Читать книгу Celeste - Sabrina Kiefner - Страница 7

Оглавление

Kapitel I

Mehr Licht

Ich fühle mich leicht wie eine Feder. Die Sonne scheint auf mich herab. Ein leichter Windstoß erhebt mich in die Lüfte und ich breite meine Arme aus, als wäre ich eine Gabelweihe*, und fliege wie ein Engel! Doch plötzlich verblendet mich grelles Licht. Mein Versuch, die Augen zu öffnen, scheitert schmerzhaft an meinen zusammengeklebten Wimpern – es ist eine unangenehme Empfindung. Als die Anstrengung zu mühsam wird, gebe ich auf und atme tief und zufrieden durch, beruhigt vom orangefarbenen Leuchten hinter meinen geschlossenen Augenlidern. Ich höre eine Frauenstimme, aber ich kann ihre Worte nicht verstehen. Ich möchte mich auf die Seite drehen; doch ein stechender Schmerz im Bauch hält mich davon ab. Wo bin ich?

Mein Kopf wird schwer und ich schlafe ein. Ich vernehme ein leichtes Summen und benötige eine Weile um mir darüber klar zu werden, dass es von mir selbst stammt – ich habe geschnarcht! Allem Anschein nach döse ich nur vor mich hin, denn die Stimmen sind wieder da, es sei denn, ich befände mich erneut in einem Traum? Ich fühle mich, als läge ich auf einer Wolke. In der Ferne schimmert ein Lichtstrahl, auf den ich mich durch eine Art Gang zubewege, ohne meine Schritte oder meinen Körper zu spüren. Ich muss träumen! Schwerelos schwebe ich über einem Baumwollfeld. Bin ich tot?

Nein! Ich atme. Und ich fühle, wie sich eine Hand auf meine legt, sobald die Stimme wieder zu mir durchdringt:

„Sie muss noch schlafen. Es ist ein Wunder, dass sie noch am Leben ist.“

Eine andere Stimme, vielleicht die einer Großmutter, antwortet:

„Es ist auch ein Wunder, dass wir beide noch am Leben sind, mein Kind. Lass uns darauf hoffen, dass ihr Ehemann die Massaker und die Brandstifter überlebt hat.“ Ich höre das Getrappel von Hufeisen auf den Steinplatten. Eine Vision bildet sich vor meinen geschlossenen Lidern: mein schöner Achilles, auf dessen Rücken mir Aminte im Damensattel stolz zulächelt! Ich höre mich seufzen, während das Bild sich verwässert. Eine Tür schlägt zu, dann hämmern erneut eherne Schritte durch den Raum. Plötzlich fällt mir ein, dass die Bauern der Vendee ihre Holzschuhe mit Eisen beschlagen, um deren Lebensdauer zu verlängern.

Ein wenig später - ich musste inzwischen eingeschlafen sein – nehme ich einen vertrauten Geruch wahr, der meinen Magen in regelrechte Rebellion versetzt: der Dunst gebratener Zwiebeln. Eine gute Seele fährt mit einem warmen, feuchten Tuch über mein Gesicht. Sie reibt sanft über meine Stirn, angenehmer Duft nach Rosmarin umgibt mich. Der Dampf löst meine verklebten Augen und als ich sie öffne, erschrickt meine Pflegerin. Sie sieht mich neugierig an und ich höre erneut die flötende Stimme:

„Ah, endlich! Sie haben genug geschlafen, denke ich. Fühlen Sie sich etwas wohler?“

Ich öffne meinen Mund, doch es kommt kein Ton aus meiner Kehle; meine Stimme ist so heiser, dass ich nur krächzen kann: „Besser… ja, danke. Aber wo bin ich?“

Die junge Frau lächelt:

„In Saint-Jean-de-Linières. Sie lagen mitten auf dem Weg, eine halbe Meile von Angers entfernt. Unser braver Esel war vor Ihnen stehengeblieben und das zu Ihrem Glück, denn meine Mutter hatte Sie im grellen Gegenlicht der Sonne gar nicht gesehen, noch ich selbst. Wir kamen vom Markt aus Angers zurück.“

Angers. Das Wort brummt durch meinen Kopf wie ein Bienenschwarm, bis mich die Realität mit der Intensität einer Flutwelle überkommt. Vor meinem geistigen Auge erscheinen die Schlachtfelder um Cholet, die Kadaver, die armen, alten Männer am Wegesrand…, meine leblose Tochter in meinen Armen. Dann blitzt eine Klinge im strahlend blauen Himmel auf, spiegelt sich im Sonnenschein, ich sehe die smaragdgrünen Augen meines lieben Gemahls, mein William! Ohne, dass ich es kontrollieren könnte, fühle ich heiße Tränen an meinen Wangen hinablaufen. Doch im selben Moment, abrupt und brennend wie ein Blitz, durchdringt ein noch schrecklicherer Gedanke meinen geschwächten Geist, und noch bevor ich die Frage formulieren kann, die so schwer auf meinem Herzen lastet, fürchte ich die Antwort:

„Und das Kind?“

„Es hat nicht leiden müssen, der Bub ist tot geboren. Es tut mir leid, werte Dame. Wir konnten ihn mit der Hilfe des Prior Allain in gesegneter Erde begraben. Der ehemalige Pfarrer von Saint-André-Goule-d’Oie, der uns im Wald die Messe liest, seit die Vereidigten in unsere Kirchen eingedrungen sind, hat das Begräbnis veranlasst. Aber das ist eine lange Geschichte, ich erzähle Sie ihnen ein andermal. Sie brauchen jetzt Ruhe.“


Vierzehn Tage später war ich wiederhergestellt, dank der großzügigen Betreuung meiner Gastgeberinnen. Sie haben all ihre männlichen Familienmitglieder auf den Schlachtfeldern verloren, vom Großvater bis zu den beiden Söhnen. Diese christlichen Frauen teilten mit mir das Wenige, das sie besaßen. Ich war noch sehr schwach und sie bereiteten mir stärkende Suppen und honigsüße Kräutertees zu. Die Mutter erzählte mir von dem Elend, das sie durchgemacht hatten, während ihre Tochter Erbsen aussortierte, die sie gerade in ihrem Gärtchen geerntet hatte. Sie schienen neugierig, meine Geschichte zu hören, so begann ich ihnen die Schicksalsschläge zu offenbaren, die meine Familie seit unserer Rückkehr von der Isle de France getroffen hatte. Während meiner Erzählung tauschten die beiden erstaunte Blicke aus. Schon am nächsten Tag bekam ich Besuch von einem meiner ehemaligen Soldaten – die Neuigkeiten hatten sich schnell von einem Weiler zum nächsten verbreitet!

Es war Jehan, einer unserer berittenen Jäger der Division von La Roche. Nach der Katastrophe in Savenay hatte er sich zu einem Cousin ins Anjou zurückgezogen. Der ehemalige königliche Forstmeister machte einen sehr bewegten Eindruck, mich wiederzusehen. Er erzählte mir von unseren Waffenbrüdern, von denen einige der Armee von Charette beigetreten und andere in ihre Dörfer zurückgekehrt waren, um das väterliche Haus wieder aufzubauen. Jehan kam schon am nächsten Tag wieder, als wir uns soeben auf einen kurzen Spaziergang begeben wollten: meine Gastgeberinnen hatten mich davon überzeugt, dass frische Luft und etwas Bewegung für meine Gesundheit nur von Vorteil sein konnte. Ich war immer noch blass und schrecklich dünn. Jehan gesellte sich zu uns und erzählte von der Wolfsjagd, die er vorbereitete. Die wilden Bestien begannen damals, in grosser Anzahl durch die Wälder zu streifen und sich zu einer schlimmen Gefahr für die reduzierte Bevölkerung des Anjous zu entwickeln.

