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Erik

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Carolin und ich stehen im Wohnzimmer und halten uns umschlungen. Das war ein blöder, unnötiger Streit. Ich hätte wissen müssen, dass sie die Pille nicht absetzen wird und ich will nicht in meiner kurzen Flitterwoche auch noch auf Sex verzichten müssen. Aber durch diesen Streit und ihre Engstirnigkeit habe ich jetzt kein schlechtes Gewissen mehr, weil ich ihr diesmal nicht nur eine Pille austauschte. In einer Woche findet unsere Hochzeit statt und ich will einfach, dass alles toll wird. Ich möchte das Gefühl haben, dass wir, wenn wir miteinander schlafen, es nicht nur zur Befriedigung tun, sondern auch mit der Gewissheit, eine Familie gründen zu wollen. Das ist doch wirklicher Zusammenhalt und Liebe! Das zeigt doch, dass man wirklich zusammengehört!

Ich höre Carolin leise sagen: „Erik, ich habe nie gesagt, dass ich kein Kind von dir haben will. Aber wenn es passieren soll, dann, wenn die Zeit reif ist. Jetzt ist sie es noch nicht. Wir wollen doch noch so viel machen.“

Offensichtlich spukt ihr das Thema auch noch im Kopf herum.

„Ich weiß“, kann ich nur antworten und lasse das Thema lieber fallen. Es wird passieren, wenn es passieren soll.

Aber dies ist der vierte Monat mit einer manipulierten Pille. Bisher war es nur eine einzige Pille gewesen, die ich gegen das Eisenpräparat austauschte. Jetzt habe ich halt die Taktzahl ein wenig erhöht.

Mein Gewissen puscht nun doch ein wenig hoch und ich beeile mich zu sagen: „Lass uns das Ganze vergessen und nur noch daran denken, dass wir in einer Woche heiraten werden. Ich freu mich so sehr darüber und vor allem freue ich mich auf die Woche danach.“

Carolin drängt sich aus meiner Umarmung und sieht mich verschmitzt an. „Wenn ich diesen Monat die Pille nicht mehr nehme, sagst du mir dann, wohin wir fahren?“

Ich stutze. Ist das ihr Ernst? Soll ich meinen Überraschungseffekt gegen ihre Pille eintauschen?

„Ja!“, sage ich wie aus der Pistole geschossen und Carolin lacht laut auf. „Ach Schatz! Nein, nein, nein. Ich lasse mich lieber überraschen.“

Sie kann so grausam sein.

Ich packe sie mir und hebe sie auf meine Arme. Nun bin ich froh, dass ich ihre Pille austauschte. Sie quiekt lachend und windet sich in meinen Armen, als ich sie ins Schlafzimmer trage. Dort lasse ich sie unsanft ins Bett plumpsen und schiebe mich über sie. „Fräulein Maddisheim, angehende Frau Zeiss-Clarkson, … so nicht! Ich werde ihnen beibringen, was es heißt, ihren angehenden Ehemann hinters Licht führen zu wollen.“

Carolin grinst schelmisch und zieht mir mein T-Shirt hoch, um es mir auszuziehen.

„Und dann auch noch so gierig!“, knurre ich und spüre, wie sehr ich sie schon wieder will. Ich freue mich so unglaublich auf diese Woche Sonne, Meer und Strand, dass ich es schon gar nicht mehr abwarten kann. Es wird unglaublich und wir werden uns den ganzen Tag lieben.

Ich schiebe mich noch dichter auf sie und küsse sie, ihren Kopf in meine Armbeuge nehmend, damit sie mir nicht entkommen kann.

Sie sieht mich ernst an, als ich den Kuss beende und ich werde stutzig. Ihre Augen funkeln mir entgegen, als sie flüstert: „Erik, weißt du, dass ich dich über alles liebe?“

Ich bin von ihrer plötzlichen Liebesbekundung betroffen. Leise und meinen Blick über ihr Gesicht laufen lassend, erwidere ich: „Ich liebe dich auch. Und in einer Woche sind wir sogar verheiratet. Ein Leben lang.“

„Ja, ein Leben lang und darüber hinaus.“

Sie hatte schon einmal gesagt, dass uns nicht mal der Tod trennen kann. Ich finde den Gedanken unglaublich tröstlich.

Allerdings scheint sie mit ihrer großspurigen Liebesbekundung etwas anderes bezwecken zu wollen. „Was hat dein Vater heute eigentlich damit gemeint, dass er sich gekümmert hat und du ihm nicht böse sein sollst?“, fragt sie wie nebenbei.

Ich lasse mich zur Seite fallen, um sie nicht zu sehr mit meinem Gewicht zu belasten, behalte sie aber in meiner Armbeuge und lege meinen anderen Arm über ihren Oberkörper, als müsse ich sie festhalten. Dass sie jetzt darauf zu sprechen kommt, passt mir gar nicht.

„Ach, ich weiß nicht genau. Es geht um Samstag und unsere Hochzeit.“

„Was?“ Carolin sieht mich beunruhigt an. „Wie, um unsere Hochzeit?“

„Keine Sorge. Es ist alles wie gehabt. Er hat halt nur irgendwas gedreht … wegen dem Raum. Was weiß ich. Ist mir auch egal, in welchem Raum wir heiraten. So eine Standesamtliche Trauung geht nicht lang. Du weißt doch, was der Standesbeamte sagte. Wir gehen dort hin, setzen uns, Daniel gibt ihm unsere Ringe, es werden die Namen und Daten abgeklärt, er macht seinen Spruch und wir geben uns das Jawort und fertig. Ringe anstecken, küssen, unterschreiben, Abgang“, sage ich im lapidaren Tonfall, als würde ich den Hergang von einem Drogendeal schildern.

Carolin holt aus und wischt mir durch mein Haar, mich böse anfunkelnd. „Sooo! Mal eben auf die Schnelle! Und damit meinst du, kriegst du mich?“

Ich schiebe mich wieder dichter an sie heran und raune: „Ich habe dich doch schon. Du warst mit mir da und hast den Termin bestätigt. Jetzt kommst du aus der Nummer nicht mehr raus.“

Sie lacht auf. „Das will ich auch gar nicht. Es ist gut so wie es ist.“

Das kann ich nur bestätigen.

„Weißt du, Schatz“, raune ich leise und senke mein Gesicht in ihre Haare, damit sie mich nicht ansehen kann. „Mir geht dennoch ganz schön die Düse. Ich bin echt froh, wenn der Rummel vorbei ist und wir beide das überstanden haben und unsere Hochzeit allein weiterfeiern können.“

„Allein weiterfeiern?“, fragt sie leise und ich spüre ihre Hand, die sich in meine Haare schiebt und mich streichelt, als müsse sie mich beruhigen oder trösten. Mir entrinnt erneut ein tiefer Seufzer, bevor ich antworte: „Ja, wenn ich endlich mit dir allein bin und uns keiner mehr beobachtet, schaut wie wir uns verhalten und aufpasst, dass wir uns nicht danebenbenehmen oder etwas schiefgeht. Meine Eltern sind so überdreht wegen der Hochzeit und planen und planen. Sie tun, als würden sie heiraten. Und deine Eltern rufen auch ständig an. Ich glaube, die sind alle voll der Meinung, das muss eine Jahrhunderthochzeit werden. Und davor habe ich ein bisschen Angst. Weil es doch unsere Hochzeit ist und eben keine Jahrhunderthochzeit.“

Carolins Hand krault weiter durch mein Haar. „Ach Erik“, höre ich sie genauso leise antworten. „Mach dir keine Gedanken. Gerade weil es unsere Hochzeit ist, spielt es keine Rolle, ob das Auto auf dem Weg zum Standesamt stehen bleibt, ich in eine Pfütze falle, das Standesamt abbrennt oder unsere Gäste allesamt in einem Stau stecken. Das Einzige, was klappen muss, ist, dass wir beide und der Standesbeamte irgendwo zusammentreffen, er sein Sprüchlein macht und wir beide unser Ja geben können. Und unterschreiben müssen wir auch noch unbedingt. Alles andere ist egal. Ob es nun sinnflutartig regnet und wir klitschnass heiraten oder sonst was passiert … es ist nur wichtig, dass wir diese eine Sache hinbekommen. Okay? Und nur uns muss gefallen, was wir tun und niemandem sonst. Denn es ist unsere Hochzeit.“

Ich sehe auf und in Carolins Augen. Oh Mann, sie hat recht. Und sie will nur mein Ja und ich nur ihres. Alles andere kann neben uns abbrennen oder im Sturm untergehen.

„Und dann fahren wir mit dem Auto deiner Eltern zum Saal“, fährt sie fort. „Obwohl ich auch lieber den Mustang genommen hätte. Aber auch das spielt letztendlich keine Rolle, weil wir dann schon das Einzige getan haben, was für uns wichtig ist. Wir haben uns für immer aneinandergebunden. Und auch wenn das Essen nicht schmecken sollte: egal. Oder wenn die Band scheiße ist: egal. Das nächste wichtige, dass wir erreichen müssen, ist, dass wir pünktlich zu unserem Flieger kommen, um dem Ganzen zu entfliehen. Ah, ich habe allerdings noch eine ganz wichtige Aufgabe, die ich natürlich nicht vergeigen darf.“

Ich sehe sie verunsichert an, weil ich nicht weiß, was sie meint. Was könnte dann noch wichtig sein?

