Читать книгу Taxi nach Paris - Ruth Gogoll - Страница 5

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Mein Büro wartete am nächsten Morgen um acht auf mich wie jeden Tag. ›Projektmanagerin‹ stand unter meinem Namen an der Tür. Zusammen mit zwei anderen Namen, denen meiner beiden männlichen Kollegen. Wir waren der sogenannte ›Projektleiterpool‹.

Meine Arbeit war mehr Teil meines Lebens, als ich es mir oft eingestehen wollte. Ich fühlte mich unwohl, wenn ich mich allzu lange davon fernhalten musste, zum Beispiel durch Urlaub oder Krankheit. Danach war ich oft wieder richtiggehend froh, wenn ich an meinen Schreibtisch zurückkehren konnte. Und oft hatte mir einzig und allein die Arbeit über meine privaten Krisen hinweggeholfen.

»Wo soll ich bloß anfangen? Guck dir das an!« Mein Kollege Markus ließ sein übliches Lamento los, sobald er mich sah.

Ich musste unwillkürlich lächeln. Auch wenn ich privat so gut wie nichts mit meinen Kollegen zu tun hatte, konnte ich mich doch nicht enthalten, sie auf eine gewisse Art zu mögen. Dass wir uns gut verstanden, erleichterte vieles.

»Ach, Markus, du bist doch nicht der Einzige, der viel zu tun hat. Wir sind schließlich alle mit Arbeit bis über die Ohren eingedeckt.« Meine Antwort entsprach seinen Erwartungen ebenso wie meinen üblichen Verhaltensweisen.

Es war schon ein eingespieltes Ritual. Er hörte mir nur mit halbem Ohr zu ebenso wie ich seine über den ganzen Tag verteilten ständigen Bemerkungen halb ignorierte oder automatisch beantwortete. Das gab uns ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und lenkte uns nicht zu sehr ab. Arbeitsmäßig waren wir mit völlig verschiedenen Projekten beschäftigt, sodass ein inhaltlicher Austausch kaum stattfand.

Mein zweiter Kollege kam in seiner üblichen ruhigen Art durch die Tür und sah mich. »Guten Morgen«, sagte er, was – wie ich wusste – nur die Einleitung zu einem Arbeitsgespräch sein konnte. Ich hatte mich nicht getäuscht. »Hast du schon gesehen, was ich dir auf den Schreibtisch gelegt habe?«

Ich drehte mich um und sah seinen Bericht auf einem Berg anderer Papiere liegen, mit denen die Schreibtischunterlage bedeckt war. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Ich bin gerade erst gekommen.« Ich ging zum Schreibtisch und blätterte schnell durch die Seiten. »Du hast die Planung angepasst, wie wir es gestern besprochen hatten?«

Er nickte. »Und ich habe die Änderungen ins Konzept aufgenommen, die du wolltest. Ich glaube, damit wirst du das Projekt um 20-30 Personentage verkürzen. Das siehst du in der Planung. Ich habe einen neuen Ausdruck gemacht.«

»Okay.« Ich lächelte ihm etwas zerstreut zu, weil mein Blick schon auf das nächste Papier fiel, das unter seinem zum Vorschein gekommen war. Meine Gedanken wanderten ab zu Variantenvorschlägen und Lösungen. Ich hatte mit der Arbeit begonnen.

Sie lenkte mich den Tag über auch wirklich gut von dem Erlebnis der letzten Nacht ab. Danach jedoch war der Rest des Tages nur noch eine einzige Tortur. Wo ich ging und stand, sah ich ihr Gesicht vor mir. Ihre Augen, wie sie mich angeblitzt hatten, und manchmal ihre Hände, wie sie . . . Bloß nicht darüber nachdenken! Ich sehnte mich nach ihr, ich konnte sie nicht vergessen. Körperlich kam ich mir vor wie eine Süchtige auf Entzug. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir auf dem Nachhauseweg jemand Dope angeboten hätte. Verliebt in eine Nutte – na wunderbar!

Ich hatte es mir so gesittet vorgestellt, unser nächstes Wiedersehen. In ein paar Wochen würde ich durch die Stadt gehen. Zufällig würde ich sie treffen. Wir würden uns freundlich begrüßen, im Eiscafé einen Bananensplit zusammen essen, über unsere gemeinsamen Erlebnisse plaudern – Weißt du noch, damals, als ich dich so schön befriedigt habe? – und uns für den nächsten Kaffeeplausch verabreden. Eine richtig nette, unkomplizierte Freundschaft. Das konnte ich in den Wind schreiben! In ein paar Wochen würde ich tot sein.

In der letzten Nacht hatte ich kaum geschlafen, auch nachdem ich zu Hause angekommen war. Den Tag über hatte ich vor lauter Arbeit nicht bemerkt, dass mein Appetit erheblich nachgelassen hatte, aber jetzt registrierte ich, dass ich selbst das übliche gemeinsame Mittagessen mit meinen Kollegen hatte ausfallen lassen. Kein Essen, kein Schlaf – wie lange hielt das ein Mensch wohl aus? In der irren Hoffnung, sie heute schon ›zufällig‹ zu treffen, rannte ich nun nach Feierabend ziellos durch die Stadt. Den Bananensplit aß ich auch – man muss dem Schicksal ja schließlich eine Chance geben.

