Читать книгу Vaterfreuden, Vatersorgen - Sabine Hoffelner - Страница 5
Ein unangenehmer Besucher
ОглавлениеVerträumt und mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht schaute der pummelige rote Kater Dio seiner Freundin Alesa zu, die wohlig schnurrend ihre Jungen säugte – seine Jungen. Alesa meinte zwar, dass ihn diese Katzenkinder nichts angingen, aber da war er anderer Meinung. Seitdem er die Kleinen zum ersten Mal gesehen hatte, lief er nur noch mit einem Lächeln im Gesicht herum. Und es war ihm das Wichtigste im Leben, für sie da zu sein.
Als die Kleinen mit ein paar satten, zufriedenen Seufzern eng an ihre Mutter gekuschelt eingeschlafen waren, machte Alesa ihm unmissverständlich klar, dass sie ihre Ruhe haben wollte. Deshalb trottete Dio nun davon. Die Katzendame und ihre drei Kinder lebten momentan in einer alten Umzugskiste mit hohen Rändern im „Mäusezimmer“. Das war ein ruhiger Kellerraum mit vielen Mauselöchern und Verstecken. Hier hatte sich Alesa schon damals sattessen können, als er und sein Mensch noch gar nicht hier lebten.
Der Kater trabte nach oben, um nach seinem Professor zu sehen. Dio, eigentlich hieß er ja Dionysos, liebte seinen Menschen sehr. Sie beide waren vor einigen Monaten aus der großen Stadt hierher aufs Land gezogen. Anfangs hatte es Dio hier gar nicht gefallen. Doch nachdem er Alesa kennengelernt und den arroganten Johnny in die Schranken gewiesen hatte, war es hier ganz in Ordnung.
Vorsichtig lugte Dio durch den Spalt der angelehnten Wohnzimmertüre. Der Besucher war noch da. Oft bekamen sie nicht Besuch, und Dio war das ganz recht. Aber dieser Mann kam immer wieder mal vorbei. Dio wusste nicht viel über ihn. Sein Professor nannte ihn „Franz“ und anscheinend kannten sie sich schon lange.
Der Kater rümpfte die Nase. Gerade steckte sich Franz eine dieser stinkenden und qualmenden Leckerli-Stangen in den Mund. An denen lutschte er immer so lange herum, bis sie ganz kurz waren. Seltsamerweise fraß er sie dann nicht vollständig auf. Er ließ stets einen Rest davon übrig, den er dann auf einen Teller legte oder im Garten wegwarf. Dio hatte schon einmal so einen Rest stibitzt und davon abgebissen. Danach hatte er sich übergeben müssen. Seitdem war ihm dieser Franz noch unheimlicher als zuvor. Wer so scheußliches Zeug futterte, mit dem war doch nicht alles in Ordnung!
Das Unangenehmste an Franz war sein Geruch. Er stank genauso wie diese Stangen, die er dauernd im Mund hatte. Diesen Geruch hinterließ er dann überall dort, wo er sich längere Zeit aufhielt. Und leider zählte zu seinen Lieblingsplätzen das Sofa – Dios Sofa! Dort hockte er stundenlang, trank Kaffee und spielte mit dem Professor Karten. Und die ganze Zeit hatte er dabei diese Stinkestangen im Mund. Wenn er endlich wieder draußen war, stank das Sofa noch tagelang nach ihm.
Ja, es fiel ihm schwer. Trotzdem verzieh Dio seinem Professor, dass er Franz immer wieder hier hereinließ. Aber musste es sich dieser stinkende Kerl denn jedes Mal auf dem Sofa gemütlich machen? Sie hatten doch andere Sitzgelegenheiten, die es für so unangenehme Leute ebenfalls taten: die Kohlenkiste, der große Stein draußen beim Schuppen oder die Regentonne.
