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I. Drei Schritte der Anthroposophie

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Es ist mir zur großen Befriedigung, diesen Vortragszyklus im Goetheanum abhalten zu können.

Diese Institution soll der Pflege der spirituellen Wissenschaft dienen. Was hier spirituelle Wissenschaft genannt wird, sollte nicht verwechselt werden mit dem, was oftmals gerade in der Gegenwart als Okkultismus, Mystik usw. auftritt. Diese Bestrebungen lehnen sich entweder an alte, nicht mehr richtig verstandene spirituelle Traditionen an und geben in laienhafter Weise allerlei vermeintliche Erkenntnisse über übersinnliche Welten; oder sie ahmen in äußerlicher Weise die gewohnten wissenschaftlichen Methoden nach, ohne Kenntnis davon, dass Forschungswege, die musterhaft ausgebildet sind für die Betrachtung der Sinnenwelt, niemals in die übersinnlichen Welten führen können. Und was an Mystik auftritt, ist entweder auch bloße Erneuerung alter Seelenerlebnisse, oder unklare, oft sehr phantastische und illusionäre Selbstbetrachtung.

Demgegenüber stellt sich die Anschauungsart des Goetheanums als eine solche, die im vollen Sinne den gegenwärtigen Gesichtspunkt der naturwissenschaftlichen Forschung bejaht und da anerkennt, wo er berechtigt ist. Dagegen strebt sie, durch die streng geregelte Ausbildung des rein seelischen Anschauens, über die übersinnliche Welt objektive, exakte Ergebnisse zu gewinnen. Sie lässt als solche Ergebnisse nur das gelten, was durch ein solches Anschauen der Seele gewonnen ist, bei der die seelisch- geistige Organisation ebenso exakt überschaubar ist wie ein mathematisches Problem. Es kommt darauf an, dass zunächst diese Organisation in wissenschaftlich einwandfreier Anschauung dasteht.

Nennt man diese Organisation »Geistesauge«, so muss man sagen: wie der Mathematiker seine Probleme vor sich hat, so der Geistesforscher sein eigenes »Geistesauge«. Für ihn wird also die wissenschaftliche Methode zuerst auf jene Vorbereitung verwendet, die in seinen »Geist-Organen« liegt. Waltet in diesen Organen »seine Wissenschaft«, so kann er sich dann derselben bedienen, und die übersinnliche Welt liegt vor ihm. Der Forscher der Sinneswelt lenkt seine Wissenschaft nach außen, nach den Ergebnissen. Der Forscher des Geistes betreibt Wissenschaft als Vorbereitung des Schauens. Beginnt das Schauen, dann muss die Wissenschaft bereits ihren vollen Beruf erfüllt haben. Will man dann sein »Schauen« Hellsehen nennen, so ist es »exaktes Hellsehen«. Wo die Wissenschaft des Sinnlichen endet, da beginnt diejenige des Geistes. Der Geistesforscher muss vor allem seine ganze Denkweise an der neueren Wissenschaft vom Sinnlichen herangebildet haben.

Daher ist es, dass die heute getriebenen Wissenschaften in das Gebiet einmünden, das die spirituelle Wissenschaft im modernen Sinne eröffnet. Das geschieht nicht nur für die einzelnen Gebiete der Naturwissenschaft und der Geschichte. Das geschieht auch z. B. für Medizin. Und es geschieht für alle Gebiete des praktischen Lebens, für die Kunst, die Moral und für das soziale Leben. Es geschieht auch für die religiösen Erfahrungen.

In diesen Vorträgen sollen drei dieser Gebiete behandelt und von ihnen gezeigt werden, wie sie in die moderne spirituelle Anschauung einmünden: Philosophie, Kosmologie und Religion.

Philosophie war einst die Vermittlerin der gesamten menschlichen Erkenntnis. In ihrem Logos erwarb sich der Mensch die Erkenntnis der einzelnen Gebiete der Weltwirklichkeit. Die einzelnen Wissenschaften sind aus ihrer Substanz heraus geboren. Aber was ist von ihr selbst zurückgeblieben? Eine Summe von mehr oder weniger abstrakten Ideen, die ihr Dasein zu rechtfertigen haben gegenüber den anderen Wissenschaften, während diese ihre Rechtfertigung in der Sinnesbeobachtung und in dem Experimente finden. Auf was beziehen sich die Ideen der Philosophie? Das ist heute eine Frage geworden.

Man erlebt in diesen Ideen nicht mehr eine unmittelbare Wirklichkeit; daher ist man bestrebt, diese Wirklichkeit theoretisch zu begründen.