Als es dunkel wurde, gab ich auf. Zu Hause in meinem Bett warf ich mich ruhelos herum. Ich hatte den Eindruck, ich hätte kein Auge zugetan, aber plötzlich war es Morgen. Ich kochte Kaffee, trank ihn, kochte noch mal Kaffee und trank auch den. Meine Nerven dankten es mir mit unterschwelligem Zittern. Seit vorgestern hatte ich nichts als diesen vorweggenommenen Bananensplit gegessen.

Ich rief in der Firma an und meldete mich ab. In diesem Zustand war ich nicht arbeitsfähig. Ich wollte nicht in die Stadt gehen, das würde mich wieder dazu verleiten, sie zu suchen. Also lief ich wie eine wildgewordene Tigerin im Käfig in meiner Wohnung herum. Vom Balkon zum Fenster, vom Fenster zum Balkon.

Ich sah auf die Uhr. Es war acht Uhr morgens. Viel zu früh, um jemanden wie sie anzurufen. Bis neun hielt ich es aus. Dann nahm ich die Karte mit der Telefonnummer hervor. Um Viertel nach neun rief ich sie an. Wahrscheinlich würde sie noch schlafen, bei den langen Nächten . . .

Sie meldete sich mit ihrer Nummer. Sie hörte sich ziemlich wach an.

Ich meldete mich auch, mit meinem Namen und weniger wach.

»Ja?«, fragte sie abwartend.

»Ich möchte . . .« Was sollte ich nur sagen? »Kann ich . . .?« Ich wollte doch keinen Termin von ihr, jedenfalls nicht ›offiziell‹.

»Du möchtest kommen?«, fragte sie ruhig.

»Ja.« Das war Schwerstarbeit. Ich atmete heftig aus.

»Wann?«, fragte sie wieder im selben ruhigen Ton.

Am liebsten sofort! Aber so konnte ich ihr das natürlich nicht sagen. »Heute?«, fragte ich deshalb, indem ich ihren Ton zu imitieren versuchte. Aber sie konnte es wesentlich besser.

»Ja, das geht. – Um elf Uhr?« Sie wartete auf meine Antwort.

»Ich wollte eigentlich jetzt gleich in die Stadt . . .«

»Nein.« Sie lehnte sehr bestimmt ab. »Vorher habe ich keine Zeit.«

Das hieß, sie hatte wahrscheinlich jetzt eine Kundin bei sich oder wartete auf eine! Kann man auf eine Nutte eifersüchtig sein? Ich konnte! Um antworten zu können, schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter. Mit halbwegs normaler Stimme – so hoffte ich wenigstens – sagte ich: »Gut. Also dann um elf.«

Sie legte auf. Ohne ein Wort. Sie war sicher nicht allein gewesen! Meine Phantasie gaukelte mir quälende Bilder vor. Während sie mit mir telefoniert hatte, hatte die andere Frau sie bereits ausgezogen, sie gestreichelt und geküsst. Aber hätte ich das nicht merken müssen? Ihre Stimme hatte so ruhig geklungen. Mach dir nichts vor! Sie ist eine Nutte – sie empfindet nichts dabei! So? Das hatte ich aber ganz anders in Erinnerung!

Der Minutenzeiger der Uhr schien auf Stunden eingestellt zu sein. Jedes Mal, wenn ich hochblickte, schien es mir, als hätte er sich kaum bewegt. Ich zog mich mindestens fünfmal um. Obwohl in meinem Kleiderschrank nicht allzu viel Abwechslung herrschte.

Hemden und Hosen in verschiedenen Variationen. Röcke oder Kleider besaß ich eh nicht. Zuerst erschien mir die Jeans zu leger, dann wieder die Bundfaltenhose zu fein. Das karierte Flanellhemd war zu rustikal und das seidene zu empfindlich bezüglich Schweißflecken.

Was glaubst du denn, was dich erwartet? Ach, lass mich doch! Du tust so, als würdest du zu einem Rendezvous gehen. Ach ja? Ich konnte mich nicht entscheiden, wie ich dieses Treffen einordnen sollte. Es stimmte, ich benahm mich wie bei einem Rendezvous, ich empfand es auch so, aber mein Kopf hatte recht: Es war keins. Es war eine Verabredung zu bezahltem Sex.

Endlich war es Viertel vor elf. Sie würde es nicht besonders mögen, wenn ich zu früh kam, und sie wohnte quasi bei mir um die Ecke. Also wartete ich noch fünf Minuten. Als ich vor ihrer Tür stand, war es eine Minute vor elf. Ich klingelte. Einen kurzen, entsetzten Moment lang dachte ich, sie hätte mich versetzt und wäre nicht zu Hause. Dann hörte ich Schritte. Was, wenn das ihre Kundin war, die sie verabschiedete? Nein, das würde sie nicht tun! Und wenn doch?

