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Das Dur- und Moll-Erlebnis Erster Vortrag, Dornach, 19. Februar 1924

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Wir haben eigentlich im Grunde genommen bisher die Lauteurythmie bis zu einem gewissen Grade ausgebildet und darinnen ja auch einiges erreicht. Die Toneurythmie, sie ist eigentlich bis jetzt doch nur in ihren allerersten Elementen ausgebildet worden, und es ist eine sehr merkwürdige Tatsache, die sich in der allerletzten Zeit eingestellt hat und die mich eigentlich dazu veranlaßt hat, diese kleine Serie von Vorträgen zu geben. Das ist die Tatsache, daß von der einen oder von der anderen Seite stark hervorgetreten ist, daß die Leute oftmals die Toneurythmie sympathischer gefunden haben als die Lauteurythmie und so das Gefühl hatten, daß die Toneurythmie verhältnismäßig leicht verstanden werden kann für die Empfindung, während die Lauteurythmie manchem als etwas noch Weiterliegendes erschien. Diese traurige Tatsache, daß ein in den Windeln noch Liegendes vielfach als das Bedeutsamere hingestellt worden ist gegenüber dem Weiterausgebildeten, das ist dasjenige, was doch wirklich schon den Beweis geliefert hat, daß das Verständnis für die Eurythmie heute eigentlich noch nicht sehr weit gediehen ist. Und vor allen Dingen muß für dieses Verständnis gesorgt werden. Und deshalb möchte ich heute zunächst einleitungsweise einiges sprechen, das Ihnen eine Möglichkeit geben kann, auch im Sinne eines solchen Verständnisses für Eurythmie zu wirken. Gerade indem wir versuchen werden, die Toneurythmie herauszuholen aus dem Allgemein-Eurythmischen, wird sich über dieses Verständnis heute wenigstens einleitungsweise sprechen lassen. Es ist schon nicht zu leugnen, daß auch von Seiten der Eurythmisierenden noch vieles beigetragen werden kann, um ein richtiges Eurythmie-Verständnis zu verbreiten. Denn vor allen Dingen muß berücksichtigt werden, was der Zuschauer an der Eurythmie wahrnimmt. Der Zuschauer nimmt an der Eurythmie nicht etwa bloß die Bewegung oder die Geste wahr, die der Eurythmisierende darstellt, sondern der Zuschauer nimmt wirklich an der Eurythmie wahr, was der Eurythmisierende empfindet und innerlich erlebt. Und dazu ist notwendig, daß tatsächlich im Eurythmisieren von dem Eurythmisierenden erlebt werde – erlebt werde vor allen Dingen dasjenige, was ja zur Darstellung kommen soll. Das ist in der Lauteurythmie das Lautgebilde, in der Toneurythmie aber das Tongebilde. Nun, von diesem Tongebilde haben wir ja außer den Formen, die für einzelne musikalische eurythmische Darbietungen geschaffen worden sind, eigentlich bis jetzt bloß die glatten Töne, eigentlich bloß die Skala, und nicht mehr. Wenn wir von der Lauteurythmie auch nicht mehr hätten, als was wir heute in der Toneurythmie haben, so würde das ungefähr der Umfang der Vokale a, e, i, o, u sein. Nun bedenken Sie, wieviel wir künstlerisch erreichen würden, wenn wir bisher bloß a, e, i, o, u hätten in der Lauteurythmie! Mehr haben wir aber eigentlich künstlerisch noch nicht in der Toneurythmie. Deshalb ist es eigentlich deprimierend, wenn die vorhin charakterisierten Urteile über die Toneurythmie an einen herankommen. Und deshalb betrachte ich es als eine Notwendigkeit, daß wir wenigstens einmal einen Anfang machen in der Grundlegung der Toneurythmie. Da ist aber vor allen Dingen notwendig, daß über das bloße Gebärdenmachen und Bewegungerzeugen in der Eurythmie hinausgegangen werde, daß tatsächlich innerhalb des Eurythmischen – auch in der Lauteurythmie – der wirkliche Laut empfunden werde. Sie müssen mir schon gestatten, diese Einleitung zu machen; wir haben ja heute in unserem Sprechen, namentlich