Ich bot ihm an, mich bei der Jagd nützlich zu machen, und er versprach, mir ein Reittier und eine Waffe zu besorgen. Meine Gastgeberinnen protestierten:

„Sie sind noch zu gebrechlich, Madame, Sie können sich solchen Mühen nicht aussetzen! Sie brauchen weiterhin Erholung und Ruhe.“

Ich erwiderte:

„Ich werde Ihnen beiden niemals genug danken können für alles, was Sie für mich getan haben, meine lieben Freunde. Aber es ist mir unerträglich, die meiste Zeit im Bett zu verbringen; Ich muss raus und will meinen Kampf wieder aufnehmen. Ich werde bald nach Hause zurückkehren, aber bevor ich Sie verlasse, möchte ich mit Jehan auf Jagd gehen.“

Meine Gastgeberin mahnten zur Vorsicht, aber sie wussten, dass dringend gegen die Wölfe eingegriffen werden musste. Sie waren zu einer regelrechten Plage geworden: die Hirten beklagten die reichlichen Schafe, die aus ihren Herden gerissen worden waren. Das offene Massengrab in Savenay war von den Rudeln überfallen worden, die die letzten Überlebenden angefallen hatten. Normalerweise greift der Wolf den Menschen – seinen größten Feind – nicht an. In früheren Zeiten oblag es den vom König ernannten Leutnants, die Anzahl der Wolfsrudel durch regelmäßige Jagden zu kontrollieren. Auf diese Weise hatten die Bestien gelernt, den Menschen zu fürchten und zu meiden. Nur Kinder erwiesen sich gelegentlich als leichte Beute. Aber seit die Nation sich hierzulande auf Menschenjagd spezialisiert hatte, konnten sich die Horden in ihren Höhlen unbehelligt fortpflanzen; die Wolfsjagd war seit fast zwei Jahren vernachlässigt worden. Der Blutgeruch, der von den Schlachtfeldern ausging, hatte beträchtliche Meuten angezogen und es war lebenswichtig für die Menschen, die Kontrolle über unsere Wälder wieder zu erlangen, denn ein Wolf, der menschliches Fleisch gekostet hat, kann zu einem gefährlichen Schlächter werden.

Die Landbewohner sammelten sich um die wenigen Gemeindekapitäne, die unsere Odyssee überlebt hatten. Dies war leider nicht der Fall für den berühmten Jacques du Vignault d’Escla: der berühmte Equipagenmeister war im Kampf für den König erlegen; nur seine zwei Hundeführer, gefolgt von dem, was von seinem Rudel noch übrig war, nahmen an der Treibjagd teil.

Mein Waffenbruder kam zwei Tage später wieder. Neben seinem gut genährten Wallach hatte er ein großes, braunes Jagdpferd angebunden, das mit einem Herrensattel ausgestattet war. Zum ersten Mal in meinem Leben zog ich Beinkleider an, die von den Frauen aus einer alten Truhe im Flur zum Vorschein gebracht worden waren. Als ich in Hosen zurück in die Küche kam, sahen mich alle belustigt an. Es war mir egal, ich empfand keine Scham in meiner lächerlichen Kleidung. Meine Gastgeberinnen konnten sich nicht an meine Idee, an der Jagd teilzunehmen, gewöhnen und erinnerten mich erneut daran, dass ich noch nicht kräftig genug war, lange Galoppaden durchzustehen. Doch ich fühlte mich besser und vom allgegenwärtigen Wunsch beseelt, in die Vendee zurückzukehren. Ich war davon überzeugt, die Hatz sei eine gute Vorbereitung auf meine Heimkehr und würde mir beweisen, dass ich genügend Kräfte gesammelt hatte, um zur Brossardière zurückzukehren. Ein vielseitiges Rudel, das aus etwa zwanzig Hunden diverser Mischrassen und einem halben Dutzend schneller Jagdhunde mit besonders kriegerischen Temperament bestand, umringte die beiden Hundeführer des verstorbenen Jägermeisters Jacques du Vignault.

Bei der Segnung saßen ungefähr zwanzig Reiter auf den raren Halbblütern, die den Durchmarsch der Blauen überlebt hatten. Ich sah eine Frau im Damensattel unter ihnen, aber ich blieb in der Nähe von Jehan. Mindestens hundert Dorfbewohner, Männer und Frauen, folgten der Jagd. Wir ritten etwa drei Stunden lang quer durch die Wälder, ohne ein einziges Wildtier zu sehen. Die Hunde hatten sich in zwei Gruppen aufgeteilt und die Helfer hatten alle Hände voll zu tun, sie wieder zusammenzuführen. Die Kunst einer Jagdmannschaft besteht darin, alle Hunde auf die Fährte eines einzigen Tieres zu führen. Trotz der vielen Listen, die die Wölfe benutzen, um die Hunde auszustreuen, sollte nur dieses bestimmte Exemplar gejagt und schließlich angegriffen werden, denn wenn die Hunde von ihrer Fährte abgebracht würden und sich von anderem Wild ablenken ließen, würden sie schnell ermüden, ohne das geringste Ergebnis zu erreichen. Meine Beine schmerzten – sie waren für diese Art Bewegung noch zu schwach. Im Trab war es noch schlimmer, aber ich biss die Zähne zusammen und hielt durch. Nachdem wir über einen breiten Graben gesprungen waren, galoppierten wir über weite, brachliegende Felder. Als wir uns einem dichten Wald näherten, sah ich sie: das Rudel bestand aus mindestens zwanzig Wölfen. Vom Röhren der Jagdhörner beunruhigt, flohen sie über die Heide. Die Hunde hatten die Beute aufgespürt und die eigentliche Jagd konnte beginnen!

In meiner Begeisterung verstieß ich kurz darauf gegen eine alte Regel, indem ich mich von den anderen Jägern entfernte. Ich verfolgte ein einzelnes Tier bis zum Waldrand und verlor dabei Jehan aus den Augen. Vor einer dichten Hecke blieb das ermüdete Biest stehen, erschöpft von der langen Hetze. Es zitterte am ganzen Körper und hob die Nase, vermutlich um sich unseren Geruch einzuprägen; war der Wolf nicht ein Vorfahre des Hundes? Ich machte einen Knoten in die Zügel und legte sie auf den Widerrist des Pferdes. Die Sonne stand tief, doch vor dem hellen Hintergrund eines Felsens würde ich perfekt auf die Bestie zielen können. Ich legte mein Gewehr an. Die Wölfin war so dünn, dass ihre Knochen aus dem dichten Winterfell ragten – sie musste schon alt sein und war in schlechtem Zustand. Sie machte nicht den Eindruck, trächtig zu sein. Seltsamerweise gelang es mir nicht, abzudrücken. Mein Finger lag zitternd auf dem Abzug, aber ich schaffte es nicht, dem armen Tier, das mir nichts angetan hatte, ein schnelles Ende zu bereiten. Wenn eines meiner Kinder überlebt hätte, so hätte ich vielleicht die nötige Wut besessen, den Wolf zu töten, aber ich hatte niemanden mehr vor dem Tier zu beschützen, hatte nichts mehr zu verlieren, außer meinem eigenen Leben, an dem ich immer weniger hing.

Wenn ich das arme Geschöpf nicht töten konnte, dann vielleicht aus dem einfachen Grund, weil es mich an mein eigenes Schicksal erinnert hatte: es war aus seiner Zuflucht verjagt, vom Feind gehetzt und seiner Nächsten beraubt worden; wir hatten Einiges gemeinsam. Ich hatte mein Gewehr lange genug gehalten, um die Kälte des Metalls durch die weißen Offiziershandschuhe zu spüren, mit denen Jehan mich ausgestattet hatte. Als ich die Waffe sinken ließ, hob mein Pferd plötzlich den Kopf, und die schreckhafte Wölfin verschwand im Unterholz. Im Dämmerlicht hätte ich ihrer Spur weiterhin folgen können, doch ich gab den Gedanken auf und kehrte zu den Waidmännern zurück. In der Ferne blies ein Horn das Halali.

