Читать книгу Die Abenteuer der kleinen Lilly und andere Kurzgeschichten - Sabine Siebert - Страница 9
Lilly findet einen neuen Freund
ОглавлениеLillys Abenteuer im Garten lag schon einige Zeit zurück. Der Sommer hatte den Frühling abgelöst und die schönste Zeit des Jahres hatte begonnen. Im Wald war es um diese Jahreszeit besonders schön. Durch die großen Bäume mit ihren dicken Ästen und Blättern drang die Sonne nicht bis zum Waldboden vor. Es herrschte selbst in den Mittagsstunden eine angenehme Kühle. Lilly und ihre Geschwister waren fast den ganzen Tag draußen. Sie spielten Fangen mit den Nachbarskindern. Sie tobten herum, so wie das Waldmäuschen tun. Eine Weile spielte Lilly immer mit, aber dann mochte sie nicht mehr. Ihre Brüder waren viel kräftiger und gewannen jedes Spiel. Sie ließen Lilly nicht einmal zum Spaß gewinnen. Lilly hätte gerne eine Freundin gehabt. Aber es war wie verhext. Sie hatte drei Brüder, den Max, den Georg und den Franz. Auch gab es in der Nachbarschaft nur wilde Mäusejungen. Lilly war weit und breit das einzige Mäusemädchen.
Nun hatten die kleinen Mäuse bereits vor Tagen gehört, dass eine neue Mäusefamilie ganz in der Nähe eingezogen war. Noch hatten sie kein Familienmitglied gesehen. Neugierig schlichen Lilly und ihre Brüder immer wieder um die neu bezogene Mäusewohnung herum. Sie lag unter dem Fuß einer alten Eiche. Ein kleines Loch diente als Eingang. Früher hatte hier die alte Feldmaus Mimi gewohnt. Aber seit einiger Zeit war die Wohnung verwaist. So oft sie um den Eingang schlichen, sie konnten keinen Laut vernehmen und kein Mäuseschwänzchen sehen.
„Komisch“, dachte Lilly, „warum kommt keiner raus und spielt mit uns?“ Aber sie wartete vergebens. Lilly hatte sogar ihre Mutter gefragt, ob sie nicht mal die neuen Bewohner besuchen wollten. Doch die Mutter hatte nur abgewinkt und gesagt, man solle nichts überstürzen. Die neuen Nachbarn hatten sicher einen weiten Weg hinter sich und wollten noch etwas ausruhen.
Zwei Tage wartete Lilly noch ab. Aber als sich noch immer nichts rührte, sammelte sie leckere Kräuter, pflückte eine kleine Blume und besuchte die neuen Nachbarn. Sie klopfte fast zaghaft an die Tür, die sich hinter dem Eingangsloch verbarg. Doch nichts rührte sich. Sie versuchte es noch zwei weitere Male. Und siehe da, beim dritten Klopfen wurde die Tür ganz leise und auch nur einen Spaltbreit geöffnet.
„Wer ist da?“, fragte eine leise, fast tonlose Stimme.
Obwohl Lilly leicht erschrocken war, antwortete sie tapfer. „Ich bin Lilly und wohne mit meiner Familie ganz in der Nähe. Ich wollte euch willkommen heißen.“
Es dauerte eine kleine Weile, die Lilly schrecklich lang vorkam, doch dann fragte die Stimme: „Bist du alleine gekommen?“
Lilly nickte eifrig mit dem Kopf und sprach: „Ja. Ich bin alleine hier.“
Da wurde die Tür ein wenig weiter geöffnet und Lilly durfte eintreten. Drinnen war es sehr dunkel. Alle Fenster waren mit dunklem Tuch verhängt. Man konnte kaum sehen, wohin man trat. Lilly wurde behutsam auf eine Sitzgelegenheit geschoben. Dann wurde eine winzige kleine Kerze angezündet. Als Lillys Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie die Maus, die zu der leisen Stimme gehörte. Oh, sie sah ganz krank aus. Sie zog das linke Hinterbein nach und auch der Schwanz war gebrochen. Leise sagte sie: „Ich bin Murmel. Meiner Tante Mimi hat die Wohnung gehört. Wir versuchen, hier wieder gesund zu werden. Aber der Wald ist so groß und so fremd.“
„Wir?“, fragte Lilly. „Wie viele seid ihr denn?“
Murmel antwortete: „Mein Mann, meine Mutter und mein Sohn.“ Dann brach sie in Tränen aus.