Die Tür öffnete sich. Sie war es. Sie hielt die Tür auf und trat zur Seite. »Komm rein«, sagte sie.

Ich ging an ihr vorbei. Ein dezentes Parfum streifte mich. Sie schien noch größer als das letzte Mal. Kein Wunder, bei den hochhackigen Schuhen! Sie war offensichtlich für ihre Kundinnen angezogen. Sie trug einen kurzen schwarzen Lederrock, Schuhe, die sie fast zehn Zentimeter größer machten, und eine Lederweste, unter der sie offenbar nichts anhatte. Es war nichts eindeutig Nuttiges. Viele Frauen auf der Straße waren so angezogen, aber ich stellte mir vor, wie die Frau, die vor Kurzem noch hiergewesen sein musste, diese Kleidung als aufregend empfunden hatte, wie sie die Weste aufknöpfte . . .

Sie ging ein paar Schritte – dass sie überhaupt auf diesen Schuhen laufen konnte! –, dann deutete sie auf das Sofa. »Setz dich doch und nimm dir was zu trinken.« Sie lächelte. »Ich glaube, du hättest es lieber, wenn ich mich umziehe.«

Ich sah ihr nach, wie sie durch eine Tür nach links verschwand. Mir wurde klar, dass ich bis jetzt angenommen hatte, dies sei ein Ein-Zimmer-Appartement. Weil das Bett hier stand. Aber natürlich – das war berufsbedingt. Sie hatte noch ein Schlafzimmer, in dem sie wirklich schlief – allein.

Was würde ihr Umziehen zutage fördern? Ein durchsichtiges Negligé – Strapse? Was glaubte sie, dass ich erwartete? Ich hatte mich eindeutig als Kundin angemeldet, und sie würde mich dementsprechend behandeln. Zum Teufel damit! Aber was hätte ich anderes tun sollen?

Die Tür öffnete sich, und sie kam wieder herein. Mit Negligé und Strapsen hatte ich mich verschätzt. Sie trug einen bodenlangen weißen Morgenmantel, etwas, das jede gute Ehefrau in ihrem Kleiderschrank hätte haben können, wenn auch vielleicht nicht in dieser Luxusausführung aus Seide.

Sie sah mich an. »Hast du nichts gefunden?«

Zuerst wusste ich nicht, was sie meinte. Dann bemerkte ich ihren Blick in Richtung Bar. »Ich mache mir nicht viel aus Alkohol«, sagte ich schnell.

Sie lachte und ging hinüber. »Ich auch nicht, aber ich habe auch Nicht-Alkoholisches.« Sie goss etwas in ein Glas, kam herüber und blieb vor mir und dem Sofa stehen. »Willst du mal probieren?« Sie bot mir ihr Glas an.

Ich sah zu ihr hoch. Ich wollte etwas ganz anderes probieren!

Sie sah, dass ich nichts trinken würde, und nahm einen Schluck. Dann stellte sie das Glas auf den Couchtisch und setzte sich neben mich auf das Sofa. Sie schlug die Beine übereinander. Der Morgenmantel klaffte ein wenig auseinander.

Ich sah ihre langen Beine. Sie waren nackt. Der Morgenmantel enthüllte nichts Unzüchtiges, aber ich nahm an, dass sie nichts darunter trug. Mein Mund wurde trocken. Ich begehrte sie so sehr, dass ich ihr am liebsten den Stoff vom Leib gerissen hätte. Ich griff nach dem Glas und trank einen Schluck. Es war Apfelsaft. Ich musste grinsen. Das erste Mal – zumindest offiziell – bei einer Nutte und dann Apfelsaft!

Sie saß immer noch da und lächelte mich an. Es war nicht das Lächeln, das sie das letzte Mal aufgesetzt hatte, um mir zu zeigen, wie nuttig sie sein konnte. Es war ein freundliches, fast liebevolles Lächeln. Wenn nicht diese Hitze in meinem Körper gewesen wäre, hätte ich mir einbilden können, sie wäre eine alte Freundin. Ich wünschte mir so sehr, sie zu berühren, dass ich die Empfindung ihrer Haut schon an den Fingerspitzen spürte. Aber ich wollte keine Kundin sein!

Sie merkte, dass ich nicht anfangen würde. »Magst du Musik?«, fragte sie.

Oh je, auch das noch! Irgendeine Schmuseplatte zur Einstimmung. Aber warum eigentlich nicht? Deshalb war ich schließlich gekommen. Ich musste dazu stehen. »Ja.« Mehr brachte ich nicht zustande.

Sie stand auf und ging zu einer kleinen Stereoanlage hinüber. Sie legte eine CD ein, drückte auf den Startknopf und drehte sich um. Die Vier Jahreszeiten. Ich sah wohl ziemlich erstaunt aus. »Ich glaube, du magst Klassik«, sagte sie. »Aber ich kann auch etwas anderes auflegen, wenn du möchtest.« Sie blieb abwartend stehen.

