Читать книгу Pamela, oder die belohnte Tugend - Samuel Richardson - Страница 3

Briefe I - XX

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Brief I

Lieber Vater und liebe Mutter,

ich habe Euch sehr Betrübliches, aber auch Tröstliches, mitzuteilen. Das Betrübliche ist, dass meine gute Herrin an der Krankheit gestorben ist, von der ich Euch geschrieben habe, und uns alle in großer Trauer über ihren Verlust zurückgelassen hat; denn sie war eine gute Herrin und freundlich zu uns Bediensteten. Ich befürchtete, weil ich meiner Herrin als Zofe gedient habe, nun ganz mittellos dazustehen und gezwungen zu sein, zu Euch und meiner armen Mutter zurückzukehren, die ihr genug damit zu tun habt, Euch selbst zu ernähren. Und weil meine Herrin in ihrer Güte mich zu schreiben und Konten zu saldieren gelehrt und mich zu einer kleinen Expertin mit meiner Nadel gemacht und mich auch auf andere Weise über meinen Rang hinaus ausgebildet hat, hätte Eure arme Pamela nicht in jeder Familie einen passenden Platz finden können. Gott aber, dessen Gnade wir so oft in der Not erfahren haben, legte es, nur eine Stunde vor ihrem Hinscheiden auf dem Sterbebett, in das Herz meiner Herrin, meinem jungen Herrn all ihre Diener zu empfehlen, einen nach dem anderen; und als ich an der Reihe war, um empfohlen zu werden (denn ich saß schluchzend und wei­nend an ihrem Kissen), da konnte sie nur sagen: "Mein lieber Sohn!" und brach für einige Momente ab; und als sie wieder Kraft schöpfte:

„Denke an meine arme Pamela."

Und das gehörte zu ihren letzten Worten! Ach, wie meine Augen tränen! Wundert Euch nicht über die Flecken auf dem Papier.

Nun, Gottes Wille muss getan werden! Und so komme ich zu dem Tröstlichen, dass ich nicht gezwungen sein werde, zu meinen lieben Eltern zurückzukehren, um ihnen zur Last zu fallen. Denn mein Herr hat gesagt:

"Ich will mich um Euch alle kümmern, meine guten Mägde. Und für Euch, Pamela," (und er nahm mich bei der Hand, ja, vor aller Augen nahm er meine Hand), "will ich, meiner guten Mutter zuliebe, ein Freund sein. Ihr werdet Euch um meine Wäsche kümmern."

Gott segne ihn! Und betet mit mir, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, um Segen für ihn, denn er hat allen Bediensteten meiner Herrin Trauerkleidung und den Lohn eines Jahres geschenkt. Mir aber, die ich noch keinen Lohn erhalten hatte, weil meine Herrin mich nach meinen Verdiensten belohnen wollte, gab die Hausdame auf seine Anordnung hin Trauerkleidung wie den anderen. Dann schenkte er mir mit eigener Hand vier goldene Guineen und einige Silberstücke, die im Beutel meiner alten Herrin waren, als sie starb, und sagte, dass er, seiner Mutter zuliebe, mir ein Freund sein würde, wenn ich ein braves und treues und fleißiges Mädchen wäre. Und so sende ich Euch diese vier Guineen, um Euch zu trösten, denn die Vorsehung wird mich nicht leiden lassen. Ihr könnt einen Teil davon verwenden, um Schulden zu bezahlen, und den Rest, um Euer Leben erträglicher zu machen. Wenn ich mehr erhalte, werde ich in Pflicht und Liebe für Euch sorgen, dessen könnt Ihr sicher sein, denn Ihr habt in Liebe für mich gesorgt, als ich nichts für mich tun konnte. Ich übersende sie Euch durch John, unseren Boten, dessen Weg bei Euch vorbeiführt. Er weiß aber nicht, was er mit sich trägt, denn ich habe sie in eine der kleinen Pillenschachteln meiner Herrin gelegt und in Papier gewickelt, damit sie nicht klimpern. Und achtet darauf, sie nicht vor seinen Augen zu öffnen.

Ich weiß, liebe Eltern, dass ich Euch Kummer und Freude zugleich bereite. Und so will ich nur sagen: Betet für Eure Pamela,

Eure auf immer gehorsamste Tochter

Ich habe mich furchtbar erschreckt, denn gerade als ich diesen Brief in der Kammer meiner heimgegangenen Herrin zusammenfaltete, kommt mein junger Herr herein! Du lieber Himmel! Welche Angst ich hatte! Ich versteckte den Brief in meinem Busen. Als er mein Zittern sah, sagte er mit einem Lächeln:

"An wen habt Ihr geschrieben, Pamela?"

