Читать книгу Medina – ist (durch)geschlagen - Rune Skyum-Nielsen - Страница 5
Erster Tourtag, Kopenhagen
ОглавлениеMedina und ihr Freund sind an diesem Nachmittag mutterseelenallein im Kino. Ich weiß es schon, bevor Hunger Games 2 überhaupt angefangen hat. Genauso wie ich weiß, welchen Sitzplatz das Paar für sich wählte und welche Schuhe sie für ihren ersten Ausflug in die Dunkelheit dieses Tages tragen.
Die Sängerin hatte das Foto selber gemacht, und noch bevor die Sondervorstellung überhaupt anfing mit ihren 200.000 Followern über das Social Media Netzwerk Instagram geteilt.
„Little private cinema with my man before leaving for Germany“, schrieb sie dazu gefolgt von zwei rosa Herzen.
Fünf Stunden Später ist Medina in ihre Stiefel geschlüpft, während ihr Freund, Teenie-Idol Christopher, lieber designte Gummischuhe trägt. Es ist ein trostloser Winterabend am Kopenhagener Südhafen. Schon mit bloßem Auge kann man erkennen, wie sich der dichte Neben über die alten Industriegebäude schiebt.
Es ist stockdunkel, das Gelände ist verlassen. Vor dem Bus, der auf der bevorstehenden Deutschlandtour Medinas rollendes Zuhause sein wird, geht das Paar händchenhaltend auf und nieder. Medina – gekleidet in graue Leggins, weiße Stiefeletten und einen braunen, hüftlangen Pelz, umarmt flüchtig die Crew. Christopher, ihr knapp zehn Jahre jüngerer Freund, lässt sich etwas mehr Zeit. Die Bandmitglieder begrüßt er ausgiebig alle mit Handschlag und vertieft sich mit einigen in kurze Unterhaltungen. Doch dauert dies zu lange, drängt Medina ihn weiter zur nächsten kurzen Präsentation.
Nachdem sich Medina im Anschluss von ihrem Freund verabschiedet hat, und die Türen des Busses mit einem hydraulischen Stöhnen geschlossen wurden, wird von ihr überdeutlich zum Ausdruck gebracht, auf welche der 17 noch an Board verbliebenen Lebewesen sie am wenigsten verzichten kann, und die somit ihre teuerste Reisegesellschaft ausmachen:
„Ihr wisst doch, ihr seid meine allerbesten Freunde auf der ganzen Welt? Das wisst ihr doch?“, fragt sie und gibt Eddie und Walter, ihren beiden Yorkshire-Terriern, eine lange und mütterliche Gruppenumarmung.
Gleich danach stellen sich die beiden Hunde auf die Hinterbeine und springen an den Beinen der dänischen Sängerin hoch, während diese einige ihrer Koffer in dem einzigem Schlafzimmer des Busses ganz hinten in der oberen Etage unterbringt. Dort können es sich Medina, Eddie und Walter im frischgemachten Doppelbett bequem machen während der Rest der Crew mit einer Art Kojen auskommen muss. Diese Betten sind so eng, dass man sich beim unter die Decke kriechen unweigerlich den Kopf an der Koje obendrüber stößt.
„Ohne Walter und Eddie würde ich mich zu Tode langweilen“, erklärt mir die Sängerin.
Das ist nichts, was sie einfach so vor sich hinsagt. Medina hatte schon immer mit der Einsamkeit zu kämpfen. Sie fühlt sich umgeben von vielen Menschen nicht wirklich sicher.
„Ich stehe oft unter Druck, und kann es überhaupt nicht aushalten mit Anderen zusammen zu sein“, erzählt sie auch in ihrem 2010 mit Diktiergerät aufgenommenen Tagebuch Tæt på (dt. Nahe dran).
Die liebe zu den Vierbeinern hingegen scheint grenzenlos zu sein. Sie hat jedenfalls von Anfang an einiges für sie auf sich genommen.