Sie tat Lilly so leid. Sie wollte sie trösten und sprach: „Das ist doch schön, ihr seid eine Familie. Darf ich euch alle kennenlernen?“
Murmel schluchzte noch immer heftig und sagte: „Heute nicht, Lilly, sie sind alle krank. Komm morgen Abend nach dem Abendessen vorbei, dann stelle ich dir alle vor. Aber versprich mir, alleine zu kommen, und erzähle niemandem von uns.“
Lilly versprach es und verließ hastig die Wohnung. Sie grübelte, was es wohl mit Murmel und ihrer Familie auf sich hatte. Und niemandem durfte sie von ihrem Besuch erzählen. Sie hielt es kaum aus. Aber vielleicht erfuhr sie morgen Abend mehr über die seltsame Familie.
Den restlichen Tag war Lilly sehr still und hielt sich von den anderen Mäuschen fern. Sie legte sich unter ihren Lieblingshagebuttenbusch und schaute zu den Baumwipfeln empor. Einige Male rief ihre Mutter nach ihr. Lilly antwortete nur kurz und blieb unter dem Busch liegen. Sie wollte nicht bei ihren Brüdern oder Eltern sein, denn dann hätte sie sich bestimmt verplappert und die anderen hätten Lillys Geheimnis erfahren. Nach dem Abendessen verschwand Lilly augenblicklich in ihr Bettchen.
„Bist du krank?“, fragte ihre Mutter. „Du gehst doch sonst nicht freiwillig ins Bett.“
„Nein, nein“, versicherte Lilly. „Alles in Ordnung. Ich bin nur sehr müde.“
„Na gut, dann schlaf schön mein Kind.“
Am nächsten Tag war großer Waschtag. Alle halfen mit. Der Vater und die Brüder holten das Wasser und Lilly und ihre Mutter wuschen die gesamte Wäsche. Zum Trocknen wurde die Wäsche ins Gras gelegt und die Sonne tat ihr Übriges. So dauerte es nur einige Stunden und die gesamte Wäsche war trocken. Nun konnten die Kinder spielen. Die Eltern gingen Kräuter und Pflanzen für die nächste Mahlzeit sammeln.
Lilly wollte Beeren für den Nachtisch holen. Sie konnte machen, was sie wollte, aber die Zeit schien still zu stehen. Erschöpft von der Arbeit schlief Lilly nach dem Mittagessen ein. Sie erwachte erst am späten Nachmittag. Sie sprang auf, streckte sich und hüpfte ein paar Mal auf und ab. Dann war sie fit. Die Nachmittagssonne schien und am Himmel waren kleine weiße Wolken zu sehen. Sie ähnelten Lämmern. Lilly blickte zum Himmel und träumte. Einen Augenblick später lag sie im Gras.
Ihr Bruder Franz hatte sie unabsichtlich beim Spielen umgeschubst und brummelte: „Wo hast du deine Augen, Lilly? Hast du mich nicht gesehen?“
Lilly schüttelte den Kopf. „Nein, wo bist du so plötzlich hergekommen?“
„Wir spielen Verstecken und ich musste mich frei schlagen. Jetzt habe ich es nicht rechtzeitig zum Baum geschafft und habe verloren. Spiel doch mit. Du bist dran und musst uns alle suchen“, rief Franz.
„Na gut“, willigte Lilly ein.
So spielte sie noch eine Weile mit den Mäusejungen. Lilly kannte den Wald um ihre Wohnung herum sehr gut. Deshalb fand sie ihre Brüder auch sehr schnell. Doch die Zeit wollte nicht vergehen. Lilly wartete sehnsüchtig auf den Abend, denn dann sollte sie endlich das Geheimnis der neuen Familie erfahren.
