Читать книгу Adele und der beste Sommer der Welt - Sabine Bohlmann - Страница 11
ОглавлениеAm Abend saßen wir noch ganz lange im Garten hinter dem Haus. Papa hatte gegrillt. Es gab Hamburger. Wir hatten Kerzen angezündet und hörten den Grillen zu.
»Grillen die Grillen eigentlis auch?«, fragte Blümchen und wir lachten laut.
»Wenn Grillen grillen …«, begann Papa und zog Blümchen zu sich. Lu war bereits auf Mamas Schoß eingeschlafen. »… dann müssten Biber auch bibbern, Heuschrecken im Heu erschrecken, und …« Er überlegte, aber mehr fiel ihm nicht ein. Doch zum Glück hatte er ja noch uns.
»Kugelfische kugeln!«, begann Henry, es gäbe goldene Goldfische und lahme Lamas.
»Und Oma Radieschen sagt, die Spinnen müssten spinnen!«, sagte Oskar. Wir lachten.
»Und Fische fischen!«, warf Malin ein.
»Hey, das war meine Idee!«, beschwerte sich Marlene. »Ich hab sie zuerst gedacht!«
»Aber ich hab sie zuerst gesagt!«, verteidigte sich Malin.
»Du hast sie mir aus dem Kopf geklaut!«
»Malin, man stiehlt seiner Schwester keine Worte aus dem Kopf!«, mahnte Mama.
»Tschuldige, Marlene, ich wusste nicht, dass du das Wort noch brauchst.« Marlene verdrehte die Augen.
»Was wollen wir denn in den Ferien alles machen?«, fragte Mama. Und dann ging es los. Sechs Kinder schrien ihre Vorschläge durcheinander. Man konnte kein einziges Wort verstehen. »Halt, halt, halt!«, rief Mama. Sie legte den Finger auf den Mund und zeigte auf Lu.
»Psst. Leise!« Wir verstummten augenblicklich und sahen dem kleinen Lu ein wenig zu, wie er da so süß auf Mamas Schoß lag und schlief.
»Auf jeden Fall will ich Martha überallhin mitnehmen!«, sagte ich leise und ließ das Holunderwasser zu mir schweben.
»Und Ben nehmen wir auch mit!«, schlug Oskar vor.
»Und alle anderen Kinder aus der Hummelgasse auch!«, sagte Blümchen.
»So viele andere sind gar nicht da, Blümchen!«, erklärte Malin. Sie zog einen Zettel aus der Hosentasche. »Ich hab da eine genaue Liste gemacht, wann wer da ist und wann wer weg ist. Mustermanns sind auf jeden Fall die ersten beiden Wochen weg, dann eine Woche da, dann wieder eine weg und am Ende noch bei ihrer Oma. Und Kai-Ling und Kai-Ting sind …«
»Malin, ich finde deine Liste echt toll, aber du musst jetzt nicht alles vorlesen!«, sagte Papa.
»Ich finde es schön, dass ihr so viele Ideen habt, was ihr machen wollt, aber ich möchte eines vermeiden: dass wir jeden Morgen erst einmal zwei Stunden brauchen, um zu entscheiden, welche von diesen vielen Ideen wir umsetzen!«, sagte Mama. »In den letzten Ferien gab es einen Tag, da konnten wir uns den ganzen Tag lang nicht einigen, und dann war es Abend und wir hatten überhaupt nichts gemacht!«
»Ich habe eine Idee!«, rief ich und rannte schnell ins Haus. Mit einem großen leeren Marmeladenglas kam ich wieder heraus. »Da kommt unser Sommer rein!«, sagte ich und als mich fünf Geschwister, eine Mama, ein Papa und, ich wette, auch noch eine unsichtbare Oma verständnislos ansahen, erklärte ich: »Jeder schreibt seine Ideen oder Wünsche für die Ferien auf Zettel. Die Zettel kommen darein und dann ziehen wir jeden Tag einen und das, was da draufsteht, wird dann gemacht.«
»Eine geniale Idee!«, sagte Papa und die anderen fanden das auch. »Aber is kann noch nis schreiben!«, sagte Blümchen. Blümchen konnte immer noch kein »ch« sagen, nur manchmal, aber sonst war ihre Sprache schon viel besser geworden als vor ein paar Monaten.