Eddie – mit Nachnamen Spaghetti – ist der schlauere, ältere, größere und aufgewecktere Hund der beiden. Walter hingegen erweckt eher einen mitleidigen Eindruck und ist zurückhaltend. Medina hat ihn einst in New York gefunden.
Auf ihrer damaligen Tour durch Amerika hatte Medina bereits in Miami einen neuen Spielkameraden für Eddie gefunden. Da es sich damals jedoch um einen der ersten Zwischenstopps auf der längeren Tour handelte, schaffte es ihr treuer Reisebegleiter und Tourmanager Steffen Strojeck noch einmal Medina in ihrem Vorhaben zu bremsen. Es würde schließlich nichts bringen mit einem Hundewelpen in der Handtasche kreuz und quer durch die USA zu fliegen, konnte er sie überzeugen.
Doch selbst wenn es Steffen Strojeck gelungen war Medina von Ihrem Vorhaben in Miami abzuhalten, ahnte er bereits, womit es enden würde. Und als sie einige Tage später New York erreicht hatten, vollzog sich das Unumgängliche: Medina statte kurzerhand einer Tierhandlung, die sie zuvor im Internet entdeckt hatte, einen Besuch ab, um Eddie einen Gesellschafter zu besorgen.
Medinas Aufmerksamkeit fiel schnell auf Walter. Und da der niedliche Hund nur in einer kleinen Einzäunung auf dem Boden hause und noch nie in seinem Hundeleben frische Luft geschnuppert hatte, war die Entscheidung, Walter zu sich zu nehmen, schnell getroffen.
So hatte es sich zugetragen, und Walter reiste den ganzen weiten Weg mit zurück nach Dänemark in einer Handtasche.
„Als er das erste Mal auf einer Wiese war, wäre er fast gestorben vor Freude“, erinnert sich Medina.
Walter wirkt jedoch dennoch nicht so, als wäre er über seinen harten Start ins Leben hinweggekommen. Meistens tippelt er lautlos hinter Eddies Hinterteil her und mit seinem leeren Blick und den traurig-flackernden Augen hat er etwas eigenartig Mechanisches an sich.
„Etwas depressiv ist er schon“, entwischt es mitunter sogar Hundemama Medina.
Aber wenn es darauf ankommt, hält sie zu Eddie und Walter. Immer. Komme, was wolle. Als sich einer der Busfahrer darüber beschwerte, die Hunde würden im Aufenthaltsraum des Doppeldeckers genau hinter der Fahrerkabine umhertollen, war er es, der letztlich den Kürzeren zog.
„Kann er nicht einfach eine Allergietablette nehmen? Ich hätte da noch was für ihn“, war Medinas einziger Kommentar.
Währenddessen flitzt Eddie zu mir herüber und schnüffelt an mir. Instinktiv kraule ich ihn hinter seinem Ohr. Und schon kurz darauf spreche ich in Babysprache:
„Na Eddielein, du bist ja so süß. Hey, Eddie, Eddielein hey, hi du.“.
Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie uns Medina beobachtet.
Medina macht sich Gedanken über den Ticketverkauf für die Konzerte, die sie in den kommenden zwei Wochen in Deutschland gibt. Gut gefüllte Konzerthallen geben dem Publikum die besten Erlebnisse, so ihre These. Die Sängerin hat gerade eine Reihe ausverkaufter Konzerte in Dänemarks größten Veranstaltungshallen durchlebt. In Deutschland hingegen würde sie in halbvollen Sälen spielen. Es war Medinas deutscher Booking-Agent, der so darauf behaarte die in Verzug geratene Frühjahrstournee ins Rollen zubringen um so Medinas drittes englischsprachiges Album besser zu vermarkten. Ein Release, der Medina plangemäß zu einem der meistverkauften Namen in Deutschland 2014 machen würde.