Später sah ich mehrere erlegte Wölfe. Die Jäger hatten sie an Stöcken festgebunden, die sie auf ihren Schultern trugen. Beim Beobachten dieser merkwürdigen Prozession musste ich an William denken und an die Worte, die er eines Tages auf unserer abgelegenen Insel ausgesprochen hatte, als eine Schlange im Haus Panik unter den Hausangestellten ausgelöst hatte:

„Wer sind wir, um über die Schädlichkeit einer Gattung zu urteilen? Wenn Gott entschieden hat, sie zu erschaffen, hatte er vielleicht Gründe, die wir nicht kennen..“ Damals hatte ich wenig Verständnis für seine Bemerkung gezeigt, jetzt aber dachte ich lange über seine Worte nach. Er schien mir so nahe, als würde er immer noch neben mir herreiten. Mein Blick verschwamm, als ich mir seine jadefarbenen Augen in Erinnerung rief. Trotz der Melancholie, die jeden meiner Schritte begleitete, erwärmte mir der Gedanke an ihn das Herz…


Zwei Tage später nahmen wir die Straße nach Angers. Meine großzügigen Gastgeberinnen geleiteten mich bis zum Stadttor. Mit dem Dokument, das mir bei der Entlassung aus dem Zuchthaus überreicht worden war, konnte ich, ohne aufgehalten zu werden, die Loire überqueren. In Angers wurde ich von alten Freunden ungläubig angestarrt, als ich an ihre Türe klopfte: man hatte mich für tot gehalten! Sie empfingen mich aufs Herzlichste und fuhren mich zur Brossardière. Auf der Fahrt waren wir schockiert von der Verwandlung der Landschaft - die Politik der verbrannten Erde hatte ganze Dörfer geleert, es war ein Alptraum. Überall waren verkokelte Dächer zu sehen, von der Hitze zum Einsturz gebrachte Mauern und verlassene Bauernhäuser. Nur noch wenige Menschen lebten hier und dort in den Ruinen oder in den wenigen Weilern, die dem Feuer entgangen waren. Wir wurden mehr als einmal angehalten und unsere Papiere wurden eifrig kontrolliert.

Ich fand mein Gut völlig ausgeplündert vor. Es war zum großen Teil ausgebrandt. Selbst die alte Bank am See, zu denen ich meine Begleiter führte, war in sinnloser Gewalt zerbrochen worden. Wir setzten uns zwischen die zwei Zypressen aus dem Bayou, die wir einst gepflanzt hatten. Das dunkle Wasser des Weihers lag friedlich wie eh und je unter seinem grünen Gürtel. Wir aßen etwas Brot und Früchte und schritten dann hinauf zum Gutshaus, dessen Dach in erbärmlichem Zustand war: Was die Flammen nicht zerstört hatten, war vom Regenwasser ruiniert worden. Nur die Türmchen und die Windmühle boten noch einige intakte Elemente an, wobei die Stallungen und Scheunen dank ihrer Entfernung zum Haupthaus unversehrt waren. Ich ließ mich vorübergehend in den Gemächern des Kosaken nieder. Unser alter Stallmeister war, wie alle anderen, in den Wirren des Krieges verschwunden. Meine Vertrauten halfen mir, einige nützliche Sachen in die kleine Etagenwohnung zu schleppen und machten sich am nächsten Vormittag wieder auf die Rückreise.

Spät in der Nacht suchte ich die kleine Kapelle auf und fand meine Kassette wieder. Das Heiligtum war verfallen, aber mein Schatz war intakt. Mein Anteil vom Verkaufspreis der väterlichen Domäne war zu der alten Mitgift hinzugekommen und ich stellte fest, dass ich eine wohlhabende Witwe geworden war. Ich gab meinen Vertrauten bei ihrer Abreise zwei Goldstücke für meine aufmerksamen Freundinnen von Saint-Jean-de-Linières mit. Dann suchte ich die wenigen Räume ab und entdeckte in einem halbwegs geschützten Zimmer ein Strohlager mit Decken und einer abgewetzten Reisetasche. Als ich sie durchsuchte, fiel mein Blick auf eine republikanische Brigadieruniform. Mein vager Plan einer Wiederherstellung der Dächer verpuffte bei diesem Anblick, der mich dazu veranlasste, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Ich eilte zurück in die Kapelle, sprach ein Stoßgebet und nahm ein Viertel meines Geldes aus der Kassette, die ich sogleich wieder hinter den hohlen Stein schob.

In der riesigen Scheune entdeckte ich einen alten Karren inmitten der Trümmer und beschloss, auf der Suche nach anderen nützlichen Objekten auf den Dachboden zu steigen. In einer ziemlich dunklen Ecke fand ich einen unförmigen Gegenstand, der vollkommen verstaubt und von Spinnweben bedeckt war: diese hatten ihn vor den eifrigen Händen der Plünderer geschützt. Als ich mit einem Bündel Stroh die graue Masse wegrieb, kam dunkelrotes Leder zum Vorschein: es war mein alter Kindersattel. Darauf war ich nicht gefasst gewesen! Die Erinnerungen übermannten mich und ich lehnte mich über den schmutzigen Damensattel, mit dem ich Aminte eingewiesen hatte und vergoss bittere Tränen. Ein Gefühl unendlicher Sinnlosigkeit überflutete mich und ich fühlte mich plötzlich so schwach, dass ich mich auf die staubigen Planken des Heubodens setzte. Ich weiß nicht, wie lange ich dort unbeweglich verharrt war, als ich plötzlich ein Geräusch hörte.

Ich sprang auf die Füße und sah mich panisch um. Dann zwang ich mich zur Ruhe und machte mich auf die Suche nach der Ursache des Aufruhrs. Ich betrat eine kleine, geschlossene Kammer, die einst dazu gedient hatte, Fleisch abzuhängen und sah eine wunderschöne Schleiereule durch ein riesiges Loch im Dach davonfliegen. Sie hatte ihr Nest in einer Ecke eingerichtet. Ich schaute dem majestätischen, langsamen Flügelschlag des Nachtvogels hinterher und erinnerte mich dabei schaudernd an die Anekdoten, die ich von meiner verstorbenen Schwiegermutter, Madame de Chappot, gehört hatte: die Eule galt in der Vendee als Vorbote des Todes! Dieser Aberglaube war sehr verbreitet und ging bei einigen so weit, dass sie die Vögel mit ausgebreiteten Flügeln an ihre Haustür nagelten, um ihre Familien gegen das Unglück zu schützen, für dessen Boten man die armen Tiere hielt!

Aber ich fürchtete mich nicht mehr vor dem Tod und zog es vor, meine Domäne von Eulen besetzt zu wissen als von Republikanern. Ich lud alles, was nützlich sein könnte, auf den wackeligen Wagen, bevor ich die Ladung mit altem Heu tarnte. Dann rollte ich meine Goldstücke in ein fadenscheiniges Leinentuch, das ich mir auf den Rücken band. Ich machte auch ein Bündel mit ein paar kleinen Gegenständen, die ich gefunden hatte: Stoffstücke, Lederriemen, eine Rolle Zwirn und eine alte, schäbige Decke. Es war spät geworden und ich verbrachte eine zweite, schlaflose Nacht in den kleinen Kammern über den ehemaligen Hengststallungen.

Am nächsten Morgen ging ich in aller Frühe los. Als ich im Dorf ankam, traf ich auf einen unserer alten Soldaten. Er hatte mich nicht erkannt, bevor ich mich ihm näherte und schien schwer betroffen, mich in einem solch verwahrlosten Zustand wiederzusehen. Er bot mir Tee an und wollte keine meiner höflichen Entschuldigungen akzeptieren, so nahm ich lächelnd an. Er führte mich zu seinem Haus, wo seine drei Kinder auf ihn warteten. Ich erfuhr, dass ihre Mutter umgekommen war, als sie sich gegen die Blauen gewehrt hatte, die ihr Vieh beschlagnahmten. Ich nahm ein Stück Buchweizenbrot an und trank in kleinen Schlücken heißen Brennnesseltee, doch vor den unschuldigen Gesichtern der hohlwangigen Kinder fehlten mir die Worte und ich erhob mich bald, um mich wieder auf den Weg zu machen. Der Bauer erwähnte einen Nachbarn, der ein Pferd zu verkaufen hatte, zu dem er mich kurz darauf führte. Ich kaufte – mehr oder weniger aus Mitleid – eine knochige, alte Mähre, die der Bauer mit einem brüchigen Lastensattel ausstattete. Ich nahm den erbärmlichen Klepper am Zügel und ging zurück zur Brossardière, zu Fuß, um meinen Unglücksgefährten nicht zu ermüden und keinen Verdacht bei den Patrouillen zu wecken.

