Читать книгу Dienst! Ein Kasernenroman in drei Tagen - Rudolf Stratz - Страница 5
1.
Оглавление„Zum Donnerwetter!“
Zwei-, dreimal klirrt die Säbelscheide in ungeduldigem Pochen an das Kasernenthor.
Stille ringsum. Nur das eintönige Rauschen des Regens durch die Winternacht, ab und zu ein Windstoss, der stöhnend über die finstere, menschenleere Gasse dahinfegt.
Nun nähern sich von innen schwere, schlürfende Tritte.
„Werda?“
Die Stimme das Postens klingt verschlafen.
„Passant!“
Die schlürfenden Tritte entfernen sich wieder, nach der Wachtstube zu, wo der Unteroffizier mit dem Kasernenschlüssel in der Tasche schnarcht.
Nach einiger Zeit kehren sie wieder. Das Schloss knarrt und schwerfällig öffnet sich das dicke Thor.
Unteroffizier Rother von der siebenten Kompagnie, die heute die Wache stellt, blinzelt, den Helm schief auf dem Kopf, stumpfsinnig in die Nacht hinaus, und fährt mit einem Ruck zusammen, als er einen Vorgesetzten erkennt.
Und noch dazu einen Lieutenant der eigenen Kompagnie. Herr von Elcke hat mit ein paar andern jüngeren Ofsizieren seine Dienstwohnung in der Kaserne.
Der Lieutenant tritt ein. Das Regenwasser trieft ihm von dem blinkenden Helm, es rieselte an dem Paletot herunter und tropft von den Spitzen des dunklen Schnurrbarts.
Er gähnt.
„Na ... Sie sinds, Rother! .... ’n bischen rascher könnten Sie bei dem Hundewetter wohl aufmachen ...“
„’Befehl, Herr Lieutenant! ... ich wusste nicht, dass es der Herr Lieutenant war!“
„.. na, ’s is gut! .. ’n Abend, Rother!“
„Guten Abend, Herr Lieutenant!“
Aus der Ecke des halbdunklen Thorgangs tönt das Klatschen eines Gewehrs in breiten Handflächen. Dort steht der Posten und präsentirt.
Der Lieutenant winkt ihm ab, wirft einen zerstreuten Blick nach der Kasernenstube links, wo undeutliches Schnarchen ertönt und eine blakende Oellampe in kümmerlichem Scheine die abenteuerlich auf der Holzpritsche zusammengekrümmten Gestalten übergiesst, und schreitet dann zur Rechten des winddurchpfiffenen Gewölbes langsam mit dem Säbel klirrend die langen Treppen und Gänge hinauf zu seiner Wohnung.
Kein Mensch ringsum .. kein Laut! Nichts rührt sich von den zweitausend Menschenleben, denen der weitläufige Gebäudekomplex auf Jahre hinaus die Heimath bedeutet.
Die langgestreckten Gänge liegen öde da, in einem trüben Halbdunkel, das nur alle fünfzig oder hundert Schritt einmal durch den spärlichen Dunstkreis eines Flurlämpchens unterbrochen wird.
Wo dieser Kreis hinreicht, da blinken in seinem gelblichen Scheine einförmig die Läufe der Gewehre, die, eins neben dem andern, soweit das Auge reicht, längs der Wand in ihren Stützen stehen, neben jedem ein Papptäfelchen mit der Nummer und dem Namen des Inhabers.
Auf der anderen Seite des Flurs sind die Fenster. Sie gehen nach den Kasernenhöfen zu.
Eines von ihnen steht offen.
Lieutenant von Elcke lehnt sich daran und blickt hinaus in die Nacht.
Wie aus weiter Ferne tönt durch das Regengeriesel noch der letzte Walzer an sein Ohr. In dem Dunkel draussen steigt noch einmal der helle Ballsaal vor ihm auf, fegende Schleppen, silbernes Lachen, blanke Schultern, ein süsser Duft von Blumen und Parfum, der ihn bis hierher in die schweigende Oede der Kaserne begleitet.
Er versinkt in Träumen.
Da schnarrt es aus dem Dunkel heraus, hoch oben von den Dächern her, als ob sich ein alter Mann räuspern wollte. Die invalide Kasernen-Uhr rüstet sich zum Schlagen.