Sie sieht mich schelmisch an und um ihren Mundwinkel liegt ein Schmunzeln. „Ich muss den Brautstrauß so werfen, dass Ellen ihn fängt. Sonst werde ich es nicht mal bis zum Flieger schaffen, ohne geluncht zu werden und du wirst früh Witwer. Aber das ist zu dem Zeitpunkt alles, was unbedingt klappen muss … und das ist allein meine Aufgabe.“

Ich weiß, sie will mich beruhigen und mir meine Angst nehmen. Eine dumme Angst, wenn man mal bedenkt, dass ich schon ein Messer in die Schulter gejagt bekam, angeschossen wurde und mich ein Pulk Drogendealer vertrimmte, dass ich dachte, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Aber diese Hochzeit macht mich einfach schrecklich nervös. Ich habe schon etliche Drogendeals in meinem Leben hinter mich gebracht, so oft bei den unberechenbarsten Typen Geld eingetrieben … aber noch niemals geheiratet. Und Carolin streicht mir über die Wange und will mich einfach nur aufmuntern und mir das ungute Gefühl nehmen.

„Und Dienstag ist alles geklärt?“, frage ich dennoch verunsichert.

„Das regeln meine Eltern. Mach dir keine Gedanken“, sagt Carolin. „Die Männer waren heute schon los und haben bei unserem Nachbarn im Wald eine Tanne gefällt und einen ganzen Anhänger voll Tannengrün nach Hause gekarrt. Und die Frauen haben sich um die Blumen gekümmert. Deine Eltern sind jetzt bestimmt auch da. Die werden sich noch wundern!“ Carolin kichert belustigt.

Ich schiebe meinen Kopf weiter an ihre Hand, die einen Augenblick aufgehört hatte, meine Haare zu durchfurchen. Ich liebe das. Es beruhigt mich.

„Ich habe das Ganze noch gar nicht richtig kapiert“, sage ich leise.

Carolin erklärt lächelnd: „Da gibt es nicht viel zu verstehen. Die Nachbarn des Elternhauses treffen sich, holen Tannengrün aus dem Wald, binden Blumen aus Krepppapier und binden aus dem ganzen Zeug einen Kranz für die Tür des Saals. Dabei wird ordentlich getrunken und gefeiert.“

„Und warum müssen wir erst Dienstag dort hin und nicht heute?“

„Weil sie heute nur vorbereiten. Die Männer holten das Tannengrün aus dem Wald und die Frauen machten die Blumen. Das Zusammenbinden des ganzen Kranzes ist dann am Dienstag. Und da fahren wir dann auch hin und bringen ihnen Süßigkeiten und Schnaps.“

„Oh Mann, ihr habt ja Sitten!“

Carolin lacht auf und meint belustigt: „Das werden deine Eltern auch denken, wenn sie heute dort mitmachten. Ich fand es schon lustig, wie dein Vater sich auf seine Waldtour vorbereitete hatte. Der war in voller Wandermontur oder als wolle er einen Berg erklimmen.“

Ich muss auch lachen. Schließlich besitzen wir einige Sportbekleidungsgeschäfte, wo diese Art von Trekkingbedarf fast eine ganze Abteilung einnimmt.

„Mein Vater ist sowieso völlig aus dem Häuschen. Der kann bestimmt nicht mehr schlafen, weil ich heirate!“

Carolin sieht mich ernst an. Leise raunt sie: „Ich finde es süß, wie sehr er jetzt alles für dich tut, damit es dir gut geht.“

Ich kann mir ein bitterböses: „Das hätte er mal vor zwanzig Jahren anfangen sollen“, nicht verkneifen. Aber ich bin nicht mehr wütend auf meine Eltern. Ich hatte viel im letzten Jahr dazugelernt. Ich musste selbst erkennen, dass man nicht immer die Chance hat, das, was man liebt, zu beschützen. Wenn die Mühlen erst mal mahlen, kann man die Dinge oftmals nicht mehr aufhalten und ist sogar dazu verdammt, das Geschehene nur noch hinnehmen zu können. Und ich musste auch erkennen, dass man schnell mit der Situation überfordert ist und unter Umständen dann das Falsche tut, weil man die Situation falsch einschätzt. Meine Eltern glaubten damals, dass ich mich nach meiner Entführung durch mein Kindermädchen von ihnen zurückzog, während ich dachte, dass sie mich nicht mehr wollen und mögen, wie mir das diese Daniela eingebläut hatte. Und ich hatte bei Carolin, als sie sich im Krankenhaus so lange vor mir verschloss, gedacht, sie will mich nicht mehr, weil sie wegen Tim trauerte. Dabei glaubte sie, ich würde sie nicht mehr wollen und meinte deshalb, nicht mehr ins Leben zurückkehren zu können. Ich hatte viel Lehrgeld aus dieser Sache gezogen. Wir alle! Und jetzt ist mein Verhältnis zu meinen Eltern erträglich.

Ich bin froh darüber, obwohl ich mir mein Leben lang eingeredet habe, dass ich sie nicht brauche und sie mir völlig gleichgültig sind.

Carolin krault mich weiter, ohne auf meinen Einwand zu antworten. Darum erkläre ich: „Aber ich bin froh, dass sie das alles mit deinen Eltern in die Hand genommen haben. Ich hätte nicht gewusst, was wir bei der ganzen Sache bedenken müssen.“

„Ich bin auch froh. Mir reicht, dass wir das Paar sind, das heiratet. Mit dem anderen Stress wäre ich echt überfordert. Und unsere Eltern verstehen sich wirklich gut. Wer hätte das gedacht?“

„Ja, das tun sie“, kann ich nur zustimmen und schiebe meine Hand unter ihren Pullover. „Aber es gibt etwas, das schaffen wir ganz allein“, grinse ich und sie fragt, sich dumm stellend: „Echt! Was denn?“

„Das zeige ich dir jetzt“, sage ich und küsse sie, meinen Griff um sie wieder verstärkend. Ich will sie für mich … ein Leben lang.

Am Dienstagabend fahren wir zu Carolins Eltern. Meine Eltern sind auch da, was mich ein wenig irritiert. Sie nehmen sich wirklich viel Zeit für diese Kranzbindegeschichte und ich merke an diesem Abend schnell, warum. Die beiden haben dabei sichtlichen Spaß.

Carolin stellt mich allen Anwesenden vor und ich sehe mich lauter älteren, gestanden Bauern mit ihren Frauen gegenüber, die, wie ich feststellen muss, nicht nur überaus nett sind, sondern auch trinkfest. Und das, was sie da zusammenbinden, überwältigt mich. Vollkommen verdattert stehe ich vor einer bestimmt schon zehn Meter langen, vollkommen gleichmäßig gebundenen, bestimmt dreißig Zentimetern dicken grünen Schlange, die rundum mit rotweißen Blumen geschmückt ist, die sich in genau eingehaltenen Abständen um die Tannenschlange winden. Unglaublich!

Ich reiche die Süßigkeiten herum, während Carolin den Job mit dem Jägermeister, Sahnelikör und Kirschlikör übernimmt und immer wieder einen mittrinken muss. Ich beobachte sie dabei und sehe sie wirklich sehr ausgelassen mit ihren alten Nachbarn umgehen. Diese Art ihrer Welt war mir bisher verborgen geblieben. Wie so vieles. Ich habe heute das erste Mal ihr Kinderzimmer gesehen. Wir waren kurz hochgelaufen, weil sie mir ihr altes Reich zeigen wollte, bevor wir auf die riesige Terrasse gingen, auf der das Kranzbinden stattfindet. Mir schoss natürlich gleich, dass dies Tims und Marcels Welt war. In ihrem Bett hatte sie mit Marcel das erste Mal Sex gehabt. Eine bittere Pille für mich, weil für mich Carolins Vergangenheit ein Graus ist. Sie hätte mir von Anfang an gehören sollen, und jeder, der sie jemals angefasst hat, ist für mich ein unerträglicher Gedanke.

Aber draußen, bei den schwer arbeitenden Kranzbindern, die das machen, als täten sie nie etwas anderes, vergesse ich das alles schnell wieder. Und ich finde heraus, was das ganze Grün an Ort und Stelle hält. Eine der älteren Frauen erklärt es mir, während sie auf einem Stuhl sitzt und das Tannengrün von Carolins Mutter und die Blumen von meiner Mutter entgegennimmt. Etwa drei Meter entfernt sitzt eine weitere Gruppe und machte es ihnen gleich.

„Man nimmt ein Seil …“, erklärt mir die Frau mit geröteten Wangen und schon etwas glasigen Augen, weil wohl schon einiges getrunken wurde, „das so lang ist, wie man den Kranz haben will. Wir haben uns fünfzehn Meter vorgenommen.“ Sie grinst und ich schaue auf die grüne Schlange zwischen den Gruppen, die sich schon zu einer Serpentine über das rote Pflaster der Terrasse schlängelt. „In der Mitte macht man einen Knoten und dann geht es los. Zwei Gruppen arbeiten gegeneinander und befestigen mit Draht das Tannengrün und die Blumen um das Seil herum. Schau, es ist nicht mehr viel, was wir noch machen müssen.“

Ich hebe das Stück Seil hoch, das noch ungebunden von ihrem Schoß fällt. Noch gut zwei Meter sind zu schaffen. Die andere Seite hat noch ein wenig mehr.

Dass die sich so viel Stress für mich machen, kann ich nicht fassen. Und sie kennen mich nicht mal.

