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Glut um Troja

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Die ganze Welt zerbirst im Unheil! Himmel und Horizonte vertrieben vom furchtbaren Entsetzen! Geröchel und Toben, Mordgeschrei und Wut! Kann mein Tempel noch stehen? Mit sicherem Fuß auf unerschütterter Erde? Der Olymp selbst verschwunden? Wie fern kann die Ferne sein, bevor sie verschwindet? Alles was bleibt - eine Welt aus Zorn! Das ewige Klirren der Waffen.

Da senkt sich ein Schatten selbst über meinen eigenen erbärmlichen Körper. Rasende Augen unter funkelndem Helm, schon tropft das Blut der toten Griechen von der Klinge auch mir auf die Brust. Diese Männer werden als strahlende Helden besungen, als edel, voll Tugend! Dieser fremde Hüne, der mir den Lebensfaden zerschneidet - mir ist er ein Monster! Oh Apoll!

Da sinkt das Schwert, er wendet den Kopf, der Schatten verfliegt! Der Himmel ist blau!

Oh Apoll! Habe ich dich eben laut angerufen? Und hast du mich am Boden dieses Dröhnens gehört? Mich? Mich in dieser furchtbaren Ferne?

Plötzlich umfassen mich Arme mit hartem Griff, zerren mich fort - jetzt muss ich sterben! Schon beugt sich der schreckliche Held wieder über mich, das dreckige Gesicht schweißnass verzerrt, die breiten Schultern aus Stahl. Eine Hand stößt sich unter meine Hüfte, eine unter meinen Hals. Ich werde hochgehoben. Wie lange trägt er mich? Meinem Todesschicksal entgegen? Zeit und Richtung gibt es schon lange nicht mehr, in dieser tosenden Glut um Troja.

Wie sehen die Augen des Kriegers aus, der einen Jungen aus einem Apollontempel zu Hades und den Schatten schicken wird? Müde blicke ich auf, suche den Mann unter der ewig gnadenlosen Rüstung. Er sieht mich nicht. Diese Augen gehören nur dem Kampf. Sicher sind seine Augen genauso düster braun wie sein schmutziges, helmbekröntes Haar. Er legt mich auf die Erde. Und sieht mich an, dieser wilde Sohn Trojas, ein finsterer Umriss gegen den blitzenden Himmel. Wieso muss sich mein Ende so hinzögern! Mit fest zugekniffenen Augen liege ich armselig wartend da und flüstere noch einmal bebend:

„Apoll!“

„Du brauchst nicht mehr zu beten“, sagt eine Stimme nah bei mir. Vorsichtig, erschrocken öffne ich blinzelnd die Augen.

Es kann nur er gewesen sein, der sich noch immer über mich beugt. Aber in dieser Stimme lag kein kehliges Brüllen von Mordgeschrei.

„Wieso lebe ich noch?“ keuche ich verwirrt. „Oder ist das schon die Unterwelt?“

„Du lebst.“ Herrliche Worte - aber aus dem Mund des Trojaners verstehe ich sie nicht. „Lass dich treiben! Rühr dich nicht! Die großen Wurzeln fangen dich auf!“ Was meint er damit? Er reißt das Schwert empor, mir gefriert das Blut, ein gewaltiger Hieb, meine Knochen zu zertrümmern, braust in den Grund. Dicht neben meinen Leib. Ein Fußtritt trifft mich hart in die Seite, ich gerate ins Rollen, rolle eine Böschung hinunter, rutsche durch Schlamm, laut klatschend umfängt mich Wasser! Panisch boxe ich in den Fluss - bremse im selben Augenblick meine Bewegung: Ich darf mich nicht rühren! Benommen lasse ich mich den Strom hinab tragen. Plötzlich ein kleines Geräusch, ein sanftes Plätschern: Wasser, das in eine kleine Höhle schwappt. Mein Chiton verhakt sich. Ich bin angelangt.

Jetzt darf mich keiner der trojanischen Soldaten sehen! Hastig hangle ich mich an glitschigen Wurzeln entlang und krieche in eine schlammige Höhle. Dämmriges Dunkel empfängt mich, umhüllt mich, und mit ihm das Gefühl plötzlicher Sicherheit. Ich kauere mich auf den Grund. Zittern überkommt mich, ich kann nur noch schluchzen.

Nach einer langen Zeit rapple ich mich auf. Ich will mich beruhigen. Wo bin ich? Direkt unter diesen Wurzeln, an denen ich mich in die Höhle gezogen habe? Besteht die Höhle aus einem Hohlraum zwischen alten Baumwurzeln und der Uferböschung? Das scheint ein alter, alter Baum zu sein. Und der Fluss hat in seinen Wurzeln Erde ausgewaschen. Ganz wird es mir nicht klar. Es ist auch viel zu dunkel. Ich will mich sammeln. Lehne den Rücken an eine Wand der kleinen Erdkammer. Ich lebe! Apoll, mein Gott! Ich lebe!

Wie soll ich das alles je verstehen? Das, was da heute passiert ist? Wie kann ich die pure Angst von meinen Gedanken trennen und nachdenken können? Ich zittere. Draußen, über mir, überall um mich, brüllt die Schlacht. Mir wird kalt vom Todesschreien. Ich presse die Hände auf die Ohren, presse die Augen zu.

Zugvögel

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