Irgendwo, in der regendurchrauschten Finsterniss, hebt es an, in mattem Klange.
Eins — zwei — drei — vier — fünf.
Fünf Uhr Morgens!
Da wird es mit dem Schlafen heute nichts mehr. Bis man sich mit kaltem Wasser übergossen, sich umgezogen und dienstfertig gemacht hat, ist es sechs Uhr vorbei und um sieben beginnt die Rekruten-Instruktion.
Der Lieutenant schreitet missmuthig den Gang entlang nach seinen Zimmern.
*
Unterwegs blieb er plötzlich stehen und stiess eine der Thüren auf, die zu den Stuben seiner Rekruten führten.
Eine abscheuliche Luft drang ihm aus dem Raume entgegen, der still und dunkel da lag. In dem spärlichen Licht, das von dem Flur her eindrang, zeichneten sich undeutlich an den Wänden die Umrisse der Doppelspinde ab, davor, immer eines über einem andern, die schmalen eisernen Bettstellen, wohl zwanzig oder mehr.
In den Bettstellen schnarchende, regungslose Gestalten, in allen möglichen und unmöglichen Stellungen über den Strohsack hingeflegelt. Da und dort starrte ein riesiger Fuss oder ein halberhobener Arm in die Höhe. Dicht an der Thüre hing schaukelnd ein muskulöses Bein aus einem der oberen Betten herunter. Wo es hin gehörte, konnte man nicht erkennen, da der Lichtstreifen hier jäh abschnitt.
Der Mann darunter war wach und blinzelte aus blöden Augen zu dem Lieutenant herauf.
Auch sonst regte es sich da und dort. Ein schweres Seufzen wurde im Hintergrunde hörbar.
Elcke schloss die Thüre. Er war froh, als er wieder in der kühlen Nachtluft des Ganges stand.
Welch ein lächerlicher Kontrast.
Diese finsteren Räume mit ihren ungeschlachten Bewohnern, ihrer erstickenden Luft.
Und vor einer Viertelstunde noch der lichtüberfluthete Ballsaal, die träumerischen Klänge des Wiener Walzers, und, nach diesen Klängen in seinem Arm sich wiegend, ein süsses, unbestimmtes Etwas, eine Wolke von duftigem Tüll, ein Gewirr von krausen blonden Locken, das sich an seine Schulter lehnte, ein grosses, blaues Augenpaar, das sehnsüchtig und bang zu ihm emporsah.
Nun war der bunte Traum verflogen. Die Wirklichkeit umgab ihn wieder, die öde Wirklichkeit, Kasernenluft und Nacht und Regen.
„Ein Hundeleben!“ murmelte er ingrimmig vor sich hin, während er seine Thüre aufschloss und in das kalte Zimmer trat.
Dort setzte er sich am Fenster hin, in Waffenrock und Epaulettes, wie er war, und starrte gedankenlos auf die dunkle Gasse.
Vom Tisch her übergoss das flackernde Licht der Kerze sein Gesicht ....
Keine regelmässigen Züge, noch weniger ein geistreicher Ausdruck in ihnen. Nein, ein mageres, scharfgeschnittenes Antlitz, schmale, energische Lippen, über der Hakennase ein Paar scharf spähende Augen, im Ganzen ein Urbild jenes Raubvogeltypus, den manche Geschlechter des märkischen Uradels bis in die Gegenwart bewahren.
Derlei Köpfe imponiren den Frauen. Sie zeugen von Kraft.
Wie elegant hatte er heute wieder vorgetanzt bei dem grossen Regimentsball, den er mit Alix Dahlem, der Tochter des Kommandeurs, eröffnet, und wie sicher klappten unter seinem Kommando Quadrille und Menuett.
Die Damenwelt hatte sich denn auch dankbar erwiesen. Ein wildes Gewirr von Kotillonorden bedeckte die linke Seite seines Waffenrockes.
Aber der Lieutenant schien nicht gesonnen, die Trophäen nach altem Brauche unter dem Spiegel seines Wohnzimmers an die Wand zu nageln. Er streifte sie sich ungeduldig und halb mechanisch ab und warf sie von sich, auf das Fenstersims, auf den Fussboden, wohin es traf, — während er in die Nacht hinausspähte.