»Aber du hast fünf Geschwister, die dir helfen können!«, sagte Henry und wuschelte ihr durch die Haare.
»Wir fangen gleich damit an!«, rief Marlene und die Zwillinge holten Stifte und Papier, das wir in kleine Zettel rissen.
»Das ist eine tolle Idee. Und wenn ich Hunger hab, kann ich das Marmeladenglas aufschrauben und mir Sommerferienideen aufs Brot schmieren«, sagte Oskar und wir mussten alle lachen. Dann schrieben wir wie wild drauflos und das Glas füllte sich in null Komma nichts. Am Schluss mussten wir richtig stopfen, damit alle Zettel reinpassten. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass jeder so viele Zettel schreiben durfte, wie er wollte. Weil die Ferien ja sechs Wochen lang waren. Das waren ungefähr 40 Tage, die gefüllt werden mussten. Mama sagte, sie würde die Zettel mit den Nieten übernehmen und das wären dann die Tage, an denen jeder einfach selbst etwas unternahm oder einfach mal nichts passieren würde. Und so machten wir es.
»Der erste Zettel wird gleich jetzt gezogen!«, verkündete ich feierlich. »Und zwar von Blümchen!« Blümchen war auf Papas Schoß fast eingeschlafen, aber nun riss sie ihre Augen wieder auf.
»Is, is will, is will!« Sie steckte ihre kleine Hand in das Glas und wühlte erst einmal kräftig darin herum. Endlich hatte sie sich für einen der Zettel entschieden. »Trommelwirbel!«, rief Papa und alle Kinder trommelten mit den Fingern auf den Tisch. Ich faltete den Zettel auseinander und las vor: »In Urlaub fahren!« stand darauf. An der Schrift erkannte ich, wer es war, auch wenn derjenige versucht hatte, sich zu verstellen. Papa und Mama sahen sich an.
»Kinder, ihr wisst, dass das nicht geht!«, sagte Papa traurig und seufzte. »Wir haben uns für viele Kinder entschieden, mit wenig Urlaub, und nicht für viel Urlaub und wenig Kinder! Und wir haben es nie bereut!«, sagte er.
»Aber manchmal muss man dafür auch Abstriche machen. Und wir können uns nicht einfach alles leisten, weil ich mich um euch kümmere und nicht arbeite und Papa nicht so viel Geld verdient, dass wir uns einen Urlaub leisten können!«, sagte Mama.
Ich warf Malin einen bösen Blick zu. Klar. Wenn ich genau überlegte, würde ich natürlich auch gern mal wegfahren. Aber wenn ich die Wahl gehabt hätte zwischen meinen vielen Geschwistern und Urlaub – ich würde mich immer für meine Geschwister entscheiden.
»Ich glaube, wir sollten das morgen besprechen und morgen mit neuem Trommelwirbel einen neuen Zettel ziehen, heute ist es schon spät und ich bring jetzt erst mal die Kleinen ins Bett!«, sagte Mama, und Papa half dabei, Blümchen und Lu in ihre Zimmer zu tragen. Papa hatte unterm Dach für jeden von uns ein eigenes Zimmer gebaut. Es sind zwar die winzigsten Zimmer, die man sich vorstellen kann, denn es passen gerade mal ein Bett und eine kleine Kommode hinein, aber jeder hat eine eigene Tür, die er hinter sich zumachen kann. »Und das ist das Wichtigste«, sagt Papa. Wir lieben unsere kleinen Kojen da oben unterm Dach. Henry, Malin, Marlene, Oskar und ich blieben noch ein bisschen sitzen und starrten in den Sternenhimmel.
»Manchmal ist es schon schade, dass wir nie wegfahren!«, sagte Malin auf einmal. »Ich möchte auch mal eine Weile woanders schlafen. Koffer packen, mir überlegen, was ich alles mitnehme …«
»Ja, das wäre schon mal cool!«, stimmte Henry ihr zu.
»Hey, wir sind die Familie Anders, niemand hat so tolle Ferien wie wir!«, verteidigte ich unsere Familienehre.