Ich reiche ihnen die Pralinenkisten und sie greifen beherzt zu, bevor ich zu den Männern gehe, die immer neues Tannengrün vom Anhänger holen, vor dem ein imposanter, riesiger Trecker steht.

„Was ist das denn, Erik? Willst du uns vertrocknen lassen?“, ruft einer und ich bin etwas irritiert, als Carolin hinter mir erscheint und lacht. „Dafür bin ich da! Erik ist für das Essen zuständig und ich für den Spaß.“

Die Männer springen von dem Anhänger und gesellen sich lachend und Sprüche klopfend um Carolin, die ihnen einschenkt, was gerade gewünscht wird.

Ich nehme mir ein alkoholfreies Bier und stoße mit ihnen an. Mein Vater taucht hinter dem Trecker auf und grinst, während er fröhlich in der Runde aufgenommen wird.

Er war doch nicht irgendwo im Grünen pinkeln?

Ich sehe ihn überrascht an und er zwinkert mir zu, als wüsste er, was ich denke.

„Komm, Walter. Ein unglaublich gut geratenes Bürschchen hast du da. Kein Wunder, dass unsere Carolin sich den gleich gegriffen hat“, meint einer und schlägt meinem Vater auf den Rücken.

„Ich weiß! Ich weiß!“, sagt der und kippt sich den Jägermeister in den Hals, den Carolin ihm reichte.

Heute fährt wohl meine Mutter, da sie am Samstag angeblich schon wild gezaubert hatte. Zumindest war mir so etwas in der Arbeit zu Ohren gekommen. Sie hatte das angeblich selbst dort zum Besten gegeben.

Ich sehe mir das Ganze mit etwas gemischten Gefühlen an. Dass meine Eltern so sein können, hätte ich niemals für möglich gehalten. Aber vielleicht kenne ich sie einfach nicht richtig, genauso, wie sie mich nicht kennen.

In dem Moment ruft Carolin laut gegen das illustre Stimmengewirr an: „Ich habe den gleich verhaftet und jetzt bekommt er lebenslänglich.“ Dabei lacht sie und alle lachen mit.

Ich sehe sie verdattert an. Cooler Spruch. Bloß das eigentlich ich es war, der sie verhaftet hatte. Es hatte mich viel Einsatz und Nerven gekostet, ihr dieses „Lebenslang“ aufzubrummen. Aber ich finde es süß, dass sie mich hier so hochhebt. Und dann sieht sie mich an und wirft mir einen Luftkuss zu.

Ich kann nicht anders. Ich schiebe mich an den Männern vorbei, die zwischen uns stehen. Mit einer Hand die offenen Pralinenkisten ausbalancierend, greife ich sie mir und küsse sie.

„Uuuuh, und so leidenschaftlich. Nah kein Wunder!“, ereifert sich einer lachend und alles grölt mit.

Das ist eine Welt, die sich um nichts schert und ich fühle mich hier eigentlich ganz wohl.

Als wir spät am Abend wieder wegfahren, habe ich das Gefühl, auf einen wirklich netten Menschenschlag getroffen zu sein. Freitag wollen sie den Kranz aufhängen und ich habe fest vor auch Anwesend zu sein und ihnen zu helfen. Ich darf das, haben sie gesagt. Weil ich so ein netter Bursche bin.

Ihre offenen Freundschaftsbekundungen machten mich so manches Mal verlegen. Außerdem habe ich schon lange nicht mehr so gelacht, wie an diesem Abend. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass diese Leute mich wirklich mögen.

Freitag werde ich Daniel mitnehmen. Der soll diese lustigen Leute, die sich so viel Arbeit für mich und Carolin machen, auch kennen lernen. Der wird mir gar nicht glauben, dass die selbst den Kranz gebunden haben und sogar meine Eltern mithalfen.

Ich finde es an diesem Abend seltsam aufbauend, meine Eltern wegen mir so ausgelassen und gut zufrieden zu sehen. Keiner weiß so gut wie ich, dass das nicht immer so war. Aber die Vergangenheit scheint an diesem Abend vergessen zu sein, und das ist gut so.

Am Freitag treffen wir uns alle vor dem Saal wieder und hängen den Kranz auf. Das droht erneut ein sehr feuchtes Unterfangen zu werden … und auch ein unglaublich lustiges. Auch diesmal lassen meine Eltern es sich nicht nehmen, dabei zu sein und Ellen und Daniel sehen dem Ganzen fasziniert zu.

Der Kranz umschließt die riesige Tür, wie bei meinen Eltern damals bei ihrer Silberhochzeit. Sie hatten den von einem Blumengeschäft anfertigen lassen. Dieser hier ist aber viel schöner und er reicht auf jeder Seite fast vier Meter auf den Parkplatz hinaus. Unglaublich! Und oben, in der Mitte der Tür, bringen sie ein Schild an, das zwei goldene Ringe zeigt, die ineinandergreifen und unsere Namen tragen.

„Donnerwetter!“, sagt Daniel beeindruckt und grinst mich an.

„Ja, echt Hammer!“, raune ich und fühle mich ein wenig ergriffen.

Carolin schlingt ihre Arme um meine Mitte und wirkt auch ein wenig gerührt, während Ellen zu Carolins Nachbarn sagt: „Wo muss ich hinziehen, um euch als Nachbarn zu bekommen. Ich will auch so etwas, wenn ich heirate.“

„Wenn du uns so nett versorgst wie dein Bruder, und deine Eltern wieder so tatkräftig ihren Einsatz leisten, dann machen wir dir auch einen“, meint eine Frau sofort und alle stimmen zu.

„Wir wären auf alle Fälle wieder dabei!“, ruft mein Vater und lädt alle in das Gasthaus ein. Das wird mit aufrichtiger Freude aufgenommen und der Abend erneut sehr lustig. Dabei vergesse ich ganz meine Unruhe wegen dem bevorstehenden großen Tag.

Ellen fährt uns weit nach Mitternacht nach Hause und Carolin und ich fallen todmüde und betrunken ins Bett. Es ist gut, dass der Alkohol meinen Verstand lahmlegt, sonst würde ich wahrscheinlich gar nicht schlafen können.

Als wir um zehn von dem Wecker geweckt werden, sind wir beide überrascht, dass wir so gut geschlafen haben. Ich nehme Carolin mit unter die Dusche, was sie zurückhaltend quittiert. Als ich sie an mich ziehe, bittet sie: „Schatz, nicht! Lass uns keinen Sex mehr vor unserer Hochzeitsnacht haben.“

Sie hat recht. Wir sollten uns das für heute Nacht lassen.

Wir frühstücken wenig später mit nur mäßigem Appetit, was einerseits an dem Alkoholkonsum des vergangenen Abends liegt und auch daran, dass wir beide langsam vor Nervosität durchdrehen. Danach räumen wir die Wohnung auf. Schließlich werden wir sie eine Woche lang nicht wiedersehen und ich habe darauf bestanden, dass alles ordentlich ist, damit wir uns wohlfühlen, wenn wir wieder von unserer Hochzeitsreise zurückkehren. Zumindest hatte ich das Carolin so dargelegt. Aber es gibt auch noch einen anderen Grund, den ich ihr verschweige.

Kurz vor Mittag machen wir uns auf den Weg zur Villa. Carolin hat noch ein volles Programm. Es kommt eine Friseurin, die ihr die Haare frisiert, und dann erfolgt das lange Ankleideprozedere.

Ich will in der Zwischenzeit mit Daniel noch einige Vorbereitungen treffen, was unsere Hochzeitsreise angeht, die nicht ganz gewöhnlich beginnen wird. Wenn ich auch zur Hochzeit selbst nicht viel beitrug, so habe ich einen festen Plan, was danach geschehen wird. Und Daniel ist eingeweiht. Aber um diesen Plan umzusetzen, muss Carolin in den festen Händen von Ellen, der Friseurin und meiner Mutter sein.

Daniel und ich fahren zu unserer Wohnung zurück und bereiten alles vor. Während ich noch die letzten Griffe erledige, flitzt Daniel in seine Wohnung, um sich umzuziehen und hochzeitsfertig zu machen.

Um zwei fahren wir zur Villa zurück. Nun bin ich an der Reihe.

Ich bin aufgeregt und mir ist übel. Was ich auch versuche, es wird immer schlimmer. Mir geht erschreckend der Arsch auf Grundeis und mir kommt seit langem mal wieder der Gedanke an eine Line.

Daniel grinst mich nur an. „Du wolltest es so“, sagt er schadenfroh und ich murre: „Ich will nur Carolin heiraten. Nicht das, was jetzt kommt …“

„Das gehört dazu und du hast schon Schlimmeres überstanden.“

Er hat eigentlich recht. Ich muss mich zusammenreißen.

Gerne würde ich zu Ellen hinüberlaufen und nach Carolin sehen. Wie es ihr wohl geht? Aber ich muss mich selbst anziehen und darf sie nicht eher sehen, bis Ellen es zulässt.

Die kommt gerade aus ihrem Reich und begrüßt Daniel, selbst schon wunderschön hergerichtet. Sie hat ein dunkelblaues Kleid an, das mit einem dunkelblauen Petticoat über ihren Knien aufbauscht. Es ist schulterfrei und neckisch am Rücken mit einer Schnürung auf Figur gebracht worden. Ihre Haare hat sie hochgesteckt und sie ist geschminkt. Daniel bleibt einen Moment fassungslos vor ihr stehen und schluckt schwer, und ich kann es kaum abwarten, Carolin endlich zu sehen.