»Nein, nein – das ist genau richtig. Ich mag Vivaldi.« Selbst wenn sie Heavy Metal aufgelegt hätte, hätte ich ihr wahrscheinlich nicht widersprochen, aber in diesem Falle stimmte es sogar.

Sie kam wieder herüber und setzte sich neben mich. Also jetzt folgte dann wohl die große Verführungsszene. Aber nichts dergleichen. Sie blieb einfach sitzen. Ich starrte auf ihre Beine, die sie wieder übereinandergeschlagen hatte. Züchtiger hätte keine Hausfrau dasitzen können. Nur ein Hauch von Luxus und Erotik. Es trieb mich. Ich musste sie einfach fragen. »Hast du . . .« Meine Stimme versagte. Ich versuchte es noch einmal. »Hast du darunter etwas an?«

Ich hatte sie anscheinend erheitert. Sichtlich amüsiert bemerkte sie: »Nein. Würde sich das denn lohnen?«

Ich saß wie gelähmt da. Es war ein Spiel. Sie zog mich auf, benahm sich auf ungezwungene Art verführerisch, forderte mich auf, sie zu verführen. Aber mit wie vielen Frauen hatte sie das schon vor mir gespielt? Das ist doch egal, du genießt es doch! Ja, ich genieße es, aber ich würde es noch mehr genießen, wenn sie es nur für mich tun würde, für mich allein verführerisch wäre. Eine solche Frau würdest du niemals für dich allein haben. Selbst wenn sie keine Nutte wäre. Dazu ist sie zu schön.

Ich musste wohl ziemlich finster dreinblicken. Als ich sie ansah, fiel ein Schatten über ihr Gesicht und wischte die Amüsiertheit weg.

»Soll ich mich ausziehen?« Sie griff an ihren Gürtel.

»Nein. Bitte nicht.« Ich hob die Hand. Das konnte ich nicht ertragen, diesen Blick. Dieses Warten auf eine Anweisung.

Sie sah mich an. »Willst du jetzt gleich . . .?« Sie deutete mit dem Kopf zum Bett.

Oh ja, ich wollte – und wie ich wollte! Aber nicht so, nicht in dieser professionellen Art. Und wie viel Zeit hatten wir überhaupt? Vielleicht sollten wir diesen Punkt zuerst einmal klären. Ich räusperte mich. »Wie lange . . .?«

Sie lachte auf. Es klang erleichtert. »Oh, du machst dir Sorgen wegen der Zeit?« Sie beugte sich zu mir herüber und legte wie zufällig ihre Hand auf meinen Schenkel. Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Ihr Gesicht kam näher. »Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.« Sie sprach sehr leise. Sie legte ihre Wange an meine und strich daran entlang. Ihre Hand schob sich an meinem Schenkel höher. An meinem Ohr flüsterte sie: »Ich habe sehr viel Zeit für dich. Eine Kundin hat abgesagt.«

Ich warf mich rückwärts gegen die Sofalehne. Da war es wieder!

»Mein Gott!« Sie sprang auf und schob verärgert die Hände in die Taschen ihres seidenen Morgenmantels. »Tu doch nicht so!« Ihre Augen sandten funkelnde Blitze in meine Richtung. »So ist es nun mal! Du weißt, was ich bin!« Sie drehte sich einmal um ihre Achse, starrte in die andere Richtung und drehte sich dann wieder zu mir hin um. »Und du bist heute auch meine Kundin, oder etwa nicht?«

Ich setzte mich auf meine Hände und wand mich hin und her. »Ja, ich weiß.«

Sie sah mich etwas besänftigt an, kam zum Sofa, stützte ein Knie darauf ab und nahm meinen Kopf in ihre Hände. »Würde es dir helfen, wenn ich dir sage, dass ich dich wirklich mag?« Sie blickte mir direkt in die Augen.

Ich nickte stumm und schluckte. »Das sagst du nicht zu . . .?«

»Nein, das sage ich nicht zu jeder.« Sie lachte spöttisch auf. »Wirklich nicht!« Sie behielt meinen Kopf in den Händen. »Also, ich mag dich.« Sie gab mir einen leichten Kuss auf die linke Wange. »Ich mag dich wirklich.« Dasselbe auf der rechten. Jetzt lächelte sie verführerisch. »Ich mag dich sogar sehr.« Sie tauchte mich mit ihrem sinnlichen Flüstern in einen heißen Vulkansee. Dann ließ sie sich nach vorn sinken und küsste mich. Sie konnte unwahrscheinlich gut küssen, und wie bei unserer ersten Begegnung setzte sie mich auch diesmal damit völlig in Brand.

Sie ließ sich ganz neben mich sinken und zog mich zu sich hinüber. Ich legte die Arme um sie. Die Seide war wunderbar glatt und kühl. Ich wusste nicht, ob ich sie lieber mit oder ohne dieses Kleidungsstück im Arm gehalten hätte. Ich löste mich von ihrem Mund und sagte: »Ich möchte nicht, dass du das ausziehst.«

Sie lachte ganz leicht. »Ich denke, das wird sich einrichten lassen.« Sie legte ihre Lippen an meine Kehle und fuhr daran entlang.