Festungen wie Berlin und Hamburg warten darauf von der Sängerin eingenommen zu werden. Aber auch Städte wie Saarbrücken, Dresden und Mainz, in denen sie auf ihren vorangegangenen drei Touren südlich der dänischen Grenze nicht auftrat, stehen dieses Mal auf dem Tourplan.
Der erste Stopp ist Nürnberg.
Medina hat sich ordentlich mit Proviant eingedeckt. Sie verlässt ihr Schlafzimmer, um die Minibar unten im Aufenthaltsraum aufzufüllen. Hundeleckerli, Roséwein, Tee und Nahrungsergänzungsmittel. Das zuletzt genannte stammt von der Gesundheitsmarke Pukka, die ihr jede Menge Gratisproben zukommen ließ. Medina bedankt sich großzügig für die Proben, indem sie ein Foto der Geschenke auf Instagram hochlädt.
Als der bus am Fähranleger in Gedser angelangt, und die Reisegemeinschaft raus möchte um sich etwas zu essen zu holen, will Medina lieber mit Eddie und Walter im Aufenthaltsraum des Doppeldeckers bleiben. Eddie kuschelt sich sogleich auf ihren Schoß.
„Ich halte es nicht aus, wenn die Leute einen so angucken. Wir bleiben hier“, sagt die Sängerin.
Einige der Bandmitglieder versuchen noch sie zu überreden, aber Medina hat ihre Entscheidung getroffen. Ihr Lächeln ist verschwunden, und sie lässt die Jalousien bis zum letzten Stück über die getönten Scheiben fallen. Einst fuhr das Medina-Team mit einem von Werbung für das Debütalbum Velkommen til Medina zugekleisterten Minibus durch das Land. Das ist jetzt dreieinhalb Jahre her.
Wie sich herausstellt, ist das Restaurant der Fähre auf der letzten Überfahrt dieses Mittwochs nach Rostock völlig menschenleer. Ich lande auf dem Platz neben Oliver McEwan. Er ist Bassist und der Frontmann der Tour-Band. Nebenbei bemerkt ist er auch noch der Sohn des Schauspielers Tom McEwan. Sein Mund steht nur still, wenn er nach Luft schnappt oder etwas isst.
Über das Abendbrot hinweg berichtet mir Oliver, wie man lernt die Sängerin zu verstehen:
„Eigentlich sagt sie es, wenn sie ein Problem hat“, versichert er mir.
In Medinas Konzertteam – das Musiker, Soundtechniker, Lichttechniker, Mädchen beziehungsweise Jungs für Alles, Tour-Manager, Fahrer und einen Ansprechpartner für die deutschen Veranstaltungen umfasst – sind die Rollen klar verteilt. Da sind der Gitarrist Anders Bo Jespersen mit seiner wehenden, weißen Mähne und dem unbändigen Drang sich beinahe nach jedem Konzert ordentlich zu betrinken.
Der Schlagzeuger Anders Meinhardt, der es mag, oben ohne im Backstage-Bereich rumzuhängen, ansonsten aber nicht wirklich auffällt.
Mads Storm gehört auch dazu. Der Keyboarder stößt sich mit seinen fast zwei Metern mindestens zweimal täglich ordentlich den Kopf an der Decke des Busses sowie den Türrahmen. Er jedoch gehört allem Anschein nach neben Steffen Strojeck zu den Wenigen, denen sich Medina anvertraut und für die sie wahres Interesse aufbringt.
Der Busfahrer heißt Pascal Rubin. Ein pedantisch, seriöser Typ, wortkarg und, der es gewohnt ist Berühmtheiten durch Deutschland zu kutschieren. Wenn es doch passiert, dass sich Pascal an einen wendet, dann weil er nachmittags, nachdem er den Schlaf der nächtlichen Fahrstrapazen wieder nachgeholt hat, mit dem Staubsauger an einem vorbei will.