in unserem Schreiben gar keinen Begriff mehr davon, was ein Laut eigentlich ist, einfach weil wir die Laute nicht mehr benennen, sondern höchstens kurz anschlagen. Wir sagen a. Die griechische Sprache war die letzte, die alpha gesagt hat. Gehen Sie ins Hebräische zurück: aleph. Da hatte der Laut als solcher einen Namen. Da war der Laut etwas Wesenhaftes. Je weiter wir in der Sprache zurückkommen, desto wesenhafter wird der Laut. Wenn man den griechischen Laut, der der erste ist im Alphabet, benennt: alpha, und geht zurück auf die Bedeutung dieses Wortes alpha – es ist ja ein Wort, das den Laut umfaßt –, so haben Sie noch in manchen Anklängen, selbst der deutschen Sprache, dasjenige, was im Laute alpha, aleph liegt, zum Beispiel wenn Sie Alp sagen, wenn Sie Alpen sagen. Es führt das zurück auf Alp – Elf-, auf das Wesen, das in Regsamkeit ist, das im Entstehen, im Werden, im lebendigen Bewegen begriffen ist. Das ist vollständig verlorengegangen für das tf, weil wir nicht mehr alpha oder aleph sagen. Wenn man aber aleph oder alpha auf den Menschen anwendet, dann kann man das a auch wirklich erleben. Und wie erlebt man das a? Eine Schnecke kann kein aleph sein, kann kein alpha sein. Ein Fisch könnte schon ein alpha sein, ein aleph. Warum? Weil der Fisch ein Rückgrat hat und weil das Rückgrat den Ausgangspunkt des Werdens in einem solchen Wesen, das ein aleph ist, bedeutet. Und vom Rückgrat aus gehen die Kräfte, die zunächst das Wesen, das ein alpha ist, umspannen. Nun fassen Sie das auf. Fassen Sie das Rückgrat so auf, daß vom Rückgrat strahlig ausgeht dasjenige, was das aleph, das alpha ausmacht. Sie würden ungefähr so erleben, wenn Sie zunächst daran denken, daß Sie ja als Mensch zum Beispiel vom Rückgrat nichts hätten, wenn da nicht die Rippen ausgingen und den Leib gestalteten. Und wenn Sie sich die Rippen losgelöst und in Bewegung denken, so haben Sie die Arme. Dann aber haben Sie, wenn Sie dies ins Auge fassen, auch das eurythmische a. Glauben Sie nicht, daß derjenige, der der Eurythmie zuschaut, nur diese Gabelung sieht; da könnten Sie ihm auch eine Schere statt Ihrer Arme entgegenstrecken, oder eine Feuerzange, die Sie ausspannen. Das können Sie aber nicht, sondern Sie müssen ihm einen Menschen entgegenstellen. Und der Mensch muß drinnen das alpha, aleph wirklich fühlen. Er muß fühlen: er öffnet sich der Welt. Die Welt kommt an ihn heran, er öffnet sich der Welt. Wie öffnet man sich der Welt? Man öffnet sich der Welt zum Beispiel am reinsten, wenn man der Welt in Verwunderung gegenübersteht. Alle Erkenntnis, sagte der Grieche, beginnt mit dem Wunder, mit dem Verwundern. Wenn man aber der Welt verwundernd gegenübersteht, bricht man in das a aus. Und Sie haben, wenn Sie ein eurythmieanschlagen, Ihren astralischen Leib in jene Position versetzt, die durch die Armbewegung oder die Armstreckung, die gabelige Armstreckung angedeutet ist. Und Sie werden unwahr die entsprechende Geste machen, wenn Sie niemals die Übung gemacht haben – die Dinge sind ja in früheren Unterweisungen auch erwähnt worden –, wenn Sie niemals die Übung gemacht haben, nun wirklich diese Gabelung der Arme gefühlsmäßig zu erleben. Da muß Empfindung drinnen sein. Sie müssen eigentlich die Empfindung haben: der #- Laut, der ist eine Abbreviatur in der Luft oder so irgendetwas Abstraktes gegenüber dem Lebendigen, das der Mensch empfindet. Wenn der Mensch nun, sagen wir, etwas mit halbkreisförmig gebildeten, gestalteten Armen umfängt, da umfängt er es in Liebe. Wenn er sich öffnet in der Gabelung, empfängt er die Welt im Verwundern. Und dieses Sich-Verwundern mit dem im Leibe selbst, im Menschenwesen selbst vorhandenen Astralleib, das