Endlich rief die Mutter zum Essen. Hastig aß Lilly. Dann tat sie furchtbar müde und gähnte ununterbrochen. „Ich gehe ins Bett“, murmelte sie, „bin schrecklich müde.“
„Aber du hast doch heute Mittag geschlafen“, sagte Max.
„Na, Mädchen halten eben nichts aus“, ergänzte Georg.
Lilly schlich in ihr Zimmer. Aber sie ging nicht schlafen. Sie war ganz aufgeregt. Heute sollte sie Murmels Familie kennenlernen. Wie sie wohl sein würde? Sie hörte, wie die Mäusejungen wieder raus zum Spielen gingen. Ihre Eltern setzen sich vor die Tür und unterhielten sich. Das war gut so. Da alle draußen beschäftigt waren, bemerkte niemand, dass Lilly aus dem Fenster kletterte und hinter dem Baum in entgegengesetzte Richtung lief. Es war nicht weit bis zu Murmels Wohnung. Unterwegs pflückte sie wieder ein kleines Gänseblümchen und einige Beeren. Die wollte sie als Geschenk mitnehmen.
Leise klopfte sie an die Tür. Wieder öffnete sich die Tür nur einen Spaltbreit und Murmel fragte leise: „Bist du es, Lilly?“
„Ja“, erwiderte Lilly. Auch sie flüsterte.
Die Tür öffnete sich und Lilly trat ein. Dieses Mal waren die Vorhänge aufgezogen und die Abendsonne schien noch ein wenig durch die Fenster.
„Guten Abend“, sagte Lilly. „Ich habe Beeren mitgebracht, ich hoffe, ihr mögt Beeren.“
Nun sah Lilly die ganze Familie. Sie saßen alle am Tisch und hatten gerade ihr Abendessen verzehrt. An der Stirnseite des Tisches saß eine ältere, etwas dickliche Maus. Murmel stellte sie Lilly vor. „Da ist meine Mutter, Irma Maus.“
An der gegenüberliegenden Seite saß Murmels Mann, Manfred Maus. Außerdem saß da noch ein Mäusejunge. Das musste Murmels Sohn sein. Murmel sagte: „Das ist Fips, unser Sohn. Es geht ihm nicht so gut, er ist noch ganz benommen von dem weiten Weg und den Ereignissen unserer Reise.“
Lilly musterte Fips und sagte dann: „Hallo, Fips, ich bin Lilly.“
Schüchtern, fast verängstigt, blickte Fips sie an. „Hallo, Lilly“, flüsterte er.
„Nun kennst du unsere ganze Familie“, war Murmel wieder zu vernehmen. „Alle, die es hierhergeschafft haben.“
„Was ist euch passiert?“, wollte Lilly wissen.
Und nun erzählte Murmel die ganze Geschichte: „Wir lebten auf einem Feld, ziemlich weit weg von hier. Wir waren eine große und glückliche Familie. Außer uns vier gab es unseren Opa, Freddy Maus, und meine Schwester Molly mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern. Es ging uns gut. Wir hatten schöne Behausungen und genügend zu essen. Die Vorratskammer war immer gut gefüllt. Aber dann passierte es. Der Bauer war mit seinem Traktor auf dem Feld unterwegs, als es plötzlich krachte und unsere Wohnung einstürzte. Wir konnten uns alle retten. Aber wir hatten keine Wohnung mehr. Wir erinnerten uns an Tante Mimis Wohnung, die sie uns hinterlassen hatte, als sie zu ihren Kindern an den Fluss gezogen war. Hier wollten wir uns mit dem Rest der Familie treffen. Aber bis heute ist niemand gekommen. Wir werden die anderen Familienmitglieder wohl nie wiedersehen“, beendete Murmel ihren Bericht.