Für Medinas Merchandising ist der mit Abstand jüngste des Teams, Alexander Børresen, verantwortlich. Er ist der kleine Bruder von Medinas Geschäftspartner und Manager Zuhause in Kopenhagen, Thomas Børresen. Der 21-jährige Kopenhagener ist immer bereit zu einem längeren Monolog über amerikanischen HipHop und wenn der Bus vor den Konzerthallen des kommenden Abends wartet, vertreibt er sich die Zeit mit seinem Krafttrainingsprogramm. Der Auszubildende sieht aus wie ein junger Mann, der es sehr eilig hat, groß und stark zu werden.
Wichtig aber im besonderen Maße ist Steffen Strojeck. Der serviceorientierte Tour-Manager ist mit 31 Jahren frischgebackener Papa und fungiert unterwegs in vielerlei Hinsicht als Medinas großer Bruder. Er ist es, der dazwischen geht, wenn sie jemanden dazu bringen will Walters Minihäufchen aus dem Bett eines Bandmitglieds zu sammeln. Er ist es, der an die Hose oder den Pelz der Sängerin denkt, wenn sie diese – wie so oft – nach dem Konzert einfach liegengelassen hätte. Er ist es auch, der ihr, wenn das Tour-Programm zu stressig ist oder die Erwartungen zu hoch sind, seine starke Schulter zum Ausheulen und Anlehnen leiht.
In ihrem 2010´er-Tagebuch beschreibt Medina eine Stresssituation im süddänischen Tondern als „der Kopf einfach nicht mehr funktionieren konnte“.
„Nach der Show bin ich vollkommen zusammengebrochen – es hatte sich ja schon ewig angestaut. Steffen und ich haben lange zusammengesessen und geredet. Dann sind wir nach Kopenhagen zurückgefahren, nur er und ich.“
Zurück im Bus ist Medina in Gang damit eine Flasche Rosé zu trinken. Die Hunde sind außer Sichtweite. Stattdessen hat sie ein kleines Update mit Caroline „Kisser“ Franceska. Die einzige andere weibliche Person des Tour-Teams. Die Backgroundsängerin wirkt in vielen Dingen wie der diametrische Gegensatz zu Medina. Während das Sternchen sich selbst am liebsten mit ihren Hunden beschäftigt würde Kisser es in der Regel bevorzugen mit dem Rest der Crew zusammensitzen und ein paar Bierchen zu trinken.
„Auf dem Cover von meiner ersten Platte bin ich als Mann verkleidet und trage einen falschen Schnauzbart. Meine Stimme war runter gepitched, damit sie unnatürlich tief klingt“, verkündet Kisser fast nebenbei.
Doch auf der Deutschlandtour darf sie keinen Alkohol trinken. Sie ist nämlich schwanger. Darauf können sie und Medina sich soweit einigen. Allerdings liegen ihre Meinungen bezüglich der Eingrenzung des Zeitpunktes, seitdem dem so ist, weit auseinander.
Medina: „Ich bin mir sicher, dass du so in der sechsten Woche bist, maximal siebte.“
Kisser: „Ich bin aber im fünften Monat. Und das also ziemlich sicher.“
Medina: „Aber du warst doch im August noch nicht schwanger als wir in Billund gespielt haben.“
Kisser: „Äh, doch. Da war ich auch schon ein paar Monate oder so schwanger.“
Medina: „Hm, ok, dann tut´s mir leid.“
Danach schon entzieht sich Medina still und leise den Unterhaltungen der anderen im Aufenthaltsraum. Ihren Tour-Manager bringt sie noch dazu ein Foto für Instagram zu machen. Auf dem Schnappschuss hat sie ihr Gesicht tief in Eddie und Walter gegraben.
„Love having lil´Wayne and Ed with me on tour it has begun“, schreibt sie in das Textfeld unter dem Bild.
Während Likes und Kommentare von nah und fern einfliegen, erhebt sich die Sängerin von ihrem Platz. Die Musiker und Bühnentechniker reden unbeeinflusst weiter.
„Gute Nacht“, quietscht Medina.
Aber bis die Letzten ihr gute Nacht zurückgesagt haben, ist Medina schon lange verschwunden.