Zurück in meiner Scheune legte ich dem Tier ein altes Kummet auf, das ich im Quartier des Kosaken gefunden hatte; er hatte zweifellos vorgesehen, es zu reparieren, dachte ich niedergeschlagen, während ich die dürftigen, ausgefransten Nähte überprüfte. Die kleine Stute ließ sich widerstandslos vor den beladenen Karren spannen, aber das arme Vieh hatte nicht die Kraft, das schwere Fahrzeug in Gang zu setzen, so verwarf ich meine Idee, aus Mitleid mit dem abgemagerten Tier und schob den Wagen unter Einsatz all meiner Kräfte in eine dunkle Ecke, wo ich seine Fracht etwas besser verbarg. Dann schleppte ich den alten Sattel die steilen Stufen hinunter, säuberte ihn und legte ihn auf den Rücken meines Pferdes. All diese Anstrengungen hatten den Vormittag aufgebraucht: Es war schon weit nach Mittag, als ich endlich aus der Scheune trat. Diesmal beschrieb ich einen Bogen um Saint-Andre-d’Ornay und führte das kleine Pferd über schmale Nebenstraßen. Man hatte mir gesagt, General de Charette habe sein Lager in Belleville eingerichtet, das nicht sehr weit entfernt lag, nur ungefähr vier Stunden. Aber mein armes Pferdchen kam nicht besonders schnell vorwärts, es war nicht beschlagen und mühte sich unter der Last des beladenen Sattels auf den steinharten, vom Sommer getrockneten Wegen. Nach der ersten Meile begann die Stute zu lahmen und zwang mich zu häufigen Stopps. Ich blieb stoisch und sprach ihr ruhig zu. Es herrschte angenehme Frische in den Hohlwegen. Ich begegnete keinem Menschen während meines langen Marsches und zwang mich, nach vorne zu schauen und die Erinnerungen aus meinen Gedanken zu verbannen, Schritt für Schritt. Später sah ich weitläufige Weidegründe, auf denen kein Vieh mehr graste und sang mit leiser Stimme Psalmen. Als die Schatten länger wurden, kam ich an einem Hof vorbei, wo ich zwei junge Bauern traf. Sie bestätigten mir, dass ich mich auf dem richtigen Weg befand.


Es war bereits dunkel geworden. Ich sah von weitem die Lichter von Belleville und hielt darauf zu, während ich die alte Stute hinter mir her zog. Eine Viertelmeile vor meinem Ziel hörte ich den mürrischen Ruf einer Wache:

„Wer da?“ Ich antwortete mit fester Stimme, ohne nachzudenken: „Lang lebe der König!“ Ich hatte Glück: Der alte Soldat, der an diesem Abend Wache stand, erkannte mich. Er war empört über meine veränderte Erscheinung und schlug vor, mich ins Hauptquartier zu geleiten, doch ich winkte ab: ich wollte nicht, dass er seine Position wegen mir aufgab und es war nicht mehr weit. Nach ein paar weiteren Minuten zu Fuß hörte ich Musik. Da mich die Lahmheit meines erbärmlichen Pferdes ebenso zurückhielt wie meine eigene Erschöpfung, brauchte ich noch eine ganze Weile bis zum Manoir de Jariette. Das Herrenhaus, das vor den Toren von Belleville lag, diente dem Chevalier Charette als Hauptquartier.

Alle Fenster waren erleuchtet und ich hörte laute Stimmen und Gelächter. Als die Musiker eine alte Volksweise spielten, stieg kalter Zorn in mir auf: nachdem ich niedergebrandte Dörfer durchquert hatte, in der sich nur noch wenige Waisen und Kriegswitwen in Ruinen versteckt hielten; nachdem ich das Elend der Insassen der überfüllten Zuchthäuser erlebt hatte und dem Tod ins Auge gesehen hatte – wie vermochte ich es jetzt nur, mich unter diese festliche Gesellschaft zu mischen? Nun, wo ich alles, was mir lieb war, verloren hatte, fühlte ich mich plötzlich nicht mehr in der Lage, diesen Tänzern im Sonntagsstaat entgegenzutreten, die unsere Hilferufe bei unserer Rückkehr von der gescheiterten Galernenfahrt ignoriert hatten. Wie sehr ich auch versuchte, all die schrecklichen Bilder zu verjagen - sie kamen zurück, um mich zu verfolgen, hartnäckig wie böse Geister. Ich holte tief Luft und lehnte mich gegen die Steinmauer, die den Haupthof umgab.

Drinnen hörte die Musik auf und ich vernahm Beifall, als plötzlich ein Stallbursche auf mich zukam, um mich zu begrüßen und mir das Pferd abzunehmen. Ich stellte mich vor und bat darum, zum Chevalier de Charette geführt zu werden:

„Mein Name ist Celeste Bulkeley.“ Beim Aussprechen dieser Worte spürte ich Williams Abwesenheit plötzlich wie einen körperlichen Schmerz, eine Welle eisiger Kälte rann durch meinen Körper und ließ mich erschauern. Der junge Mann bemerkte es und streckte mir seinen Arm zu, auf den ich mich dankbar lehnte. „Kommen Sie, werte Dame, ich bringe Sie zum Herrn General.“ Ich folgte ihm nach drinnen; Auf der Treppe stießen wir auf ein elegantes Paar, das ich nicht kannte: Sie sah nur herablassend an mir herab, er würdigte mich keines Blickes. Sie stolzierten zu einer der vielen Kutschen, die an der Auffahrt zum Haupthof standen.

Eine überraschende Mischung von Gerüchen schlug uns in der großen Empfangshalle entgegen: wir durchquerten Rauchwolken, die sich mit provenzalischen wie orientalischen Düften mischten. Ich bahnte mir einen Weg durch diese Menge aus gepuderten Dekolletés, zu engen Korsetts und gut gekleideter Herren. Ich schämte mich meiner Erscheinung, die so wenig für diese Art von Ball geeignet war. Aber die aus den Truhen hervorgeholten Krinolinen waren altmodisch, die Parfums zu verdünnt und die Tänzer, wie die Weine, zu jung! Ich hatte den Eindruck, in eine andere Zeit versetzt worden zu sein, oder in einen seltsamen Traum. Wie konnten sie nur so ausgelassen feiern, obwohl sie wussten, wie unser Volk bedroht, verfolgt und ausgelöscht wurde?

Seine Majestät, der heimliche König der Vendee, hatte mich nicht wahrgenommen. Er war umgeben von seinen Offizieren und etwa zwanzig jungen Damen, die er mit Seemannsgarn einwickelte: er stand, wie so oft, im Mittelpunkt während seiner – zugegeben gut erzählten – Seeschlacht, die nicht nur die weiblichen Gäste beeindruckte. Lässig an einen hohen Tisch gelehnt, auf dem sich Gläser um einen Champagnerkühler ringten, zeigte Charette sich in all seiner Pracht: elegant, lächelnd, schlank. Keiner wusste wie er Geschichten zu erzählen und die Menge hing an seinen Lippen. Ich dankte meinem jungen Begleiter und verfolgte, hinter einer robust gebauten Dame versteckt, die Anekdote des Generals: sie war köstlich, und die Gäste lachten Tränen.

Am Ende seiner Geschichte ging ich auf ihn zu und hob das Weinglas, das mir jemand ausgehändigt hatte:

„Ich weiß nicht, was Sie heute Abend feiern, Herr General, aber ich trinke auf Ihr Wohl und auf das unserer Kämpfer, die noch am Leben sind!“ Der General starrte mich ungläubig an, bevor er mich ansprach:

„Meine liebe Madame Bulkeley, was für eine bezaubernde Überraschung! Ich hoffe, Sie mit Ihrer Familie zu begrüßen?“ Und ohne zu wissen, was in mich gefahren war, imitierte ich Williams Akzent, als ich zurückgab:

„Ich habe keine Familie mehr.“ Ich atmete tief durch, um bei diesen Worten nicht in Tränen auszubrechen, aber Charette verstand. Er umarmte mich mit der ihm eigenen, väterlichen Zuwendung, mit denen er seine Nächsten behandelte. Ich vernahm Gemurmel um uns herum, einige hatten mich wahrscheinlich erkannt, andere waren der kleinen Szene aus Neugier gefolgt. Die Reaktion des Chefs auf meine späte Ankunft zog die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf mich.