In meiner Verwirrung sagte ich:

"Mögt Ihr mir verzeihen! Nur an meine Eltern."

"Lasst mich doch sehen, wie weit Ihr im Schreiben vorangekommen seid!"

Ach, wie ich mich schämte! Zu meinem Schrecken nahm er schweigend den Brief, las ihn ganz durch und gab ihn mir zurück.

"Mögt Ihr mir verzeihen!", sagte ich.

Warum aber, weiß ich nicht, denn er war gegenüber seinen Eltern immer pflichteifrig gewesen. Warum sollte er nun wütend sein, wenn ich dies zu meinen Eltern ebenso war? Und tatsächlich war er nicht wütend, sondern nahm mich bei der Hand und sagte:

"Es ist anständig von Euch, Pamela, Euren alten Eltern so viel Güte zu erweisen. Ich nehme Euch nichts übel, denn ihr schreibst nur unschuldige Dinge. Dennoch solltet Ihr darauf achten, was Ihr über mein Haus nach außen mitteilt. Seid treu und fleißig und haltet Euch an Eure Pflichten, dann werde ich Euch umso mehr schätzen."

Und er fuhr fort:

"Pamela, Ihr schreibt sehr geschickt und habt auch eine annehmbare Orthographie. Die Mühe meiner Mutter um Eure Ausbildung war nicht vertan. Sie sagte immer, dass Ihr gerne Bücher lest. So nehmt Euch nach Belieben ihre Bücher zur Lektüre, um Euch fortzubilden."

Natürlich habe ich mich bei seinen Worten nur verneigt und geweint und war ganz verwirrt über seine Güte. Er ist wirklich der edelste aller Herren, denke ich! Doch ich bin im Begriff, einen weiteren langen Brief zu schreiben. So will ich nur noch hinzufügen, dass ich auf immer Eure gehorsame Tochter bleibe.

Pamela Andrews

Brief II

(In Antwort auf den vorigen)

Liebe Pamela,

in der Tat hat dein Brief mich und deine arme Mutter sehr betrübt, aber auch getröstet. Wir sind natürlich sehr erschüttert über den Tod deiner guten Herrin, die sich so sehr um dich und deine Ausbildung gekümmert hat und die dir in den vergangenen drei oder vier Jahren immer Kleidung und Wäsche und all das gab, welches zu tragen auch eine Dame sich nicht schämen muss. Doch unsere größte Sorge ist, und sie ist wahrhaft groß, dass du, auf diese Weise über deinen Stand erhoben, dazu verleitet werden könntest, etwas Ehrloses oder Verruchtes zu tun. Alle Leute berichten, wie gut du dich entwickelt hast und was für ein kultiviertes Mädchen du geworden bist, und einige sagen, du seiest sehr hübsch. In der Tat hätte auch ich, wenn du nicht unser Kind wärest, diesen Gedanken gehabt, als ich dich vor sechs Monaten zuletzt sah. Aber was nützt das alles, wenn du entehrt und verloren bist! In der Tat, meine liebe Pamela, wir beginnen uns sehr um dich zu ängstigen, denn was bedeuten alle Reichtümer dieser Welt, wenn man ein unreines Gewissen hat und sich unredlich benimmt! Wir sind, das ist wahr, sehr arm und haben Mühe, unser Leben zu bestreiten, auch wenn wir, wie du weißt, schon bessere Tage hatten. Doch wir würden viel lieber von Wasser und von der Erde der Gräben leben, die ich in Gleichmut aushebe, als ein besseres Leben zu führen um den Preis der Entehrung meines Kindes.

Ich hoffe, dass der gute Edelmann keine Absichten hegt, wenn er dir so viel Geld gibt und so freundlich zu dir spricht und deine Fortschritte lobt. Und, ach! dieses schlimme Wort!, dass er noch freundlicher zu dir wäre, wenn du dich angemessen verhältst, das erfüllt uns mit fast unerträglicher Furcht.

