Читать книгу Elynne - Salakridas W. - Страница 4
ОглавлениеSchulbeginn
Etwas Feuchtes berührt meine Wange. Ich drehe mich auf die andere Seite und versuche weiter zu schlafen. Irgendjemand stupst mich sanft an der Schulter. Eine Mischung aus Winseln und Bellen ertönt ganz nah an meinem Ohr. Ich öffne meine Augen und beginne zu Kichern, als Etwas Haariges an meiner Nase kitzelt.
„Sahira, Ward. Meine Süssen, hört auf, ich bin ja schon wach“, ich kann nicht aufhören zu Kichern, denn Ward stürzt sich auf mich und beginnt mein ganzes Gesicht abzuschlecken. „Wo ist denn mein kleiner James?“, frage ich und schaue mich in meinem Zimmer um.
Klein, ist ein wenig übertrieben, denn James ist ein Dobermann und somit alles andere als klein. James steht auf und bellt zur Antwort. Er hat in einem der beiden Hundebetten geschlafen. Meine beiden Hunde und meine Katze, Sahira, dürfen bei mir im Bett schlafen. Alle haben jedoch ihr eigenes Bettchen. Sahira benutzt ihr Bettchen jedoch nie. Eine Katze sucht sich für gewöhnlich ihr Schlafplatz selber aus. Bei Sahira ist es halt eben mein Bett. Sie liegt ständig auf meinem Bett. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb mein weisses Bettlaken mehrheitlich grau ist. Sahira ist eine britische Kurzhaarkatze, deren beste Freunde ein Dobermann und ein American Pitbull Terrier ist – und ich natürlich. Mit mir schmust sie am liebsten. Es ist deshalb nicht immer leicht die Hausaufgaben für die Schule zu erledigen. Ich blicke auf meine Armbanduhr. Es ist halbsechs. Wer Hunde und Katzen hat, braucht keinen Wecker mehr. Sahira maunzt, als ich mich aus der Bettdecke schäle und anziehe. Ich gehe aus dem Zimmer und betätige den Lichtschalter für die Lampe im Flur. James, Ward und Sahira folgen mir zum Eingangsbereich des Hauses. Ward setzt sich vor meinen Füssen auf den Hintern und sieht mich erwartungsvoll an.
„Einen Moment noch“, sage ich zu Ward und gehe den ganzen Weg wieder zurück zu einem Zimmer, welches sich gleich neben meinem befindet.
Eigentlich müsste Leyth jetzt auch aufstehen. Schliesslich hat er zur selben Zeit wie ich Schule und er muss vorher noch mit Dolin Gassiegehen. Dolin ist sein dreijähriger Rottweiler, den Ward überhaupt nicht ausstehen kann. Keine Ahnung, wieso. Ich klopfe an seiner Zimmertüre, die er mit lächerlichen Postern von irgendwelchen hübschen Sängerinnen und Schauspielerinnen beklebt hat, die sowieso niemand kennt.
„Leyth, steh auf! Du musst doch noch mit Dolin raus“, rufe ich und öffne die Türe.
Drinnen ist es stockdunkel. Mein grosser Bruder lässt immer die Rollladen herunter. Da ich es hasse, wenn es in meinem Zimmer so finster ist, ziehe ich vor dem Zubettgehen immer nur den blauen Nachtvorhang zu. Leise schleiche ich mich in sein Zimmer und rüttle ihn an der Schulter.
„Wach endlich auf. Weisst du eigentlich, wie weh es tut, wenn man eine grosse Blase hat, man aber nicht Pipi machen kann?“, frage ich Leyth leise.
Dolin stimmt mir winselnd zu. Er liegt in seinem Hundebett neben Leyths Bett. Leyth will nicht, dass Dolin in seinem Bett schläft. Er meint, er könne so nicht schlafen. Manchmal kann ich meinen Bruder einfach nicht verstehen. Naja, es gibt auch Menschen, die behaupten, sie können nicht mit geschlossenem Fenster schlafen. Solche kann ich noch weniger verstehen.
„Du hast wohl schon Erfahrungen damit gemacht“, witzelt Leyth, der endlich wach ist.
„Ich meine es ernst. Es grenzt an Tierquälerei, wenn man mit seinem Hund nicht rausgeht, nur damit man eine Stunde länger im Bett bleiben kann. Morgenmuffel“, sage ich zu ihm und verschwinde aus dem stockfinsteren Zimmer.
Ward sitzt noch immer an derselben Stelle, an der ich ihn zurückgelassen habe. „Du bist ein guter Hund, Ward.“
Ward sieht mich mit seinen süssen braunen Hundeaugen an. Leider ist mein kleiner Ward nicht so brav, wie er zu sein scheint. Er ist ein kleiner Teufel, denn er beisst einfach jeden. Egal, ob Mensch oder Hund. Deshalb muss ich ihn immer an der kurzen Leine nehmen und ihm einen Maulkorb anziehen. James nehme ich nie an die Leine. Der Dobermann bellt oft, aber er noch nie jemanden gebissen. Im Gegensatz zu Ward ist James ein Engel. Die einzigen, die Ward noch nie gebissen hat, sind James, Sahira und ich. Sogar Mom und Dad hat er schon einmal in die Hand gebissen. Mich wundert es nicht, dass er Leyth angreift. Mein Bruder sieht zwar gut aus mit seinem blonden Haar und den blauen Augen, aber er hat seinen Kopf nur zum Bürsten da. Leyth würde nie auf die glorreiche Idee kommen, seinen Kopf einmal für das Denken zu verwenden. Ward hat auch schon einmal Dolin angegriffen. Dolin war so sehr verletzt, dass der Tierarzt seine Wunde nähen musste. Die Tierarztrechnung durfte dann ich bezahlen. Seit diesem Vorfall lassen wir Dolin und Ward nie zusammen in einem Raum sein. Deshalb muss ich mich jetzt ein bisschen beeilen, damit ich aus dem Haus bin, bevor Leyth mit Dolin aus dem Zimmer rauskommt. Als ich draussen auf der Veranda bin, lasse ich die Haustüre hinter Sahira ins Schloss fallen. Sahira begleitet mich immer, wenn ich mit den Hunden Gassiegehe. Vor ein paar Minuten ist die Morgendämmerung hereingebrochen und am Horizont sieht man schon die Morgenröte. Ich atme die frische Morgenluft ein. Gemeinsam mit den Hunden und mit der Samtpfote verlasse ich unser Grundstück. Ich blicke auf die andere Strassenseite zu einem braunen Haus. In diesem braunen Haus wohnt mein bester Freund Bixente Cole, den ich schon seit der ersten Klasse kenne. Bixi hat ein süsses Gesicht, strohblondes Haar und blaue Augen. Da er keine Geschwister hat, ist er der Mittelpunkt im Leben seiner Eltern. James läuft vor mir die Strasse runter und hebt an einem Baum sein Hinterbein hoch, um zu Urinieren. Danach läuft er an den grauen Wohnblöcken vorbei bis zu einem Reiterhof. Ward und Sahira laufen neben mir her. Der Geruch der Pferde weht immer bis zu mir Nachhause. James winselt und geht eilig am Reiterhof vorbei. Zwei Pferde stehen draussen auf der Koppel und galoppieren auf uns zu, als sie uns kommen sehen. Wahrscheinlich hoffen sie, dass ich etwas Fressbares für sie habe. Als James die Pferde kommen sieht, rennt er davon. Mein Dobermann hat Angst vor Pferden. Er wurde einmal von einem Hengst getreten. Ich blicke James nach und verliere ihn aus den Augen, als er nach links abbiegt und hinter einem Supermarkt verschwindet.
„James, warte!“, rufe ich ihm hinterher und habe Angst, dass er von einem Auto erfasst wird, wenn er auf der anderen Seite des Supermarkts über die Strasse rennt.