Ich stöhnte. Die Lederpolster waren weich und einladend. Sie ließ sich immer mehr zurücksinken, bis sie unter mir lag, war immer noch mit ihrem Mund an meinem Hals. Sie begann, mein Hemd aufzuknöpfen. Bei jedem Knopf, den sie öffnete, fuhr sie mit ihren Lippen über die Haut, die sie freilegte. Dann ließ sie sich wieder ganz zurücksinken und sah mich an. Sie lächelte nicht. Ich blickte auf sie hinab und wusste, dass ich sie liebte. Und dass ich es ihr niemals sagen dürfte, ebenso wenig, wie ich es jemals von ihr hören würde.

»Willst du es dir nicht etwas bequemer machen?«

Ich kam aus meinen Gedanken zurück. Noch immer hatte ich meine Stiefel an. Wie peinlich! Ich sprang auf. Ich zog meine Stiefel aus und öffnete den Bund meiner Hose.

Ich sah sie auf dem Sofa liegen. Der weiße Morgenmantel hob sich vom tiefen Schwarz des Leders ab. Unglaublich, wie sie es fertigbrachte, so perfekt hingegossen dazuliegen. Ich betrachtete sie versunken.

»Soll ich es tun?«

»Was?« Ich war ganz irritiert. Ich hatte vergessen, weshalb ich aufgestanden war.

»Dich ausziehen.« Es klang absolut selbstverständlich. Sie wirkte zuvorkommend.

Natürlich – die Wünsche ihrer Kundinnen . . . Ich schüttelte heftig den Kopf, um die unangenehmen Gedanken zu verscheuchen. »Nein«, kämpfte ich laut gegen meine innere Stimme an. Zu laut. Deshalb fügte ich abschwächend hinzu: »Das kann ich schon selbst.«

»Davon bin ich überzeugt«, stellte sie wieder leicht amüsiert fest.

Die Seide des Morgenmantels, die sie umfloss, hob die Konturen ihres Körpers deutlich hervor. Ihre geraden Schultern, ihre Brüste, die geschwungene Linie ihrer Hüften. Ich zog langsam meine Hose aus. Sie sah mir zu. Ich wurde verlegen. »Könntest du vielleicht woanders hinschauen?«

»Ja, natürlich.« Sie erklärte sich sofort mit meinem Wunsch einverstanden. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie sich nur widerwillig abwandte.

Das ist unfair von dir. Du betrachtest sie mit solchem Vergnügen, und wenn sie das gleiche tut . . . Ja, ich weiß, aber sie ist so schön – und sie ist es gewöhnt! Mein Gewissen wurde mir langsam lästig. Ist das eine Entschuldigung für schlechtes Benehmen? zeterte es noch einmal aus der hintersten Ecke heraus. Ich ignorierte es hoheitsvoll.

Ich ging wieder auf das Sofa zu. Meine Erregung stieg. Ich spürte den Puls an meinem Hals laut pochen. Sie sah immer noch zum Fenster hinaus. Ich kniete mich neben das Sofa und legte eine Hand auf ihren Bauch. Sie reagierte nicht. Nach einer Sekunde begriff ich. »Sieh mich an, bitte«, bat ich. Sie wandte mir ihr Gesicht zu. Wenn sie doch nicht immer alles tun würde, was ich von ihr verlangte!

Ihr Bauch hob und senkte sich regelmäßig unter meiner Hand. Ich fuhr tiefer und glitt unter den Stoff. Meine Hand lag auf ihrem Oberschenkel. Sie atmete immer noch ruhig und gleichmäßig. Mir fielen meine Überlegungen von heute früh ein. Vielleicht empfand sie wirklich nichts dabei. Aber letztes Mal . . .? Da war vieles so anders gewesen als heute. Ich zog meine Hand zurück.

Sie sagte nichts. Sie stützte sich auf einem Ellbogen auf und legte die andere Hand in meinen Nacken. Ihre Lippen öffneten sich. Sie zog mich ein wenig näher zu sich heran und küsste mich. Sie kraulte meinen Nacken, ihr Kuss war vorsichtig forschend. War das Technik Nummer dreihundertvierundzwanzig? Trotz ihrer erfahrenen Zunge sank meine Erregung auf den Nullpunkt.

Sie bemerkte es. »Mache ich etwas falsch?« Diese freundliche Bereitschaft in ihrer Stimme, dieses Bestreben, es mir in allem recht zu machen. Da war sie wieder, die Professionalität. Aber es war ja auch ihr Beruf! Warum konnte ich das nicht akzeptieren?