So hörten alle die Vorwürfe, die ich Charette wegen seiner mangelnden Unterstützung der anderen Armeekorps zu machen hatte, und meine Anspielungen lösten einen regelrechten Skandal inmitten dieses schönen Tanzabends aus, das der Adel der Vendee sich mitten im Bürgerkrieg genehmigte. Ich war mir sicher, dass dieser Empfang keine Ausnahme war. In Belleville wurde gegessen, getrunken und getanzt wie zu Zeiten des Sonnenkönigs, während die Brandstifter ganze Landstriche dem Erdboden gleichmachten. Charette machte sein Mea-Culpa, indem er die vielen Feldzüge, die Angriffe, die Scharmützel im Unterholz und die Einnahme von Konvois erwähnte und schwere Verluste aufzählte. Auch seine Kapitäne ergriffen das Wort, um das Verhalten ihres Anführers zu rechtfertigen. Ich erfuhr vom Verrat, den der General erlitten hatte, von der bedeutenden Verantwortung, die er auf sich genommen hatte. Einer der Offiziere bemerkte, dass die Armee der Küste es nie versäumt habe, die Zivilisten südlich der Loire zu schützen, während sich die große Armee von ihrem Posten zurückgezogen hatte und damit sämtliche republikanischen Truppen auf das Hauptquartier des Chevalier Charette gerichtet hatte. Ich hörte ruhig zu, und bemerkte abermals:

„Wenn Sie die wenigen Tapferen, die das Gemetzel von Savenay überlebt haben, gesehen hätten, würden Sie meinen Standpunkt verteidigen, anstatt sich zu rechtfertigen. Es ist keine Schande, einen Fehler zuzugeben, den man gemacht hat. Ich sage es noch einmal: Sie hätten da sein müssen, als wir an der Loire ankamen.“

Charette antwortete nicht sofort. Er sah mich mit seinem intensiven Blick an, dem ich ernst standhielt. Ich entdeckte in seinen Augen ein stilles Geständnis, und in genau diesem Moment, in dem er schweigend sein Schamgefühl bezeugte, vergab ich ihm, und das Thema war für mich abgeschlossen. Aber Charette gehörte nicht zu der Art Männer, die sich um offene Aussprachen drückten, so schwierig diese auch sein mochten. Er verkündete mit fester Stimme:

„Meine liebe Freundin, Sie sehen mich untröstlich über die schrecklichen Torturen, die Sie durchgemacht haben und die Verluste, die Sie erleiden mussten. Wir alle teilen Ihren Schmerz, jeder von uns hat Angehörige und Freunde in diesem ungleichen Krieg verloren. Wir kämpfen gegen einen allgegenwärtigen Feind, der fast unbesiegbar anmutet, weil er sich bis in unsere eigenen Reihen eingeschleust hat. Heute Nacht sind wir zusammen, um für ein paar Stunden die Schrecken des Krieges zu vergessen. Morgen werden wir wieder dem Tod ins Auge sehen, aber heute tanzen wir und lachen, denn niemand weiß, ob das Leben es uns morgen noch gestattet. Ich möchte ganz offen mit Ihnen sein, denn ich schätze Sie: jede noch so große Freude, die unsere ruhmreichen Momente uns bescherten, wurde für mich durch die Furcht vor den Repressalien zerstört, die ein weiterer Erfolg unserer Armee in Paris provozieren würde. Und vergessen Sie nicht, dass ich mich von Anfang an dagegen ausgesprochen hatte, die Vendee aufzugeben - ich habe immer gegen die Passage der Loire plädiert. Ein solcher Konvoi kann nicht unbemerkt bleiben, er schafft zu viele Probleme hinsichtlich der Versorgung und der Verwundeten und setzt die Zivilbevölkerung erheblichen Risiken aus.“

Er machte eine lange Pause, bevor er mich fragte:

„Wurde Ihnen gesagt, dass eine Abteilung meiner Divisionen allen Kontrollpunkten getrotzt hat, um Ihnen entgegenzukommen? Unsere Beobachter schlugen sich bis zur Loire durch, doch das Wasser stand zu hoch, um zu Pferde überquert zu werden, wie Sie es von der anderen Seite aus bemerkt hatten! Die Blauen lauerten überall und wir haben mehr als einen unserer Späher dabei verloren. Versuchen Sie deshalb, meinen Standpunkt zu verstehen. Die einzige Freude, die das Leben uns noch bietet, liegt im Glück verstohlener Festlichkeiten wie dieser hier. Es verbleibt mir, inständigst darauf zu hoffen, dass Sie mir vergeben, auch wenn ich mir nichts vorzuwerfen habe.“

M. de Charette reichte mir seinen Arm und führte mich zur Festtafel im Speisesaal, der an die Eingangshalle grenzte. Bevor er seinen Platz einnahm, rief er Pfeiffer, seinem Adjutanten, zu:

„Gebt in der Küche bekannt, dass Madame de Bulkeley eingetroffen ist, man lasse ihr ein Mahl zubereiten.“ Dann stellte er mir seine neueste Eroberung vor: Madame de Montsorbier. Sie war die Schwägerin von Madame de Chouppes, von der ich mit Erleichterung erfuhr, dass sie sicher nach Jersey gelangt war. Die junge Vertraute des Ritters war die neue Königin an seinem Hof, seit der General sie im Kloster Val de Morière kennengelernt hatte, wo er sich von einer Verwundung erholte. Er hatte sich in das Gotteshaus begeben, um sich von den Nonnen, die zu dieser Zeit noch in der abgelegenen Gegend lebten, gesundpflegen zu lassen. Ein Arzt aus dem republikanischen Gefangenenlager hatte erheblich zu Charettes schneller Genesung beigetragen.

Die zierliche Madame de Montsorbier war erst vor Kurzem mit ihrer Schwester in das Kloster gekommen, nachdem sie lange durch das Anjou gewandert war und das Retzer Land zu Fuß erreicht hatte. Ihr Geburtsname war Elisabeth de Voyneau. Ihr Ehemann war nach der Revolution nach England gegangen, während sie zur Zeit der ersten Brandkolonnen der großen Armee gefolgt war. Auf dem Galernenzug wurde sie krank, und hatte das Glück, von einem Diener des Prinz Talmond aufgenommen zu werden. Nach ihrer Genesung begab sie sich in ihre Heimat im Anjou, doch als sie den Ort von Republikanern eingenommen vorfand, schlug sie sich bis zum Wald von Grasla durch, wo sich Hunderte von Flüchtlingen ein zurückgezogenes Lager aufgebaut hatten. Die Vorsehung ließ sie dort auf ihre Schwester stoßen! Diese hatte die Absicht, sich im Kloster Val de Morière nützlich zu machen, wohin die beiden Schwestern gingen, um sich um unsere verwundeten Soldaten zu kümmern. Madame de Montsorbier verließ auf Drängen M. de Charettes das friedliche Asyl, das ihr das Kloster geboten hatte, und folgte dem General in sein Hauptquartier. Sie war eine anmutige Frau mit einem verspielten Geist, von großer Schönheit und kindlichem Charme. Ich aß unter den wohlwollenden Augen des Ritters und seiner Freunde ein einfaches, aber schmackhaftes Gericht. Später gesellte sich Mademoiselle de Charette zu uns, als die Musiker ein großartiges Stück eines russischen Komponisten spielten. Wer kann besser als der Sänger dem verirrten Freunde raten?