Dort draussen hatten sich mehrere Fenster erhellt, in dem finsteren, alten Gebäude, das die andere Seite der Gasse einnahm.
Das war die Dienstwohnung des Regiments-Kommandeurs, eine Dienstwohnung von beinahe beängstigendem Umfang. Der verwittwete alte Graf Dahlem, der mit seiner Tochter da hauste, liess beinahe die Hälfte der Räume leer und unbenutzt.
Da war nun Licht. Man kehrte vom Balle heim.
Das Licht ging durch verschiedene Gemächer. Es verschwand im Erdgeschoss nach dem Hofe zu, wo sich der Pferdestall befand, es kam zurück und hielt sich dann für kurze Zeit in dem Erkenzimmer.
Die weissen Vorhänge waren dort herabgelassen. Einen Augenblick zeichneten sich auf ihnen zwei Silhouetten ab, die Figur des alten hageren Grafen und neben ihm ein zierlicher Kopf auf leichtgebogenem Nacken, eine schlanke, hochaufgeschossene Gestalt, die mit koketter Schulterbewegung die Arme von sich ab zu Boden streckte, als wisse sie sich vor Müdigkeit nicht mehr zu lassen.
Dann wurde es plötzlich finster. Man ging nach hinten, in die Schlafräume.
Elcke blickte noch eine Zeitlang durch das dunkle Fenster, an das der Wind von Zeit zu Zeit klatschende Regengüsse warf. Dann sank sein Kopf vornüber. Er schlief ein.
*
Es war nahe an sechs Uhr. Unten in der Wölbung des Kasernenthors liess Unteroffizier Rother die Wachmannschaft zur Ablösung antreten.
Der Posten vor dem Gewehr wurde gewechselt, dann stellten die Leute die Gewehre wieder in die Stützen und schlürften in die Stube zurück.
Nur der Spielmann blieb stehen, nestelte sich sein Horn los und setzte es, in den freien Hof hinaustretend an die Lippen:
Weithin klang, sich an den hohen Wänden brechend und widerhallend, das langgezogene Signal, das die Kasernensprache mit: „Habt Ihr noch nicht lang genug geschlafen?“ übersetzt.
Der Spielmann aber ging weiter, durch die weitläufigen Höfe und Winkel des Kasernengewirrs, und immer wieder tönte die schmetternde Mahnung:
„Habt — Ihr — noch — nicht — lang genug ge- — schlafen?“
*
Da begann sich allmählich die Kaserne zu regen.
Flimmernde Lichtpunkte tauchten da und dort in den langen Fensterreihen auf, in den Gängen hallten schwere Tritte und Rufe, über das spiegelnde Steinpflaster des Hofes trappten langsam einzelne Gestalten, in die grauen Mäntel gewickelt.
„’Morgen, Lands!“
„’Morgen!“
Man begrüsste sich, ohne sich zu erkennen, denn das Morgengrauen war noch fern.
Aber schon schob unten im Hofe der Kantinenwirth mit seinen Leuten die schweren Eisenriegel von den Laden und richtete innen den dampfenden Kaffee und den Morgenschnaps, stöhnend öffneten sich die Flügel des Kasernenthors, um den Tag über an die Wand gelehnt zu bleiben, und der Posten vor Gewehr trat aus der Thorwölbung hinaus auf die nass glitzernde Gasse.
Es wurde überall lebendig. Thürenschlagen, eilfertiges Laufen durch die Gänge, das Kreischen der Pumpenschwengel an den Wassersteinen, Stimmengewirr, Gähnen und Fluchen aus den weitgeöffneten Fenstern, das Alles klang zu einem regellosen, aufgeregten Lärm zusammen. Ein neuer Tag begann.
*
Auch in der Mannschaftsstube, die der Musketier Frey, Elckes Bursche bewohnte, herrschte reges Leben.
Die Fenster waren geöffnet. Vergebens kämpfte die ersterbende Gluth des Ofens gegen die kalte feuchte Winterluft, die von aussen eindrang. In ihrem frischen Zuge flackerte das Lämpchen über dem grossen Tisch und auch der hellere Lichtschein, der aus der Ecke, aus dem Verschlage des Unteroffiziers, aufsteigend sich an der Decke wiederspiegelte, zitterte unstät hin und her.