»Nein, nein«, wehrte ich schnell ab. »Es liegt an mir. – Ich bin wohl nicht in Stimmung heute.« Ich wusste, das war eine glatte Lüge, und sie wusste es auch. Ich erhob mich. Ich konnte es nicht und ich würde es nie können. Das war mir jetzt klar. Das letzte Mal, als wir uns gesehen hatten, war alles eine Überraschung gewesen. Diesmal war es geplant –, und das war der Unterschied. Sie blickte zu mir hoch, abwartend, aber – zumindest schien es mir so – ohne besonderes Interesse. »Ich gehe sofort«, sagte ich. »Entschuldige bitte.«

Sie stand ebenfalls auf, mit einer dieser eleganten Bewegungen, die mich mir ihr gegenüber wie einen Bauerntrampel vorkommen ließen. »Oh, das macht nichts. Ein unverhoffter freier Nachmittag.« Sie lächelte. Wie eine Nachbarin. Eine sehr flüchtig bekannte Nachbarin. Sie machte keinen Versuch, mich zurückzuhalten.

Natürlich nicht, warum sollte sie? Es lag ihr nichts an mir. Die Fassade hatte ein wenig gebröckelt bei unserem ersten Treffen, aus welchem Grund auch immer. Jetzt war jedenfalls nichts mehr davon zu spüren. Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen zu steigen begannen. Jetzt erst wurde mir bewusst, wie sehr ich mir eine andere Reaktion ihrerseits gewünscht hatte.

Ich drückte das Brennen in meiner Kehle hinunter und drehte mich um. Mit drei Griffen war ich angezogen. Sie stand immer noch da mit diesem gutnachbarlichen, wohlwollenden Lächeln im Gesicht. »Ich – was bin ich dir schuldig?« Es war schrecklich. Hoffentlich hielt sie sich nicht zu lange damit auf. Gleich würde mir das Wasser in Strömen über das Gesicht laufen.

Ihr Lächeln hatte sich nicht um die geringste Nuance verändert. Jetzt hob sie die Hand. »Nichts. Deine Küsse waren es wert.«

Ihr Lächeln machte mich verrückt. Ihre unbeteiligte Haltung führte mir deutlich vor Augen, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Verliebtheit kam bei ihr nicht vor. Und ich war offensichtlich nicht die Frau, die sie hervorrufen konnte.

Dass umgekehrt so sehr das Gegenteil der Fall war, war eindeutig mein Problem. Liebe konnte sie sich in ihrem Beruf nicht leisten. Das hätte mir von vornherein klar sein müssen. Und nur ein an eindeutiger Selbstüberschätzung leidender weiblicher alter Macho wie ich konnte etwas anderes erwartet haben. Ich kriegte jede rum, war es nicht so? Ja, eine ›normale‹ Frau vielleicht, aber sie? Sie hatte mehr Frauen im Bett gehabt, als ich mir überhaupt nur vorstellen konnte.

Ich sah mich wie in einem Spiegel. Eine mittelgroße weibliche Führungskraft mit typischer Lesbenkurzhaarfrisur auf dem dunkelhaarigen Kopf. – Wäre ein schöner Kontrast zu ihrem Blond. – Hörst du wohl auf! In so einer Situation macht man keine Scherze!

Doch der relativierende Blick, den mir mein intellektuelles Ich in diesem Moment aufzwang, half mir, meinen Sinn für die Realität wenigstens zum Teil wiederzufinden und die Tränen zu unterdrücken, die ich schon hinter den Augäpfeln gespürt hatte. Ich musste ungewollt lächeln, auch wenn es sicher etwas verrutscht aussah. »Also dann«, sagte ich, um überhaupt noch etwas zu sagen.

Und sie streckte mir die Hand hin! Automatisch legte ich meine Hand in ihre. Wie unglaublich mir dieser Augenblick erschien . . . eine Ewigkeit von fünf Sekunden. Sie hielt den Knigge genau ein. Sie lächelte immer noch. Ich konnte nicht mehr. Schnell drehte ich mich um und ging zur Tür.

Als ich sie hinter mir schloss, sah ich in einer letzten Wahrnehmung am Rande meines Gesichtsfeldes, dass sie sich schon umgedreht hatte und zum Schlafzimmer ging. Sie würde ihren unverhofften freien Tag genießen . . .

Ich drückte auf den Liftknopf – und nahm dann doch die Treppe. Ich ging so langsam hinunter, dass ich jede Stufe einzeln unter meinen Füßen spüren konnte. Am liebsten wäre ich umgekehrt. Es war alles so sinnlos. Da saß ich seit Jahren in meinem Büro, konnte Projekte leiten und ein Projektteam führen, Entscheidungen treffen, die die Firma Millionen kosteten oder sie ihr einbrachten, und was tat ich hier? Ich litt und verzehrte mich nach einer Frau, die es nicht wert war, die mich gar nicht wollte.

Der Weg nach Hause war mit tränenvollen Einblicken gepflastert. Verschwommen sah ich meine Umgebung an mir vorbeiziehen. Hoffnungsvolle und dann wieder resignierte Gedanken schossen mir durch den Kopf. Vielleicht würde sie doch noch . . . vielleicht auch nicht . . . Sie hatte mich sicher schon längst vergessen. Sie machte einen Ausflug in die nähere Umgebung – ich konnte sie mir gut in einem schicken kleinen Sportwagen vorstellen. Na ja, vielleicht besser in einem größeren, bei ihren langen Beinen.