Dank der menschlichen Qualitäten meines Gastgebers und seiner Schwester fühlte ich mich schnell in den großen Kreis loyaler Königstreuer integriert und begann, mich mit der Welt zu versöhnen. Ich spürte den eindringlichen Blick von Anne-Marie, der Schwester des Generals, die ich sehr schätzte. Sie verschwand lächelnd in der Küche, wo ich sie am Ende des Konzerts in ruhigerer Umgebung aufsuchte. Wir tauschten Vertraulichkeiten aus: Ich erzählte ihr von meinem Unglück, sie erläuterte die Heldentaten ihres Bruders bei der Einnahme von Noirmoutier und sprach von der wütenden Trauer, die die würdelose Hinrichtung D’Elbees und der darauffolgenden Massaker ausgelöst hatte. Anne-Marie sagte leise, sie werde sich bald nach Nantes zurückziehen, wo ihre Familie wichtige Kontakte zu diskreten Anhängern unserer Bewegung hatte. Der Feldherr hoffte zweifellos, durch diese Maßnahme an neue Rekruten zu kommen wie auch den Austausch mit den Rebellen im Norden der Loire zu sichern. Dass er dazu bereit war, seine ihm ergebene Schwester einzusetzen, bewies – falls es dafür noch Beweise brauchte – dass unsere heilige Sache für ihn wichtiger war als seine Familienbande, und dass die Hoffnung, seinen liebsten Traum zu verwirklichen, einen eisernen Willen stärkte, der seine größte Stärke war. Ich wies Anne-Marie darauf hin, dass ihr Bruder wahrscheinlich einen Angriff auf das Lager fürchtete und um ihre Sicherheit besorgt sei, denn ich wusste, wie sehr er an ihr hing. Schließlich fragte ich meine Vertraute, was eigentlich aus der Gräfin de La Rochefoucault geworden sei, die vormals an der Seite des Ritters in den Kampf gezogen war. Ich erfuhr, dass die mutige Gräfin vermutlich verraten worden war. Sie war festgenommen und am Strand von Sables d’Olonne erschossen worden war. Thomazeau, ihr wackerer Leutnant, hatte die schöne Kreolin in den Tod begleitet. Der Chevalier Charette hatte Tränen vergossen, als er von dem Unglück erfuhr. Es lag nicht in meinem Ermessen, welche Tragödien der Seemann tief in seinem Herzen, hinter seiner lächelnden, gutherzigen Maske verbarg.

Bei meiner Rückkehr in die Eingangshalle, stimmten die Männer ein langes Loblied an, das ein gewisser Le Moelle, Kapitän der Ziegenfellreiter, gerade komponiert hatte. Möge der Leser mir vergeben, wenn ich die Reihenfolge der wenigen Verse verwechsle, die mir in Erinnerung geblieben sind:

„Wenn wir hier sind in Belleville

Hinter Wällen und Bastionen,

Kommandeure in Zivil

Von allen Divisionen

Erweisen ihm die Ehre,

Ziehen ihm dem Hut,

Dem großartigen Feldherrn

Des Bas-Poitou.

Es schallt durch die Provinzen

Von Nantes bis Fontenay:

Es gibt einen neuen Prinzen

Im Lande der Vendee.

Charette ist er genannt,

Lang lebe sein Herz!

Singt aus voller Kehle,

Ruhm und Ehre!

Savin und de La Robrie

Sind Hauptmänner mit Herz,

Wie auch Louis Couvreur,

Trotzen sie dem Heer.

Wenn sie an der Spitze reiten

Unter ihren Bannern,

Schön, als ritten sie zum Tanz,

Das Schwert im Sonnenglanz!

Die Vendee hat nun zur Wehr

Ihre eignen Bataillonen;

Frankreichs weißes Heer

Gegen die Nation.

Vorwärts! Bombardierer,

Artillerie,

Alle sind bereit zum Tanz

Der Symphonie“.


Ich traf mehrere unserer ehemaligen Soldaten und bald war ich von einer Menge Menschen umgeben, die neugierig meiner Version des Galernenausflugs zuhörte. Ich hatte die Ereignisse unserer Kampagnen von meiner Gefängniszelle aus verfolgt, erfuhr jedoch jetzt interessante Einzelheiten, von denen ich bis dahin nicht gehört hatte. General Léchelle, Oberbefehlshaber der Republikaner, hatte angeblich nach dem Scheitern von Torfou in Nantes Selbstmord begangen. Kleber sollte einen Plan zur Befriedung der Vendee vorbereitet haben, und in Paris kam die Idee von einer Amnestie für die Rebellen auf. Und vor allem sollte der Comte d’Artois, dessen Ankunft im Land so dringend erwartet wurde, endlich an der Küste der Vendee landen. General Charette schien daran zu glauben: er ließ ein Haus bauen, das in Belleville als Königspalast bezeichnet wurde. Es sollte als Residenz für den jungen Ludwig XVII. dienen..

Das Orchester spielte einen Walzer. Wegen meiner bedauernswerten Kleidung lehnte ich Aufforderungen zum Tanz ab. Ich wurde mit Emigranten bekannt gemacht, die aus der Schweiz und Jersey zurückgekehrt waren. Dann sah ich Tristan, den Bretonen, wieder, was mir große Freude bereitete. Er hatte sich soeben mit einer hübschen Gemüsegärtnerin aus dem Retzer Land verheiratet, und ich gratulierte dem jungen Paar zu seinem jungen Glück. Bald sprachen wir über diejenigen, die noch lebten, ohne die vielen Toten zu vergessen, die unsere Gedanken bevölkerten. Jede errettete Seele dieses gigantischen Clans wirkte wie ein Sieg auf uns. Ich traf alte Freunde meines Bruders Toussaint - nach ihrer Auskunft hatte er englischen Boden erreicht! Seine Frau, die letzte Überlebende ihres Zweiges der Etoile-Dynastie, war auf wundersame Weise dem Tod entkommen: der tapfere Diener meines Bruders, Faligan, hatte meine Schwägerin mit ihren Töchtern am Tag ihrer Hinrichtung vor dem Erschießungskommando bewahrt.

Ich zog mich gegen Mitternacht zurück, nachdem ich so viele neue Gesichter kennengelernt hatte, dass ich nicht alle Namen behalten konnte. Anne-Marie de Charette begleitete mich zur Offiziersmesse, wo ich vorübergehend untergebracht wurde. Es war ein großen Haus auf dem Marktplatz, in dem heute das Rathaus untergebracht ist. Sie gab mir ein schönes und großes Zimmer auf der Etage und holte aus einem alten Nussholzschrank auf dem Treppenabsatz weiße Laken, aus denen Lavendelsäckchen kullerten. Ich schlief wie eine Königin. Am nächsten Morgen erwies mir der General eine große Ehre, indem er mir das Kommando der Divisionen meines verstorbenen Gemahls übergab. Genaugenommen waren es Williams treue Soldaten gewesen, die Charette gebeten hatten, sich unter meine Befehle zu stellen, was der Ritter ohne Zögern akzeptierte. Als er mich empfing, verkündete er vor der Schar seiner Offiziere: „Ich habe den Eifer, den Sie auf den Schlachtfeldern unter Beweis gestellt haben, nicht vergessen, liebe Madame de Bulkeley. Darf ich Sie Celeste nennen? Dieser himmlische* Name passt so gut zu Ihnen!“

Ohne meine Antwort abzuwarten, überreichte er mir meine Streifen in einer Geste vollkommener Galanterie. Ich war tief berührt von diesem Vertrauensbeweis. Es war ein einfaches weißes Seidenarmband, dass mich in den Kreis der Anführer aufnahm. Meine Beförderung würde mir schon bald den Neid der jungen Aristokraten eintragen. Nicht nur die Damen schienen eifersüchtig auf die Auszeichnung – auch einige jugendliche Offiziersanwärter ließen mich daraufhin ihre Abneigung in aller Offenheit spüren. Nur Monsieur Launay, ein Vertrauter des Generals, kam auf mich zu, um mir zu gratulieren, gefolgt von ein paar älteren Soldaten, die ich kannte. Doch es war mir völlig gleichgültig, nicht in den Genuss der Sympathie jedermanns zu kommen, es gab nur noch ein einziges Element für mich, das wichtig war: meine Familie zu rächen. Einzig dafür hatte ich die Rückkehr in die Vendee auf mich genommen. Ich kümmerte mich wenig um meinen Beliebtheitsgrad und verstand die Reaktionen meines Umfeldes nicht, versuchte auch nicht, sie zu ergründen. Als mein Gatte noch am Leben war, hatte sich niemand darüber gewundert, dass Charette ihn William nannte, aber die Tatsache, dass der Ritter meinen Vornamen öffentlich erwähnt hatte, skandalisierte die Gesellschaft.