Ich sprinte am Supermarkt vorbei und atme erleichtert aus, als ich James entdecke, der sich hingesetzt hat und vor dem Zebrastreifen auf mich wartet. James steht schwanzwedelnd auf und gemeinsam überqueren wir die Strasse. Als wir auf der anderen Seite der Strasse sind, blicke ich zu meinen Haustieren runter. Ward und James schauen zu mir hoch, während Sahira sich schnurrend an meine Beine schmiegt. Wir gehen weiter und kommen an braunen Gebäuden vorbei. Auf einem dieser Gebäude steht in grosser weisser Schrift Tierarzt drauf. In einem der türkisfarbenen Wohnblöcke, welche sich rechts von mir auf der anderen Strassenseite befinden, wohnt meine beste Freundin Sissy Abbott. Sissy besitzt zwei Katzen – Mina und Sina. Sie spielt Klavier und Gitarre. Ihre Eltern sind schon seit langem geschieden. Meine beste Freundin lebt bei ihrem Vater, da ihre Mutter in ihrem neuen Leben keinen Platz für sie hat. Sissy wohnt nur fünf Gehminuten von der Schule entfernt, während ich und meine andere beste Freundin Malia etwa eine halbe Stunde brauchen bis wir endlich die Schule erreicht haben. Ich schaue zur Schule rüber, die sich schräg gegenüber vom Tierarzt befindet. Ward interessiert sich nicht gross für das hellgraue Schulgebäude und auch nicht für das Licht, das in einem der Klassenzimmer brennt. Irgendein Lehrer ist schon in der Schule und bereitet sich höchstwahrscheinlich auf seinen Unterricht vor. Vermutlich ist es einer der neuen Lehrer, die uns ab diesem Jahr Unterricht erteilen werden. Ich wende meinen Blick vom Schulgebäude ab und schaue wieder Ward an, der fertig herumgeschnüffelt hat und mitten auf dem Gehweg uriniert hat. Ich setze den Spaziergang in Richtung Fussballplatz Wulfilo fort, überquere die Strasse und bleibe vor dem Fussballplatz stehen, da meine beiden Hunde einen grossen Baum beschnuppern müssen. Nachdem James und Ward zum Entschluss gekommen sind, dass dieser Baum nicht wirklich interessant ist, schnüffelt Sahira mit ihrem kleinen Näschen an der Erde beim Baum und uriniert. Als sie fertig ist, schnüffelt sie an ihrem Urin und deckt ihn mit der Erde zu. Ward und James schauen ihr dabei interessiert zu. Sahira tapst an uns dreien vorbei und geht die Strasse runter. Wir gehen um den Fussballplatz herum und überqueren auf der anderen Seite die Strasse. Ich schaue verächtlich auf eines der olivgrünen Reihenhäuser. Hier wohnt nämlich Gerda, die On-Off-Affäre meines Vaters. Ständig verschwindet er schwanzgesteuert in dieses Haus und kommt mit einem selbstgefälligen Lächeln auf dem Gesicht wieder raus. Ich verstehe nicht wieso meine Mutter bei diesem Kotzbrocken bleibt. Sie könnte ihn doch einfach rauswerfen. Schliesslich gehört das Haus ihr, und nicht ihm. Sie hat es von ihren verstorbenen Eltern geerbt. In diesem Haus ist meine Mutter aufgewachsen.
„Muss jemand von euch vielleicht ein Häufchen machen? Hier, gleich vor der Haustüre, wäre ein idealer Ort“, ich gehe in die Hocke, deute mit dem Finger auf Gerdas Haus und sehe meine Lieblinge fragend an.
Sahira scheint mich verstanden zu haben. Sie geht zur Haustüre, setzt sich hin und wartet. Ich blicke meine Katze an und frage mich so langsam, ob sie mich wirklich verstanden hat. Ward wird langsam ungeduldig und gibt ein leises Knurren von sich. Er setzt sich hin und sieht mich an. Doch ich beachte ihn nicht, sondern schaue immer noch Sahira an, die jetzt wieder aufsteht und tatsächlich ein Häufchen macht. Sahira maunzt zufrieden und schmiegt ihren Kopf an meine Beine. Ich streichle ihren Kopf und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. Meine Katze schnurrt überglücklich.
Später stehe ich vor unserem rotbraunen Haus mit dem braunen Dach. Das Haus sieht so aus, als wäre es aus einem Bilderbuch entsprungen. Drinnen brennt das Licht. Meine Eltern sind in der Zwischenzeit aufgestanden und haben – wie jeden Morgen – das Frühstück gemacht und den Tisch gedeckt. Ich betrete das Grundstück und schliesse die Haustüre auf. James rennt ins Haus rein und geht schnurstracks zu seinem Fressnapf. Doch sein Fressnapf ist natürlich noch leer. Der Dobermann setzt sich vor seinem Fressnapf im Esszimmer hin und wartet geduldig darauf, dass ich ihm sein Frühstück gebe. Ich ziehe Ward das Geschirr und den Maulkorb ab und ziehe mir anschliessend noch selber meine Schuhe und Jacke aus. Ward geht in mein Zimmer, da sich sein Fressnapf dort befindet und lässt von Innen die Türe laut ins Schloss fallen. Sahira, die immer noch neben mir im Eingangsbereich sitzt, zuckt vor Schreck zusammen, als die Türe ins Schloss fällt.
„Hast du dich erschreckt, meine Süsse?“, ich hebe Sahira hoch und drücke sie an mich.
Sahira maunzt zur Antwort und beginnt zu Schnurren. Ich trage sie ins Esszimmer, wo meine Eltern schon am Tisch sitzen und frühstücken, und James immer noch vor seinem Fressnapf auf sein Frühstück wartet. Ich lasse Sahira wieder auf den Boden, die zu ihrem leeren Fressnapf geht, welches gleich neben James’ steht. Sahira miaut und deutet mit der Pfote auf ihren leeren Fressnapf.
„Guten Morgen, Ely. Alles gut gegangen?“, begrüsst mich Mom.
„Morgen. Ja, Ward ist brav gewesen“, antworte ich auf ihre Frage.
„Ihr seid wahrscheinlich auch keiner Menschenseele und anderen Hunden begegnet, oder?“, vermutet Dad und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ich würde ihm am liebsten eine reinhauen. „Lass’ gefälligst Ward in Ruhe!“ Wütend gehe ich in die offene Küche und bereite das Essen für meine Lieblinge vor. Ich hole das Nassfutter für Sahira heraus und stelle zwei Becher Futter für die Hunde bereit. Ohne auf meinen Vater zu achten, lasse ich das Nassfutter in Sahiras Napf gleiten und leere den Becher in James’ Napf. Mit dem anderen Becher gehe ich in mein Zimmer. Ward sitz vor meinem Bücherregal neben seinem Futternapf und sieht mich hungrig an. Als ich den Inhalt des Bechers in seinen Napf geleert habe, stürzt Ward sich gierig auf das Futter. Die Deckenlampe in meinem Zimmer ist an. Ward muss sich wieder einmal mit den Hinterbeinen auf meine Bücherkiste gestellt haben und den Lichtschalter an der Wand mit seinen Pfoten betätigt haben. Aus einer meiner blauen Schubläden hole ich zwei Knochen heraus. Einen lege ich auf mein Bett und den anderen halte ich Ward vor die Nase. „Den hast du dir verdient.“ Ward sieht mich mit seinem süssen Hundeblick an und leckt mir dankend das Gesicht ab. Ich kichere: „Schon gut, Ward.“
Draussen höre ich, wie die Haustüre abgeschlossen wird und Leyth anfängt darüber zu reden, wie neugierig er doch auf die neuen Lehrer in der Schule ist. Das ist wahrscheinlich auch das Einzige, was ihn interessiert. Leyth geht nicht wirklich gerne zur Schule, im Gegensatz zu mir. Ich komme aus meinem Zimmer raus und lasse die Türe hinter mir nur einen spaltbreit offen. Dolin sitzt links neben Sahira und frisst sein Hundefutter.
„Laut Stundenplan haben wir dieses Jahr zwei neue Lehrer“, sagt Leyth gerade und wirft einen Blick auf seinen neuen Stundenplan, den er heute garantiert zum ersten Mal in der Hand hält und studiert. „Professor Garou ist unser neuer Lehrer in den naturwissenschaftlichen Fächern und im Sportunterricht. Mal sehen, ob er sportlicher ist, als unser letzter Sportlehrer. Professor Nuo war eine Niete im Sport.“
„So schlimm war die gar nicht“, behaupte ich, obwohl ich genau weiss, dass er Recht hat.
Professor Nuo war bis zu den Sommerferien unsere Sportlehrerin. Sie hat gekündigt, weil sie mit ihrem Mann umgezogen ist. Unser Schulleiter hat bis zu den Sommerferien keinen Ersatz für sie gefunden und schon befürchtet, dass wir für eine Weile keinen Sport mehr haben werden. Nach zwei Wochen Sommerferien kamen zwei Briefe von der Schule. Eins für Leyth und eins für mich. In den Briefen waren unsere Stundenpläne und eine Liste mit den Namen der Lehrpersonen. Anscheinend hat unser Schulleiter, Professor McDermott, doch noch einen Ersatz für Professor Nuo gefunden.