Und was noch mehr ist: Philosophie hat es schon in ihrem Namen, als Liebe zur Weisheit, dass sie nicht bloß eine Verstandessache, sondern eine Sache der ganzen menschlichen Seele ist. Was man »lieben« kann, das ist eine solche Sache. Und Weisheit wurde einst als etwas Wirkliches empfunden; das ist bei den »Ideen«, die bloß Vernunft und Verstand beschäftigen, nicht der Fall. Philosophie ist aus einer Menschheitssache, die in Seelenwärme einst erlebt worden ist, zu einem trockenen, kalten Wissen geworden. Und man fühlt sich nicht mehr in einer Wirklichkeit darinnen, wenn man in der Tätigkeit des Philosophierens ist.

Man hat im Menschen selbst dasjenige verloren, was einstmals die Philosophie zu einem wirklichen Erlebnis machte. Die Sinneswissenschaft wird durch die Sinne vermittelt, und was der Verstand über die Beobachtungen der Sinne denkt, das ist Zusammenfassung des durch die Sinne vermittelten Inhaltes. Dieses Denken hat keinen eigenen Inhalt. Indem der Mensch in einer solchen Erkenntnis lebt, erkennt er sich selbst nur als physischen Körper. Philosophie war aber zuerst ein Seeleninhalt, der nicht mit dem physischen Körper erlebt wurde. Er wurde erlebt mit einem menschlichen Organismus, der nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann. Es ist dies ein ätherischer Körper, der dem physischen Körper zugrunde liegt, und der die übersinnlichen Kräfte enthält, die dem physischen Körper Form und Leben geben. Der Mensch kann sich der Organisation dieses ätherischen Körpers geradeso bedienen wie seines physischen. Dann aber bildet dieser ätherische Körper Ideen von einem Übersinnlichen aus wie der physische Körper durch die Sinne Ideen von dem Sinnlichen. Die alten Philosophen entwickelten ihre Ideen durch den ätherischen Körper. Indem das Geistesleben der Menschheit diesen ätherischen Körper für die Erkenntnis verloren hat, hat es zugleich den Wirklichkeitscharakter der Philosophie verloren. Philosophie ist ein bloßes Ideengebäude geworden. Es muss erst wieder die Erkenntnis des ätherischen Menschen erworben werden: dann wird auch Philosophie wieder einen Wirklichkeitscharakter gewinnen können. Das soll den ersten der Schritte kennzeichnen, die durch Anthroposophie getan werden sollen.

Kosmologie hat einstmals dem Menschen gezeigt, wie er ein Glied der universellen Welt ist. Dazu war notwendig, dass nicht nur sein Körper, sondern auch seine Seele und sein Geist als Glieder des Kosmos angesehen werden konnten. Das war dadurch der Fall, dass im Kosmos Seelisches und Geistiges geschaut wurden. In der neueren Zeit ist Kosmologie nur ein Überbau dessen geworden, was die Naturwissenschaft durch Mathematik, Beobachtung und Experiment erkennt. Was auf diese Weise erforscht wird, das wird zu einem Bilde des kosmischen Werdens zusammengestellt. Aus diesem Bilde heraus kann man wohl den physischen Körper des Menschen verstehen. Es bleibt aber schon der ätherische Körper unverständlich, und in einem noch höheren Sinne das Seelische und Geistige am Menschen. Der ätherische Leib kann nur als ein Glied des Kosmos erkannt werden, wenn die ätherische Wesenheit des Kosmos durchschaut wird. Aber dieses Ätherische des Kosmos kann dem Menschen auch nur eine ätherische Organisation geben. In der Seele aber ist Innenleben. Es muss auch das Innenleben des Kosmos durchschaut werden. Eine Anschauung des Innenlebens des Kosmos war die alte Kosmologie.

Durch diese Anschauung wurde auch die über das Ätherische hinausgehende seelische Wesenheit des Menschen in den Kosmos eingegliedert. Aber dem modernen Geistesleben fehlt eine Anschauung von der Wirklichkeit des Seelen-Innen-Lebens. Wie dieses erlebt wird, so liegt in dem erlebten Inhalte keine Garantie dafür, dass es über Geburt und Tod hinaus ein Dasein hat. Was man heute von dem Seelischen weiß, kann in und mit dem physischen Körper durch das Keimesleben und die weitere Entwicklung in der Kindheit entstanden sein und kann mit dem Tode enden. In der älteren Menschenerkenntnis war für das seelische Wesen des Menschen etwas enthalten, von dem das heute Gewusste nur ein Abglanz ist. Es war dies als die astralische Wesenheit des Menschen angesehen. Es war nicht das, was in Denken, Fühlen und Wollen der Seele erlebt wird, sondern etwas, das seinen Abglanz in Denken, Fühlen und Wollen hat.

Man kann nun nicht das Denken, Fühlen und Wollen in den Kosmos eingegliedert denken. Denn diese leben nur in der physischen Wesenheit des Menschen. Dagegen kann die astralische Wesenheit als ein Glied des Kosmos aufgefasst werden. Denn diese tritt mit der Geburt in die physische Wesenheit ein und tritt mit dem Tode aus dieser aus. Dasjenige, was sich während des Lebens zwischen Geburt und Tod hinter Denken, Fühlen und Wollen verbirgt – eben der astralische Leib -, ist die kosmische Wesenheit des Menschen.