Ellen hilft mir mit der Fliege und Papa kommt mit Manschettenknöpfen. Ich hätte auch welche gehabt. Die waren bei dem Hemd dabei. Aber Papas sind der Hit. Es ist ein E+C eingraviert.

„Poor, Danke!“, kann ich nur mit belegter Stimme raunen und er reißt mich kurz in seine Arme. „Bitte, mein Junge. Aber passende Manschettenknöpfe sind in unserer Familie ein Muss, wenn man heiratet.“

Wir sind alle etwas verlegen und mein Vater lässt uns wieder allein, weil er sich selbst noch umziehen muss.

Ellen hat noch etwas an meinen Haaren auszusetzen und versucht die widerspenstigen Locken über meiner Stirn in einem angedeuteten Seitenscheitel auf eine Seite zu bringen.

Mir wird immer übler.

Ellen huscht zu Carolin hinüber, die immer noch in der Obhut der Friseurin ist, die sie auch schminkt.

Mein Vater kreuzt wieder auf und sagt uns Bescheid, dass der Wagen bereitsteht.

Welcher Wagen? Ich dachte, wir nehmen den von meinem Vater?

Ich sehe Daniel verunsichert an, der nur grinst.

Tief durchatmend trete ins Treppenhaus, mir die Smoking Jacke über meine Weste ziehend, als bei Ellen die Tür aufgeht. Vorsichtig und schüchtern sehe ich Carolin heraustreten. Unsere Blicke treffen sich und mir stockt der Atem. Sie ist im wahrsten Sinne atemberaubend. Sie hat ein enges weißes Kleid an, das aus einer mit Perlen bestickten Korsage und einem bauschigen Rock besteht, der ihr vorne knapp über die Oberschenkel reicht und hinten in einer langen Schleppe bis zum Fußboden reicht. Durch ihre hohen, weißen Schuhe kommen ihre Beine unglaublich zur Geltung, die in einer seidigen Strumpfhose stecken, die Perlmutt schimmert. Ihre Schultern sind frei und sie trägt als Schmuck nur meine Kette und meine Ohrringe. Aber sie hat lange Handschuhe an, die ihr bis über die Oberarme reichen und genauso verziert sind, wie ihre Korsage. Ihre Haare sind an einer Seite hochgesteckt und fallen an der anderen in Locken bis auf ihre Schulter. In ihrem Haar glänzt ein Diadem.

Ich bin überwältigt und stehe nur da wie angewachsen.

Sie kommt langsam auf mich zu und sieht mir dabei in die Augen. „Schatz?“, haucht sie leise, als sie vor mir ankommt.

„Du bist wunderschön“, stammele ich und komme mir blöd vor.

„Du auch!“, sagt sie und ihre rosa Wangen werden noch einen Hauch farbiger.

Ich strecke ihr meine Hand entgegen, die sie nimmt. Ich kann nicht anders und hauche ihr einen Kuss auf ihre Finger. Dabei sehe ich, dass einer in einer Schlinge steckt, die den Armstulpen aus weißer Spitze über dem Handrücken an passender Stelle hält. Ihre Fingernägel sind weiß lackiert und zieren irgendwelchen kunstvollen Malereien mit winzigen Steinchen.

Mein Herz wummert dumpf in meiner Brust, als mir klar wird, dass es nun gnadenlos losgeht. Langsam gehen wir die Treppe hinunter, während ich Carolins Hand fest in meiner halte.

Meine Eltern stehen unten am Treppenabsatz und sehen uns entgegen. Während meine Mutter mich anstarrt, lächelt mein Vater Carolin an.

Ich verstehe seinen hingerissenen Blick. Carolin ist wirklich unglaublich schön und ich wage nicht Daniel anzusehen, solange wir auf der Treppe sind. Aber ich will seinen Blick sehen. Ihm soll wohl mittlerweile ein Licht aufgehen, dass ihm heute eine schwierige Aufgabe zuteilwird, die er nicht vermasseln darf. Als Trauzeuge muss er auf Carolin aufpassen.

Was ich nicht wusste, was er mir aber vor kurzem sichtlich belustigt mitgeteilt hatte, das sind die seltsamen Bräuche auf Hochzeiten. Da gibt es den, dass die Braut von jungen Männern entführt wird und in eine Kneipe gebracht wird, wo sie auf Kosten den Bräutigams trinken, was reingeht. Der Bräutigam muss sie finden und die Zeche zahlen, sonst bekommt er seine Braut nicht wieder.

Ich hatte Daniel sofort klargemacht, wenn Carolin noch einmal in meinem Leben entführt wird, warum auch immer, dann gibt es Tote.

Der andere Brauch ist der mitternächtliche Schleiertanz. Da tanzt man unter einem Schleier und jeder, der Geld oben in den Schleier wirft, darf die Braut oder den Bräutigam küssen, während unter dem Schleier mit ihnen getanzt wird.

Das wurde sofort aus unserem Repertoire gestrichen und war wohl der Hauptgrund, warum wir um diese Zeit, nämlich vor Mitternacht, das Fest verlassen werden. Keiner küsst meine Braut. Selbst das andere sie im Arm halten und mit ihr tanzen ist mir schon zu viel. Lauter no go´s.

„Carolin, du bist so eine schöne Braut“, sagt meine Mutter und mein Vater bestätigt das, was Carolin erneut einen Hauch Rosa in ihr Gesicht zaubert.

Wir gehen nach draußen und ich kann mich zu Daniel umdrehen, der mir mit leuchtenden Augen den erhobenen Daumen zeigt.

Auf unserem Hof steht ein dunkelgrauer Bentley mit einem riesigen weißen Blumenbukett und weißen Bändern, die sich von den Blumen über die mächtige Kühlerhaube bis zu den Spiegeln ziehen und dort zu Schleifen gebunden wurden.

Ich sehe meinen Vater perplex an, der mit glänzenden Augen mit beiden Händen einladend auf das Auto zeigt, in das wir einsteigen sollen. „Euer Brautwagen“, sagt er dabei und ich nicke. Das war mir schon klar.

Der Fahrer kommt um das Auto herum. Er ist ein junger Bursche in einer schnieken Uniform, der uns die Tür aufhält, nachdem er sich als „Timo“ vorstellte.

Carolin sieht mich nur an, als verstehe sie die Welt nicht mehr und ich schenke ihr ein Lächeln. Alles was jetzt passiert, werden wir überstehen. Und eigentlich hat mein Vater recht. Dies ist das richtige Gefährt für unseren Tag.

Auf dem Vordersitz finden wir den Brautstrauß, den Carolin von dem Fahrer entgegennimmt, der uns aufmunternd entgegenlächelt.

Ich werfe Daniel einen schnellen Blick zu, der mich nur seltsam mustert. Weiß er, was in mir und Carolin vorgeht? Ahnt er, dass ich langsam in Panik ausbreche?

Ich setze mich neben Carolin, die verlegen wirkt. Als die Türen des Autos sich hinter uns schließen, atme ich auf. Endlich sind wir einen Augenblick allein.

In dem sauberen und nach Leder riechenden Wagen sitzend, der in seiner eleganten schwarzen Lederausstattung und dem vielen Holz wie ein Wohnzimmer wirkt, nimmt sie meine Hand. „Das ist wie im Märchen“, sagt sie leise und klingt erschreckend verunsichert.

„Ich wusste das mit dem Auto auch nicht. Ich dachte, wir nehmen Papas Merc.“

„Und die Blumen darauf. Unglaublich! Jeder wird wissen, dass wir zu unserer Hochzeit fahren.“

Ich sehe mich um und raune: „Aber die Scheiben sind getönt. Es sieht so aus, als wenn hier irgendein König mit seiner Königin zu seiner Hochzeit fährt. Und du bist meine Königin.“ Ich sehe ihr in die Augen und küsse ihre Fingerspitzen.

„Oh Mann, Erik, ich weiß nicht, ob ich das überstehe!“

Ich kann ihr nur ein etwas verlorenes Lächeln schenken. „Wir haben schon viel Schlimmeres überstanden. Und denk immer daran, dass dies der einzige Weg ist, das zu bekommen, was wir wollen: Uns!“

Ich spüre durch diese ganze Situation langsam etwas in mir hochkriechen, dass sich warm und weich anfühlt und voller säuselnder Gefühle nach außen drängt. Etwas, das weder ich noch sonst jemand in dieser Welt in mir vermuten würde. Nur dieses wunderschöne, zarte Wesen neben mir weiß um diesen Umstand, denn sie hat dieses Etwas zutage gefördert.

„Ich liebe dich!“, sage ich und sie erwidert leise und mit leicht zittriger Stimme: „Ich dich auch.“

Die Fahrertür wird geöffnet. Der Fahrer steigt ein und lässt die Tür ins Schloss fallen. Er dreht sich nicht um, sieht uns aber durch den Rückspiegel an.

„Endlich mal ein junges Paar“, sagt er und grinst. „Ich dachte schon, die Romantik wäre bei den jungen Leuten vollends ausgestorben. Aber es gibt sie noch, sehe ich.“

Ich werfe Carolin einen schnellen Blick zu. Der hält uns für schwer romantisch. Wenn er wüsste, dass dieser Traum gar nicht unserer ist …

„Fahren wir direkt zum Rathaus?“, frage ich ihn, um das Thema nicht weiter zu vertiefen.