Das Hauptquartier der Armee der Küste und des Bocage war verbollwerkt worden, Palisaden schützten die Gräben, die in Richtung Lucs-sur-Boulogne und im Norden ausgehoben worden waren. Sumpfige Wiesen, gefolgt von brachliegenden Feldern umgaben den Süden und Osten der Stadt, wo ein weiterer Schutzgürtel aufgerichtet worden war. Täglich kamen Frauen an, die in teilweise elenden Verstecken auf wundersame Weise die Höllenkolonnen überlebt hatten. Sie leisteten ihre Hommage an den ruhmreichen Chef der Royalisten, überreichten ihm gestickte Wimpel oder Schulterklappen aus Goldfaden, bevor sie als ängstliche Flüchtlinge in ihre Schlösser zurückkehrten. Auch ich träumte davon, auf mein Gut zurückzukehren, aber nach dem, was ich gesehen hatte, schien der Augenblick noch nicht günstig, um unser Lager zurückzuerobern. Charrette war bei seiner Rückkehr von der Schlacht bei Torfou durch La Roche sur Yon marschiert und hatte die Stadt besetzt. Er hatte die Nacht mit allen seinen Mannen in der Stadt verbracht, konnte den Stützpunkt jedoch nicht halten.

Jemand hatte auf meiner Auktion meinen Damensattel ersteigert! Durch den größten aller Zufälle fand ich ihn wieder und kaufte ihn für ein kleines Vermögen. Es kam übrigens regelmäßig vor, dass Adlige in den Auktionshäusern mit ihren eigenen Besitztümern konfrontiert wurden. Wer es vermochte, kaufte die alte Standuhr der Großmutter oder ein geplündertes Juwel zurück. Auf dem Land begann zu dieser Zeit der Tauschhandel aufzublühen. Es gab drei Schneider am Ort. Ich bestellte ein Kleid und fand ein schnelles Vollblut bei einem Pferdehändler. Ich brauchte auch Waffen, zwei kleine Damenpistolen und einen leichten und scharfen Dolch. Ein kleines Taschenmesser vervollständigte mit ein paar Dingen für den Notfall meine Ausrüstung. Meine alte Mitgift war noch lange nicht erschöpft und ich konnte meinen Soldaten etwas Geld geben und den im Wald von Grasla versteckten Royalisten Essen bringen.

Charette behandelte mich als gleichwertig, was mich anfangs irritierte: wenn er auch jünger war als ich, seine Erfahrungen als ehemaliger Schiffskapitän im Krieg um Amerika und seine Heldentaten gegen das Gewaltregime Robespierres zeugten von seiner unbestreitbaren Überlegenheit, was Kriegstaktik anging. Und doch blieb er hartnäckig und hinterfragte meine Meinung zu politischen Neuigkeiten, suchte hin und wieder Rat bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern seiner Pfarreien oder auch für die Wahl eines guten Schlachtrosses. Außerdem wies er mir Missionen zu: zuerst ging es nur darum, eine der nächsten republikanischen Garnisonen zu beobachten. Er hatte ein Überwachungssystem geschaffen, bei dem er jahrhundertealte Baumriesen mit geknoteten Schiffsseilen ausstatten ließ. Durch das flache Küstenland konnten die Späher auf ihren Steigleitern mühelos die Truppenbewegungen der Republikaner überwachen, ohne entdeckt zu werden. Es gab eine Reihe royalistischer Lager die Belleville vorgelagert waren und eingreifen konnten, ohne dass die Zivilbevölkerung des Hauptquartiers in Gefahr geriet. Es gab mittlerweile, nach meiner persönlichen Schätzung, drei- bis viertausend Seelen vor Ort. Und viele mehr bei Versammlungen. Wir eskortierten einen Nahrungsmitteltransport für die Vertriebenen im Wald von Grasla. Dann vertraute mir der Chef einen Angriff auf einen republikanischen Konvoi an, der unsere Landschaften durchquerte. Ich nutzte die Kontakte des Chevalier Charette, der immer auf dem Laufenden der republikanischen Bewegungen war. Meine Reiter brachten mit stolzem Lächeln große Vorräte an Brot, Trockenobst, Hülsenfrüchten und anderen Lebensmittel an. Später war der Angriff auf einen republikanischen Posten, so unbedeutend er auch sein mochte, eine Herausforderung, um die mich manch anderer Kapitän beneidete – ich zweifelte die Machbarkeit der Pläne niemals an und ärgerte erneut manche Neider, als ich mit den Wachen zwei Pulverfässer aus dem feindlichen Lager stahl. Es fehlte ständig an Schießpulver in der weißen Armee. Ich riskierte meinen Kopf genauso wie meine Brüder in diesem Gefecht, aber ich hatte nichts zu verlieren und kämpfte in diesem Geisteszustand. Siegen oder sterben.

Charette entsandte Boten ins Land, um die Sturmglocken zu läuten und mehr als tausend Soldaten kamen aus allen Richtungen an, um das Feldlager von La Roulière und ein paar Tage später das von Fréligné einzunehmen. Vierzehn Tage später, gegen Ende September, errangen wir einen weiteren, kompletten Sieg gegen Moutiers-les-Mauxfaits. Zwischen unseren Feldzügen ging ich auf Patrouille und lagerte mit den Soldaten am Lagerfeuer oder in halbabgebrannten Bauernhäusern.

Die republikanischen Truppen waren jetzt in der Defensive: Die Kühnheit, mit der Charettes Truppen ihre Posten angriffen, hatte ihre Grenzen zurückgedrängt. An der Spitze meiner Truppe, die zahlreich geworden war, wagten wir uns in immer entferntere Ländereien, oftmals, ganz ohne mit dem Feind konfrontiert zu werden. Der Anführer hatte eine weitere Herausforderung für mich: ein Angriff auf das Chateau du Givre war geplant, das zwischen den Garnisonen von Saint-Cyr und Avrille an der Straße von Luzon nach Sables d’Olonne liegt. Mehr als zweihundert Infanteristen hatten sich in der mittelalterlichen Burg verschanzt, nachdem sie von den Reitern des Kapitän Launay tagelang gehetzt worden waren. Er hatte mir von großen Munitionslagern in den Nebengebäuden des Schlosses berichtet. Charette hatte seine eigenen Pulvermühlen gebaut, aber die Produktion wurde oft durch den Mangel an Rohstoffen aufgehalten.

Am 3. Oktober 1794 in der Morgendämmerung hielten wir auf das Schloss du Givre zu. Kurz vor Sonnenaufgang gab ich den Befehl zum Angriff, die Reiter stürmten vorwärts, dicht gefolgt von den Fußtruppen. Ich war kaum abgestiegen, als wir seine Mauern erreichten und die Garnison durch die Schießscharten, die Launay auf seiner Skizze unterschlagen hatte, das Feuer eröffnete. Wir antworteten, ohne zurückzuweichen, um die Aufmerksamkeit der Blauen davon abzulenken, dass ein Teil der Männer eine hohe Leiter bestiegen, die an die hintere Fassade gelehnt worden war. Doch der Plan, die Schützen von hinten zu überraschen, ging nicht auf, die Späher entdeckten die Angreifer zu früh und nahmen drei davon gefangen. Alle anderen konnten unter dem Schutz der Bodentruppen entkommen. Wir zogen uns in den Wald zurück, um einen zweiten Versuch vorzubereiten, doch der Erfolg blieb aus. Unser Rückzug fand in vollkommener Ordnung statt und man ließ uns davonkommen, ohne die Verfolgung aufzunehmen. Ohne Geschütze war diese Burg nicht einnehmbar, was die These bestätigte, die ich dem Ritter Charette vor unserer Abreise vorenthalten hatte.

Wir ritten Richtung Süden und beobachteten in angemessener Entfernung einen Getreidetransport zum Turm von Moricq, der vor dem kleinen, gleichnamigen Hafen in der Nähe von Angles liegt. Diesmal wurden unsere Bemühungen von Erfolg gekrönt: Wir griffen die Hafenwachen an, um uns der mit Weizen beladenen Karren zu bemächtigen und brachten sie nach Belleville. Das milde und trockene Wetter begünstigte unser Manöver, da wir die Gespanne über Wege lenkten, die im Winter nicht genutzt werden konnten. Ich hatte zwei Boten ins Hauptquartier gesandt, um den General über unsere Beute zu informieren. M. de Charette beglückwünschte unsere Herangehensweise bei unserer Rückkehr ins Lager. Er befragte uns über den Hafen von Moricq, den er noch vor dem Winter erneut angreifen wollte, um weitere Vorräte einzuheimsen. Ein paar Tage später wurde auch das Getreide der Ländereien des Generals angeliefert, die aus den Meiereien der Fonteclose-Domäne ins Lager geschickt worden waren, während eine andere Division einen Versorgungskonvoi in der Nähe von Saint-Gilles angriff. Unsere Kornspeicher waren für den Winter gefüllt.