Indem die moderne Erkenntnis die astralische Wesenheit des Menschen verloren hat, ist ihr auch eine Kosmologie abhanden gekommen, die den Menschen umfassen könnte. Sie hat nur eine physische Kosmologie. In dieser aber sind nur die Grundlagen des physischen Menschen enthalten. Es ist notwendig, dass wieder eine Erkenntnis des astralischen Menschen erworben werde. Dann wird es auch wieder eine Kosmologie geben können, die den Menschen mit umfasst.

Damit ist der zweite Schritt der Anthroposophie gekennzeichnet.

Religion im ursprünglichen Sinne ist auf dasjenige Erlebnis gebaut, durch das sich der Mensch sowohl unabhängig weiß von seiner physischen und ätherischen Wesenheit, durch die er sein Dasein zwischen Geburt und Tod hat, wie auch von dem Kosmos, insofern dieser an einem solchen Dasein mitwirkt. Der Inhalt dieses Erlebnisses bildet den eigentlichen Geistmenschen, dasjenige, worauf unser Wort »Ich« nur noch hindeutet. Dem Menschen bedeutete einst dieses »Ich« etwas, das sich unabhängig von aller Körperlichkeit und auch unabhängig von der astralischen Wesenheit wusste. Durch ein solches Erleben fühlte sich der Mensch in einer Welt, von der diejenige nur ein Abbild ist, die ihm Körper und Seele gibt. Er fühlte sich im Zusammenhang mit einer göttlichen Welt. Die Erkenntnis von dieser Welt bleibt der sinnengemäßen Beobachtung verborgen. Die Erkenntnis des ätherischen und des astralischen Menschen führt allmählich zu einer Anschauung dieser Welt hinüber. In der Sinnesanschauung muss sich der Mensch getrennt fühlen von der göttlichen Welt, der sein innerstes Wesen angehört. Durch die übersinnliche Erkenntnis verbindet er sich wieder mit dieser Welt. Dadurch mündet übersinnliche Erkenntnis in Religion ein.

Damit dies der Fall sein kann, muss das wahre Wesen des »Ich« erschaut werden können. Das aber ist der modernen Erkenntnis verlorengegangen. Selbst Philosophen sehen in dem »Ich« nur die Zusammenfassung der Seelenerlebnisse. Die Idee, die sie dadurch von dem »Ich«, dem Geistesmenschen, erhalten, wird aber durch jeden Schlaf widerlegt. Denn im Schlafe wird der Inhalt dieses »Ich« ausgelöscht.

Ein Bewusstsein, das nur ein solches Ich kennt, kann nicht erkenntnismäßig in Religion einmünden. Denn es hat nichts, was dem Auslöschen des Schlafes widersteht. Aber eine Erkenntnis des wahren Ich ist dem modernen Geistesleben verlorengegangen; damit aber auch die Möglichkeit, von dem Wissen aus zur Religion zu kommen. Es wird, was von Religion einstmals vorhanden war, aus der Tradition als etwas hingenommen, wozu menschliche Erkenntnis nicht mehr kommen kann. Religion wird auf diese Art Inhalt eines Glaubens, der außerhalb der wissenschaftlichen Erlebnisse errungen werden soll. Wissen und Glaube werden zwei Erlebnisweisen für etwas, das einst eine Einheit war.

Es muss erst wieder eine anschauliche Erkenntnis des wahren »Ich« entstehen, wenn Religion die rechte Stellung im Leben der Menschheit haben soll. Der Mensch wird von der modernen Wissenschaft nur hinsichtlich seiner physischen Wesenheit als wahre Wirklichkeit verstanden. Er muss im weiteren erkannt werden als ätherischer, astralischer und Geistes-Mensch oder »Ich-Mensch«, dann wird Wissenschaft die Grundlage des religiösen Lebens werden.

Damit ist der dritte Schritt der Anthroposophie gekennzeichnet.

Es wird nun für die folgenden Vorträge die Aufgabe sein, die Möglichkeit zu zeigen, dass der ätherische Mensch erkannt werden kann, das heißt, dass der Philosophie eine Wirklichkeit verliehen werden kann; es wird die weitere Aufgabe sein, die Erkenntnis des astralischen Menschen nachzuweisen, das heißt zu zeigen, dass eine Kosmologie möglich ist, die den Menschen mitumfasst; und zuletzt wird noch die Aufgabe sich ergeben, zur Erkenntnis des »wahren Ich« zu führen, um die Möglichkeit eines religiösen Lebens darzulegen, das auf einer Erkenntnisgrundlage ruht.

Philosophie, Kosmologie, Religion

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