„Ist so geplant. Aber der Weg ist verdammt kurz.“ Der junge Mann dreht sich zu uns um und fragt verschmitzt: „Ihr könnt jetzt wählen. Sofort zum Rathaus und zu euren Gästen und eurer Familie oder noch einen kleinen Abstecher durch die Stadt.“

Wie aus einem Mund sagen Carolin und ich: „Wir nehmen den Abstecher.“

Unser Chauffeur lacht, was seine blauen Augen funkeln lässt. „Ich verstehe!“, sagt er und wirft den Motor an. „Ihr wollt noch etwas dem Rummel entkommen.“

„Ja“, murmelt Carolin. „Mir ist schon ganz schlecht.“

Mir geht es nicht anders.

„Gut! Alles klar! Wir machen eine Runde durch Osnabrück. Zur Beruhigung. Und ich mache ein wenig Musik und ihr entspannt euch, ja?“

Timo redet mit uns, als läge ihm höchstpersönlich viel daran, dass es uns gut geht, während er den Bentley vom Hof lenkt. Uns folgt Papas Merc mit Ellen und Daniel.

„Können wir die abhängen?“, frage ich Timo, der in den Rückspiegel grinst. Bevor er antwortet, biegt er schon in eine Nebenstraße ein und kurz darauf in die nächste und wir fahren wieder zurück Richtung Villa.

„Ich muss vorsichtig fahren … wegen der Blumen“, entschuldigt er sich. „Sonst würde ich eben einen Abstecher über die Autobahn machen und euch zeigen, was das Baby kann.“

Ich sehe Carolin an und sie mich und wir müssen lachen. „Ja, wirklich schade“, sage ich. „Eine wilde Fahrt über die Autobahn zu machen klingt wirklich verlockend. Das würde auch gut zu uns passen. Aber du hast recht. Wir sollten versuchen, die Blumen zu schonen.“

„Natürlich, Chef!“, sagt Timo und beginnt uns von anderen Paaren zu erzählen, denen auch der Arsch auf Grundeis ging. „Eine Braut hat sich das Kleid vollgekotzt, bevor ich sie bei der Kirche abliefern konnte. Das war echt Krass! Also ihr seid nicht die einzigen, die so aufgeregt sind. Dabei ist das ganz allein euer Tag und ihr müsst euch am wenigsten Gedanken machen und nur dafür sorgen, dass er für euch schön wird.“

„Das stimmt!“, kann ich nur bestätigen. „Und das haben wir auch vor. Und der Anfang ist ja schon gemacht … dank dir.“

Ich sehe die blauen Augen wieder im Rückspiegel, als wir an einer Ampel warten müssen, an der einige Autos zu hupen beginnen.

„Ich fahre euch, solange ihr wollt. Wann ist die Trauung?“

„Sechzehn Uhr.“

„Gut! Dann haben wir noch ein bisschen Zeit.“

Die Ampel wird grün und wir fahren quer durch die Stadt.

Immer wieder hupen Autos und Timo sagt: „Das ist für euch. Als Ehrerbietung, weil ihr euch traut.“

Ich sehe Carolin verdutzt an, die mich nur anlächelt und sich an mich schmiegt, ihre Haarpracht völlig außer Acht lassend.

Ich schiebe ihr meinen Arm um die nackte Schulter und sehe an ihr hinunter. Meine Kette liegt in ihrem Dekolleté.

„Solltest du nicht eine weiße Perlenkette tragen?“, frage ich sie und erinnere mich daran, dass sie mit Ellen darüber gesprochen hatte.

„Das ist unser Tag und wir tun, was für uns gut ist. Also trage ich deine Kette und deine Ohrringe und deine Ringe. Das ist, was zu mir gehört und zu mir passt. Ich habe es nicht übers Herz gebracht auch nur ein Stück davon ausgerechnet heute abzulegen.“

Ich lege meinen Finger unter ihr Kinn und schiebe ihren Kopf in den Nacken, um sie zu küssen. Ihr süßes Lipgloss lädt zu mehr ein und ich freue mich unglaublich auf das Ende unserer Hochzeitsfeier. Meine Hand auf ihrem nur von dem seidigen Stoff der Strumpfhose verdeckten Knie legend, könnte ich sie endlos küssen. Fast selbstständig schiebt sich meine Hand hoch und finde auf ihrem Oberschenkel ein seltsames breites Gummi. Ich beende den Kuss und hebe ein wenig ihren kurzen Rock. „Wow, das sind ja Strapse!“

„Mit allem Drum und Dran“, erwidert sie mit leuchtenden Augen.

Mir wird klar, dass es eine meiner besten Einfälle war, als ich unsere bevorstehende Nacht plante.

Bedauernd raunt Carolin: „Aber schade, dass ich dir das nicht vorführen kann. Wir müssen schließlich gleich nach der Feier los.“ Sie wirkt ein wenig traurig und ich küsse sie erneut. „Wer weiß, was alles passiert“, antworte ich nur und lasse sie weiter ahnungslos.

Timo hat eine Art, uns die Angst vor dem Bevorstehenden zu nehmen, die einzigartig ist. Er erzählt uns ein paar wirklich tolle Geschichten und Brautwitze und wir haben einiges zu Lachen und werden lockerer. Dazu noch das Wissen, das alles ein Ende haben wird und Carolin und ich dann in unser hauseigenes Glück fallen können - und es geht mir wieder einigermaßen gut.

Das ändert sich schlagartig, als wir vor dem Rathaus auf den Platz fahren, auf dem schon eine ziemlich große Menschenansammlung auf uns wartet.

„Okay Freunde, jetzt müsst ihr euren Weg allein weitergehen. Ich erwarte euch dann nach der Zeremonie und bringe euch zum Saal.“

„Danke Timo“, raune ich und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Carolin ist auch eine Nuance blasser.

In dem Moment werden auch schon unsere Türen aufgerissen und mein Vater steht vor mir. „Um Gottes Willen, Erik! Wo bleibt ihr denn?“ Er ist sichtlich nervlich am Ende.

„Wir haben mit dem schönen Brautwagen noch eine Runde durch die Stadt gedreht.“

Mein Vater schüttelt nur den Kopf, während Carolin schon an der anderen Seite von Ellen und ihrer Mutter aus dem Wagen gezerrt wird. Ich werde sofort von einer Traube Menschen umringt, die mich alle begrüßen wollen und auch Carolin muss wohl erst Rede und Antwort bei ihren Eltern und Ellen stehen. So geht alles sehr schnell und wir finden uns im Rathaus wieder, vor einem Raum, der mir den Atem nimmt. Er ist groß und alt eingerichtet. An den Seiten sind Bänke an der Wand angebracht, die mit weißen Kissen ausgelegt sind. Die Fensterbänke schmücken riesige Blumenbuketts und überall stehen riesige Schalen auf massiven Ständern, die auch solche Blumenarrangements zur Schau stellen. Alles wirkt unglaublich feierlich. Stühle mit weißen Stuhlhauben stehen in Reihen bis vor einem alten hölzernen Tisch, vor dem vier Stühle stehen und einer dahinter. Auf dem Tisch steht nur ein winziges Blumenarrangement, weil für mehr kein Platz ist.

Ich werfe einen Blick in diesen imposanten Raum und suche verzweifelt nach Carolin, die aus der Menge auf mich zu schwebt. Ich sehe an ihrem Blick, dass sie mich jetzt braucht, und ich brauche sie.

Als sie mich erreicht, greife ich nach ihrer Hand, weil ihr Vater auf sie zustürmt. Ich weiß genau, was er will. Aber fast schon panisch drehe ich mich mit Carolin um und ziehe sie durch den Gang dem Tisch entgegen, hinter dem ein älterer Mann uns erwartungsvoll entgegensieht.

Hinter uns spüre ich die Meute, die in den Raum drängt und höre die Ah und Ohs, was den Raum betrifft. Ich sehe die Portraits irgendwelcher Leute an den Wänden, die uns zu beobachten scheinen, sehe die unglaublichen Holzschnitzereien, die die Bänke und Wände schmücken und den riesigen Kerzenleuchter, der von der Decke baumelt und ausgesprochen altertümlich wirkt … wie alles hier.

Carolin sieht sich auch um und unsere Blicke treffen sich. „Das ist ja unglaublich!“, sagt sie ergriffen und lässt ihren Blick erneut um uns herumschweifen. Hinter uns ist die Menge immer noch unruhig und wir hören Stühle verrücken und geflüsterte Platzanweisungen.

Ich kann nichts sagen. Ich starre nur noch auf den Mann, auf den wir zugehen.

Er reicht uns über den Tisch hinweg die Hand und stellt sich vor. Aber in meinem Kopf will sein Name nicht auch nur annähernd Fuß fassen.

„Erik Zeiss-Clarkson“, antworte ich ihm nur und Carolin nuschelt ein: „Carolin Maddisheim.“

Daniel taucht neben mir auf und sieht mich beunruhigt an. Neben Carolin erscheint Ellen. Auch die beiden geben dem Standesbeamten die Hand und er deutet uns, dass wir uns setzen können. Rund um uns postieren sich zwei Fotografen. Einer mit einer Videokamera und einer mit einem riesigen Fotoapparat. Ich überlege kurz, ob die von der Zeitung sind. Aber dann wird mir klar, dass sie unsere Hochzeitsfotografen sein müssen, die meine Mutter engagiert hat.