Dios Blick fiel auf einen Stapel Holzscheite neben dem Ofen. Ja, der wäre doch ideal. Darauf konnte Franz den ganzen Nachmittag sitzen, wenn es denn sein musste. Wenn der Professor das Holz anschließend verbrannte, müsste sich keiner mehr mit diesem Gestank herumschlagen. Doch wer fragte ihn schon nach seiner Meinung?
„Ach, da ist ja Dionysos!“
Der Besucher hatte ihn erspäht. Jetzt begann er, auf diese alberne Art mit den Lippen zu schmatzen, wie Menschen das oft taten, wenn sie eine Katze anlocken wollten. Dio verdrehte genervt die Augen. Sollte er sich auf dieses Spielchen einlassen oder lieber gleich wieder weggehen?
Er seufzte. Seinem Professor würde es Freude machen, wenn er diesem Franz ein wenig schmeichelte. Außerdem hatte er gerade nichts anderes zu tun. Also tappte er gelangweilt auf den schmatzenden Mann zu, der sich jetzt etwas weiter zu ihm hinab beugte. Knapp über dem Boden rieb der Mensch die Finger der rechten Hand lockend aneinander.
Wie gern hätte Dio jetzt herzhaft in diese Finger hineingebissen! Vielleicht würde der Störenfried dann sogar davonlaufen, und hier wäre wieder Ruhe und Ordnung. Ach, wäre das schön! Aber der Kater widerstand der Versuchung.
„Na, wo ist er denn, der kleine Dionysos?“, flötete der Besucher.
Dio sog die Luft ein. „Ja, wo wird der wohl sein?“, miaute er, während der Mann ihn am Kinn kraulte. Die stinkenden Finger kamen dem Katzenmäulchen immer näher. Wie gern hätte Dio jetzt seine Zähne… Nein! Er musste sich beherrschen.
„So ein hübsches Kerlchen.“
Dio horchte auf. Ganz so unmöglich war dieser Mann anscheinend doch nicht.
Jetzt begann der Professor ebenfalls, Dio zu kraulen. Und zwar genau an dieser wunderbaren Stelle hinter dem linken Ohr! Verzückt fing der Kater zu schnurren an.
„Der Kleine, von dem ich dir erzählt habe, sieht meinem Dionysos recht ähnlich“, sagte der Professor. „Möchtest du ihn kennenlernen?“
Der Besucher überlegte einen Moment, dann nickte er. Ehe es sich Dio versah, standen die beiden Männer auf und ließen ihn links liegen - oder besser: an Ort und Stelle stehen. Sofort sprang er ihnen hinterher. Dieser unangenehme Franz sollte seine Kinder anschauen? Die waren bestimmt gerade erst eingeschlafen. Dieser Rüpel würde sie nur wieder aufwecken!
Noch bevor Dio etwas dagegen unternehmen konnte, hatten die beiden Männer den Kellerraum erreicht, in dem die kleine Familie lebte. Der Professor knipste das grelle Licht an.
Alesa saß schützend vor ihren Kleinen, jederzeit bereit, die Störenfriede mit Krallen und Zähnen zu vertreiben. Sie hatte die Männer kommen gehört.
„Pst, sie schlafen gerade!“, sagte der Professor, doch seinen Freund schien das nicht zu interessieren.
„Ach, wie lieb sie aussehen!“ Franz streckte die Hand in Richtung der Katzenkinder. Sofort fauchte Alesa, und Franz zuckte erschreckt zurück.
„Na, na“, beschwichtigte sie der Professor. „Deinen Kätzchen tut niemand etwas. Das ist ein Freund, der sie bewundern möchte. Dürfen wir sie ansehen?“
Ohne Alesas Antwort abzuwarten, hob Franz eines der Katzenkinder heraus. Es war das moppelige rote Katerchen Harry.