„Professor Rooper ist unser neuer Lehrer in den Sprachen und in Informatik“, teilt Leyth unseren Eltern mit und legt seinen Stundenplan neben sich auf den Tisch.
„Was hast du als erstes?“, will ich von meinem Bruder und versuche einen Blick auf seinen Stundenplan zu erhaschen.
„Geometrie, und du?“, entgegnet Leyth und streicht sich eine Scheibe Zopf mit Nutella.
Ich schaufle mir einen grossen Löffel mit Cornflakes in den Mund und schlucke das gekaute Essen hinunter, bevor ich meinem Bruder antworte. „Englisch.“
Leyth nickt nur und schlingt sein Frühstück schnell runter. Sahira springt auf mein Bein und rollt sich auf meinem Schoss zu einer Kugel zusammen.
Als es endlich Zeit ist in die Schule zu gehen, verabschiede ich mich von meinen Eltern und von meinen Lieblingen und verlasse gemeinsam mit meinem Bruder das Haus. Vor der Einfahrt steht ein gutaussehender Junge mit strohblondem Haar und blauen Augen. Er hat eine sportliche Figur, da er seit sechs Jahren Fussball spielt. Heute trägt er ein rot-schwarz kariertes Hemd, schwarze Jeans und dazu rote Sneakers. Mein bester Freund schenkt mir sein süssestes Lächeln, als er mich kommen sieht.
„Ist rot heute deine Lieblingsfarbe?“, frage ich Bixente und blicke auf seine roten Schuhe runter.
„Ja, Rotschopf“, sagt Bixente und drückt mich kurz an sich. „Du siehst super aus!“ Mein bester Freund sieht mich bewundernd an. Ich trage einen Minirock in Karodesign, ein schlichtes graues T-Shirt, eine schwarze Lederjacke und schwarze Lederschuhe mit silberfarbenen Nieten und silberverzierten Schnallen. Meine roten Haare trage ich für gewöhnlich offen.
„Kommt ihr endlich?“, meldet sich Leyth zu Wort, der schon einige Meter gelaufen ist und sich jetzt zu uns beiden umdreht.
„Ja“, sage ich laut und mache mich gemeinsam mit meinem besten Freund auf den Weg in die Schule.
Ein Mädchen mit dunkelblondem Haar und braunen Augen winkt uns mit einem strahlenden Lächeln zu. Sie trägt blaue Hotpants, eine blaue Bluse mit Blumenmuster und Rüschen. Die Bluse hat Spaghetti-Bügel. Ihre flachen Sandalen sind Türkis. Die Pferdeliebhaberin hat ihr dunkelblondes Haar zu einem französischen Zopf geflochten. Das topgestylte Mädchen steht vor der Koppel und fällt mir um den Hals, als ich mit den beiden Jungs am Reiterhof vorbeilaufe und sie begrüsse.
„Hübsche Bluse“, meint Leyth zu dem Mädchen, das nach Pferden riecht.
„Danke, Leyth. Oh, du siehst so toll aus, Ely“, säuselt meine beste Freundin Malia.
Ich lächle sie an. „Danke.“
Als wir am Supermarkt vorbeilaufen, fragt Malia uns: „Wie wohl die beiden neuen Lehrer so sind? Was meint ihr?“
„Ich bin vor allem auf Professor Garou gespannt. Ich frage mich, ob er ihm Sport was taugt“, erwidert Leyth und überquert die Strasse.
„Hoffentlich hasst Professor Garou Trampolinspringen genau so sehr wie ich“, sagt Malia und spielt nervös mit den Rüschen ihrer Bluse.
„Und hoffentlich liebt er Fussball“, fügt Bixi fröhlich hinzu.
Nach fünf Minuten haben wir die Schule erreicht. Vor der Schule befindet sich der Lehrerparkplatz. Vier bekannte Autos stehen auf dem Lehrerparkplatz. Der schwarze Opel gehört dem Schulleiter. Er parkiert immer vorwärts. Sissy vermutet, dass Professor McDermott nicht rückwärts parkieren kann. Neben dem Opel steht ein türkisfarbener Fiat, der Professor Smack gehört. Professor Smack ist eine sehr strenge Musik- und Kunstlehrerin. Die grässliche Farbe ihres Autos passt perfekt zu ihrem Aussehen. Der weisse Ford, der zwei Parkplätze vom Opel entfernt steht, gehört Professor McCartney. Professor McCartney ist die älteste Lehrerin und geht bald in Rente. Ich mag sie sehr, denn sie ist ein geduldiger Mensch und immer gutgelaunt. Das vierte Auto, welches auf dem Lehrerparkplatz steht, ist ein schwarzer Peugeot. Dieser schwarze Peugeot gehört Professor Routh. Er ist unser Mathe- und Geometrielehrer und nicht der Beste im Parkieren. Sein Auto steht schräg im Parkfeld und das linke Hinterrad befindet sich auf der gelben Linie. Wir gehen die Treppe zum Pausenplatz rauf. Einige Schüler sitzen auf der Treppe und erschweren einem den Weg nach oben. Einer meiner silberverzierten Schnallen am linken Schuh verfängt sich an einem schwarzen Rucksack mit Rosenmuster drauf. Ich falle der Länge nach um.
„Oh, mein Gott, Ely! Alles, okay?“ Sissy springt von ihrem Platz auf der Treppe auf und beugt sich über mich.
Malia kichert, als sie sieht, was soeben passiert ist. Bixi und Sissy helfen mir wieder auf die Beine.
„Dein blöder Rucksack hat mich auf dem Gewissen“, knurre ich und sehe dabei Sissy an.
„Tut mir leid, Ely“, murmelt Sissy entschuldigend.
Sissy liebt Hotpants. Deshalb hat sie auch heute eine blaue Hotpants an. Dazu ein graues T-Shirt mit dünnen Trägern und eine kleine Brusttasche. Ihre Füsse stecken in weisse Sneakers. Meine zweite beste Freundin trägt eine rote Strickmütze.
„Hast du nicht zu warm unter der Strickmütze?“, will Bixi von Sissy wissen und schaut in deren grüne Augen.
„Nein. Diese Strickmütze gehört zu meinem Outfit“, entgegnet Sissy und spielt mit einer ihrer hellbraunen Strähnen.
Bixi mustert Sissys Outfit. „Ach so.“
In diesem Moment hält ein schwarzer Cadillac Escalade vor der Schule an. Drei Jungs und ein Mädchen steigen aus. Danach steigt auch noch ein Mann aus, der sich vom Fahrer verabschiedet und die Beifahrertür zu macht.
„Umwerfend!“, bemerkt Malia und sieht die drei Jungs ran, die die Treppe zu ihnen hochkommen.
„Bekommen wir dieses Jahr gleich vier neue Mitschüler?“, fragt Bixi und mustert die Neulinge argwöhnisch.
„Ja, sieht so aus“, meint Sissy und schaut den Mann an, der ebenfalls die Treppe hochkommt. „Ist der einer der neuen Lehrer?“
„Vermutlich“, raune ich meinen Freunden zu.
Der Mann hat schwarzes Haar und türkisfarbene Augen. Er hat ein sehr hübsches Gesicht und nickt jedem Schüler, an dem er vorbeigeht, freundlich zu. Der Unbekannte scheint nett zu sein. Ich frage mich, welche Fächer er unterrichten wird. Einer der drei Jungs erregt mit seinen perlgrauen Augen meine Aufmerksamkeit. Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, dessen Augen perlgrau sind. Als er einen der anderen beiden Jungs anlächelt, beginne ich dahin zu schmelzen. Sein schwarzes Haar bildet einen guten Kontrast zu seiner Augenfarbe. Das Mädchen folgt den Jungs die Treppe rauf. Mit ihrem goldbraunen Haar und ihren mandelgrünen Augen, sieht sie einfach nur wunderschön aus.
„Die ist hübsch!“, sagt Malia bewundernd. „So eine wunderschöne Haarfarbe. Schöne Augen und eine tolle Figur.“
Die Jungs pfeifen der neuen Schülerin hinterher. Das Mädchen errötet, geht jedoch weiter, als wäre nichts geschehen. Mein Schwarm schaut zum Mädchen zurück.
„Kyara, komm endlich!“, ruft er ihr zu.
„Hallo, ihr Süssen! Willkommen auf der Sekundarschule Wulfilo! Ich bin Tamera“, sagt die Oberzicke aus unserer Klasse laut.