Carolins Hand fest in meiner, sehe ich zurück in den Raum. Meine Eltern und die Maddisheims sitzen in der ersten Reihe, mit Julian und seiner Freundin. Dahinter verteilen sich unsere Gäste. Marcels Gesicht taucht aus der Menge auf und er nickt kurz grüßend. Ich nicke zurück. Ich sehe unseren Arzt Dr. Bremer und Herr Thomas, den Juwelier. Auf der anderen Seite sitzen Torben, Steffen, Ralf und Ulf aus meiner Uni und davor Carolins Mädels. Alle anderen haben für mich auf die Schnelle keinen Erkennungswert. Mein Blick gleitet zu meinem Vater zurück, der besorgt wirkt. Und Herr Maddisheim wirkt zerknirscht. Ich hatte ihm seine Tochter nicht überlassen, um sie vor den Traualtar zu führen. Aber das hätte auch geheißen, ich hätte allein gehen müssen, und das war mir nicht möglich.

Mein Blick gleitet zu meiner Mutter, die mich erneut nachdenklich mustert. Neben ihr sitzt Frau Maddisheim, die Carolin weinerlich anstarrt.

Schnell sehe ich Carolin an, die nur steif auf ihrem Stuhl sitzt. Ihre Sommersprossen scheinen sich versteckt zu haben. Aber sie drückt meine Hand und ich schenke ihr ein winziges, verkniffenes Lächeln. Zu mehr bin ich nicht in der Lage.

Mein Blick läuft in Daniels Gesicht, der mir zunickt, als wolle er mir zu verstehen geben, dass alles in Ordnung ist und keine Gefahr droht.

Ellen sieht nur wütend aus.

In dem Moment erhebt sich der Standesbeamte und begrüßt die Gäste, die in ihren aufgeregten Gesprächen verstummen. Seine laute Stimme hallt seltsam durch den Raum, als wäre die Zeit der letzten Jahrhunderte hier gefangen worden und seine Worte müssen sie durchdringen.

„Liebes Brautpaar, Trauzeugen, Eltern, Verwandte und Freunde. Ich freue mich, euch hier begrüßen zu dürfen, um diese Beiden - Erik und Carolin - in den Bund der Ehe zu führen.“

Mir wird noch übler. Ich konzentriere mich auf die schmale Hand in meiner. Mein Rettungsanker. Ein schneller Blick in Carolins Gesicht, aber sie sieht nur mit großen Augen den Standesbeamten an.

Der geht mit viel Humor ganz darin auf, unsere Personalien festzustellen und meint bei Daniel erklären zu müssen, dass er als Trauzeuge eine Mitverantwortung trägt, dass ich auch immer brav auf meinem nun angehenden Eheweg wandele, während Ellen sich um Carolins zu kümmern hat. Dabei macht er schwungvolle Sprüche, die Gelächter hinter und neben uns auslösen.

Ich kann nur schmunzeln und mache das nur aus reiner Höflichkeit. Aber Carolin lächelt zumindest wirklich freundlich und Daniel und Ellen versprechen ihr Möglichstes zu tun. Dann fragt der Standesbeamte nach den Ringen, die unseren Ehebund besiegeln sollen und deutet auf den reich verzierten Teller, der auf seinen Einsatz wartet.

Daniel pult nervös die Ringe hervor und legt sie auf den Teller. Natürlich falsch herum und der Standesbeamte legt Carolins an meine Seite und meinen an Carolins. Dabei lächelt er Daniel gnädig an, der von mir zu Carolin und zu Ellen schielt, die ihm ein beruhigendes Lächeln schenkt.

Der Standesbeamte hat sich wohl vorgenommen, uns mit ein paar Witzchen aufzulockern. Aber als er sieht, dass ich nicht in der Lage bin, seine Witze überhaupt bis in mein Hirn dringen zu lassen, gibt er es auf.

„So möchte ich dich, Erik, und dich, Carolin, bitten, euch zu erheben.“

Wir stehen auf und Carolin legt ihren Brautstrauß hinter sich auf den Stuhl. Sie sieht mich an und ich spüre das leichte Zittern, das durch ihre Hand in meine fließt.

„Ihr beide habt euch gefunden, erkannt, dass ihr gut zusammenpasst und beschlossen, euer Leben zusammen zu meistern. In eurer bisherigen Zeit werdet ihr festgestellt haben, dass ihr zwei eigenständige Personen seid, die beide einen eigenen Kopf haben. Dieses Wissen solltet ihr euch auch in eurer Ehe erhalten. Eigenständigkeit und eure verschiedenen Persönlichkeiten halten eure Liebe in einem stetigen Wandel der Zeit aufrecht und lassen es niemals eintönig werden. Und ihr wollt doch bestimmt keine Langeweile aufkommen lassen, in der langen, gemeinsamen Zeit, die nun vor euch liegt“, sagt er und zwinkert uns zu.

Leises Lachen erklingt hinter uns und auch Ellen kichert nervös.

„Da ihr hier vor mir steht, mit Daniel und Ellen als Verstärkung und einer Armee aus Verwandten und Freunden, denke ich, dass ihr es ernst meint und ich euch in den Bund der Ehe überführen kann. Darum frage ich dich, Erik, ist es dein freier Wunsch und fester Wille, die Ehe mit der hier anwesenden Carolin einzugehen und sie zu lieben und zu ehren? Dann antworte mit Ja.“

Das ist der Moment aller Momente. Ich halte Carolins Hand ganz fest und wende mich ihr zu. Und sie sieht mich aus großen Augen an.

„Ja! Das will ich!“, sage ich mit lauter, alles übertönender Stimme, als müsse ich einen Kampfruf ausstoßen.

Carolin blinzelt einen Augenblick und ein Schmunzeln huscht über ihre Mundwinkel. Sie lässt mich nicht aus den Augen, auch wenn der Standesbeamte sich nun ihr zuwendet. Aus den Reihen der Gäste erklingt das erste Hüsteln und Schluchzen. Letzteres hört sich nach Carolins Mutter an.

„Carolin, ich frage nun auch dich, ist es dein freier Wunsch und fester Wille die Ehe mit dem hier anwesenden Erik einzugehen, ihn zu lieben und zu ehren? Dann antworte mit Ja.“

Ellen fängt hinter Carolin leise zu schniefen an. Aber für mich gibt es nur Carolin, die schwer schluckt und haucht: „Ja, ich will!“ fast zu leise, als dass jemand es hören kann. Das fällt ihr auch wohl auf und sie räuspert sich und sagt laut und deutlich: „Ja!“

Ich drücke ihre Hand.

„Dann nehmt nun die Ringe, die diesen Bund besiegeln sollen und steckt sie euch an die Finger, als Bund für euer gemeinsames Leben.“

Ich sehe auf den Teller und greife nach dem Ring. Alle anderen im Raum blende ich aus und sehe nur in Carolins Gesicht, die mir erwartungsvoll ihre Hand reicht, die ich erneut ergreife. Aber mir reicht plötzlich nicht mehr, ihr einfach nur den Ring aufzustecken und fertig. In meinem Kopf rumpeln Gedanken und Wünsche um die Wette und ich sehe ihr in die Augen, spüre ihre Hand in meiner und spreche aus, was nach außen drängen will. Es sind Worte, die Carolin mir einst schrieb, um mich vor einem erneuten Absturz zu retten und die ich wiederholte, um sie nach ihrem Unfall aus dem Coma zurückzuholen.

„Carolin, ich sage dir diese Worte, weil du die Einzige bist, die sie verdient.“

Meine Stimme klingt belegt und ich räuspere mich leise, um fortzufahren: „Sie erzählen von Gefühlen, die ich nie vorher kannte, so unglaublich tief in mich hineinreichend, so schmerzhaft, wenn ich denke, sie werden nicht erwidert und so süß, wenn du sie mit mir teilst. Ich will diese Gefühle ein Leben lang.“

In dem großen Raum ist es mucksmäuschenstill. Selbst das verhaltene Schluchzen scheint erstarrt zu sein. Carolins Augen weiten sich einen Moment vor Erstaunen und sie schluckt schwer.

Ich sage noch eine Nuance lauter, während ich ihr den Ring langsam auf den Finger schiebe: „Sie erzählen von Liebe, die mich wie ein Nebel durchdringt und wenn ich an dein Gesicht denke, spüre ich eine Wärme in mir aufsteigen, die alle Kälte des Lebens verjagt. Wenn ich daran denke, wie du mich in deinen Armen hältst und unsere Körper verschmelzen lässt, wird diese Wärme zur Hitze, die selbst die Antarktis schmelzen kann und wenn du mich an dich ziehst, damit keiner mir zu nahekommt, spüre ich, dass wir zusammengehören. Ich will diese Liebe ein Leben lang.“

Ich ignoriere die ergriffenen Laute, die aus der Menge hinter uns zu hören sind und behalte meinen Blick in Carolins Gesicht gerichtet, die in diesem Moment alles ist, was ich sehen und fühlen will.