General de Sapinaud sandte eine Nachricht aus dem Gänselager, das er mit Hilfe der Küstenarmee wieder eingenommen hatte. Sapinaud und Charette unterhielten freundschaftliche Beziehungen und tauschten wichtige Informationen wie auch Nahrungsmittel zwischen ihren benachbarten Gebieten aus. Der Ritter hatte soeben erfahren, dass General Stofflet Papiergeld in Umlauf gebracht hatte, das die Transaktionen in unseren Gebieten erleichtern sollte. Er hatte in den Druckerpressen von Maulévrier für eine Million Pfund Scheine gedruckt, die in Friedenszeiten rückzahlbar waren. Es schien, dass sogar der übermächtige Abbe Bernier mit den Mitgliedern des Rates kämpfen musste, um diesen umstrittenen Plan in den Reihen der Armee zu verteidigen. Ein Schreiben an Stofflet wurde aufgesetzt, dass ihn daran erinnern sollte, wie wichtig es war, sich mit den anderen Generälen der königlichen und katholischen Armee abzustimmen. General de Charette sprach sich dagegen aus, das Papiergeld anzuerkennen. Ich fürchtete mehr und mehr, dass die Unstimmigkeiten zwischen unseren Anführern unserer Sache schaden könnten. Madame du Fief, die ebenfalls im Damensattel an den Kämpfen teilnahm, teilte meine Befürchtungen.

Ich begleitete den General mit dem Boten von Sapinaud in den Wald von Grasla, wo wir von einer Husarenkolonne überrascht wurden. Charette kannte diese Wälder sehr gut, weil er dort oft gejagt hatten, und wir schafften es, die Blauen in einem gefährlichen Zickzack durch den dichten Eichenwald zu locken, der früher den Schiffswerften des Königs gedient hatte. Charette führte die Reiter zu einem kleinen, tiefen Teich, der sich hinter einem Abhang verbarg. Hinter geschwärzten Büschen versteckt beobachteten wir, wie die Husaren wie Fliegen in den Schlamm fielen – nachdem wir sie ausgiebig verhöhnt hatten, schenkten wir ihnen das Leben und zogen uns großmütig zurück, doch die lange Verfolgung ließ uns das improvisierte, mitten im Wald gelegene Hüttendorf erst spätabends erreichen. Für den General war es ein Anlass, der würdig gefeiert werden wollte, seine hiesigen Freunde wiederzusehen. Die Gamben und Ziehharmoniken wurden hervorgeholt und der Ball konnte beginnen. Die armen Leute waren in Fetzen und wir teilten uns das mitgebrachte Brot, schlechten Apfelwein und Linsensuppe, aber die gute Laune, menschliche Wärme und Fröhlichkeit entschädigten alle für die Bescheidenheit des Festmahls.

Ich zog mich schon früh am Abend zurück. Der General hatte sich etwas zu unternehmungslustig für meinen Geschmack gezeigt. Ich hatte die Tänze satt und wollte nicht noch mehr Gerüchte aufkommen lassen, als bereits kursierten. Das angebliche Verhältnis zwischen M. de Charette und mir hat nie existiert. Ich gebe zu, dass seine Versuche, mich zu verführen, zahlreich waren, ganz zum Trotz seiner offensichtlichen Liebe zu Madame de Montsorbier. Es war sein Jagdinstinkt, der ihn dazu trieb, alle Damen seines Geschmacks erobern zu wollen, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergab. Ich aber empfand es als unwürdig, auf einer langen Liste romantischer Abenteuer zu stehen, eine weitere Jagdtrophäe seiner Sammlung zu werden. Aber ja, ich gestehe, ich habe diesen Mann geliebt. Ja, wie so viele andere Frauen liebte ich den charismatischen Ritter, aber auf meine eigene Art, auf die einzige, die mir möglich oder respektabel erschien. Charettes Erfolge bei den Damen waren ein Mythos und sein Ruf als Frauenheld wohl gerechtfertigt - ich möchte nicht darüber richten und es geht mich nichts an. Ich bin eine diskrete Frau, was die Herzensangelegenheiten anderer angeht, was an sich schon eine Seltenheit ist, denke ich! Ich bin ein Kind der alten Welt geblieben, ein wenig altmodisch, zugegeben, aber authentisch, wie die Bauern der Vendee!

Ich wollte die angesehene Freundin des Chevalier Charette sein, seine Waffenschwester; die Vertraute, die dem Don Juan des Bocage den Charakter einer Frau erschloss, die seinem Charme widerstand. Doch was geschehen sollte, geschah: es klopfte sehr spät in der Nacht an meine Tür, als die festlichen Gesänge und Musikinstrumente längst verklungen waren. Ich dachte gar nicht daran zu antworten, auch wenn mir das Herz bis zum Hals schlug, obwohl ich nicht wusste, wer da war – oder vielleicht vielmehr, weil ich es ahnte. Aber ich stand nicht auf, denn ich erinnerte mich genau daran, den verrosteten Riegel der Tür zu der winzigen Hütte verschlossen zu haben. Doch Charette hämmerte ungeniert an den bebenden Bretterverschlag und begann, zu mir zu sprechen! Er war betrunken und, was schlimmer war, er machte sich daran, meinen Namen zu nennen und mir lautstark eine regelrechte Liebeserklärung zu machen. Ich hatte meinen schwarzen Reitrock abgelegt und wickelte mich in meine Decke. Dann zündete ich die Kerze auf dem kleinen Tisch an und öffnete die Tür. Er trat ein und verschloss schnell den Riegel hinter sich. Mit einer ritterlichen Geste nahm er den Hut ab und fuhr sogleich mit seinen Komplimenten fort:

„Oh, Sie Himmlische! Was für weiches, güldenes Haar Sie doch haben, Sie sollten es öfter offen tragen. Oh Celeste, ich muss gestehen, Sie sind die edelste aller Damen. Ihr Blick ist intensiver als die Tiefen der Ozeane, diese Augen, hell wie das lichte Azurblau eines Sommerhimmels…“

Ich hatte mich ihm unbeeindruckt vor meiner Schlafstätte in den Weg gestellt und unterbrach ihn jetzt schroff:

„So halten Sie doch endlich den Mund, oder liegt Ihnen daran, das ganze Lager aufzuwecken? Hören Sie mir gut zu: es ist eine Schande für einen Herrn Ihres Formats, spätnachts in einem so erbärmlichen Zustand der Trunkenheit bei einer Dame vorzusprechen. Ich appelliere an Ihre Ehre, Herr General. Ich hatte einen langen Tag im Sattel, ich habe Ihnen einen Tanz gewährt, aber jetzt habe ich nur noch einen einzigen Wunsch: mich auszuruhen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Monsieur.“

Er öffnete den Mund, um zu widersprechen, dann besann er sich und starrte mich einen Moment lang wie versteinert an. Eines seiner Knie knickte leicht ein, was ihn in ein ungeschickt anmutendes Schwanken verfielen ließ. Endlich nahm er den Hut von einem Hocker, auf den er ihn achtlos abgelegt hatte, richtete sich auf und trat schweigend zurück.

Bevor sich die Türe vollständig schloss, hörte ich ihn flüstern: „Wie bedauernswert! Ich bin der Meinung, man tut besser daran, eine Sache zu bereuen, die man getan hat als eine, zu der einem der Mut fehlt..“


* Der Rotmilan, auch Roter Milan, Gabelweihe oder Königsweihe genannt, ist eine etwa mäusebussardgroße Greifvogelart aus der Familie der Habichtartigen.

* himmlisch ist die wörtliche Übersetzung des französischen Namens Céleste

Celeste

Подняться наверх