Lilly war während des Erzählens ganz traurig geworden. Aber plötzlich sagte sie: „Vielleicht haben sie sich nur verlaufen und kommen später.“
„Ja, vielleicht“, seufzte Irma Maus.
„Nun erzähle du uns was von dir und deiner Familie“, forderte Murmel Lilly auf.
Lilly erzählte von ihren Eltern und ihren Brüdern. Sie berichtete über die Nachbarn und erzählte, dass es hier keine Mäusemädchen gab. Mittlerweile war es dunkel geworden. Lilly fragte: „Darf ich morgen wiederkommen? Ich könnte Fips die Umgebung zeigen.“
Erschrocken piepste Fips: „Nein, nein, lieber nicht.“
Aber Murmel sagte: „Ja, Lilly, komm morgen wieder.“
Lilly war glücklich und dankbar. Artig verabschiedete sie sich und lief geschwind nach Hause. Sie nahm den gleichen Weg zurück und niemand sah sie. Ihre Familie hatte nicht bemerkt, dass Lilly fort gewesen war. Sie schlüpfte in ihr Bett und augenblicklich fielen ihr die Augen zu.
Am nächsten Morgen erwachte Lilly bereits mit den ersten Sonnenstrahlen. Geschwind lief sie in die Küche. Ihre Mama bereitete das Frühstück vor. Lilly half ihr dabei und deckte den Tisch. Gemütlich frühstückte die ganze Familie. Es war ruhig am Tisch, denn Georg und Franz waren noch nicht richtig munter.
Aber Max plapperte munter drauf los. „Was machst du heute, Schwesterlein?“, fragte er. „Wir spielen im Wald. Willst du mitkommen?“
Augenblicklich sagte Franz: „Nein. Das geht nicht.“
„Heute spielen nur die Jungs“, ergänzte Georg.
„Ich wollte sowieso nicht mitkommen“, erwiderte Lilly und steckte Georg die Zunge raus. „So“, dachte sie, „die Brüder bin ich los. Wenn ich mit Fips nicht in den Wald gehe, begegnen wir ihnen auch nicht.“
Nach dem Frühstück stürmten die Mäusejungen los. Lilly ging gemächlich aus dem Haus. Aber kaum war sie außer Sichtweite, rannte sie blitzschnell zu Murmels Haus. Sie traf Murmel vor der Tür mit einem Fingerhut Wasser.
„Guten Morgen Murmel“, rief Lilly schon von Weitem.
„Dir auch einen schönen guten Morgen, Lilly“, grüßte Murmel.
„Ist Fips schon bereit?“, wollte Lilly wissen.
„Ich sehe gleich nach“, antwortete Murmel.
Lilly hörte, wie Fips sich drinnen wehrte. „Nein, ich will nicht mit dem Mäusemädchen gehen“, sagte Fips. „Vor Waldmäusen habe ich Angst. Der ganze Wald macht mir Angst. Ich will wieder aufs Feld, Mama.“
„Lilly ist nett“, sagte Murmel. „Geh mit ihr mit, sie kann dir die Gegend zeigen.“
Alles Flehen und Betteln half nicht – Fips musste mit Lilly gehen. Und diese tat so, als hätte sie von dem Gespräch nichts mitbekommen. Sie nahm Fips bei der Hand und lief fröhlich plaudernd mit ihm davon. Lilly redete ununterbrochen und Fips hörte geduldig zu. „Magst du den Wald, Fips?“, fragte Lilly.
„Ich ... ich weiß nicht so recht“, stotterte Fips. „Er ist ziemlich groß und dunkel.“
„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte Lilly, „ich bin bei dir. Aber lass uns heute an den Tümpel zu meinem Freund Willy gehen. Den Wald können wir auch später erkunden.“ Eigentlich war es Lilly ganz recht, dass Fips nicht in den Wald wollte, denn sonst wären ihnen vielleicht Lillys Brüder begegnet.