muß man einmal, und sogar öfter, übungsmäßig gefühlt, empfunden haben, wenn das a wahr werden soll. Also das Zeichenmachen, das ist nicht das Wesentliche, sondern empfinden, daß das nicht anders sein kann – was einem gewissen inneren Erlebnis entspricht –, als daß die Arme gabelig der Welt entgegengestellt werden. Und schreiten Sie fort zu dem e. Es handelt sich darum, daß Sie das e wirklich fühlen. Das e fühlen bedeutet aber schon: sich aufrecht erhalten gegen etwas. Bei dem a öffnen wir uns bewundernd der Welt. Wir lassen die Welt an uns herankommen. Wenn wir e empfinden, lassen wir die Welt nicht einfach an uns herankommen, sondern wir setzen uns schon etwas zur Wehr, wir stellen uns der Welt gegenüber. Die Welt ist da, und wir stellen uns der Welt gegenüber hin. Daher ist das e darinnen bestehend, daß wir uns selber berühren (gekreuzte Hände). Wir berühren uns selber. »Ich bin auch da gegenüber der Welt« sagen wir, wenn wir e empfinden. Und lernen können Sie e, wenn Sie die e-Geste erleben in der Empfindung: Ich bin auch da gegenüber der Welt, und will es spüren, daß ich auch da bin. Mein eines Glied bringt es an dem anderen zur Empfindung, daß ich auch da bin. Nun wäre es mir ganz besonders lieb gewesen, wenn sich die Dinge so entwickelt hätten, daß eben das, was man so die Buchstaben nennt, gegeben worden wäre, und dann innerlich der Drang dagewesen wäre, an den Buchstaben selber diese Empfindungen zu entwickeln; denn da säßen sie fest. Nun, es ist gewiß auch in vielen Fällen geschehen, wenn auch nicht in deutlich ausgesprochener Weise, so bei vielen im Unterbewusstsein. Aber das Eurythmielernen muß von diesen Dingen auch ausgehen. Nehmen Sie das o. Sie bilden, indem Sie die o-Geste machen, mit den beiden Armen einen Kreis. Sie müssen empfinden bei der o-Geste, daß Sie nicht das e erleben können. In dem e, da stellen Sie sich hin: ich bin auch da gegenüber der Welt. Bei dem o gehen Sie aus sich heraus und schließen etwas in sich ein (o-Bewegung nach vorne). Sie umschließen etwas. Bei dem e kommt es darauf an, daß das, was Sie meinen, draußen ist und Sie drinnen sind, in sich drinnen sind. Bei dem o kommt es darauf an, daß Sie wachend einschlafen, indem Sie Ihr ganzes Sein herausspazieren lassen in denjenigen Raum, den Sie mit der o-Geste umschließen. Aber da ist jetzt das andere, was Sie meinen, auch drinnen, sodaß Sie etwa fühlen können, indem Sie das o erleben: Ich trete an einen Baum heran; ich umschließe diesen Baum mit den Armen, aber ich bin selbst dieser Baum. Ich bin ein Baumgeist, eine Baumseele geworden. Da ist der Baum; und weil ich selbst eine Baumseele geworden bin, weil ich eins geworden bin mit dem Baum, mache ich diese Geste. Ich gehe aus mir heraus. Das, worauf es mir ankommt, ist in meinen Armen. – Das ist das o-Empfinden. Das ^-Empfinden, das ist: Verbunden sein mit etwas und eigentlich weg wollen davon, irgendwo anders hin folgen also der Bewegung, die man macht, aus sich herausgehen, den Weg sich bereiten. Ich laufe selbst an meinen Armen entlang, indem ich die ^-Bewegung mache. Ich bin überzeugt davon: u = fort, fort, fort; fort in dieser Richtung (^-Bewegung nach vorne). Sehen Sie, das ist Sprache. Das ist Sprache, die eigentlich fragt: Wie steht der Mensch zu den Dingen der Welt? Sprache fragt immer: Wie steht der Mensch zu den Dingen der Welt? Verwundert er sich über sie? Will er sich ihnen gegenüber aufrecht erhalten? Umfaßt er sie? Läuft er vor ihnen davon? Die Sprache ist immer ein Verhältnis des Menschen zur Welt. Musik ist ein Verhältnis des Menschen als seelisch-geistiger Mensch zu sich selbst. Und wenn Sie versuchen, sich so recht hineinzuversetzen in dasjenige, was man