„Darf ich dir Herakles vorstellen, unseren kleinen Abenteurer?“
„Herakles?“
„Ja. Sobald er sich auf seinen Beinchen halten konnte, büchste er schon aus der Wurfkiste aus. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat. Aber er hat die Schublade des Schrankes dort drüben aufgestemmt und ist hineingeschlüpft. Fast hätte ich ihn dort nicht gefunden.“
Dio erinnerte sich an diesen Tag. Alesa war zum Jagen fort und er hatte ihr großspurig versprochen, auf die Kinder aufzupassen. Doch das gestaltete sich schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte. Die Kleinen waren so aufgeweckt und quirlig, dass es eine ganze Katzengruppe gebraucht hätte, um sie im Zaum zu halten. Er hatte Harry - damals noch namenlos - aus den Augen verloren. Denn auch Poldi und Mimi waren drauf und dran gewesen, auszubüchsen. Einen Moment zu spät war ihm aufgefallen, dass einer aus dem Trio fehlte. Hektisch hatte er das ganze Mäusezimmer abgesucht, aber den kleinen Roten nirgends gefunden.
Vor Angst war Dionysos völlig aus dem Häuschen gewesen. Auf einmal hatte er ein verzweifeltes leises Fiepen gehört. Es war aus besagter Schublade gekommen. Deshalb war er bis zur Öffnung hinaufgeturnt, und dann hatte er sein Söhnchen dort drinnen sitzen sehen. Verzweifelt hatte er gezogen und geschoben. Doch er bekam Klein-Harry nicht aus der Schublade heraus. Deshalb war er zu seinem Professor in die Stube hinaufgerannt, um ihn zu Hilfe zu holen. Der hatte den Ausreißer schließlich gerettet.
Und dann hatte er ihm einen Namen gegeben. Einen Namen, der so seltsam war wie alle Namen, die er seinen Katzen gab. Na ja, er war pensionierter Philosophie-Professor. Solche Leute kannten nur eigenartige Namen. Dumm war es bloß, wenn man die Katze dieses Professors war und mit so einem seltsamen Namen herumlaufen musste. Dio verzog die Schnute. Gut, dass Alesa und er den Katzenkindern bessere Namen gegeben hatten. Herakles hieß in Wahrheit Harry, Poldi wurde vom Professor Apoll genannt, und Mimi, ...
„Das weiße Kätzchen ist Artemis und der schwarze Racker heißt Apoll. In diese beiden hat sich meine Nichte verliebt, aber Herakles ist noch frei. Überleg es dir.“
Der Fremde kratzte sich an seinem fast kahlen Hinterkopf. „Ich werde darüber nachdenken. Mit Katzen hab ich keine Erfahrung, mußt du wissen.“
Dio war verwirrt. Was sollte dieser Mann sich da überlegen? Aber Menschen waren manchmal einfach nur verwirrend, das kannte er. Und Besucher verwirrten ihn sowieso. Gut, dass nur selten jemand vorbeikam. Hilda, die Nichte des Professors, war in letzter Zeit einige Male hiergewesen. Sie war ein nettes Mädchen, das die Kätzchen liebte. Sie sprach leise und freundlich mit ihnen. Und sie zerrte sie nicht einfach aus dem Schlaf, wie dieser Rüpel. Ja, Dio mochte Hilda. Der Professor hatte einmal gesagt, dass sie hier in ihrem Dorf wohnte. Sie durfte gern wiederkommen.
Aber diesen Franz, den mochte Dionysos nicht. Und wenn es nach Dio ging, dann durfte er sich auch für heute allmählich verabschieden. Besuch war nur dann gut, wenn er wusste, wann es Zeit war, wieder zu gehen.
Wie wenn der Fremde die Gedanken des Katers gelesen hätte, setzte er den sich windenden Harry zu seinen Geschwistern zurück. Dann gingen die beiden Männer wieder nach oben.
Als sie allein waren, blickten sich Alesa und Dio an. Sie brauchten keine Worte, um zu wissen, dass sie, was diesen Besucher betraf, derselben Meinung waren.