Etwas schüchtern fragte Fips: „Wer ist Willy? Ist er gefährlich?“
„Nein“, beruhigte Lilly ihn. „Willy ist ganz lieb, manchmal ein bisschen nass und glitschig.“ Lilly hatte wieder Fips’ Hand genommen und so gingen sie weiter. Plötzlich rief Lilly: „Lass uns um die Wette laufen, Fips, bis zu dem großen Stein da vorne.“ Fips war einverstanden. Lilly zählte: „Eins, zwei, drei und los.“ Sofort flitzte sie los. Und siehe da, sie kam als Erste ans Ziel. Kurz nach ihr kam Fips an. Lilly freute sich riesig. Sie hatte noch niemals gegen ihre Brüder gewonnen. Vor Vergnügen quietschte Lilly und fiel Fips um den Hals. Jetzt war Fips ganz verwirrt. Aber irgendwie merkte er, dass Lilly es gut mit ihm meinte. Und er fand sie richtig nett. Sie neckten sich noch eine Weile und dann standen sie vor einem Tümpel. Er war nicht groß, aber er war ziemlich rund und in der Mitte blühten mehrere Seerosen in einem leuchtenden Gelb. Am Ufer wuchsen Schilfrohre. Lilly ging ganz nah ans Wasser. Fips blieb ängstlich zurück. „Geh nicht weiter, Lilly“, piepste Fips, „sonst fällst du noch in den Tümpel.“
Lilly lachte. „Dann kommt Willy und rettet mich.“ Zugleich bemerkte sie, dass von Willy nichts zu sehen war. Deshalb rief sie laut nach ihm.
Es dauerte eine Weile, dann hörte man ein Glucksen und eine tiefe Stimme quakte: „Wer ruft nach mir? Bist du das, Lilly?“
„Ja“, rief wieder Lilly, „ich bin es und sieh mal, wen ich dir heute mitgebracht habe?“
Behäbig kam Willy ans Ufer. Erstaunt fragte er: „Wer ist dein neuer Freund, Lilly?“
Bereitwillig gab sie Auskunft. „Das ist Fips, unser neuer Nachbar. Er kommt von weit her.“
„So, so“, brummelte Willy, „du bist Fips. Aber was für ein Mäuschen bist du denn? Du siehst nicht wie Lilly aus. Dein Schwanz ist so kurz.“
„Ich bin eine Feldmaus“, erklärte Fips stolz, „alle in meiner Familie haben einen kurzen Schwanz.“
Willy, der Frosch war mit der Erklärung zufrieden. Willy quakte noch ein wenig, bevor er mit sieben großen Sprüngen auf einem Seerosenblatt landete.
Lilly erzählte Fips alles, was sie selbst über den Tümpel wusste. Fips gähnte einige Male herzhaft, doch Lilly schien es nicht zu merken und redete munter weiter, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen.
„Ich weiß aber nicht, wie wir wieder zu unserem Bau kommen“, flüsterte Fips.
„Dafür kenne ich den Weg umso besser“, stellte Lilly fest und lachte dabei. Geschwind liefen die beiden Mäuschen – sich an den Händen haltend – heim. Als sie Fips Unterkunft erreichten, wartete Mama Murmel schon.
„Was hast du alles gesehen?“, wollte sie wissen.
Bevor Fips antwortete, rannte Lilly schon weiter und rief: „Ich komme heute Nachmittag wieder.“
Zu Hause wartete man bereits auf Lilly. Die ganze Familie saß am Tisch. „Wo warst du bloß?“, fragte Max. „Wir konnten dich nirgends finden.“
„Ich habe Willy am Tümpel besucht und darüber habe ich die Zeit vergessen“, antwortete Lilly.