Tamera Courtney hat ihr braunes Haar dunkelblond gefärbt. Ihre dunkelbraunen Augen strahlen die Jungs an, als sie die paar Stufen zu ihnen runtergeht. Sie wirft mir einen finsteren Blick zu, ehe sie ausgerechnet meinem Schwarm ihr schönstes Lächeln schenkt. Tami hat eine schlanke Figur und grosse Oberweite, die sie auch gerne zeigt. Heute hat sie ihre langen Beine in einer schwarzen Leggings reingequetscht und sie trägt ein pinkfarbenes T-Shirt. Ihre Füsse stecken in rosaroten Stöckelschuhen, die ziemlich hohe Absätze haben. In solchen Schuhen könnte ich nicht laufen. Mir würden schon nach kurzer Zeit die Füsse schmerzen. Eine lange Halskette mit einem übergroßen Eulenanhänger ziert ihren Hals. Drei silbrige Metallbänder schmücken ihr rechtes Handgelenk. Tamera ist immer passend zu ihrem Outfit geschminkt. Natürlich hält sie den kurzen Henkel einer ihrer vielen Handtaschen, die sie besitzt, in der Hand. Es ist eine pinkfarbene Handtasche, in der sie es irgendwie geschafft hat, ihre ganzen Schulsachen zu verstauen. Tamera klimpert verführerisch mit ihren langen Wimpern und beginnt mit dem Jungen mit den perlgrauen Augen zu flirten. Unser neuer Lehrer raunt Kyara etwas zu und grüsst Tamera freundlich.
„Guten Tag, Professor…“, beginnt Tamera und blickt den Mann an, der ihr ein freundliches Lächeln schenkt.
„Professor Garou“, stellt sich der sympathische Mann vor.
„Der sieht so gut aus!“, schwärmt Sissy und sieht dabei den neuen Professor an.
Professor Garou scheint Sissy gehört zu haben, denn er blickt sie amüsiert an. „Wie heisst du?“
„Ich… Mein Name ist… Sissy Abbott“, stammelt Sissy und wird tomatenrot im Gesicht.
„Schön, dich kennenzulernen“, meint Professor Garou zu seiner Schülerin. „Und wie heisst ihr beide?“
Mein Schwarm und die anderen beiden Jungs wenden ihre Aufmerksamkeit jetzt mir zu. Tamera scheint da ganz und gar nicht zu passen. Sie sieht mich hasserfüllt an und versucht die Aufmerksamkeit der Jungs wieder auf sich zu lenken. Doch die Jungs scheinen sich anscheinend brennend dafür zu interessieren, wie die Rothaarige heisst.
„Mein Name ist Malia Henning“, antwortet Malia dem Sportlehrer.
Da richten sich plötzlich alle Augen auf mich. Ich blicke auf den Boden und betrachte meine schwarzen Schuhe, als mich ein harter Stoss trifft und ich zum zweiten Mal innert kurzer Zeit Bekanntschaft mit der betonierten Treppe mache. Geschickt rolle ich mich ab und lande ein paar Treppenstufen weiter unten auf allen Vieren. Ein lautes, wütendes Knurren entweicht meiner Kehle, als ich mich wieder auf die Füsse aufrapple. Ich spüre, wie ich von allen Seiten von neugierigen Blicken beobachtet werde.
„Geht’s noch?“, will ich wütend von Tamera wissen, die mich von oben herab triumphierend ansieht.
„Du knurrst wie ein tollwütiger Hund“, behauptet Tamera, als ich die Treppe raufkomme.
„Das habe ich von Ward gelernt“, erwidere ich bissig.
„Dich sollte man wegsperren, du tollwütiger Hund!“, sagt Tamera aufgebracht, die schon mal Ward begegnet ist.
„Ach, ja, stimmt. Jetzt erinnere ich mich wieder. Ward hat dich angeknurrt und hätte dich wahrscheinlich auch noch gebissen, wenn er nicht ein Maulkorb getragen hätte. Schade eigentlich“, lache ich übertrieben laut.
Tamera sieht mich wutentbrannt an. „Diesen aggressiven Hund sollte man einschläfern!“
„Mädels, Mädels! Zickt euch doch nicht so an. Was ist denn los mit euch?“, mischt sich Professor Garou ein.
„Halten Sie sich doch da raus! Gehen Sie doch als allererstes zum Büro des Schulleiters und reden Sie zuerst mit ihm, bevor Sie den Lehrer raushängen lassen und sich in unsere Angelegenheiten dreinmischen!“, schreie ich aufgebracht und renne davon. Ich verschwinde auf der Mädchentoilette und schliesse mich in einer der Kabinen ein.
Kabinen sind in den verschiedensten Blautönen angestrichen worden. Die Toiletten in der Schule sind sehr modern ausgestattet und immer blitzblank. Ich setze mich auf den Toilettendeckel in der Kabine und bereue mein Verhalten von vorhin. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich bin ziemlich frech zu Professor Garou gewesen. Wahrscheinlich muss ich schon am ersten Schultag Nachsitzen. Toll gemacht, Elynne Badrey. Wieso muss ich immer so vorlaut sein? Dad fragt sich immer, von wem ich das freche Verhalten geerbt habe. Von ihm garantiert nicht. Mein Dad neigt eher dazu, meine Mom mit dieser Gerda zu betrügen und trotz seines idiotischen Verhaltens den Schein zu wahren. Meine Mom ist wortwörtlich ein Engel. Sie hat sich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen und behandelt ihre Mitmenschen immer respektvoll und zuvorkommend. Leyth kommt vom Verhalten her, eher nach Mom. Und ich sitze wie ein Häufchen Elend auf der Mädchentoilette und grüble darüber nach, wieso ich vom Verhalten her überhaupt nicht nach meinen Eltern komme. Und meine Haare? Wieso bin ich rothaarig, während meine Eltern braun- und blondhaarig sind? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Die Tür zur Mädchentoilette geht auf und irgendjemand kommt herein.
„Ely? Alles okay bei dir?“, erkundigt sich Sissy und sucht die Toilettenkabinen nach mir ab.
„Ist er wütend?“, frage ich meine beste Freundin schniefend.
„Professor Garou? Nein, er wirkte eher ein wenig verwirrt“, beantwortet Sissy meine Frage und steht vor der geschlossenen Kabinentüre. „Freust dich auf Englisch?“, versucht Sissy das Thema zu wechseln. „Hoffentlich ist Professor Rooper ein netter Lehrer, und nicht so streng, wie Professor Smack.“
„Hoffentlich muss ich wegen meinem Verhalten nicht Nachsitzen. Ich musste bis jetzt noch nie Nachsitzen. Es wäre eine Schande, wenn ich ausgerechnet am ersten Schultag Nachsitzen müsste. Meine Eltern würden mir vermutlich eine Standpauke über ein vorbildliches Benehmen vorhalten“, sage ich zu meiner besten Freundin, die laut seufzt.
„Hast du mir überhaupt zugehört, oder habe ich mich soeben nur mit der blauen Kabinentüre unterhalten?“, will Sissy empört wissen.
Als die Schulglocke ertönt, raffe ich mich auf die Füsse, schliesse die Kabinentüre auf und mache mich mit Sissy auf den Weg zum Englischunterricht. Auf dem Weg ins Klassenzimmer holen uns Bixi und Malia ein. Wir laufen an den blauen Spinden vorbei, die alle leer sind, da wir sie vor den Sommerferien ausräumen mussten. Heute kriegt jeder einen neuen Spind. Bei uns in der Schule herrscht keine Sitzordnung. Deshalb steht Kyara völlig hilflos beim Lehrerpult und beobachtet ihre Mitschüler, die Platz nehmen und fröhlich miteinander reden. Keiner von ihnen würde auf die Idee kommen, Kyara zu sagen, dass sie sich einfach irgendwo hinsetzen kann. Als wir ins Klassenzimmer reinkommen, sieht Kyara uns hilfesuchend an.
„Setzt dich einfach irgendwo hin. Bei uns herrscht keine Sitzordnung“, sage ich zu Kyara, die mich dankend anlächelt und in der vordersten Reihe Platz nimmt.
Malia und Sissy setzten sich zusammen an einem Tisch in der hintersten Reihe, da es der einzige Tisch ist, wo noch niemand sitz. Bixi setzt sich neben Pete, der ihm nur stumm zunickt, als er sich auf den Stuhl gesetzt hat. Ich sehe mich im Klassenzimmer um. Neben Inge, einer Mitschülerin, die sich ständig kratzt, als plage sie ein schrecklicher Juckreiz und neben Kyara, die neu in der Schule ist, ist noch ein Platz frei. Ich setze mich neben Kyara hin, die mich mit einem leisen „Hallo“ begrüsst und unsicher anlächelt.