»Adele, sei doch mal ehrlich. Würdest du nicht auch mal gern in einem Hotel schlafen?«, fragte Marlene. Ich dachte nach.
»Naja, also irgendwie schön wär das schon!«, gab ich nach einer Weile zu.
»›Aber was nicht geht, geht eben nicht!‹ – meint Oma Radieschen!«, sagte Oskar.
»Und sie sagt ›Gute Nacht‹, denn sie ist sturzhundemüde. Weil sie heute so viele Zeugnisse lesen musste.«
»Gute Nacht, Oma Radieschen!«, flöteten wir fünf im Chor und sahen zu der Stelle, an der wir unsere Oma vermuteten. Der Einzige, der ja immer wusste, wo unsere Oma genau war, war ja Oskar. Jetzt waren wir kurz still. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Da richtete sich Malin plötzlich auf.
»Ich hab’s!«, sagte sie und ihre Augen leuchteten. Wir sahen sie gespannt an. »Wir werden verreisen. Wir werden packen, wir werden in anderen Betten schlafen und alles wird sich zumindest ein bisschen anders anfühlen. Und so geht morgen unser Urlaub los: Wir müssen früh aufstehen, weil man ja immer in aller Frühe losfährt. So machen das zumindest die Schusters. Die fahren jedes Mal – wie sagt Emma immer? – ›In aller Herrgottsfrüh!‹ Und die Uhligs machen es auch so. Also packen wir in aller Herrgottsfrüh unsere Koffer. Dann steht der Reisebus schon vor der Tür. Wir fahren und fahren einmal um die Hummelgasse rum, vielleicht sogar um die ganze Stadt. Vielleicht sogar stundenlang. Bis wir im Hotel ›Zur brummenden Hummel‹ angekommen sind.«
»Hä? ›Zur brummenden Hummel‹?«, fragte Oskar, »wo soll denn das sein, bitte?«
Malin stöhnte. »Na hier! Hummelgasse 7! Das beste Hotel am Platz!«
»Hä?«, fragte nun auch Henry, der normalerweise immer alles gleich verstand.
»Und dann ziehen wir alle in andere Zimmer. Jeder schläft in einem anderen Bett«, erklärte Malin.
»Und am Morgen sitzt jeder an einem anderen Platz als sonst und jeder isst auch mal was anderes!«, schlug Henry vor, dem jetzt langsam ein Licht aufgegangen war.
»Ich will aber nichts anderes essen, als mein Frischkäsehimbeermarmeladenbrot!«, meckerte ich. Denn ich liebte mein Frühstück und ich liebte es, wenn ich jeden Morgen das Gleiche aß. Das gab mir immer so ein Gefühl von, naja, irgendwie Sicherheit. Wenn ich mein Frischkäsehimbeermarmeladenbrot aß, wusste ich, dass alles so war wie immer, und das war schön.
»Aber im Urlaub ist alles anders und alles schmeckt auch anders, Adele. Man muss mutig sein, wenn man die Welt bereisen will«, sagte Malin. Und da hatte sie irgendwie recht, fand ich. Sie war aufgesprungen, um mit ihren Armen wild herumzugestikulieren.
»Wir brauchen Nummern an unseren Zimmertüren. Und einer von uns kann unten im Flur stehen und die Gäste, also uns, begrüßen und die Zimmerschlüssel verteilen.«
»Das will ich machen!«, sagte Marlene. »Dann sag ich so Sachen wie: ›Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt‹, und so was!« Wir kicherten. Ich fand Malins Plan richtig gut.
»Und darf Martha auch mit ins Hotel ›Zur brummenden Hummel‹?«, fragte ich. Meine Geschwister waren sofort einverstanden.
»Vielleicht fahren wir lieber erst übermorgen in den Urlaub, denn es gibt noch viel vorzubereiten!«, sagte ich und sprang voller Tatendrang auf. »Ab mit uns ins Bett, morgen müssen wir ein Hotel bauen!«
Ich konnte noch lange nicht einschlafen. Und freute mich so auf den nächsten Tag. Auf unseren ersten Ferientag und auf unser Vorhaben, in ein Hotel zu ziehen.