empfinden kann in der eben angedeuteten Weise im Vokal, sagen wir o, sagen wir u, so ist das eben ein deutliches Herausgehen mit der Seele aus dem Leibe. In der Aussprache drückt sich das ja auch aus. Denken Sie nur, daß das o seiner Hauptsache nach vorn an den Lippen gesprochen wird, mit einer deutlichen Rundung der Lippen: o, und daß das u mit etwas nach auswärts gestellten Lippen gesprochen wird: u – fort. Sodaß in der Luftgebärde, die die Sprache macht, man schon dieses Herausgehen aus sich selber im o und u hat. Das Musikalische aber stellt das genaue Gegenteil des Sprachlichen vor. Wenn man im Sprachlichen aus sich herausgeht, verläßt man eben mit seinem astralischen Leib und Ich den physischen Leib und Ätherleib, wenn auch nur partiell, und wenn man es auch nicht merkt; aber es ist ein wachendes Einschlafen, wenn man o oder u sagt, oder wenn man o oder u eurythmisiert. Es ist ein wachendes Einschlafen. Wenn man so aus sich herausgeht im o oder u, so geht man eigentlich mit dem Seelischen in das seelische Element hinein. Und indem ich sage: ich gehe im u und im o mit meinem astralischen Leib aus meinem physischen Leib heraus, spreche ich sprachlich. Wenn ich sage: ich gehe mit meiner Seele nun in dem, was ich erlebe, in mein Geistiges hinein – trotzdem ich herausgehe, gehe ich hinein in mein Geistiges: das ist gerade das Gegenteil, so wie ich im Einschlafen auch in mein Geistiges hineingehe und aus meinem Physischen herausgehe. Wenn ich also sage: ich gehe in mein Geistiges hinein im o oder im u, dann rede ich musikalisch. Aber indem ich auf das o oder das u reflektiere, verleugne ich natürlich das musikalische Reden. Und es handelt sich darum: welches ist das musikalische Erlebnis bei diesem Herausgehen aus sich selber, das musikalische Erlebnis, das als Musikalisches entspricht dem Herausgehen, wie es vorhanden ist beim o oder u} Dieses musikalische Erlebnis als Erlebnis, das im o oder u liegt, ist im umfassenden Sinne das Dur-Erlebnis. Wenn wir vom Dur-Erlebnis sprechen, so haben wir allerdings dieses Dur-Erlebnis im o oder im u, nur kann ich nicht sagen, wir deuten es um, aber wir leben es um in ein sprachliches Erlebnis; aber wir haben jedesmal das Erlebnis, ob nun gesprochen wird o oder u, oder ob wir ein Wort, das hauptsächlich o hat oder hauptsächlich u hat, also ein Wort, das dominierend o oder u hat, sprechen, wir haben, indem wir o oder u sprechen, im Sprechen zugrunde liegend ein musikalisches Dur-Erlebnis. Und wenn wir reflektieren auf das a und auf das e, wo wir ja an dem Laut-Erleben deutlich wahrnehmen können, wir stecken mit unserem Astralleib im physischen Leib drinnen, ja wir werden ganz besonders gewahr des physischen Leibes – dann haben wir ein anderes musikalisches Erlebnis. Aber beachten Sie dieses Gewahrwerden des physischen Leibes. Wenn Sie ein a aussprechen oder eurythmisieren, so senken Sie eigentlich, so gut es geht, Ihren astralischen Leib in Ihren physischen Leib hinein. Das bedeutet Wohlbefinden. Das ist wirklich so, wie wenn Sie Ihren astralischen Leib – ich will für weniger nüchterne Menschen sagen: wie perlenden Wein, der durch die Glieder fließt, empfinden würden, für nüchterne Menschen würde ich sagen: wie Limonade fließt –, empfinden würden. Also Sie haben tatsächlich in diesem ^-Aussprechen etwas, wie wenn Sie perlendes Nass durch Ihren physischen Leib ergießen würden. Was tritt aus diesem physischen Leibe zutage? a: es ist das Wohlbehagen, das Wohlbefinden, welches da zutage tritt. Nehmen Sie das andere: Sie wollen sich aufrecht erhalten gegenüber der Umgebung, sagen: ich bin auch da. – Da ist es, wie wenn Sie, sagen wir, sich gegen Kälte schützen durch ein schützendes