„Hallo. Ich bin Ely. Keine Sorge, wir wissen auch noch nicht, wer dieser Professor Rooper ist“, sage ich zu ihr und erwidere das Lächeln.
Das Lächeln auf Kyaras Gesicht wird breiter. Ein Pfefferminzduft weht in meine Nase. Ich schaue mich suchen um. Eigentlich ist es nicht erlaubt, in der Schule Kaugummi zu kauen. Doch es gibt immer irgendwelche Schüler, die meinen, dass dieser Kaugummiverbot nicht für sie gelten. Auf der anderen Seite der vordersten Tischreihe, sitzt Lae Abatayo, die beste Freundin von Tamera. Sie kaut einen Kaugummi, während Tamera, die neben ihr sitzt, ihr etwas sagt. Die beiden Mädchen beginnen zu Kichern. Die Lehrer merken es oft nicht, wenn jemand in der Klasse einen Kaugummi kaut. Daher wundert es mich nicht, dass der Kaugummi in Laes Mund den Englischunterricht überlebt hat.
„Professor Rooper ist sehr nett“, meint Kyara zu mir.
Ich stimme ihr nickend zu. Professor Rooper hat uns erzählt, dass er sein Studium vor den Sommerferien erfolgreich abgeschlossen hat. Er ist Ende Zwanzig, hat goldblondes Haar und braune Augen. Unser Sprachlehrer kann sich in acht verschiedenen Sprachen verständigen. Von denen acht Sprachen, spricht er vier fliessend. Ein wahres Sprachtalent. In der kurzen Pause, die wir jetzt gerade haben, wechseln einige ihre Plätze. Malia und Sissy setzten sich an den freien Tisch neben mir. Bixi bleibt hinter mir sitzen und lächelt mich an, als ich mich zu ihm umdrehe. Mit Zeichensprache teile ich meinem besten Freund mit, dass Lae einen Kaugummi kaut. Mein bester Freund deutet mit seinem Finger auf seine Nase und sieht mich dabei fragend an. Ich nicke.
„Psst!“, macht Bixi in Malias und Sissys Richtung.
Meine besten Freundinnen drehen sich fragend zu Bixi um, der mit seinem Mund Kaubewegungen macht und danach mit dem Kopf in Laes Richtung deutet. Malia sieht mich warnend an und hält einen Finger an ihre Lippen. Sei ruhig, will sie mir damit sagen. In diesem Moment betritt Professor Garou das Klassenzimmer. Meine Mitschülerinnen himmeln ihn an, doch er scheint das gar nicht zu merken.
„Guten Morgen, zusammen!“, begrüsst Professor Garou die Klasse und sieht dabei jeden einzelnen an. „Mein Name ist Professor Garou. Ich bin euer neuer Lehrer in den naturwissenschaftlichen Fächern und in Sport.“
Alans Hand schiesst in die Höhe.
„Wie ist dein Name?“, will Professor Garou von Alan wissen.
„Alan Martin. Sind Sie gut im Sport? Entschuldigen Sie, bitte, dass ich Sie das frage, aber unsere frühere Sportlehrerin war eine Niete. Sie war ziemlich unsportlich“, erklärt Alan dem Lehrer.
Professor Garou lacht. „Du wirst bestimmt nicht enttäuscht sein, Alan.“
„Gut.“ Alan gibt sich mit dieser Antwort zufrieden.
Sei still, Ely. Reg dich nicht auf! Du kannst es nicht hören. Deine Freunde hören es auch nicht. Ich schüttle den Kopf, um die Kaugeräusche loszuwerden.
„Wie ist dein Name, Rotschopf?“, höre ich eine Stimme fragen. Die Stimme klingt so weit weg.
„Das ist Ely“, antwortet Kyara an meiner Stelle.
„Erde an Ely“, raunt Bixi mir zu.
Ich kann nicht mehr! Das ist doch nicht normal! Wieso höre ich, wie Lae ihren Kaugummi kaut? Wieso kann ich den Kaugummi in ihrem Mund riechen?
„Ich war wohl in Gedanken. Tut mir leid“, murmle ich und schaue in die türkisfarbenen Augen.
„Immer noch besser als einschlafen, nicht wahr?“, sagt Professor Garou lächelnd.
Er nimmt mir das von vorhin also nicht übel. Einige meiner Mitschüler lachen. Sissy schaut mich an. Ich erwidere ihren Blick mit ausdrucksloser Miene. Meine beste Freundin deutet mit dem Finger zuerst auf ihren Mund, danach auf ihr linkes Ohr. Hörst du, wie Lae kaut? Ich deute mit meinem Daumen nach oben. Ja.
„Sie hört Lae kauen“, höre ich Sissy leise in Malias Ohr flüstern.
„Was gibt’s hier zu Tuscheln?“, erkundigt sich Professor Garou und stützt sich mit beiden Händen auf den Tisch von meinen besten Freundinnen ab.
„Nichts“, behauptet Malia schnell.
„Wer ist Lae?“, fragt Professor Garou in die Klasse.
Hat er etwa mitbekommen, was Sissy gesagt hat? Unmöglich! Lae streckt die Hand in die Höhe.
Professor Garou hält den Abfalleimer hoch. „Wirf den Kaugummi hier rein. Im Unterricht wird nicht Kaugummi gekaut. Hat sonst noch jemand einen im Mund? Wenn ja, dann soll er oder sie gefälligst auch nach vorne kommen und den Kaugummi hier reinschmeissen.“
„Woher hat er es gewusst?“, raunt mir Bixi zu.
Ich zucke mit den Schultern. Unwillkürlich nehme ich den Geruch von Erdbeere wahr. Es kaut noch jemand einen Kaugummi. Lae steht mit hochtotem Kopf auf und spuckt den Kaugummi raus, der im Abfalleimer verschwindet.
Der Lehrer blickt sich in der Klasse um. „Noch jemand?“
Niemand meldet sich. Keiner steht auf. Ich drehe mich auf meinem Stuhl um und sehe meinen besten Freund ungläubig an.
Bixi bewegt lautlos seine Lippen. Wer?
Ich forme genauso lautlos mit meinen Lippen den Namen. Tamera. Kyara verfolgt unsere stumme Unterhaltung mit grossem Interesse.
„Ely, hier vorne spielt die Musik“, sagt Professor Garou streng, der mittlerweile den Abfalleimer wieder abgestellt hat.
Soll ich Tamera petzen? Die würde mich garantiert auch petzen, wenn sich die Gelegenheit bieten würde. Aber was ist, wenn er mich fragt, woher ich das weiss? Ich kann ihm schlecht sagen, dass ich den Kaugummi rieche. Der würde mich doch für völlig bekloppt halten. Ich frage mich nur, woher Professor Garou gewusst hat, dass Lae einen Kaugummi im Mund hat. Hat er ihn etwa auch gerochen, oder hat er tatsächlich mitbekommen, was Sissy zu Malia gesagt hat? Das wäre jedoch unmöglich, da Sissy sehr leise geflüstert hat. Das ich Sissy gehört habe, ist kein Wunder. Bei mir ist schliesslich irgendwas bei der Geburt kaputtgegangen. Wahrscheinlich habe ich einen Gendefekt. Ich drehe mich zu Professor Garou um, der mich immer noch fragend mustert.
„Was ist? Haben Sie noch nie einen Rotschopf gesehen?“, will ich genervt wissen.
„Doch. Ein Freund von mir ist rothaarig.“ Mit dieser Antwort hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet.
Ich schaue Professor Garou verblüfft an. „Tatsächlich? Hat er auch einen Gendefekt?“
„Du hast einen Gendefekt? Nein, bei meinem Freund ist alles in Ordnung“, entgegnet der Lehrer verschmitzt.
„Ja, bei mir ist so einiges kaputt“, antworte ich ihm.
Die ganze Klasse lacht über meinen Witz. Auch Professor Garou lacht. Ich verstehe nicht, was daran so witzig sein soll. Nur meine besten Freunde Lachen nicht darüber. Sissy sieht mich voller Mitleid an. Ich stehe auf und gehe nach vorne zum Abfalleimer. Das Lachen verstummt, als ich den Abfalleimer nehme und ihn vor Tameras Nase hinhalte.
„Was soll das?“, will sie wütend von mir wissen und schlägt mir den Abfalleimer aus der Hand.