„Das habe ich bemerkt“, sagte die Mutter. „Aber jetzt wird gegessen Kinder und dann ab ins Bett zum Mittagsschlaf.“
Ach, was war das Leben als kleine Waldmaus doch schön. Das Essen, Spielen und Schlafen waren die Hauptbeschäftigungen der Mäuse. Der Wald bot ihnen Nahrung und Unterkunft. Hier bei den Buchen lebten einige Mäusefamilien. Die Mäusehöhlen waren ähnlich ausgestattet. In jeder gab es eine große Vorratskammer. Die wurde besonders im Herbst randvoll mit leckeren Sonnenblumenkernen, Bucheckern und Grassamen gefüllt. So konnten die Mäuse auch einen kalten Winter überstehen. Es gab einen Bereich, wo die Mäuse ihre Mahlzeiten einnahmen. Die Schlafstätten waren nicht in jeder Höhle gleich. Es gab Familien, da schliefen alle Mäuse in einer gemeinsamen Höhle auf weichem Moos. In anderen Unterkünften – wie bei Lillys Familie – hatten die Kinder ihre eigenen Schlafplätze.
Nach dem Mittagsschlaf liefen die Mäusejungen wieder in den Wald, während Lilly zu Fips sprang. Als sie beim Maushaus angelangt war, wartete Fips schon ungeduldig: „Gehen wir wieder spielen?“
„Ja, gerne“, antwortete Lilly. „Ich kenne einen sehr schönen Platz zum Spielen.“
„Ist es weit?“, wollte Fips wissen.
„Lass dich überraschen“, flüsterte Lilly und dabei lächelte sie vielsagend. Nach einem Stück Weg durch den Wald gelangten sie zu einer Lichtung. Es war eine wunderschöne Blumenwiese, die übersät war mit Gänseblümchen und kleinen pinkfarbenen Glockenblumen. Fips war völlig überrascht, solch eine Wiese im Wald zu entdecken. Beide Mäuschen rannten gleichzeitig los. Sie sprangen in der Wiese herum, fielen hin, kugelten sich und sprangen wieder auf die Füße. Die Blumen verströmten einen feinen Geruch und kitzelten die kleinen Nasen der Mäuschen. Fips musste immer wieder niesen. Sie rannten hin und her, bis sie vor Müdigkeit ins Gras sanken. Lilly stimmte ein kleines Liedchen vom Käfer mit den schwarzen Punkten an und Fips schlummerte friedlich ein. Lilly blickte zum Waldrand und entdeckte zwei spielende Eichhörnchen ganz in ihrer Nähe. Aber die beiden waren so mit sich beschäftigt, dass sie die Mäuschen im Gras nicht bemerkten. Auch Lilly kämpfte mit dem Schlaf. Sie versuchte, wach zu bleiben. Denn wenn sie beide einschliefen, konnte es leicht passieren, dass ein Raubvogel, vielleicht ein Mäusebussard, sie entdecken und jagen würde. Aufmerksam beobachtete sie den Himmel. Aber heute war nichts zu sehen.
Nach einer Weile weckte sie Fips. Der blinzelte verschlafen und fragte: „Was ist passiert?“
„Nichts“, beruhigte ihn Lilly, „aber es ist schon spät und wir sollten heimgehen, bevor die Käuzchen erwachen.“
Auf dem Heimweg zeigte Lilly Fips einige Pflanzen und Kräuter und erklärte, was sie bewirken.
„Was du alles weißt“, lobte Fips.
„Hab ich von meiner Mama gelernt. Ich erzähle dir gern alles, was ich weiß.“
So kamen sie munter plaudernd bei Fips Wohnung an.
Murmel Maus wartete schon auf die beiden Mäusekinder. „Gut, dass ihr zurück seid. War es schön? Ich habe eine kleine Stärkung für euch.“ Und damit schob sie den beiden ein Schälchen mit Milch hin.
Fips schwärmte: „Was Lilly alles weiß, Mama. Sie kennt jede Pflanze und wir waren auf einer Wiese mit gelben und blauen Blumen.“
Kaum hatte Lilly die Milch getrunken, verabschiedete sie sich: „Dann bis morgen.“
„Bis morgen“, rief Fips und winkte ihr hinterher.
Lilly drehte sich um und fragte: „Möchtest du nicht mal meine Familie kennenlernen?“
„Ich weiß nicht“, piepste Fips.
„Überleg es dir“, meinte Lilly. Dann lief sie davon.