In diesem Dämmerlicht machte die Mannschaftsstube einen chaotischen Eindruck. Alles war durcheinander: die zerwühlten Betten, die Kleidungsstücke, die über die dreibeinigen Schemel hingen, die halboffenen Spinde mit ihrem Wirrwarr von Uniformen, Putzzeug, Kommissbrod, Stiefeln und anderen Dingen, die nassen Waffenröcke und Hosen, die an quergespannten Seilen von der Decke schwebten und den unangenehmen Dunst des feuchten Tuches ausstrahlten.
In dem Durcheinander bewegte sich enggedrängt die Mannschaft, achtzehn oder zwanzig Gestalten in weissen Drillichröcken und klappernden Schuhen. Sie schüttelten ihren Strohsack auf, plantschten und pladderten in ihren wassergefüllten Steingutschüsseln, in die sie kurzweg den ganzen Kopf hineinsteckten und triefend wieder herauszogen, legten den Exerzierrock vierter Garnitur an, banden mit einem Endchen Zuckerschnur die bauschigen Hosen am Knöchel eng zusammen, um leichter die hohen Stiefel darüber zu ziehen und tappten endlich hinunter in die Kantine, um rasch noch etwas Warmes in den Leib zu bekommen.
Dazwischen fegte der Mann der Stubendujour das Zimmer aus, der Unteroffizier haderte mit seinem Putzer, der ihm nicht rasch genug aus der Kantine die Schale dünnen, schwarzen Kaffee und die Schrippen gebracht, und in den Lärm, der den niederen Raum erfüllte, drang vom Gange her durch die offene Thüre aus der langen Reihe der angrenzenden Stuben dasselbe wirre Getöse.
*
Der Musketier Frey war mit seiner eigenen Ausrüstung fertig und trat in das Zimmer seines Herrn, der immer noch im Stuhl am Fenster schlief.
„Herr Lieutenant!“
Keine Antwort.
„Herr Lieutenant!“ Der Bursche berührte leicht die Schulter seines Herrn .. „.. Herr Lieutenant .. ’s is’ halb sieben ..“
Elcke fuhr fuhr auf und starrte ihn geistesabwesend an.
.. „ .. halb sieben .. sagst Du?“
„’Befehl, Herr Lieutenant!“
„Donnerwetter!“ .. nun war Elcke wieder ganz wach, „ .. rasch .. ich muss mich umziehen .. den schlechten Waffenrock .. die kurze Hose .. hohe Stiefel ..“
Das lag Alles bereit. Der pflichtgetreue Musketier hatte es am Abend vorher schon gerichtet.
„Trittst Du denn heute ein?“ frug ihn Elcke missmuthig aus dem Nebenzimmer, während er sich wusch und umzog.
„’Befehl! ... Die alte Mannschaft, die nicht auf Wache ist, hat Felddienst. In der Richtung auf Mattenwaag. Der Mann fünf Platzpatronen.“
Mit dem Burschen zusammen verliess auch sein Herr das Zimmer.
Ein dämmeriges, feuchtes Grau umgab ihn, wie er auf dem Flur stand. Noch konnte man kaum die nächsten Gegenstände mit einiger Deutlichkeit unterscheiden. Alles andere verschwand in unbestimmten Umrissen, in einem düsteren Schleier, den halb die Nacht, halb der Nebel des Regentages bildete.
Aus diesem Schleier tönte wieder von irgendwoher ein kurzes, schweres Rasseln. Die Thurmuhr rüstete sich stöhnend zum Schlagen.
Sieben Uhr!
Der Lieutenant schritt den Gang hinunter zu den drei Stuben, in denen seine Rekruten von sieben bis acht Instruktion durch die Unteroffiziere erhalten sollten. Gerad heute nach dem Balle durften sie ihn nicht schlafend wähnen.
Er öffnete die erste Thür.
In zwei Reihen sassen da auf den Holzschemeln, gerade unter der matt brennenden Deckenlampe, die Rekruten, baarhäuptig, in weissen Drillichröcken, die Hände flach auf dem Knie.
Bei seinem Eintritt sprangen sie mit einem einzigen dröhnenden Schlag auf und blieben regungslos stehen. Sergeant Kuhnert trat auf den Offizier zu und meldete in strammer Haltung:
„Ein Unteroffizier, zwei Gefreite, dreiundzwanzig Mann zur Instruktion!“
„Danke! ... Hinsetzen!“
Die Rekruten liessen sich nieder. Der Unterricht nahm seinen Fortgang.