Ach, was ging mich das eigentlich an? Was hatte ich mir denn vorgestellt? Das war doch nicht das erste Mal, das ich mich in eine Frau verliebt hatte, bei der es umgekehrt nicht so war. Und es war beileibe nicht das erste Mal, dass ich litt. Und war das jemals von Erfolg gekrönt gewesen? Nein!

Ich erinnerte mich an eine meiner ›großen Lieben‹ damals im Studentenwohnheim. Sie hatte ihr ähnlich gesehen. Eigentlich hatten sie sich alle ähnlich gesehen. Und sobald ich solch eine blonde, blauäugige Madonna sah, war ich hin und weg. Das war’s doch! Mein Studium hatte gelitten – jede Frau hatte mich mindestens ein Semester gekostet –, und ich hatte gelitten. Was hatte ich davon? Jetzt hatte ich einen guten Job, seit einiger Zeit keine feste Freundin mehr, und eigentlich ging es mir doch gut – oder etwa nicht?

Aber bei ihr . . . bei ihr war da noch etwas anderes. Eine zusätzliche Empfindung. Frau Gottes! Das hast du dir doch auch jedes Mal eingebildet. Jedes Mal war die Frau etwas Besonderes. Sei bloß froh, dass du ausschließlich männliche Kollegen hast, sonst wäre dort das Chaos auch schon vorprogrammiert. Dann hättest du es sicher keine sechs Jahre bei der Firma ausgehalten.

Ich musste einsehen, dass sich die Dinge immer wiederholten. Und ich hatte nichts dazugelernt. Eine schöne Frau, zumal, wenn sie blond war, konnte alles von mir haben, und ich verliebte mich fast automatisch in sie.

Eine meiner Großmütter hatte mir einmal prophezeit, dass ich es nicht leicht haben würde im Leben. Damals hatte mich das geärgert. Aber war es nicht tatsächlich so gekommen? Warum musste ich es mir selbst so unnötig schwer machen? Ich nahm die Erkenntnis mit nach Hause, dass es wohl so sein musste. Auch das keine neue Erkenntnis. Hatte ich das nicht auch schon bei der vorigen Frau gedacht? Und bei der vor-vorigen?

Die paar Minuten Weg hatten mich zumindest ein wenig zur Ruhe kommen lassen. Dachte ich. Ich legte mich auf meine Ottomane, und schon kam die Sehnsucht wieder: Ich roch sie, ich spürte sie, ich sah sie vor mir. Nicht so, wie sie die meiste Zeit gewesen war, sondern so, wie ich sie mir wünschte. Als die Frau, die mich liebte und mir erlaubte, sie zu lieben.

Mein Körper sehnte sich so nach ihren Berührungen, dass mir ganz heiß wurde. Vielleicht war es auch nur die unerfüllte Erregung von vorhin. Ich sprang auf und versuchte, mich durch Bewegung abzureagieren. Aber mein Körper ließ sich nicht betrügen. Jedenfalls nicht durch so geringfügige Anstrengungen. Also nahm ich meine Sporttasche und fuhr ins Lady-Fitness-Center.

Ich zog mein übliches Zwei-Stunden-Programm durch, das ich ohnehin zwei- bis dreimal in der Woche absolvierte, und ging dann noch an die Kraftmaschine. Als ich dort beim besten Willen nichts mehr stemmen oder reißen konnte, weil meine Muskeln flatterten, stieg ich auf eines der Trainingsräder.

Ich wählte die Position »Wettkampf« und suchte mir den schwersten Gegner aus. Ich wusste, dass ich ihm nicht gewachsen war, aber ich hätte es nicht verkraftet, gegen einen schwächeren zu gewinnen. Ich sah mich heute als die absolute Verliererin. Als der rote Punkt auf der Mattscheibe Kilometer vor mir das Ziel erreichte und mir damit meine Selbsteinschätzung bestätigte, war ich endlich zufrieden.

Erschöpft ging ich unter die Dusche. Ich schaffte es kaum mehr, in meinem Auto nach Hause zu fahren und die Treppen zu meiner Wohnung zu erklimmen. Ich ließ mich im Trainingsanzug aufs Bett fallen und schlief sofort ein.

Ein wilder Traum weckte mich. Eine Person stand bei mir im Zimmer. Dinge bewegten sich. Die Tür öffnete sich langsam und warf einen Schatten an die Wand. Dahinter schien sich etwas zu verbergen. Ich griff nach der Lampenschnur und tastete nach dem Schalter. Als das Licht aufflammte, sah ich, dass alles nur Einbildung gewesen war.

Eine Psychologin hatte mir einmal auf ein ähnliches Erlebnis hin erklärt, solche Ängste seien die Umkehrung einer Wunschvorstellung. Eigentlich möchte man nicht allein sein, aber man ist es. Also stellt man sich vor, jemand wäre da. Leider macht einem das aber genauso viel Angst wie allein zu sein, weil es nicht real ist.