Kleid. Da erhöhen Sie die Intensität Ihres Daseins. Und dieses: ein anderes empfinden und sich dagegen wehren, das Auf-sich-selbst-Stellen gegen ein anderes, das ist im e. Aber in beiden Fällen, im a und im e} ist es ein Ergreifen des physischen Leibes durch den astralischen Leib. Dieses selbe Erlebnis läßt sich auch musikalisch erleben. Musikalisch läßt es sich erleben im Moll-Erlebnis im umfassendsten Sinne. Das Moll-Erlebnis ist immer ein In-sich-Zurückgehen mit seinem Seelisch-Geistigen, ein Ergreifen seines Leiblichen durch das Seelisch-Geistige. Und Sie kommen am leichtesten zu dem, was Sie gerade in der eurythmischen Geste erleben sollen als den Unterschied zwischen dem Dur- und Moll-Erlebnis, wenn Sie das Dur-Erlebnis sich herausholen, aber lebendig empfindungsgemäß, aus dem o- und /^-Erlebnis, und wenn Sie sich das Moll-Erlebnis herausholen, aber wiederum empfindungsgemäß, aus dem a- und e-Erlebnis – nicht aus den Lauten, sondern aus dem Erlebnis. Sie werden, wenn Sie auf diese Dinge eingehen, schon empfinden können, wie wenig der Mensch eigentlich heute vom Menschen weiß. Denn man muß schon sagen: in unserer gegenwärtigen Welt ist ja für alles das ein außerordentlich geringes Verständnis. Aber ohne dieses Verständnis ist überhaupt gar nichts im Produktiven auf den verschiedensten Gebieten zu machen. Dieses Verständnis muß erworben werden, sonst werden wir nie in das Künstlerische unseren ganzen Menschen hineinstellen. Und ein Künstlerisches, ohne daß sich der ganze Mensch in dieses Künstlerische hineinstellt, ist eben nichts, ist eine Farce. Ein Künstlerisches kann nur bestehen, wenn sich der ganze Mensch in dieses Künstlerische hineinstellt. Dann muß man aber die Zusammenhänge zwischen Welt und Mensch auch wirklich empfinden, muß wirklich empfinden, wie die Sprache uns in ein Verhältnis zur Außenwelt, die Musik uns in ein Verhältnis zu uns selber bringt; wie daher, alle eurythmische Lautgebärde sozusagen aus dem Menschen herausgeholt ist, eine in die äußere Welt versetzte Gebärde ist; wie die Musikgebärde die in den Menschen zurücklaufende Gebärde sein muß, wie da alles, was in der Lauteurythmie hinausgeht, hier in den Menschen hineingehen muß. Sehen Sie, heute ist alles in der Welt der Gedanken chaotisch zerstreut. Man überschaut nichts lebendig. Aber nehmen Sie einen Menschen, der – wie man oftmals sagt – sanguinisch ist, der also stark in dem Äußeren lebt. Ein sanguinischer Mensch, er ist uns wohlgefällig, das heißt, er gefällt uns eigentlich nur dann, wenn er o oder u ausspricht. Man hat eigentlich immer einen Essiggeschmack im Munde, wenn ein sanguinischer Mensch a und e ausspricht; es taugt nicht recht. Nur haben die Menschen der Gegenwart nicht so lebhafte Empfindungen. Aber deshalb können die Menschen der Gegenwart auch so wenig aus dem Innersten ihres Wesens heraus schaffen. Aber nehmen Sie einen melancholischen Menschen: ein melancholischer Mensch, wenn er für jemanden, der dafür Verständnis hat, o oder u ausspricht, ist überhaupt eine Karikatur; ein melancholischer Mensch taugt nur etwas, wenn er a oder e ausspricht. Da haben Sie schon das Hinübergehen in die ewige Dur-Stimmung des sanguinischen Menschen und in die ewige Moll-Stimmung des melancholischen Menschen. Aber nehmen Sie einen Menschen, von dem man sagt, er sei »pumperlgesund«. Ein Mensch, der pumperlgesund ist, der ist in der Dur-Stimmung, und sein astralischer Leib macht zumeist Bewegungen, die dem o und u entsprechen. Er geht leicht, das heißt, er ist eigentlich fortwährend im u. Er greift alles an, indem es ihm gefällt, kann alles aushalten: er ist fortwährend im u; er ist die lebendige Dur-Stimmung, die herumgeht. Nehmen Sie