Ich habe darüber mit der alten Witwe Mumford gesprochen, die, wie du weißt, früher in guten Familien gelebt hat. Ihre Worte gaben uns etwas Trost, denn sie sagte, es sei nichts Ungewöhnliches, dass das Geld einer verstorbenen Herrin, welches sie bei sich hat, ihrer Kammerzofe gegeben würde oder jemandem, der sich um die Kranke gekümmert hat. Warum aber betrachtet er dich mit solcher Freundlichkeit? Warum nimmt er ein so armes Mädchen wie dich bei der Hand, wie er es nach deinen Worten zwei Mal tat? Warum lässt er sich dazu herab, deinen Brief an uns zu lesen, und kommentiert deine Schreibweise und Rechtschreibung? Und warum sollte er dir die Bücher seiner Mutter zum Lesen überlassen? Wahrlich, mein liebes Kind, unsere Herzen sind voller Angst, du aber scheinst voller Freude über seine Güte und eingenommen durch seine freundlichen Worte zu sein (die, in der Tat, eine große Gunst bezeugen, wenn er es gut meint), so dass wir fürchten – ja, mein liebes Kind, fürchten – dass du dich als zu dankbar erweisen und ihn mit jenem Schatz, nämlich deiner Tugend, belohnen wirst, der durch keine Reichtümer oder andere Dinge dieser Welt aufzuwiegen ist.

Mein Brief ist gleichfalls lang geworden, aber eines will ich noch hinzufügen: Inmitten unserer Armut und unseres Missgeschicks haben wir in Gottes Güte vertraut und sind immer rechtschaffen gewesen, und wir zweifeln nicht daran, nach diesem Leben selig zu werden, wenn wir in unserer Rechtschaffenheit fortfahren, auch wenn in diesem Leben unser Los hart ist. Der Verlust der Tugend unseres lieben Kindes aber würde uns einen unerträglichen Kummer verursachen und unsere grauen Haare im Nu zu Grabe bringen.

Wenn du uns also liebst und wenn du nach Gottes Segen verlangst und nach deinem zukünftigen Glück, so fordern wir von dir, auf der Hut zu sein. Bemerkst du den geringsten Versuch, dir deine Tugend zu nehmen, dann lasse alles zurück und komme zu uns; denn wir sehen dich lieber in Lumpen gekleidet oder zu Grabe getragen, als sagen zu müssen, dass eines unserer Kinder die irdischen Annehmlichkeiten über die Tugend gestellt hat.

Wir nehmen dein pflichtschuldiges Geschenk gerne an, können davon aber, solange wir uns um dich sorgen, keinen Gebrauch machen, da wir sonst fürchten, aus der Schande unserer armen Tochter Nutzen zu ziehen. Deshalb haben wir es vorläufig in ein Tuch gewickelt und in das Stroh über dem Fenster gelegt, damit es uns nicht gestohlen wird. Mit unserem Segen und unseren herzlichen Gebeten für dich sind wir

Deine besorgten, aber dich liebenden Eltern

John and Elizabeth Andrews

Brief III

Lieber Vater,

ich bekenne, dass mich Euer Brief sehr beunruhigt, denn er hat mein Herz, das von Dankbarkeit für die Güte meines Herrn überfloss, argwöhnisch und furchtsam gemacht. Und doch hoffe ich, dass ich ihn niemals in einer Weise erleben werde, die seiner unwürdig wäre, denn was könnte er davon haben, ein armes junges Geschöpf wie mich zugrunde zu richten? Am meisten Sorge bereitet mir aber, dass Ihr der Ehrbarkeit eures Kindes zu misstrauen scheint. Nein, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, seid versichert, dass ich mit Gottes Gnade niemals etwas tun werde, das Eure grauen Haare jammervoll zu Grabe bringt. Lieber würde ich tausend Tode sterben als in Unehre zu leben, gleich in welcher Weise. Dessen könnt Ihr sicher sein und Euer Herz beruhigen; denn obgleich ich in der Vergangenheit für einige Zeit über meinem Stand lebte, kann ich mich auch mit Lumpen und Armut und Brot und Wasser abfinden und würde sie in Freuden annehmen, statt meinen guten Ruf zu verlieren, gleich wer derjenige sei, der mich versucht. So bewahrt also die Ruhe und habt eine höhere Meinung von Eurer bis zum Tod gehorsamen Tochter.