Meine Ängste beseitigte das leider nicht, auch wenn mir die Erklärung vertraut war. Also ließ ich das Licht brennen, und nachdem ich meine Augen einige Male noch einmal kurz vor dem Einschlafen erschreckt aufgerissen hatte, ließen meine abgenervten Gliedmaßen es nicht mehr zu, dass ich ihnen weiterhin den erholsamen Schlaf verweigerte. Ich schlief sogar mit einem Lächeln auf den Lippen ein, denn das letzte, an das ich denken musste, war ein ähnliches Erlebnis in dem zweiten Studentenwohnheim, in dem ich gewohnt hatte.

Damals war ich gerade dort eingezogen und hatte einen Angsttraum, der mich aus dem Zimmer trieb. Wie das in Studentenwohnheimen so ist, hatte ich aber eben nur dieses Zimmer. Ich saß also auf dem Gang und traute mich nicht wieder hinein zu den unheimlichen Geistgestalten.

Nachdem ich schon halb erfroren war (eine Decke konnte ich natürlich auch nicht aus dem Zimmer holen), kam am frühen Morgen ein Kommilitone nach Hause, der selbstverständlich völlig unbeeindruckt war und mich nur zitternd im Schlafanzug auf dem Gang sitzen sah.

Ich hatte ihn erst einmal gesehen, wir kannten uns also überhaupt nicht, aber seine Bemerkung »Hast du Mäuse im Zimmer?«, riss mich endlich aus meinen tristen Gedanken, weil ich lachen musste.

Danach konnte ich mein Zimmer wieder betreten und weiterschlafen. Eine solche Bemerkung, einen solchen unbekannten und unverhofften Freund oder natürlich besser noch eine solche Freundin hätte ich mir nun auch gewünscht. Aber diesmal musste ich offensichtlich allein mit der Sache fertigwerden.

Am nächsten Tag ging ich ins Büro, obwohl ich wusste, dass ich mich kaum würde auf die Arbeit konzentrieren können. Zu Hause zu bleiben schien mir aber der größere Schrecken zu sein. Wie die Mäuse im Zimmer. Und bei Tag hatte ich noch nicht einmal diese Entschuldigung. Also versuchte ich, meine Arbeit auf das Nötigste zu beschränken.

Ich war sicher nicht die beste Arbeitnehmerin an diesem Tag und schon gar nicht die beste Vorgesetzte. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projektteam waren zwar daran gewöhnt, dass ich nicht immer gleich gelaunt war, aber so hatten die meisten mich sicher noch nie oder lange nicht mehr erlebt. Statt Entscheidungen zu treffen, schob ich sie vor mir her. Ich delegierte, was ich delegieren konnte, aber so schlecht, dass ich dauernd Nachfragen beantworten musste. Und diejenigen, die das Pech hatten, nachfragen zu müssen, mussten sich auch noch von mir anpflaumen lassen.

Das ging so lange gut, bis ich mich selbst nicht mehr ausstehen konnte. Ich versuchte es noch einmal mit dem Fitnessstudio. Danach kehrte ich etwas entspannter ins Büro zurück und war für den Rest des Tages für meine Umwelt leidlich ertragbar.

Mich selbst befriedigte mein Unvermögen, die Situation in den Griff zu bekommen, jedoch überhaupt nicht. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich nur zwei Chancen hatte. Entweder ich brachte sie dazu, sich mir gegenüber so zu verhalten, wie ich es mir wünschte, zumindest teilweise, oder ich war dazu verdammt, eine sehr lange Zeit über sie nachzudenken, immer schwankend zwischen Freude und Hoffnung, Enttäuschung und Rechtfertigungen.

Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich sie zu Ersterem überreden sollte, war die zweite Möglichkeit dermaßen kraftraubend und enervierend, wie ich aus mehrfacher Praxis wusste, dass ich sie lieber vermeiden wollte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich auf das eine – nämlich Sex – verzichten musste, wenn ich das andere – nämlich meine innere Befriedigung – bekommen wollte.

Eigentlich unvereinbar. Im Zusammenhang mit ihr geradezu unvorstellbar. All unsere bisherigen Begegnungen hatten nur mit Sex zu tun gehabt. Wie sollte ich auf einer anderen Ebene überhaupt an sie herankommen? Unser ganzes Verhältnis – wenn es denn eins gab – beruhte nur auf ›dem Einen‹. Was würde ich einer Frau vorschlagen, die ich gerade erst kennengelernt hatte, einer Frau, mit der ich noch nicht geschlafen hatte und von der ich auch nicht wusste, ob es überhaupt dazu kommen würde?

Das war eigentlich klar. Ich würde etwas ganz Banales vorschlagen, Kino oder essen gehen zum Beispiel. Tja, warum eigentlich nicht? Schlimmstenfalls konnte sie Nein sagen, und dann würde ich endgültig der Verzweiflung anheimfallen.

Ich merkte, wie meine masochistische Ader sich für diesen Entschluss begeisterte. Diese Nacht würde ich ausschlafen, und morgen war auch noch ein Tag. Vielleicht ein Tag, um jemand anzurufen . . .

Taxi nach Paris

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