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ZWEITER TEIL
ОглавлениеUnsere kurze, komprimierte Schilderung, die sich eurem vollen Verständnis noch entzieht, in Einzelheiten wie in ihrer Gesamtheit, ließ euch schon zusammenzucken, wir sahen es wohl. Und was wäre natürlicher? Und doch habt ihr so wenig erst durch uns erfahren, habt so wenig erst von anderen gesagt bekommen, habt so wenig erst von allem verstanden, wart bisher auf Vermutungen angewiesen. Und selbst, wenn ihr etwas wissen solltet oder zu wissen vermeint: Da ihr noch nicht alles wisst, so wisst ihr gar nichts. Vieles haben wir euch noch zu berichten. Wie gerne würden wir es uns und euch ersparen! Der tödliche Ausgang ist euch allen bereits bekannt. In Windeseile hat sich das ungeheuerliche Ereignis herumgesprochen, wie ein Lauffeuer hat es sich verbreitet. Doch die wenigsten von euch wissen von der Vorgeschichte. Und keiner von euch, und gehöre er auch dem Gremium an, kennt den ganzen Zusammenhang, den wahren Hintergrund. Und wir, die wir nunmehr die Einzelheiten und Enthüllungen kennen, die euch noch unbekannt sind, doch nicht bleiben werden, können bereits mit Bestürzung erahnen, welche umwälzenden Auswirkungen auf unser aller Zukunft sich aus dem ergeben könnten, wovon genau zu berichten nunmehr unsere Aufgabe und Pflicht ist, wie auch unser Bedürfnis. Geschehnisse, die eine Gemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttern, können von Einzelnen ausgehen, durch Einzelne bewirkt werden. Wir mussten diese Möglichkeit leidvoll erfahren. Auch euch wird es nicht erspart bleiben, eine solche Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Lasst uns gemeinsam hoffen, dass es sich, auf unsere Gemeinschaft bezogen, immer nur um eine Möglichkeit handeln wird. Dass sie sich nie zur Gewissheit auswachsen möge! Es ist noch gar nicht abzusehen, was ansonsten aus uns allen werden würde, uns allen und jedem Einzelnen. Ihr habt uns vor euch erscheinen lassen, auf dass ihr wissen werdet, was wir wissen, denn es betrifft uns alle, jeden Einzelnen, und so hört denn:
Als Isolato, der Leiter unseres Forschungsteams, uns am Tag 0 offenbarte, dass das Experiment gestartet würde, löste dies bei uns zwiespältige Empfindungen aus. Einerseits froh darüber, dass unsere intensiven Vorbereitungen nunmehr in der praktischen Anwendung ihre Tauglichkeit beweisen sollten, waren wir andererseits auch etwas verunsichert, ob ein solches Experiment überhaupt gemacht werden sollte. Denn welcher Anlass bestand eigentlich hierzu? Jedenfalls nicht der einer Notwendigkeit. Was auch immer sich an neuen Erkenntnissen daraus ergeben mochte, sie würden keinen Einzug in unser aller Leben halten, welches einzigartig organisiert ist und weder Veränderungen bedarf noch solche verlangt. Seit dem Zeitpunkt, in welchem der endgültige Standard für unsere Gemeinschaft erreicht wurde, bestand der Zweck des Forschungsteams von jeher in der Aufrechterhaltung dieses Standards. Hierfür waren Experimente weder nötig noch waren sie erwünscht, wenn auch nicht explizit verboten. Sie waren schlichtweg überflüssig. Nun aber hatten wir uns bereits seit einiger Zeit mit den Vorarbeiten zu einem solchen beschäftigt, wir wussten das, es war uns von Anfang an gesagt worden. Auch was dessen Absicht sei und wie es abzulaufen habe. Was uns nicht gesagt wurde, und was wir uns auch nicht erklären konnten, war, warum es überhaupt eines geben sollte, und warum gerade jetzt. Diesbezüglich rückte Isolato nicht mit der Sprache heraus, trotz der Nachdrücklichkeit unserer Bitten um Aufklärung. Aber er hatte uns doch immerhin die zugrundeliegende Absicht mitgeteilt, der wir uns nicht gänzlich verschließen wollten, dafür hörte sie sich doch zu interessant an. Zwar machten wir noch den Einwand geltend, dass es allemal, bei welcher Absicht auch immer, ein Experiment bliebe, und man bisher doch bis auf den heutigen Tag wunderbar ohne ein solches ausgekommen sei, aber wir merkten selbst, dass dieser Einwand nicht mit der erforderlichen Vehemenz vorgebracht wurde, dass wir bereits ein Opfer unserer Neugier waren. Und die ganze Diskussion war ja ohnehin durch ein Machtwort von ihm beendet worden. Jedenfalls engagierten wir uns bei der Sache voll und ganz, wollten unbedingt unser Bestes zum Gelingen beitragen, nachdem wir erst einmal Blut geleckt hatten und uns zudem bekannt war, dass das Experiment von dem Gremium genehmigt worden war, wenn wir auch diesbezüglich seitens Isolato nicht in Kenntnis gesetzt wurden, aufgrund welcher Argumentation es ihm gelungen war, das Gremium zu solch einer Genehmigung zu bewegen. Aber es mussten sehr gewichtige Argumente gewesen sein, äußerst gewichtige, das war klar. Dass uns Isolato nicht vollends ins Vertrauen zog, überraschte uns übrigens nicht, wir fühlten uns auch in keiner Weise dadurch beleidigt, es hatte solche Fälle mangelnder vollständiger Unterrichtung schon gegeben. Und in jedem einzelnen davon, hatte es sich im Nachhinein herausgestellt, dass diese Geheimniskrämerei ihren berechtigten Grund gehabt hatte, ja, letztendlich für die ordnungsgemäße Durchführung der betreffenden Projekte, bei denen es sich freilich um die gewohnten, üblichen Prozesse zur Aufrechterhaltung des endgültigen Standards gehandelt hatte, Voraussetzung gewesen war. Außerdem war Isolato uns in seinen Fähigkeiten, allgemeiner wie spezieller Natur, weit überlegen, und jeder von uns rechnete es sich als Ehre an, einem Forschungsteam, das unter seiner Leitung stand, angehören zu dürfen, und nun sogar noch im Rahmen eines Experimentes. Wir wussten es halt nicht besser. Wie hätten wir es auch besser wissen können? Das ist keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung. Es ist Fakt.