Der Sergeant plagte sich eben mit dem Rekruten Tuleikes ab, der durchaus den ersten Kriegsartikel nicht zu fassen vermochte.
„Tuleikes ... Mensch .. begreifen Sie denn nicht. „Der Soldat soll“ ...“
„Der Soldat soll ..“
„der ernsten Pflichten seines Berufes eingedenk ..“
„der ernsten Pflichten seines Berufes eingedenk ..“
„.. dieselben gewissenhaft zu erfüllen ...“
„dieselben gewissenhaft zu erfüllen ..“
„.. eifrig bemüht sein.“
„eifrig bemüht sein ..“
„So .. schön .. nun das Ganze noch einmal ..“
Tuleikes schwieg verstört. Seine wasserblauen Augen starrten rathlos in die Weite.
„.. wärst Du doch in Deinem Litthauer Pferdestall geblieben ..“, stöhnte der Sergeant. .. Tuleikes .. noch einmal ...“
Der Lieutenant war nicht gewillt, das Weitere anzuhören.
„Ein grässlicher Kerl!“ sagte er ärgerlich, schob den Stuhl zurück, den ihm einer der in der Ecke stehenden Gefreiten zugetragen und wandte sich zur Thür.
Der zunächst sitzende Rekrut schnellte empor und riss sie auf. Elcke trat auf den Gang hinaus.
In den anderen Stuben dasselbe Bild.
Die dumpf-glotzenden, kurzgeschorenen Rekrutenschädel, die er nun schon im vierten Winter kannte, die ungeschickten Unteroffiziere, die in der Ecke müssig herumstehenden und verstohlen gähnenden Gefreiten —, das Dämmerlicht, der Dunst der blakenden Lampen, auf den Gängen das Trapsen, Gewehrklirren und die gedämpften Kommandos, unter denen die alte Mannschaft zum Felddienst antrat, das Alles erzeugte heute mehr denn je in Elckes Kopf das Gefühl einer grenzenlose Oede, einer Nüchternheit, grau und eintönig, wie der Regentag draussen, wie die Tage vor ihm, wie dieser ganzer Winter und sein ganzes bisheriges Leben.
Unten, am Ende des Ganges, stand gähnend Lieutenant von Hessel von der „Sechsten“. Das Wort Kompagnie wird — als etwas Selbstverständliches — im Kasernen-Jargon weggelassen.
Ein kleiner zierlicher Herr, dunkelhaarig und elegant, dem Dienst gegenüber von einer äusserlichen spöttischen Nonchalance, mit der er geschickt seinen peinlichen Eifer zu drapiren liebte.
Uebrigens ein guter Kerl.
Als er Elcke sah, lachte er laut auf.
„Albrecht, was machst Du für ein Gesicht?“
„Ich habe Kater!“
„Ja ... das kommt vom Vortanzen,“ bemerkte Herr von Hessel mit harmloser Miene ... „wenn man das Glück hat, mit der schönen Alix durch den Saal zu fegen ... noch dazu in einem Tempo, wie Du es gestern beliebtest ...“
Elcke hörte gar nicht auf ihn.
Er sah wieder hinunter in den menschenleeren Hof, wo in den breiten Pfützen das Regengeriesel tausend durcheinander laufende Ringe zog.
„Moralischen hab’ ich!“ sagte er endlich kurz und ohne den Kameraden anzusehen.
„Das hast Du in letzter Zeit häufig!“
„Ja!“
„Aber warum denn, um Gotteswillen?“
„Warum?“ Elcke blickte immer noch in den Regen hinaus, als habe er da etwas besonders Merkwürdiges entdeckt ... „... warum ... das ist so eine Sache ... siehst Du ... zum Beispiel ... in der Instruktion heute ... da lernen meine Rekruten eine Stunde lang allerhand über die Pflichten des Soldaten ...“
„Na ja!“
Elcke fuhr plötzlich herum.
„Aber die Rechte des Soldaten?“ frug er leise und ein finsterer Glanz sprühte aus seinen Augen ... „... wo bleiben denn die?“
„Welche Rechte?“
„Rechte, die jeder andere Mensch hat .. jeder Maurergeselle ... jeder ...“
In Hessels Gesicht war der spöttische Ausdruck geschwunden. Er wusste es schon, worum es sich handelte.