einen kranken Menschen: er ist fortwährend so, daß er, ohne sich zu verwundern, durch das Kranksein die ^- Stimmung imitiert, oder die e-Stimmung; die letztere erst recht. Ein kranker Mensch ist fortwährend in Moll-Stimmung. Und es ist nicht etwa eine Metapher oder irgendetwas von einem Gleichnis, wenn man sagt: Was ist denn das Fieber? Das Fieber ist das in das Physische umgesetzte a, das der Eurythmist oder derjenige, der das a spricht, in sich sonst astralisch hervorbringt. Die Moll-Stimmung ins Physische hinunterprojiziert, Fieber erzeugend, ist derselbe Vorgang wie der, wenn Sie a aussprechen, nur daß Sie es auf einem höheren, seelisch-geistigen Niveau machen. Das a ist immer ein Fieber. Entweder ist es Fieber oder ist es Träne; aber es ist immer etwas, was der Mensch in sich hervorbringt. Diese Dinge, empfindungsgemäß verstanden, die führen erst wiederum zur rechten Menschenerkenntnis. Und weil der Mensch teils gesund, teils krank ist, so greift eben das Entwickeln des strotzig Gesunden, das in der Kunst zutage treten muß, und das Entwickeln von heilkräftigen Bewegungen so innig ineinander. Das letztere ist beim kranken Menschen vorhanden. Es greift das deshalb so innig ineinander, weil wirklich zugleich Dur und Moll auf einem höheren Plane dasselbe sind wie Gesundheit und Krankheit; aber das Erleben von Gesundheit und Krankheit. Nur muß man nicht denken, daß, weil Moll die Krankheit ist, daß Moll deshalb etwas Schlechtes ist oder irgendetwas Untergeordnetes. Im Seelischen krank sein bedeutet eben immer etwas ganz anderes, als im Physischen krank sein. Dabei werden wir sehen, daß durchaus in der Entwicklung von Dur- und Moll-Stimmungen auf eurythmische Art auch wiederum heileurythmische Wirkungen herauskommen. Aber so sehen Sie, daß wirklich eine Brücke da ist zwischen der Lauteurythmie und der Toneurythmie. Und wenn wir das Vokalische in der Lauteurythmie richtig erleben, wie ich es dargestellt habe in dem a und in dem e einerseits, in dem o und in dem u anderseits, dann bekommen wir eben auch schon die Hinleitung zu dem Moll- und zu dem Dur-Erlebnis. Aber nun handelt es sich darum, daß wir wirklich das auch ganz ernst in uns nehmen können: das Musikalische mehr nach dem Innern des Menschen schieben, während wir das Lauteurythmische mehr vom Menschen abschieben müssen in der Geste. Und nun stellen Sie sich einmal folgendes vor: Versuchen Sie, mit dem rechten Fuß möglichst empfindungsgemäß vorwärts zu schreiten (Frau Schuurman). Sie machen es so, daß Sie mit dem Kopf empfindungsgemäß ausdrücken: Sie schreiten vorwärts – den Kopf nicht zu weit zurück, mehr nach vorne. Da haben wir zunächst die eine Gebärde. Jetzt machen wir eine zweite Gebärde: Versuchen Sie zu begleiten diese Bewegung, die Sie eben gemacht haben, dadurch, daß Sie die rechte Hand mit der Hohlseite nach außen richten und sie möglichst in der Richtung des ausschreitenden Fußes nach vorn bewegen. Jetzt haben Sie eine zweite Gebärde gehabt. Nehmen wir die erste Gebärde: das Schreiten. Nehmen wir die zweite Gebärde: die Bewegung. Und jetzt versuchen Sie zu diesem eine dritte Gebärde dazuzufügen, indem Sie den linken Arm leicht, wie wenn Sie hinstoßen wollten, bewegen (linker Arm leicht den rechten stoßend). Sie schreiten nach vorwärts und gehen mit dem rechten Arm nach und stoßen mit dem linken Arm nach. Nun haben Sie möglichst radikal eine gewisse Gebärde ausgedrückt. Sie haben Schreiten, Bewegung, und indem Sie das noch hinzufügen mit dem linken Arm: Gestaltung; denn wenn Sie da nachkommen mit dem linken Arm, können Sie jetzt das, was Sie in die Bewegung hineinergossen haben, in dem rechten Arm, in der Bewegung festhalten. Also wir haben:

Schreiten,

Bewegung,

Gestaltung.

Hier sind Sie richtig in einer Dreiheit drinnen. Und Sie sind so in einer Dreiheit drinnen, daß Sie diese Dreiheit tatsächlich empfinden können. Sie können in Ihrem Schreiten eine Andeutung finden des Herausgehens Ihres astralischen Leibes. Sie können in dem Nachfolgen der Bewegung, die Sie mit dem rechten Arm ausführen, eine Bekräftigung dieses Herausgehens fühlen. Und Sie können in dem, was ich als Gestaltung bezeichnet habe, ein Festhalten gerade dieser Bewegung empfinden. Nun, wenn Sie dies, was ich Ihnen jetzt als Gebärde angedeutet habe, wirklich empfinden, wenn Sie sich hineinlegen in dieses Schreiten, Bewegen, Gestalten und als Mensch nichts anderes sein wollen als dieses Schreiten, Bewegen, Gestalten, sich da ganz hineinlegen als Mensch, dann haben Sie ein Dreifaches. Und Sie werden leicht empfinden: Das Schreiten ist die Grundlage von allem; von dem geht es aus. Das Bewegen ist dasjenige, was Sie als Folge empfinden, was mit dem, was die Grundlage ist, zusammenklingen muß. Und das Gestalten ist dasjenige, was das Ganze fixiert. Das alles müssen Sie nun wirklich an sich erleben. Sie können es, indem Sie das anwenden, was als die Töne da ist, in der verschiedensten Weise erleben; Sie können ja die Bewegung unten oder oben oder in der Mittellage machen. Wenn Sie sie gerade so machen, daß Sie das c unten haben, daß Sie das e in der Mitte haben, das Schreiten also vorangehen lassen, die Bewegung in dem e ausführen und die Gestaltung versuchen in dem g zu geben, dann haben Sie in diesem Schreiten, Bewegen, Gestalten den Dur-Dreiklang gegeben. Sie bilden an sich selber den Dur-Dreiklang ganz sachlich aus, indem Sie wirklich das Erleben des Dur-Dreiklanges hineinlegen in das, als was Sie sich als Mensch in der Welt darstellen. Gerade so, wie Sie in der lautdarstellenden Gebärde empfinden müssen den inneren Gehalt des Lautes, so erleben Sie hier im Schreiten, Bewegen, in der Gestaltung den Akkord. Das ist zunächst ein Element.

Schreiten: c

Bewegung: e

Gestaltung: g

Nun wollen wir versuchen, mit dem linken Fuß nach rückwärts zu schreiten und den Kopf folgen zu lassen; und jetzt versuchen Sie, mit dem linken Arm zu folgen. Mit dem linken Arm folgen Sie Ihrer rückwärts schreitenden Bewegung, und zwar so, daß Sie die hohle Hand nach innen haben. Gehen Sie ganz von der Lässigkeit aus. Jetzt machen Sie das Rückwärtsschreiten zugleich mit der Kopfbewegung und mit der Armbewegung (Hand auf der Brust), und nun versuchen Sie auch die Gestaltung dadurch zu kriegen, daß Sie mit dem rechten Arm drübergehen. Versuchen Sie das festzuhalten. Aber es muß so sein, daß man wirklich auch das sieht, daß der linke Arm hier an den Leib herangeführt wird, die Hand gewissermaßen an den Leib heran (die linke), und die rechte Hand nur wiederum an die Hand herangeführt wird, also die (linke) Hand gewissermaßen nur wieder festgehalten werden will.

