärkerer Besorgnis. Wenn ihn seine Verbündeten verließen, würde es für seinen Vater und ihn sehr schwer sein, die Küste zu erreichen.
Gibo und Wafi würden ihn zwar nicht verlassen; aber das waren nur zwei Freunde, und vor ihm erstreckten sich noch Hunderte von Meilen unbekanntes Urwaldgebiet mit allen möglichen menschlichen und tierischen Feinden.
„Die Männer sind unruhig, Lowando“, sagte Bomba. „Ihre Herzen sind von Furcht erfüllt.“
„Ja“, erwiderte der Häuptling, dem diese Anzeichen auch nicht entgangen waren. „Sie haben —“
Der Satz sollte nie beendet werden, denn in diesem Augenblick brach die Hölle los. Ein Windstoß fauchte über sie hinweg, und dann wütete ein Tornado mit seiner vernichtenden Gewalt.
Die Reihen der Bemalten Jäger lösten sich für immer im Nu auf.
„Die Götter! Die Götter!“, schrien sie, von Panik erfüllt, und tauchten im Dschungel unter.
Beim ersten Sturmzeichen hatte Bomba sich umgewandt; er wollte zu seinem Vater eilen. Eine Sturmbö packte ihn und warf ihn zu Boden, so dass er fast betäubt und außer Atem liegenblieb. Mit äußerster Willenskraft gelang es ihm, sich aufzurichten. Aber es war unmöglich gegen die entfesselten Kräfte dieses Sturmes anzukämpfen. Wie von Riesenfäusten wurde er gepackt, durch die Luft geschleudert, und dann landete er schließlich zwischen den Zweigen eines umgestürzten Baumes.
Er kämpfte sich frei und suchte sich auf Händen und Knien einen Weg durch das Unterholz. Um ihn her krachten Bäume zu Boden und oft genug rettete ihn nur seine Geistesgegenwart vor dem tödlichen Schlag eines herabsausenden Astes.
Der Tornado hatte ihn so oft herumgewirbelt, dass es ihm einen Augenblick schwerfiel, die Himmelsrichtungen festzustellen. Doch dann bahnte er sich mit untrüglichem Orientierungssinn seinen Weg zu jener Stelle im Mittelpunkt der Safari, wo er zuletzt seinen Vater gesehen hatte. Das erste, was er sah, war die völlig zerschmetterte Tragbahre, auf der sein Vater getragen worden war. Von seinem Vater selbst war nichts zu sehen.
Auch Gibo und Wafi waren nicht da. Vielleicht waren die drei zusammen entkommen und warteten in der Nähe angsterfüllt das Ende des Sturmes ab. Die Wucht des Sturmes hatte inzwischen soweit nachgelassen, dass Bomba versuchen konnte, die Aufmerksamkeit durch Rufe auf sich zu lenken.
Zuerst bekam er keine Antwort; doch nach einigen Wiederholungen drang das schwache Echo einer Menschenstimme durch das Heulen des Windes an sein Ohr. Es klang so, als habe Gibo gerufen, und Bombas Herz klopfte freudig erregt bei dem Gedanken, dass sein treuer Gefährte noch am Leben war. Vielleicht war auch sein Vater dort, wo Gibo war.
Er rief wieder, und diesmal ertönte die Antwort schon näher. Der Klang der anderen Stimme lenkte die Suchenden immer näher zueinander hin, und kurze Zeit später stand Bomba seinem Gefährten gegenüber.
„Bomba!“, rief Gibo überfroh. „Ich fürchtete schon, dir sei etwas zugestoßen! Mögen die Götter gepriesen sein, dass du noch am Leben bist.“
„Das ist mir aus der Seele gesprochen“, rief Wafi, der dem anderen dicht auf den Fersen gefolgt war.
„Wo ist mein Vater?“, fragte Bomba unruhig.
Seine beiden Gefährten schauten einander vielsagend an.
„Wir haben ihn gesucht und nach ihm gerufen, aber wir konnten ihn nicht finden.“
Ein Gefühl von Furcht krampfte Bombas Herz zusammen. Sollte er seinen Vater, nachdem er ihn endlich gefunden hatte, so schnell wieder verlieren?
„Sucht weiter“, befahl er. „Er muss doch hier in der Nähe sein. Wir müssen ihn finden. Wir —“
Eine unheimliche, krächzende Stimme ganz in der Nähe unterbrach ihn.
„Ihr werdet den weißen Mann nie finden. Der Flussdämon hat ihn zu sich genommen.“