Der Abfalleimer fällt zu Boden. Zum Glück ist er noch leer. Ich könnte vor schäumender Wut ausrasten. Malia haucht meinen Namen. Einatmen, ausatmen. Und nochmal. Einatmen und ausatmen. Nur nicht die Nerven verlieren. Bleib ruhig. Es ist nichts passiert. Es ist alles in Ordnung. Heb den Abfalleimer einfach wieder auf und stell ihn auf Tameras Tisch. Ich gehorche der Stimme in meinem Kopf. Tamera wirft den Abfalleimer runter. Wieder sagt die Stimme in meinem Kopf, ich solle ruhig bleiben. Tief einatmen und ausatmen. Konzentrier dich! Ruhe bewahren. Meine Mitschüler und Professor Garou beobachten die Szene, die sich immer wiederholt. Abfalleimer runter. Abfalleimer auf den Tisch. Es kommt mir so vor, als würde jemand immer wieder zurückspulen. Tamera wirft den Abfalleimer runter. Einatmen, ausatmen. Abfalleimer wieder auf den Tisch. Wie oft soll ich das denn noch machen? Lae grinst, als Tamera zum wiederholten Mal den Abfalleimer runter wirft.
„Du hast Professor Garou doch gehört! Kaugummi raus! Es gelten für alle die gleichen Regeln!“, schreie ich wütend.
Ruhe bewahren! Komm, schon! Ich koche vor Wut. Tamera sieht mich entgeistert an.
„Brauchst du etwa noch eine schriftliche Einladung?“ Ich knalle den Abfalleimer auf ihren Tisch.
In jeder Pore meines Körpers fühle ich ein angenehmes Kribbeln. Einatmen, ausatmen. Was ist das für ein Kribbeln? Ich ahne nichts Gutes. Das Kribbeln fängt an zu brennen.
„Entweder Kaugummi raus oder Nachsitzen“, sagt Professor Garou, der langsam die Geduld verliert. „Ely, geh wieder an deinen Platz.“
Meine Beine machen sich selbständig und gehen an den Tischen vorbei zu meinem Platz neben Kyara, die mich verwundert ansieht. Für sie bin ich garantiert ein Buch mit sieben Siegeln. Ich lasse mich auf den Stuhl fallen und versuche innerlich zur Ruhe zu kommen. Einatmen und ausatmen. Das schaffst du, Ely. Das Kribbeln wird langsam schwächer, bis es ganz verschwindet. Ich atme erleichtert aus. Gut, und jetzt versuche einfach ruhig zu bleiben.
„Euer Schulleiter, Professor McDermott, hat mich darum gebeten, mit euch ein intimes Thema durchzunehmen“, teilt uns Professor Garou mit und fügt nach einer kurzen Pause hinzu, „Sexualkunde.“
„Aha!“, ruft Bixi laut.
Alle sehen ihn überrascht an. Freut er sich etwa über dieses Thema?
„Sexualkunde, auch bekannt als, die Wissenschaft zwischen Mann und Frau, und das Phänomen der Geburt eines Kindes“, sagt Bixi und streckt dabei seine Hand in die Höhe.
„So könnte man das Thema auch nennen“, stellt der Lehrer anerkennend fest. „Weisst du sonst noch etwas zu berichten? Wie war noch einmal dein Name?“
„Bixente Cole. Aber nennen Sie mich doch einfach Bixi. Soll ich die Entstehung eines Kindes in meinen Worten fassen?“, antwortet Bixi und grinst dabei über das ganze Gesicht.
„Sehr gerne“, meint Professor Garou und setzt sich auf den bequemen Schreibtischstuhl.
„100 Millionen Männer – wir wollen es nicht übertreiben – gehen auf eine Reise. Alle steigen in einen grossen Bus“, beginnt Bixi zu erzählen.
Ich kichere leise. Mir ist schon klar, worauf das hinausläuft.
„Das Ziel der Reise heisst Eizelle. Kurz vor dem Ziel steigen alle aus und gehen zu Fuss weiter. Die meisten verirren sich auf dem Weg und gelangen nicht ans Ziel. Nur ein einziger Mann gelangt ans Ziel. Dort trifft auf eine wunderschöne Königin. Sie verschmelzen miteinander und werden eins. Neun Monate später kommt das Ergebnis zwischen den Beinen rausgeflutscht. Ende“, sagt Bixi theatralisch und verbeugt sich vor seinem applaudierenden Publikum.
„Gut erzählt.“ Professor Garou klatscht in die Hände. „Wer kann mir das beste Stück des Mannes beschreiben?“
Wohl eher das Gehirn meines Vaters. Niemand meldet sich freiwillig. Sogar Bixi weigert sich das Gehänge zwischen den Beinen der Männer zu beschreiben.
„Keine Freiwilligen? Na gut, Planänderung. Ein Mädchen beschreibt das beste Stück des Mannes und ein Junge beschreibt das weibliche Geschlechtsorgan, welches auch bekannt als Mutterschoss ist“, Professor Garou zwinkert Bixi zu.
„Mutterschoss? Komischer Name“, meldet sich Pete zu Wort.
„Haben wir einen Freiwilligen?“ Professor Garou sieht Pete an, der eilig den Kopf schüttelt.
„Das beste Stück des Mannes, auch bekannt als Glens Gehirn“, kichert Malia.
Sissy und ich stimmen in Malias Lachen mit ein. Professor Garou räuspert sich laut. Wir schauen ihn an und reissen uns zusammen. Zumindest versuchen wir es. Malia hat einige Schwierigkeiten dabei. Sie hält sich die Hand vor den Mund und kann einfach nicht aufhören zu Lachen. Ich bin ihr da auch keine grosse Hilfe, da ich die ganze Zeit kichere. Aussenstehende werden das vielleicht nicht verstehen, aber was mich angeht, ist Lachen wahrscheinlich das Beste, das ich im Moment tun kann. Professor Garou schüttelt lachend den Kopf. „Alles okay, Ely? Malia? Wer ist Glen, wenn ich fragen darf?“
„Elys Dad“, erwidert Sissy, die es geschafft hat sich zusammenzureissen. „Er ist eben schwanzgesteuert, wie Ely immer so schön sagt.“
„Das männliche Glied entspricht dem der Säugetiere“, pruste ich los. „Habe ich irgendwo einmal gelesen.“
„Wie bitte?“, kommt es von hinten.
„Bei Schnecken und Schlangen wird der Penis durch ein Stützgewebe sowie Hornsubstanz stabilisiert“, erkläre ich lachend.
„Wie kannst du uns Männer mit Tieren vergleichen?“, will Bixi ungläubig wissen.
Ich setzte meine Erklärung unbeirrt fort. „Durch den Druck eines Sattels beim Fahrradfahren kann es beim Peniswurzel und ihren empfindlichen Nerven zu Dysfunktionen bei der Erektion führen, oder so.“
„Da hat sich wohl jemand gründlich schlau gemacht“, lacht Professor Garou.
Die ganze Klasse lacht mit und bittet mich um eine Zugabe. Ich falle vor Lachen beinahe vom Stuhl. Kyara hält mich kichernd am Arm fest.
„Tut eine Beschneidung eigentlich weh?“, frage ich Professor Garou.
„Keine Ahnung. Ich selbst habe keine Erfahrungen damit gemacht“, gesteht uns Professor Garou.
Ich lache. „Bei Ihnen ist also noch alles dran.“
„Ja“, bestätigt der Lehrer.
Alle lachen lauthals. Wir haben noch nie so in einem Unterricht gelacht. Professor Garou ist sehr locker drauf. Den kann man womöglich alles Fragen.
„Sind Sie eigentlich verheiratet?“, will Sissy neugierig von Professor Garou wissen.
Der Lehrer schüttelt den Kopf. „Nein.“
„Ich auch nicht“, meint Sissy.
Professor Garou hält sich lachend den Bauch. Kaum zu glauben, dass so ein attraktiver Mann nicht verheiratet ist.
„Verlobt?“, frage ich den Lehrer.
Der neue Lehrer schüttelt ungläubig den Kopf. „Auch nicht.“
„Eine Freundin?“, erkundigt sich Malia.
Professor Garou verneint. Dieser Mann ist noch zu haben! Schade, dass er viel zu alt für mich ist.
„Wie alt sind Sie?“, meldet sich Lae zu Wort.
„35. So, jetzt aber wieder zum Thema. Wer kann mir das weibliche Geschlecht beschreiben?“
Nachdem auch die Scheide beschrieben wurde, klingelt die Schulglocke zur Pause. Alle packen ihre Schulsachen zusammen. Kyara räumt ihr Zeug ebenfalls weg und wartet, bis ich mich vom Stuhl erhebe.