Nun haben Sie hier im Schreiten: c

in der Bewegung: es

und in der Gestaltung: g

gegeben. Sie haben den Moll-Dreiklang damit gegeben, und zwar so, daß Sie, wenn Sie gerade diese Gesten ins Auge fassen werden und immer mehr versuchen werden, diese Gesten ins Auge zu fassen, Sie dann darauf kommen werden, daß dieses Grundelement – Dur-Dreiklang, Moll-Dreiklang – gar nicht anders dargestellt werden kann als so. Aber dann erst haben Sie die Sache wirklich gefühlt, wenn Sie darauf kommen, daß dies gar nicht anders dargestellt werden kann. Sie können versuchen, wie Sie wollen, die Sache auf andere Weise zu machen; wenn Ihnen eine andere Weise weniger gefällt, so haben Sie eigentlich erst gefühlt, was in dem, was wir jetzt eben dargestellt haben, eigentlich drinnen lebt. Nun sehen Sie, da haben Sie im Grunde erst dasselbe gegeben für das Musikalische, was im eurythmischen Vokalisieren für die Lauteurythmie gegeben ist. Wenn ich Ihnen sage: Machen Sie ein a für die Lauteurythmie, so ist dieses für die Lauteurythmie dasselbe, wie wenn ich jetzt zu Frau Schuurman gesagt habe: machen Sie den Dur-Dreiklang, oder zu Fräulein Wilke gesagt habe: machen Sie den Moll-Dreiklang. Das ist erst das Vokalisieren. Nun, ich habe bisher eines nicht charakterisiert. Ich habe davon gesprochen, daß man das allgemeine Dur-Erlebnis im o und im u haben kann, daß man das allgemeine Moll-Erlebnis – so unwahrscheinlich das ist, aber es ist darinnen – im a und im e haben kann. Ich habe nicht davon gesprochen, daß man auch dazwischen etwas haben kann. Man kann ja den Übergang haben. Nun versuchen Sie einmal den Übergang zu erleben, zum Beispiel vom Verwundern zum Umfassen im o-Erlebnis, oder umgekehrt, vom Umfassen im o-Erlebnis zum Verwundern. Da kommen Sie von draußen ins Innere hinein. Da kommen Sie von dem Heraustreten mit dem astralischen Leibe zum Untertauchen des astralischen Leibes hinein. Da kommen Sie von der Krankheit in die Gesundheit, von der Gesundheit in die Krankheit hinein. Das ist das i. Und das i ist immer dasjenige, was das neutrale Sich-Fühlen ist zwischen dem Herauserleben und Drinnenerleben im Verhältnis zum Leibe. Das i ist also zwischen a und e auf der einen Seite und o und u auf der anderen Seite. Und nun versuchen Sie einmal – Sie können sich ja das bis morgen an sich selber deutend überlegen –, versuchen Sie einmal, aus dem Elemente des Moll-Erlebens überzugehen zum Dur-Erleben, indem Sie einfach umdeuten. Sie machen das Moll-Erlebnis, deuten es jetzt um, indem Sie sich vorstellen, Sie beugen einfach den Kopf etwas vor – im Moll-Erlebnis ist er nach rückwärts gelegt –, Sie beugen jetzt den Kopf etwas vor, stellen sich einfach vor, dadurch wird es schon anders im ganzen Muskelbewegen; statt daß Sie mit dem linken Bein zurückgetreten wären, hätten Sie mit dem rechten Bein auszuschreiten; Sie bringen einfach das, was Sie da vorn haben, aus Moll in Dur, das heißt, Sie gehen aus dem Dur in Moll oder aus dem Moll in Dur. Dann entspricht dieser Übergang im Erlebnis dem z-Erlebnis des Lauteurythmisierens. Und nun werden Sie schon die interessante Lebensvariante spüren, die da drinnen liegt beim Übergang von Dur in Moll, wenn Sie dasjenige wirklich ausführen, was ich Ihnen jetzt angedeutet habe. Sie sehen also, es handelt sich darum: Indem wir zunächst in diese Hauptnuancen Dur, Moll und ihren Übergang eintreten, kommen wir in das im Musikalischen dem Vokalisieren Entsprechende hinein. Und das werden Sie zunächst sich nun auf die Seele legen müssen, was ich Ihnen als ein erstes Element gesagt habe. Die Gebärde, die Sie gemacht haben für Dur und Moll, und die Übergangsgebärde von dem einen in das andere, das ist das musikalische Vokalisieren. Da beginnt es beim Dur und Moll und so weiter. Das Musikalische trägt ja dann die verschiedenen Elementarstimmungen, die dem Vokalischen entsprechen, durch das ganze musikalische Tongebilde, durch Spannungen, Lösungen und so weiter. Und gerade so, wie man von dem vokalisierenden Sprechen in Worte hineinkommt, so kommt man auch aus dem Ergreifen der musikalischen Elementargebilde, wie zunächst des rein akkordmäßigen Dur- und Moll-Dreiklanges, hinüber in das eurythmische Ergreifen der musikalischen, der innerlich musikalischen Gebilde. Morgen um dieselbe Stunde dann die Fortsetzung.

Eurythmie als sichtbarer Gesang

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