Lilly hüpfte und trällerte ein Liedchen dabei. Und in Nullkommanichts war sie zu Hause angelangt.
„Na, Lilly, du freust dich ja so“, sagte ihre Mutter.
„Ich hatte einen wunderschönen Tag“, erwiderte Lilly.
„Willst du mir nicht erzählen, was du Schönes erlebt hast?“, hakte die Mutter nach.
Lilly wollte gern, aber sie hatte doch versprochen, nichts zu erzählen. Eine Weile druckste sie herum. Dann schlich sie ganz nah zu ihrer Mutter und flüsterte: „Darf ich dir ein Geheimnis anvertrauen? Du darfst aber niemandem davon erzählen.“
„Ja, Lilly“, sagte die Mama, „du machst mich ganz neugierig. Wenn du möchtest, bleibt es natürlich unser Geheimnis.“
Überglücklich umarmte Lilly ihre Mama und dann sprudelte es nur so aus ihr heraus. Sie erzählte, wie sie Fips und seine Familie kennengelernt hatte und was sie heute alles zusammen erlebt hatten. Zwischendurch runzelte die Mama die Stirn, besonders als sie von dem nächtlichen Ausflug ihrer Tochter erfuhr. Sie freute sich, dass Lilly einen neuen Freund gefunden hatte. Aber sie nahm Lilly auch das Versprechen ab, nie wieder alleine nachts das Haus zu verlassen. Lilly versprach es. Sie hatte noch so viele Fragen an die Mama. Sie wollte auch wissen, ob sie Fips morgen einladen dürfte. Die Mama erlaubte es und wollte auch die ganze Familie von Fips kennenlernen.
Am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück rannte Lilly zu Fips. Fips wartete bereits auf sie. Bevor sie jedoch losstürmten, überbrachte Lilly die Einladung für die ganze Familie für den Nachmittag. Ehe Murmel Maus etwas erwidern konnte, hatte Lilly Fips bei der Hand genommen und sie waren davongerannt.
„Kinder“, dachte Murmel und freute sich, dass ihr Fips eine so nette Freundin gefunden hatte. Dann widmete sie sich ganz dem Besuch bei Lillys Eltern. Oh sie musste noch viel vorbereiten.
Derweil waren Lilly und Fips unterwegs. Heute wollte Lilly ihm was Neues zeigen. Sie kannte eine schöne Stelle, wo ein lustiger Buntspecht wohnte. Das war am Waldesrand. Sie hatten einen ziemlich langen Weg vor sich. Es ging vorbei an Brombeerhecken und Walderdbeeren. Das Gras war teilweise so hoch, dass die beiden Mäuschen von niemandem gesehen werden konnten.
Schon von Weitem hörten sie das Klopfen des Buntspechts. Er holte sich seine Lieblingsspeise aus den Baumstämmen. Er mochte die Würmchen und Käfer besonders gern. Lilly kannte ihn gut.
Als der Specht die beiden Mäuschen erblickte, kam er heran und setzte sich vor sie auf einen umgefallenen Baumstamm. Der Specht war neugierig: „Hallo, Lilly. Wer ist dein neuer Freund?“
„Das ist Fips“, erzählte Lilly stolz.
Der Specht betrachtete Fips und als er seinen kurzen Schwanz sah, wurde er nachdenklich. „Gibt es noch mehr von deiner Sorte?“
„Wir sind vier“, antwortete Fips.
„Erst heute Morgen habe ich fünf Mäuse mit einem kurzen Schwanz am Waldrand gesehen.“
„Wo war das?“, rief Fips aufgeregt. „Wie sahen sie aus?“
„Also“, sagte der Specht, „wie sollen sie schon ausgesehen haben. Mäuse sehen sich alle ein wenig ähnlich. Aber es war eine ziemlich alte Maus, zwei Erwachsene und zwei Kinder.“
Da hielt es Fips nicht mehr aus. Er umarmte Lilly und piepste ganz aufgeregt: „Das waren mein Opa und meine Tante Molly mit ihrer Familie. Ich bin mir ganz sicher. Wo hast du sie gesehen, lieber Specht? Wir müssen sie finden.“
„Immer mit der Ruhe“, war der Specht zu vernehmen. „Sie huschten hier durch den Wald in Richtung des Fichtenwäldchens.“
„Wir müssen zu ihnen. Bitte hilf uns suchen“, bat jetzt auch Lilly.