„Kyara, hast du einen Moment?“, will Professor Garou von Kyara, die widerwillig zu ihm ans Lehrerpult kommt.
Meine Freunde und ich verlassen das Klassenzimmer. Ich lasse die Zimmertür hinter mir ins Schloss fallen und bleibe danach vor der Türe stehen.
„Was ist los, Ely?“ Malia sieht mich fragend an.
„Ich will wissen, was die miteinander zu reden haben. Sie sind zusammen aus dem schwarzen Auto ausgestiegen. Die beiden kennen sich. Ich frage mich, in was für einem Verhältnis die beiden zueinanderstehen“, erkläre ich meiner besten Freundin.
„Was sagen wir, wenn die beiden rauskommen?“, fragt mich Bixi.
„Das wir auf Kyara warten.“
„Sie hat gewusst, dass Lae und Tamera einen Kaugummi im Mund haben. Behalte sie im Auge, Kyara“, höre ich Professor Garou zu Kyra sagen.
„Und wie soll ich das anstellen?“, ertönt Kyaras Stimme.
„Freunde dich mit ihr an. Ich werde Saphirus darüber informieren.“
„Nein, nicht Saphirus!“, fleht Kyara ihn an. „Bitte, Dawer!“
„Sie nennt ihn beim Vornamen“, lasse ich meine Freunde wissen, „und sie soll sich mit mir anfreunden. Aber nicht mit mir!“
„Wieso denn das?“, kommt es von meinen Freunden, wie aus einem Mund.
“Damit sie mich im Auge behalten kann. Professor Garou fragt sich, woher ich wusste, dass Lae und Tamera einen Kaugummi im Mund gehabt haben“, erkläre ich meinen Freunden und entferne mich von dem Klassenzimmer.
„Ja, und ich frage mich, woher er es gewusst hat“, sagt Bixi und folgt uns nach draussen auf den Pausenplatz.
„Ich wette, er hat gehört, wie ich es Malia gesagt habe“, vermutet Sissy und setzt sich auf eine Bank.
Wir setzen uns zu ihr auf die Bank. Der Pausenplatz füllt sich mit Schülern. Überall sitzen und stehen die Schüler in Gruppen zusammen und plaudern miteinander. Scott Milonie, ein Schüler, der mit Leyth in die Schule geht, kommt mit drei anderen Jungs auf uns zu. Sein kupferbraunes Haar hat er nach hinten gekämmt, was bei ihm scheusslich aussieht.
„Hallo, zusammen!“, begrüsst er uns und setzt sich ungebeten neben mich auf die Bank. „Darf ich euch meine neuen Mitschüler vorstellen? Das sind Nemuel, Isaac und Murphy.“
Mein Schwarm, Nemuel und die anderen beiden nicken zu Begrüssung.
Ich ignoriere die drei und sehe stattdessen Scott an. „Was willst du?“
„Das sind Ely, Malia, Sissy und Bixi. Sie sind eine Klasse unter uns“, sagt Scott und ignoriert meine Frage.
„Wieso gehst du nicht zu Leyth und nervst ihn?“, frage ich Scott genervt.
Nicht aufregen, Ely!
„Leyth ist ihr Bruder“, erklärt Scott seine neuen Freunde.
Lass ihn reden. Schön ruhig bleiben. Ignorier ihn.
„Professor Smack hat sich wegen Nemuel aufgeregt. Das war vielleicht lustig“, lacht Scott.
Nemuel, Isaac und Murphy grinsen.
„Wir hatten es bei Professor Garou auch lustig. Der ist echt locker drauf“, erzählt Malia Scott.
„Echt? Wir haben nach der Pause Physik bei ihm. Was hattet ihr den bei ihm?“ Scott beugt sich nach vorne, um Malia anschauen zu können.
„Biologie. Sexualkunde“, antwortet Malia ihm.
„Die Wissenschaft zwischen Mann und Frau, und das Phänomen der Geburt eines Kindes“, fügt Bixi hinzu.
Im Unterricht hat es lustig geklungen. Jetzt finde ich es einfach nur lahm. Scott und seine neuen Mitschüler lachen.
„Hey, Isaac! Nemuel! Murphy!“ Kyara kommt angerannt.
„Ich bin Scott“, stellt sich Scott vor und steht auf.
„Kyara. Ich gehe mit denen hier in dieselbe Klasse“, sagt Kyara und deutet auf uns. Sie setzt sich auf den freigewordenen Platz neben mir.
Ich stehe auf und ziehe meine Freundinnen auf die Füsse. „Bewegung! Gehen wir auf den Fussballplatz.“
„Oh, ja!“, ruft Bixi begeistert. „Spielen wir Fussball!“
„Nein! Ich bin für ein Wettrennen“, entgegne ich.
„Ach, komm schon, Ely. Lass uns Fussball spielen.“ Bixi sieht mich enttäuscht an.
„Ich bin dabei“, meint Isaac und lächelt Bixi an.
„Super! Los, gehen wir!“ Bixis Enttäuschung ist wie weggeblasen. Meine Motivation leider auch.
Als die Jungs und Kyara auf und davon sind, setzte ich mich wieder auf die Bank nieder. Malia und Sissy schauen fassungslos zu mir runter.
„Jetzt, komm endlich! Wir wollten doch um die Wette rennen.“ Sissy zerrt an meiner Jacke.
Ich gebe mich geschlagen und folge meinen Freundinnen zum Fussballplatz. Bixi, Nemuel und Isaac haben sich zu einem Team zusammengerauft. Bixi steht im Tor und feuert seine Mitspieler an. Nemuel trippelt mit dem Ball an Scott vorbei und gibt an Isaac ab, der den Ball ins Tor schiesst.
„Tor!“, schreit Bixi. „Weiter so, Jungs!“
Nemuel und Isaac rennen zurück und versuchen Murphy den Ball weg zu kicken. Als Nemuel mich sieht, grinst er mich an und lässt dummerweise Murphy an ihm passieren.
„Nemuel, Augen auf den Ball! Du kannst später zu den Mädels schauen!“, ruft Isaac Nemuel zu.
Murphy lacht und klopft Nemuel freundschaftlich auf die Schulter.
„So, Mädels! Alles bereit?“, fragt Sissy ihre besten Freundinnen.
Malia und ich bejahen.
„Auf die Plätze! Fertig? Los!“, ruft Sissy.
Ich renne los. Malia versucht mich aufzuholen. Doch ich bin zu schnell. Wir springen um den Fussballplatz. Da spüre ich wieder dieses Kribbeln in jeder Pore meines Körpers. Meine Beine werden schneller. Ich erhöhe mein Tempo. Die Stimme in meinem Kopf sagt, ich solle langsamer rennen. Du rennst zu schnell, Ely! Das ist nicht normal. Ich kämpfe gegen den Drang auf allen Vieren zu rennen. Ich bin doch kein Hund! Meine Beine gehorchen meinem Gehirn und verlangsamen. Als Malia mich eingeholt hat, bleibe ich stehen und stütze mich auf meinen Knien ab.
Malia bleibt ebenfalls stehen und dehnt ihre Beine. „Kannst du etwa schon nicht mehr?“
Ich schaue zu den Jungs rüber, die am Fussball spielen sind. Scott jubelt, als der Ball an Bixi vorbeifliegt und hinter ihm im Netz zappelt.
„Nemuel, die Rothaarige schaut zu uns rüber“, höre ich Murphy Nemuel ins Ohr flüstern.
„Ich kann schon noch, aber das wäre nicht normal gewesen. Murphy hat gerade zu Nemuel gesagt, dass ich rüber schaue.“ Ich wende mich wieder meiner besten Freundin zu.
„Wieso hat Murphy ihm das gesagt?“, fragt Malia erstaunt und schaut zu den Jungs und Kyara. „Werden die eigentlich nicht müde? Scott und Bixi sind schon ausser Puste, aber die Neuen spielen einfach weiter und scheinen gar nicht ausser Atem zu kommen. Wie kann das sein? Bei dir verstehe ich es, aber bei denen?“
„Na, vielen Dank auch“, sage ich gekränkt.
Malia lacht. „Das ist jetzt nicht böse gemeint.“
Ich schnaube und jogge mit Malia zu Sissy, die uns fragend ansieht. Nachdem wir ihr in kurzen Sätzen erklärt haben, was los ist, gehen Malia und Sissy in Startposition.
„Auf die Plätze! Fertig? Los!“, schreie ich und schaue meine besten Freundinnen nach, die an mir vorbeirennen.