Die Absicht des durchzuführenden Experimentes aber war folgende: herauszufinden, ob es überhaupt bewerkstelligt werden könne, bei einer Testperson mittels gewisser Manipulationen, denen sie unterliege, und sie dabei in völliger Unkenntnis belassend, dass sie manipuliert sei, eine Zustandsveränderung herbeizuführen, von welcher ihr ganzes Wesen durchdrungen sein würde, dergestalt, dass gewissermaßen ein neues Wesen entstünde, das mit dem ursprünglichen, aus welchem heraus es entstanden war, in keinerlei Verbindung – abgesehen von der äußerlichen Hülle – mehr stünde, und sollte dies tatsächlich bewerkstelligt worden sein, eine direkt anschließende, ununterbrochene Beobachtung und ständige Analyse stattzufinden habe, was die Auswirkungen, wie groß oder klein auch immer, beträfe und den Zeitraum, über welche sich diese erstrecken mochten.
Und wenn wir uns schon nicht hatten erklären können, wieso es eigentlich ein Experiment geben sollte, so hatten wir schon gar nicht nachvollziehen können, welcher Sinn hinter dieser dem Experiment zugrundeliegenden Absicht stecken sollte. Es würde doch wohl irgendein Sinn dahinterstecken, oder? Aber welcher könnte das sein? Und ungeachtet welchen Sinns auch immer: Wie sollte unsere Gemeinschaft davon profitieren können, eine Gemeinschaft, die den endgültigen Standard seit Langem erreicht hat? Doch was sollte alle Fragerei noch bringen. Wir hatten bereits so viel Zeit und Mühe investiert, nun harrten auch wir gespannt und gelassen der Dinge, die noch kommen mochten.
Nun aber, Brüder und Schwestern, schildern wir euch die Vorbereitungen, die für das Experiment erforderlich waren. Es begann mit der Auswahl der Testperson. Doch wollen wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Es begann bereits vorher mit Überlegungen hinsichtlich einer grundsätzlichen Fragestellung: War es angebracht, erlaubt, vertretbar, zu rechtfertigen, jemanden einem solchen Wagnis auszusetzen? Denn ein Wagnis würde es zweifelsfrei sein, das lag in der Natur der Sache. Was könnte schließlich gewagter sein als der Versuch, ein anderes Wesen aus einem Wesen zu machen als es ist? Darauf sollte es ja wohl hinauslaufen. – Oh! Wenn wir doch nur schon damals gewusst hätten, welcher grauenerregender Beweggrund wirklich hinter allem gesteckt hatte! Doch geduldet euch, auch ihr werdet diesen noch erfahren, denn es betrifft uns alle, jeden Einzelnen. – Zudem dürfte die Testperson nicht wissen, dass sie manipuliert würde. Aber dürfte man denn überhaupt Manipulationen an ihr vornehmen, selbst unter der Voraussetzung, dass man sie im Vorfeld diesbezüglich in Kenntnis gesetzt und sie ihre Einwilligung erteilt hätte? Und gesetzt den Fall, man würde sich einfach über alle Bedenken hinwegsetzen: Was wäre, wenn die Sache schiefginge, wenn der Testperson ein Leid zustieße? – Oh! Sagten wir euch nicht bereits, dass wir nicht in einem falschen Licht erscheinen wollen? Dass wir nur Handlanger gewesen waren? So müssen wir doch bekennen, dass diese Überlegungen nur in unserem kleinen Kreis vollzogen wurden, dass sie nicht nach außen gelangten, dass wir sie Isolato nicht mit Nachdruck mitteilten, sondern nur oberflächlich, dass wir schlichtweg begierig darauf waren, am Experiment teilzuhaben, ja, mehr noch, es erst zu ermöglichen, denn trotz seiner Überlegenheit und allseits anerkannten Autorität wäre Isolato nicht in der Lage gewesen, es alleine zu bewältigen, er war auf Hilfe angewiesen, unsere. Und dass wir uns, auch dies bekennen wir, so schnell mit seiner Aussage beschieden, der er freilich den Ton einer Anweisung zu geben verstand: Es ist nun einmal nötig, es wird seinen Zweck erfüllen, ihr werdet sehen, ihr könnt mir vertrauen, ich habe noch nie versagt.