Carolin reißt sich mit Tränen in den Augen von meinem Blick los, entzieht mir ihre Hand und greift zu dem Teller, um meinen Ring zu nehmen. Ihre Hand nimmt meine und zieht sie zu sich heran. Sie sieht mit feuchten Augen in mein Gesicht und sagt unsere alte Liebeserklärung, die uns mehr als einmal aufrichtete und uns immer wieder zusammenführte weiter auf. „Und sie erzählen vom Schmerz, wenn wir uns dem Leben nicht gewachsen fühlen, das uns immer wieder mit Problemen überhäuft. Dieser Schmerz versucht das Gefühl und die Liebe zu mindern und mich von dir fernzuhalten. Aber er kann mich verbrennen, er kann mich zerstückeln oder mich quälen, bis ich ohnmächtig werde. Aber er wird nie die Kraft aufbringen, mich von dir zu trennen … denn das wäre ein Schmerz, der mit nichts vergleichbar mich vernichten würde.“ Sie schiebt den Ring auf meinen Finger, während sie fortfährt: „Ich liebe dich, mehr als mein Leben, mehr als meine Freiheit, mehr als irgendetwas auf dieser Welt“, und ihre andere Hand sucht meine andere Hand und unsere Finger verschlingen sich ineinander. Wir sehen uns tief in die Augen und man könnte im Saal eine Stecknadel fallen hören. Erst Ellens Schluchzer reißt mich aus meiner Benommenheit und lässt mich erkennen, wo wir sind und dass wir nicht allein sind. Carolin und ich heiraten gerade! In diesem Moment! Oh Mann.

„Ich liebe dich auch mehr als mein Leben“, erwidere ich, lasse ihre Hände los und greife nach ihren Schultern. „Mehr als meine Freiheit …“ Ich schiebe eine Hand in ihren Nacken. „Und mehr als irgendetwas auf dieser Welt. Ein Leben lang.“ Dann küsse ich sie und aus der völligen Starre um uns herum wird ein Klatschen und Zurufen, das mit Schluchzern und aufgeregtem Gemurmel einhergeht.

Der Standesbeamte beeilt sich zu rufen: „Dann dürfen sie die Braut küssen.“

Wir beenden unseren Kuss und ich fühle augenblicklich, wie die ganze Anspannung von mir abfällt.

Auch Carolin scheint heilfroh zu sein, dass wir es überstanden haben und unser Einsatz beim Ringaufstecken hat alle um uns herum völlig aus dem Häuschen geraten lassen, was uns aber jetzt erst bewusst wird. Die ersten haben sich schon von den Stühlen erhoben und gratulieren den Brauteltern und umarmen sich. Der Standesbeamte nickt uns anerkennend zu und bittet noch einmal um Ruhe.

„Ich denke, nach dieser unglaublich schönen Liebesbekundung können wir davon ausgehen, dass hier genug Potenzial für „Ein Leben lang“ vorhanden ist. Dennoch muss ich darum bitten auch die Eheurkunde zu unterschreiben.“

Alles setzt sich schnell wieder und Ellen tupft mit ihrem Taschentuch ihre Augenwinkel trocken.

Carolin und ich setzen uns auch wieder, ohne unsere Hände loszulassen, nachdem Ellen geistergegenwärtig den Brautstrauß von Carolins Stuhl zog und ihn ihr grinsend reicht.

„Darf ich euch bitten als Erstes zu unterschreiben“, sagt der Standesbeamte und schiebt mir die Urkunde hin und einen verzierten Füller mit goldener Miene, in den etwas eingraviert wurde. Dabei sagt er: „Wisst ihr beiden eigentlich, dass in diesem Raum schon der dreißigjährige Krieg beendet und hier einer der Westfälischen Friedensverträge unterschrieben wurde?“

Ich sehe ihn überrascht an. Auch Carolin schaut auf und sieht mich an. „Nah dann!“, sagt sie und grinst übermütig.

Ich lasse ihre Hand los und setze meinen Namen auf das Dokument. Carolin unterschreibt als nächstes und schiebt das Ganze wieder dem Standesbeamten zu, der auch Daniel und Ellen auffordert zu unterschreiben. Carolin sucht wieder nach meiner Hand und ich nehme sie und küsse ihre Finger. Ihre Augen funkeln mich erleichtert an.

Auch ich bin froh, dass es nun vorbei ist. Aber in meinen Kopf will noch gar nicht wirklich ankommen, dass wir beide nun verheiratet sind. Da ist alles nur erleichtert und seltsam leer und befreit.

Der Standesbeamte reicht uns die Hand und wünscht uns alles Gute.

Ich danke ihm und nehme Carolin wieder an meine Hand. Aber Ellen reißt sie mir von der Seite und umarmt sie stürmisch. „Herzlichen Glückwunsch, Schwägerin. Ich bin so glücklich, das glaubst du gar nicht!“, höre ich meine Schwester rufen, während Daniel mich kurz umarmt und mir zuraunt: „Manometer. Das war ja ein Ding!“

Ich weiß nicht, was er genau meint. Aber es spielt auch keine Rolle. So eine Hochzeit ist wirklich nichts für schwache Nerven.

Wir drehen uns zu unseren Gästen um, als ich von meinem Vater in die Arme genommen werde: „Erik, herzlichen Glückwunsch. Das war unglaublich. Du bist unglaublich … und Carolin. Ihr seid so ein tolles Paar.“ Er ist völlig aus dem Häuschen und ich raune: „Danke Papa. Auch für das hier.“ Ich mache eine Handbewegung, die diesen Raum einschließt.

„Für meinen Sohn nur das Beste. Du bist das Wichtigste in unserem Leben“, sagt er ernst und ich starre ihn überrascht an. Aber ich habe keine Zeit, das zu verdauen, weil meine Mutter mich in ihre Arme zieht. „Mein Junge, ich bin so stolz auf dich!“, sagt sie und ich frage mich, was ich denn Großartiges vollbracht habe. Aber auch darüber kann ich nicht mal Mutmaßungen treffen, weil die Maddisheims von Carolin zu mir wechseln. „Mein Schwiegersohn …“, stammelt Frau Maddisheim, die ich seit dem Kranzbinden Sophie nennen darf. Herr Maddisheim, der mir auch sein Du angeboten hatte, gibt mir nun nur die Hand. Er wirkt immer noch wütend, weil ich Carolin zum Altar gebracht hatte, statt sie von ihm dorthin führen zu lassen. Er ahnt scheinbar nicht, dass ihre Hand in dem Moment überlebenswichtig für mich war.

„Erik, ich wünsche euch beiden alles Gute und glaub mir, solltest du ihr Stress machen oder sie unglücklich bei dir werden, dann wirst du mich kennen lernen.“

Einen Moment bin ich perplex. Er macht dasselbe wie bei unserer Verlobung. Er würgt mir eins rein. Dabei verstanden wir uns eigentlich schon ganz gut … dachte ich zumindest. Aber Marcel ist halt immer noch sein Lieblings-Möchtegernschwiegersohn. Doch der Zug ist für immer abgefahren.

„Wenn Carolin nicht bei mir glücklich ist und mich jemals verlässt, spielt es keine Rolle, was sie mit mir tun, Herr Maddisheim“, raune ich und er sieht mich seltsam an, tritt dann aber zur Seite, weil Carolins Bruder Julian mir die Hand hinhält und uns verunsichert mustert.

„Julian!“, brumme ich.

„Erik! Alles Gute für euch beide.“

„Danke“, murmele ich und wende mich seiner momentanen Freundin zu, die mich anstrahlt, als hätte sie einen fünfhundert Watt Strahler verschluckt. Sie greift nach meiner Hand und schüttelt sie, während sie irgendwas von sich gibt, dass in einem Ohr rein und beim anderen wieder rausgeht. So schüttele ich Hand um Hand und höre viele nette Worte, die genauso wenig in meinem Kopf Fuß fassen wollen.

Carolin ist weit von mir entfernt und ich denke mir, dass kann es doch nicht sein! Das ist unser Tag! Nicht der dieser aufdringlichen Menschen. Als ich Marcel auf Carolin zusteuern sehe, wird mir klar, es wird Zeit, dass ich etwas weniger Raum zwischen uns bringe.

Marcel zieht Carolin in seine Arme und küsst sie auf die Wange, wobei er hingebungsvoll die Augen schließt. Im gleichen Augenblick bin ich schon neben ihm, kann aber nicht verstehen, was er ihr ins Ohr säuselt. Als er die Augen öffnet und mich ansieht, schiebt sich Carolin auch schon aus seiner Umklammerung.

„Erik!“, murrt er und lässt Carolin los, um mir die Hand zu reichen.

„Marcel!“, erwidere ich.

„Jetzt hast du sie für immer, du Glückspilz. Wer hätte gedacht, dass Carolin sich von dir so um den Finger wickeln lässt.“ Er klingt ungehalten und ich würde ihm am liebsten ein für alle Male sagen, dass seine Zeit endgültig vorbei ist.

Carolin hakt sich bei mir ein und erwidert, bevor mir passendes einfallen kann, dass auch noch nett klingt: „Marcel, Erik und ich gehören ja auch zusammen. Es wäre zwar egal gewesen, ob wir heute heiraten oder erst in zwei Jahre. Aber uns war halt lieber, es jetzt zu tun.“

Dass sie das Marcel so reindrückt ist für mich wie ein Lottogewinn. Ich ziehe sie an mich und küsse sie auf den Mund.

