Читать книгу Die Schuld himmelblauer Erdbeeren - Sabine Sommer - Страница 6
ОглавлениеProlog
Ich bin keine Frau, die mit leichtem Gepäck reist.
Zu ernst ist es mir mit jedem Ort, den ich besuche. Zu professionell arbeitet mein Radar mit dem Seismographen zusammen, um mir zuverlässig all jene Gefahren zu melden, die mein fein austariertes Gleichgewicht ins Kippen bringen könnten. Ich brauche Sichtbarkeit, wo keine ist und beruhige mich erst, wenn meine Zukunft zu einer Erinnerung wird, dank der ich meine Postkarten bereits Wochen vor der eigentlichen Abreise verschicken könnte.
Allerdings währt die Ruhe auch dann nur kurz. Denn nun gilt es, die Gegenmittel der erurierten Gefahren in meine riesige Tasche zu packen. Jene Tasche, über die mein Orthopäde kürzlich sogar meinte, sie würde mir eines Tages eine schiefe Hüfte bescheren. Doch das ist mir egal. Denn mal ehrlich - was ist schon solch ein kleines, deformiertes Körperteil gegen das Glück, das Leben unter Kontrolle zu haben? Der Hüftdoktor braucht ja schliesslich nicht zu wissen, dass mein zwanghaftes Ich auch dann zentnerschweren, portablen Nestbau betreibt, wenn es nur mal schnell den örtlichen Spielplatz oder das Pass-Büro aufsucht.
Nun kann man sich ja leicht vorstellen, was mit mir geschieht, wenn es sich bei den fremden Gefilden eben nicht einfach um den Spielplatz, sondern um eine Flugreise handelt. Richtig! Meine Angst, etwas Wichtiges übersehen zu haben, schellt so in die Höhe, dass ich erst wieder richtig atme, wenn ich auf einen der harten, kleinen Hocker in der Transitzone des Flughafens sinke.
Ach, ich liebe Transitzonen!
Nirgendwo strahlen Menschen mehr von dieser lässigen Gleichgültigkeit aus, die mir so fremd ist. Nur an diesem Ort blinkt auf jeder Stirn das Prädikat: „Führt ein aufregendes Leben!“, weil die Blackbox des Transits, alle Arten von Herkunft, Geschichte und Ziele verschluckt, sodass alles möglich ist. In dieser Zone ist Identität keine feste Größe mehr, sondern ein Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten.
Mit verstohlenem Neid beobachte ich, wie unaufgeregt sich das Warten der Anderen gestaltet.
Wie winzig ihr Handgepäck ist, in dem mit Sicherheit nur ein halber Kaugummi Platz haben kann. Keinen außer mir, scheint es nervös zu machen, auf dem Weg ins Ungewisse zu sein. Stoisch lesen sie irgendwelche komplexe Zeitungen, während ich in dieser Extremsituation höchstens zur Lektüre einer großzügig bebilderten Illustrierten fähig bin.
Während auf der sorgfältig gepuderten Haut der Anderen kein einziger Schweißtropfen glänzt und ihre Kleidung auch nach stundenlangem Warten frisch gebügelt scheint, durchwühle ich schweissgebadet alle paar Minuten mein Handgepäck – so hektisch wie ein pubertierender Maulwurf seinen Erdhaufen. Jedes Mal fliegt dabei etwas zu Boden. Natürlich nie das, wonach ich suche. Nur erneut das Buch „Abnehmen in drei Wochen“, dass ich noch schnell zum halben Preis am Kiosk ergattert hatte. Sodass ich immer mehr ins Schwitzen komme, noch mehr pubertierenden Maulwurf spiele, bis ich verblüfft feststelle, dass das Gesuchte zuoberst auf dem Haufen liegt.
Elegant? Kosmopolitisch? Sexy? Nein. Nicht wirklich. Aber ich.
Doch das Erstaunliche ist: Sobald all die geheimnisumworbenen Menschen im Flugzeug sitzen und es keine Frage mehr ist, wo ihr Ziel liegt, sobald sie alle die gleiche in Plastik eingeschweißte, scheußlich schmeckende Mahlzeit verschlingen und ihre perfekt gepuderte Haut zu glänzen beginnt, fällt der ganze Glamour von ihnen ab.
Plötzlich sind das nur noch stinknormale Menschen, mit genau einem Ziel: Ankommen. Landen. Wieder sicheren Boden unter den Füssen haben. Nicht länger der Willkür eines fremden Piloten ausgesetzt zu sein.
Und genau dieses Phänomen ist es, das mir in meinem echten Leben auch widerfahren ist.
Das meine Beziehungen zu meiner ganz persönlichen Transitzone haben werden lassen.
In meiner Ehe mit Tom, meiner Freundschaft mit Mareike und – vor allem - mit mir selbst.