Ich setze mich auf den Boden und warte auf die Rückkehr meiner besten Freundinnen. Ein Ball kommt in hohem Bogen auf mich zugeflogen. Er prallt ein paar vor mir am Boden auf, ehe er endlich zum Stillstand kommt und ruhig vor mir liegen bleibt.
„Ely, wirf den Ball zurück!“, ruft Scott laut.
Ich strecke meinen Arm nach vorne und greife nach dem Ball. Der Ball ist jedoch zu weit weg. Mühsam, stehe ich auf und hebe den Ball vom Boden auf. Du hast doch nicht wirklich vor denen den Ball zurück zu werfen, oder? Ich betrachte den Ball in meinen Händen. Nein, das werde ich bestimmt nicht machen. Sissy und Malia rennen nebeneinander auf mich zu.
„Gehen wir wieder zum Pausenplatz?“, will ich von meinen Freundinnen wissen.
Die beiden bleiben stehen und bejahen. Sissy winkt mich zu sich und geht mit Malia in die entgegengesetzte Richtung. Ich lasse den Ball fallen und renne meinen besten Freundinnen hinterher.
„Was soll das? Kannst du etwa nicht werfen, oder was ist dein Problem?“, fragt mich Scott wütend.
Du bist mein Problem, denke ich und laufe einfach weiter. Auf der Treppe entdecke ich Professor Garou, der neben einem unbekannten Mann steht. Professor Garou zerrt den unbekannten Mann die Treppe runter und verschwindet so aus meinem Blickfeld. Ich gehe zur Treppe und schaue voller Neugier meinen neuen Lehrer an, der vor dem unbekannten Mann wild mit den Händen gestikuliert.
„Verschwinde, Seirios! Ich mache hier nur das, was Saphirus mir befohlen hat“, höre ich Professor Garou mit aufgeregter Stimme zu dem Unbekannten sagen.
Seirios knurrt ihn wütend an. „Ich weiss, was Saphirus dir befohlen hat. Ich bin schliesslich sein bester Freund!“
„Das weiss ich, Seirios“, sagt Professor Garou mit ruhiger Stimme.
Ich renne die Treppe runter. Professor Garou sieht mich erschrocken an, als ich auf ihn zukomme. Seirios dreht seinen Kopf in meine Richtung und sieht mich mit seinen braunen Augen finster an.
„Ist das auch ein Freund von Ihnen?“, will ich von Professor Garou wissen.
„Ja. Wieso bist du nicht bei deinen Freunden?“, entgegnet Professor Garou, der mich anscheinend schnellstens wieder loswerden will.
„Die spielen Fussball“, antworte ich kleinlaut.
„Und du spielst nicht mit?“, fragt Seirios und mustert mich immer noch mit finsterer Miene.
Ich blicke Seirios direkt in die braunen Augen. Da spüre ich plötzlich ein unangenehmes Kribbeln in den Fingern. „Nein“, murmle ich und balle meine Hände zu Fäusten. Ich merke, dass es ein Fehler gewesen ist, als mich ein schrecklicher Schmerz durchzuckt.
„Ely! Was hast du?“ Professor Garou blickt mich besorgt an, seine Hände auf meine Schulter gelegt.
Seirios schnuppert in der Luft. „Es riecht nach Blut.“ Seine Augen gleiten langsam an mir herunter.
Etwas Warmes und Flüssiges fliesst durch meine Finger hindurch und tropft leise auf den Asphalt. Neben meinen Füssen bilden sich zwei rote Pfütze und werden mit jedem Blutstropfen grösser. Ich wimmere als mir klar wird, weshalb ich so blute.
„Ely, du blutest ja!“ Professor Garou versucht meine Faust zu öffnen, doch ich weigere mich und verkrampfe. „Ich will nur mal schauen, wieso du blutest.“
Und genau das versuche ich zu verhindern. Als in diesem Moment die Schulglocke ertönt, atme ich erleichtert aus und renne die Treppe hoch, ohne mich umzusehen.
Als wir in die Mittagspause entlassen werden, stürmen alle zu den Spinden. Professor McDermott hat uns allen ein rundes Zahlenschloss gegeben. Meine Freunde und ich gehen auf vier leere Spinden zu, die nebeneinanderstehen. Ich verstaue meine Sachen in meinem neuen Spind und schliesse ihn mit meinem blauen Zahlenschloss ab. Sissy, deren Spind sich neben meinem befindet, lässt ihr grünes Zahlenschloss einrasten.
„Vergesst euer Zahlencode nicht“, sagt Malia und klingt dabei nach Professor Smack.
„Unheimlich“, murmle ich und blicke meine beste Freundin angewidert an.
Malia schupst mich lachend weg und rennt aus dem Schulgebäude nach draussen auf den Pausenplatz.
„Seht mal, Professor Garou steigt in das schwarze Auto ein!“ Bixi deutet auf den schwarzen Cadillac, der schon heute Morgen vor der Schule stand.
Seirios steht mit dem Rücken lässig am Auto gelehnt da und schaut zum Pausenplatz rauf. Er sieht sich suchend um. „Wo bleiben die nur?“
Leyth und Scott rennen die Treppe zum schwarzen Auto runter. Mein Bruder begrüsst Seirios und bewundert das Auto von allen Seiten. „Gehört das Auto Ihnen?“
„Nein, der gehört meinem besten Freund“, antwortet Seirios gelangweilt.
„Cool. Ihr bester Freund muss ziemlich reich sein“, meint Leyth begeistert.
Kaum zu glauben, dass dieser Hampelmann mein Bruder ist. Meine besten Freunde und ich gehen die Treppenstufen bis zur Strasse runter.
Scott lächelt mich an. „So ein Auto werde ich später auch mal besitzen.“
„Träum weiter“, sage ich zu Scott und schaue die Strasse rauf und runter.
Die Autos kriechen an uns vorbei. Hin und wieder hält ein Auto an, um die Schüler über die Strasse zu lassen.
Scott wirkt verletzt. „Glaubst du mir etwa nicht? Du wirst schon sehen, irgendwann werde ich dich in so einer Kutsche ausführen.“
„Ich stehe nicht auf Gentleman. Schon vergessen?“ Ich verdrehe genervt die Augen. „Wir sehen uns am Nachmittag!“ Wie von der Tarantel gestochen, renne ich über die Strasse Nachhause.
Die Autofahrer hupen verärgert, als ich ohne auf den Verkehr zu achten, vor ihrer Nase über die Strasse renne. Ich geniesse die sanfte Brise auf meiner Haut, als ich beim Supermarkt vorbeihetze und die Menschen dort beinahe über den Haufen renne. Einige rufen mir wüste Beschimpfungen hinterher. Ich lache nur und renne kopflos weiter. Die Pferde auf der Koppel wiehern, als ich wie ein Blitz an ihnen vorbeirase. Schneller, schneller! Keiner wird dich aufhalten! Es ist niemand da, der sich über dein abnormales Verhalten wundern kann. Vor dem Elternhaus meiner Mutter bleibe ich stehen. Voller Energie, stürme ich ins Haus und reisse meine Zimmertüre auf. Ward und James begrüssen mich überschwänglich. Sahira reibt sich schnurrend an mich. Ich hebe meine Katze hoch und drücke sie an mich.
„Wie war es in der Schule? Sind die neuen Lehrer nett?“, fragt mich Mom, die in der Türe steht.
„Ja. Wir haben auch noch eine neue Mitschülerin bekommen. Ihr Name ist Kyara“, erzähle ich meiner Mutter und gehe an ihr vorbei aus dem Zimmer.
„Ist sie nett? Habt ihr euch angefreundet?“, will Mom neugierig wissen und folgt mir in den Eingangsbereich.
„Sie scheint nett zu sein. Ich habe nicht viel mit ihr gesprochen“, entgegne ich und drücke Sahira einen Kuss auf ihr Köpfchen, ehe ich sie wieder runterlasse und Ward, der geduldig neben mir sitzt, das Geschirr anziehe.
„In einer halben Stunde gibt es Mittagessen“, teilt Mom mir mit, nachdem ich Ward den Maulkorb angezogen habe.
„Okay, bis später.“ Ich verlasse das Haus und renne zur Strasse.
James und Ward bellen freudig. Sahira hat Mühe mit uns Schritt zu halten. Als Ward an einen Baum pinkelt, hebe ich Sahira hoch, die sich schnurrend an meinen Kopf schmiegt. Mit meiner Katze auf dem Arm springe ich am Supermarkt vorbei. Die Menschen springen zur Seite als der Dobermann angerannt kommt. Ich kichere und hetze James nach. Ward hechelt neben mir und sieht mich mit glücklichen Hundeaugen an.