„Zum Beispiel ... zu heirathen!“ sagte er ... „ .. Allerdings .. ein Maurergeselle nimmt, wen er will, und kümmert sich um nichts weiter ...“
„... Während wir die Heirathskaution stellen müssen ... sechzigtausend Mark und mehr .. und wenn man die nicht hat .. wenn man überhaupt nichts hat, wie ich, .. als 45 Mark monatlich aus der Familienstiftung und einen Namen, dessen Träger sich seit drei Jahrhunderten haben für die Hohenzollern todtschiessen lassen ... und wenn das Mädchen auch nichts hat .. wie das ja wohl auch vorkommen kann ... was denn dann? .. ich frage Dich Hessel .. was denn dann?“
Der kleine Lieutenant zuckte die Schultern.
„Ja .. das weiss ich wahrhaftig nicht!“
Elcke war wieder ganz ruhig geworden.
„Dann sind wir eben zur Ehelosigkeit verurtheilt,“ sagte er. „Dann raubt man uns das natürlichste Recht des Menschen, das Weib zu nehmen, das er liebt und von dem er geliebt wird ... und was giebt man uns dafür: den Dienst und immer wieder den Dienst ...“
Die Thür nebenan öffnete sich. Ein Gefreiter sah im Auftrag des Sergeanten Kühling nach, ob es auf der Kasernenuhr schon acht sei.
Da tönte der erste Schlag der Uhr.
„Wegtreten!“ rief Elcke in das Zimmer, „.. sagen Sie’s den anderen, Sergeant Kühling .. na .. auf nachher, Hessel!“
Damit stieg er die Treppe hinauf. Hessel blickte ihm kopfschüttelnd nach.
*
In seinem Zimmer lag natürlich alles noch durcheinander, wie er es vor einer Stunde verlassen.
Die Fenster standen weit offen. Der Wind trieb am Boden mit den Papierschnitzeln sein Spiel.
Gegenüber, in der Dienstwohnung des Kommandeurs, hantirte ein Bursche in blaugestreiftem Kittel an den Glasscheiben des Eckzimmers.
Die anderen Fenster waren geschlossen.
Aber als der Lieutenant jetzt, während die heiseren Schläge der Kasernenuhr in der Luft verhallten, scheinbar gelangweilt auf die Gasse hinausblickte, klirrte plötzlich drüben ein Fenster auf.
Ein blonder Kopf zeigte sich in ihm, eine schlanke Gestalt, von einem blauen Morgenrock umflossen.
Die Beiden sahen sich einen Augenblick an, reglos und stumm. Ihre Augen suchten sich durch die Regenluft, die zwischen ihnen auf der breiten Gasse in rieselnden Schwaden dampfte.
Einen Augenblick nur. Dann ging das Fenster drüben wieder leise zu.
*
Unten im Gange spazierten Herr von Hessel und sein Intimus, der Lieutenant Heinze, säbelklirrend auf und nieder.
Wie alle vertrauten Freunde hatten sie sich wenig mitzutheilen.
„Eben lief Elcke weg!“ sagte der kleine Lieutenant endlich gedankenvoll, „ .. hinauf in sein Zimmer.“
„Wollen wir einen Schnaps bei ihm trinken?“ schlug Heinze vor.
Aber der andere winkte ab.
„Nee .. lass ihn lieber, der wirft uns heute womöglich noch hinaus!“
„Was hat er denn?“
„Na .. Du weisst doch ..“ sagte Hessel.
Sein Freund nickte tiefsinnig mit dem Kopf.
„Ich möchte nur wissen“ meinte er „.. wie das nu schliesslich werden soll. Er hat nichts. Sie hat nichts. Die Verwandten haben nichts! — Ja, Du lieber Gott .. es giebt doch wahrhaftig noch genug andere Frauenzimmer auf der Welt ... und genug andere Lieutenants auch. Warum müssen sich denn nun gerade die Beiden in einander verlieben?“
„Warum?“
Hessel drehte melancholisch den Säbelgriff zwischen den Händen hin und her.
„Ja . , wenn man das wüsste, mein lieber Heinze ...“