„Ist gut“, antwortete der Specht. „Ich fliege voraus und ihr folgt mir am Boden. Gemeinsam werden wir sie schon finden.“
Und genauso machten sie es.
Es verging eine Stunde, in der sie dem Specht folgten. Endlich hörten sie das ausgemachte Klopfzeichen des Spechts. Er hatte die Mäuse tatsächlich entdeckt. Schnaufend kamen Lilly und Fips zu der Stelle, an der der Specht bereits auf sie wartete.
Schon aus der Ferne erkannte Fips seine Tante Molly. Er rannte so geschwind, dass er über seine Beine stolperte, hinfiel und der Tante genau vor die Füße rollte.
„Fips“, rief Tante Molly. „Wo kommst du denn her? Wo sind die anderen?“ Sie drückte und herzte den armen Fips so sehr, dass er kaum noch Luft bekam.
Der Opa klopfte Fips auf die Schulter: „Gut gemacht, mein Junge.“ Fips’ Vettern tanzten um ihn herum und dann erblickten sie Lilly.
„Wer ist denn die?“
Stolz präsentierte Fips: „Das ist meine Freundin Lilly. Kommt schnell mit. Mama wird sich freuen.“ Doch so schnell ging es nicht. Die Mittagssonne brannte herunter und der Weg für die erschöpfte Familie wäre zu anstrengend gewesen.
„Am besten lauft ihr beide heim und holt die anderen“, schlug Tante Molly vor. „Wir warten hier auf euch.“
Der Specht bot an: „Ich fliege mit euch, damit ihr sicher ankommt.“
Lilly und Fips liefen, so schnell sie konnten, und der Specht flog, so langsam er konnte. Als die Mäuse endlich daheim ankamen, war es schon spät. Zuerst erreichten sie Lillys Heim.
Die Mama wartete schon: „Wo ward ihr so lange? Mittagszeit ist längst vorüber. Und bist du Fips?“, fragte sie Fips.
„Keine Zeit“, rief der Mäuseknabe. „Muss heim. Ist was passiert.“
„Ich muss ihn begleiten“, schrie Lilly. „Erkläre dir gleich alles.“ Die Mama schüttelte den Kopf und rannte den beiden hinterher.
Kurz vor seinem Elternhaus rief Fips: „Wir haben sie gefunden. Sie sind hier!“
„Wer ist hier? Ich sehe nur eine Frau Maus“, antwortete Murmel.
„Nein, Tante Molly, Opa und die Vettern. Wir haben sie entdeckt.“
„Das stimmt“, mischte sich Lilly ein.
„Kommt alle rein“, bat Murmel.
In der Höhle erzählten Lilly und Fips dann, wie der Specht sie auf die Spur der verlorenen Familienmitglieder gebracht hatte. In der Höhle wurde nun getanzt und gejubelt. Später machten sich die Mausfamilie sowie Lillys Familie auf den Weg, um die restlichen Familienmitglieder aus ihrem Unterschlupf abzuholen. Nur Oma Maus blieb daheim und bereitete ein Festessen vor.
Am Fichtenwäldchen angekommen, lagen sich alle in den Armen – Familie und neue Freunde. Gemeinsam gingen sie nach Hause. Schon unterwegs musste Molly berichten, wie sie das eingestürzte Haus verlassen und dem Fuchs entkommen waren.
Zu Hause angekommen, wurden Fips und Lilly als Helden gefeiert, die die Familie gefunden und zurückgebracht hatten. Alle waren überglücklich. Fips und Lilly aber waren besonders stolz aufeinander und versprachen sich ewige Freundschaft.