Hinter Marcel steht seine neue Freundin, die dem ganzen etwas irritiert beiwohnt. Auch sie wünscht uns alles Gute und Carolin lächelt sie an und bedankt sich, während Männer in Fracks auftauchen und uns mit gefüllten Sektgläsern erfreuen. Aber das Aufgebot an Gratulanten reißt nicht ab und zu meiner Überraschung stehen plötzlich Sam und Teddy vor mir. Sie wirken in ihren schlechtsitzenden Anzügen mit den Tattoos, die überall hervorblitzen und den kurzen Haaren ein wenig unpassend. Aber Teddy hat seinen Nasenring nicht in der Nase und Sam seine Haare einige Millimeter lang, statt kahlgeschoren. Somit sieht man seine Tätowierung auf dem Schädel nicht. Die beiden sehen heute fast schon etwas kultiviert aus. Doch dass sie Größen aus dem Drogen- und Zuhältermilieu sind, lässt sich nur schwer verbergen.

Sie geben mir die Hand und wirken zurückhaltend. „Mensch Erik, das war echt eine große Show“, murmelt Teddy.

Ich lache. „Das war keine Show, das war das wirkliche Leben.“

Sam gibt mir auch seine Hand. „Nenn es wie du willst. Aber du warst echt gut! Das ging sogar mir fast ans Herz.“

Ich nicke ernst und raune: „Und unser Deal ist somit für immer vom Tisch.“

Sam grinst unverschämt. „Ach Quatsch. Vielleicht bleibt sie nicht bei dir. Ich kann auch solche Dinge sülzen, wie du und dann nimmt sie mich.“

„Träum weiter“, sage ich und muss lachen, weil das so abwegig ist, wie dass eine Spinne einen Elefanten verschlingt.

Ich stoße mit meinem Sektglas an seins und trinke einen Schluck, bevor ich mich den Nächsten stellen muss. Sam und Teddy wenden sich Carolin zu, die ihnen die Hand gibt und sogar mit ihnen anstößt. Ich lasse sie keinen Moment aus den Augen, bis die Beiden von der Menge von ihrer Seite gedrängt werden. Mir schwirrt im Kopf herum, was Daniel gesagt hat. In dem Moment, wo Carolin und ich verheiratet sind, besteht die Gefahr, dass sie entführt wird und man sie zu einer Kneipentour nötigt.

Was für ein bescheuerter Brauch.

Ich schiebe mich dichter an sie heran und stelle mein Glas auf ein vorbeischwebendes Tablett, um ihre Hand zu nehmen und trotzdem den letzten Gratulanten meine andere reichen zu können. Ich hätte Handschellen mitnehmen sollen, um sie mir an mein Handgelenkt zu ketten.

Carolin lächelt mir zu und entwindet sich meinem Griff, um erneut jemandem zu begrüßen und sich umarmen zu lassen. Aber es sind die letzten Gratulanten und ich kann Carolin wieder an meine Seite ziehen.

Wir unterhalten uns noch mit dem einen oder anderen und stoßen mit vielen an, die uns allesamt immer wieder versichern, wie toll sie unsere Trauung fanden. Irgendwann treffen wir mit Ellen und Daniel zusammen.

„So will ich das auch“, erklärt Ellen träumerisch und stößt mir ihre Faust in die Rippen. „Erik, du bist ja so ein Romantiker!“ Sie lacht bei meinem Gesichtsausdruck und Daniel raunt grinsend: „Immer schon gewesen.“

„Ja, bestimmt“, murre ich verächtlich, weil Daniel und Ellen mich damit wohl auf den Arm nehmen wollen. Ich schiebe dabei Carolin vor mich, um sie mit beiden Armen von hinten zu umschlingen. Doch sie entzieht sich mir erneut und steuert mit einem neuen Glas auf eine Gruppe unserer Gäste zu.

Ich starre ihr verdattert hinterher und Daniels Grinsen wird bei meinem Blick breiter. „Das wird sich wohl niemals ändern“, raunt er leise und ich sehe ihn an. Was redet er da? Ich schüttele den Kopf und drehe Carolin demonstrativ den Rücken zu und gerate in das Blickfeld meiner Mutter und Frau Maddisheim, die mich anlächeln. Bestimmt war ich gerade noch bei den beiden Gesprächsthema Numero Eins, denn plötzlich wissen sie sich nichts mehr zu sagen und wenden sich der illustren Gesellschaft zu.

Mein Vater mahnt lautstark zum Aufbruch und ich kann kaum glauben, dass es fast drei Stunden her ist, als wir in den Bentley stiegen. Ich sehe mich nach Carolin um und finde sie bei ihren Mädels, die sich voller Verzückung über ihr Outfit auslassen. Carolin ist wirklich wunderschön und das erkenne ich in diesem Moment mit einem Anflug von Missbilligung. Dieses Kleid ist eigentlich nicht zulässig und hätte ich es vor der Hochzeit zu Gesicht bekommen, hätte sie es heute nicht an.

Erneut schwirrt mir im Kopf herum, dass ich sie auf keinen Fall aus den Augen lassen darf. Dass jemand sie mitnehmen könnte, um mit ihr in eine Kneipe einzukehren, macht mich ganz verrückt. Zumal mein Blick auf Marcel fällt, der seine Freundin heute fast zu vergessen scheint und nur Augen für Carolin hat.

„Sehr verehrte Gäste“, ruft in dem Augenblick mein Vater. „Wir feiern im Saal weiter und ich möchte alle bitten, sich jetzt auf den Weg zu machen. Es stehen mehrere Taxis zur Verfügung.“

Mein Vater hat wirklich an alles gedacht. Ich werfe ihm einen schnellen Blick zu. Aber er hat meine Mutter an der Hand und zieht sie mit sich mit. Ich gehe auf Carolin zu und die Blicke ihrer Mädels heften sich auf mich, was Carolin veranlasst, sich zu mir umzudrehen. Ihr Blick wird weich und ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht.

„Schatz, wir müssen los“, raune ich ihr zu und nehme sie am Ellbogen.

„Ihr habt ja gehört.“ Carolin wendet sich an ihre Mädels. „Draußen stehen Taxis bereit. Greift euch eins und los geht’s.“ Sie klingt befreit und glücklich.

Ich warte deren Antworten nicht ab, sondern ziehe sie mit. Auf uns wartete der Bentley mit Timo.

Der steht wartend auf dem Rathausplatz und Schaulustige haben sich versammelt, um zu sehen, wer da geheiratet hat. Nun gesellen sich zu unseren Fotografen auch der eine oder andere von einer Zeitung und macht Bilder. Ich versuche das zu ignorieren.

Timo steht am Bentley und kommt uns einige Schritte entgegen, breit lächelnd.

„Herzlichen Glückwunsch. Es ist überstanden.“

„Danke Timo, ja, wir leben noch“, raune ich leise und nehme seine mir hingehaltene Hand. Er gratuliert auch Carolin und wendet sich dann wieder an mich. Mir fällt auf, dass er Carolin nicht ungebührlich viel Aufmerksamkeit schenkt, was mich gleich für ihn einnimmt. Er öffnet uns die Autotüren und Ellen kommt mit geröteten Wangen angerauscht, um Carolin ins Auto zu helfen, als wenn ich das nicht selbst könnte. Aber sie drängt mich weg und nuschelt: „Das ist mein Job.“ Ich glaube, sie hat eine Flasche Sekt allein getrunken.

Daniel steht hinter mir, als ich mich umdrehe und auf meine Seite gehen will. Auch er wirkt seltsam entrückt. Dabei soll er noch ein wachsames Auge auf Carolin halten. Wenn er das vermasselt, ist er die längste Zeit mein Freund gewesen.

Wir fahren kurze Zeit später durch die Stadt zu unserem Festsaal, von einem langen Autokorso verfolgt. Ich seufze und habe endlich Zeit, mich meiner Frau zu widmen.

„Wie geht es Ihnen, Frau Zeiss-Clarkson?“, frage ich sie leise und sie sieht mich nur an. Es dauert, bis sie wohl ihr Befinden ausgelotet hat und genauso leise antwortet: „Erleichtert! Und glücklich! Es war so wunderschön! Ich werde das mein Leben lang nicht vergessen. Und dieser Raum! Das war alles unglaublich!“

„Ja, mein Vater hat sich da wirklich selbst übertroffen, und das Ganze hat zu Dingen verleitete, von denen man vorher nicht im Traum dachte, dass man die bringen würde.“

„Ja, unser Ringaufstecken wird mir ewig in Erinnerung bleiben, wie unsere Darkroomnacht. Es ist eines meiner Lebenshighlights.“

„Unserer Lebenshighlights. Und ich will noch viele folgen lassen.“

Sie schluckt schwer und nickt nur. Ich kann bei ihrem Blick nur ihr Gesicht in meine Hände nehmen und sie küssen.

Timo beginnt hinter dem Steuer ein Lied zu singen, dass von unendlicher Liebe auf ewig handelt und wir sehen ihn verdattert an. Er hat eine unglaubliche Stimme und grinst in den Rückspiegel. Mit der letzten Strophe lenkt er den Bentley auf den Parkplatz vor dem Saal, wo uns der riesige Kranz mit den vielen weißroten Blumen entgegenleuchtet.

„Das war wunderschön“, sagt Carolin ergriffen. „Danke, Timo!“

„Bitte, für euch zwei nur das Beste. Ein Leben lang.“

Er zwinkert uns zu und Carolin und ich sehen uns an. Ob er sich bei der Trauung unter die Gäste gemischt hatte?

Er steigt aus, um uns die Türen zu öffnen und wir schreiten zum zweiten Teil unserer Hochzeit, die mit einer Überraschung enden soll.


Die Hoffnung aus dem Jenseits

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