Eure bis ans Lebensende gehorsame Tochter

Mein Herr ist weiterhin sehr wohlwollend zu mir. Bisher sehe ich keinen Grund, etwas zu befürchten. Mrs. Jervis, die Hausdame, ist zu mir ebenfalls sehr anständig. Alle im Haus sind mir gegenüber voller Liebe. Sie können doch nicht alle etwas im Schilde führen, bei dieser Höflichkeit! Ich hoffe, mich immer so zu verhalten, dass mich jedermann achtet, und dass niemand mir mehr Schmerz zufügt als ich irgendjemand dies antun würde. Unser John geht so häufig in Eure Nähe, dass ich ihn bitten werde, jedes Mal bei Euch vorbeizuschauen, damit Ihr von mir hört, entweder schriftlich (denn so verbessert sich meine Schreibart) oder mündlich.

Brief IV

Liebe Mutter,

weil der letzte Brief eine Antwort an meinen Vater war, will ich nun an Euch schreiben, auch wenn ich nichts zu berichten habe als Dinge, die mich noch mehr als ein eitles Luder erscheinen lassen. Ich hoffe dennoch, niemals so hochmütig zu werden, dass ich mich selbst vergesse. Es bereitet aber ein heimliches Vergnügen, sich von anderen gelobt zu hören. Ihr müsst also wissen, dass Lady Davers, die, wie ich Euch nicht zu sagen brauche, die Schwester meines Herrn ist, einen Monat lang in unserem Haus weilte und mir große Beachtung geschenkt hat und mir den Rat gab, die Gesellschaft anderer zu meiden. Sie sagte mir, ich sei ein schönes Mädchen, und dass alle mein gutes Wesen lobten und mich liebten, und bat mich, von Männern Abstand zu halten, und sagte auch, dass ich dafür noch mehr geehrt sein würde, sogar von diesen selbst.

Was mich aber am meisten freute, ist dieses: Laut Mrs. Jervis sagte die Lady in einem Gespräch mit meinem Herrn, dass ich das schönste Mädchen sei, dass sie in ihrem ganzen Leben gesehen habe, und dass ich zu schön sei, um im Haus eines Junggesellen zu leben. Denn keine Dame, die er einmal heiraten würde, würde mich als Dienstmagd behalten wollen. Er sagte daraufhin, ich hätte enorme Fortschritte gemacht und besäße ein höheres Maß an Klugheit und Einsicht, als es meinen Jahren zukäme, und dass es schade wäre, wenn mir das, was mich auszeichnet, zum Unglück gereiche.

"Nein", sagte die gute Lady, "ich denke, Pamela soll mit mir kommen und bei mir leben."

Er antwortete:

"Von Herzen gern."

Und er wäre erfreut, dass für mich so gut gesorgt sei.

"Gut", sagte sie, "ich werde mich mit meinem Lord darüber beraten."

Sie fragte, wie alt ich sei.

"Seit dem letzten Februar fünfzehn Jahre", sagte Mrs. Jervis.

"Oh! Wenn das Mädchen an sich arbeitet, wird sie es noch viel weiter bringen, körperlich wie geistig."

Nun, meine lieben Eltern, obgleich es eitel erscheinen mag, wenn ich das wiederhole: Freut es Euch nicht so ebenso wie mich, dass mein Herr nichts dagegen einzuwenden hat, dass ich sein Haus verlasse? Das zeigt doch, dass er nichts Übles im Sinn hat. Aber John ist im Begriff zu gehen, so bleibt mir nur zu sagen, dass ich für immer sein werde

Eure ehrbare und gehorsame Tochter

Ich bitte Euch, von dem Geld Gebrauch zu machen. Ihr könnt dies nun ohne Bedenken tun.

Brief V

Lieber Vater und liebe Mutter,

da Johns Weg wieder bei Euch vorbeiführt, möchte ich Euch gerne schreiben, denn er dient mir gerne als Bote. Er sagt, es bereite ihm Freude, Euch zu sehen und Euch reden zu hören, und dass ihr beide derart verständig und tugendhaft seid, dass er jedes Mal von Euch etwas lernt. Es sei ungemein schade, sagt er, dass solch ehrbare Herzen nicht mehr Glück im Leben haben, und fragt sich, warum Ihr, mein Vater, der so gut zu lehren versteht und so gut zu schreiben weiß, keinen größeren Erfolg mit der Schule hattet, die einzurichten Ihr versucht habt, sondern für Euren Lebensunterhalt zu harter Arbeit gezwungen wart. Aber es macht mich stolzer, von solch ehrbaren Eltern zu stammen, als wenn ich als Edeldame geboren wäre.

Ich habe noch nichts davon gehört, dass ich zu Lady Davers gehe. Im Augenblick fühle ich mich hier sehr wohl. Mrs. Jervis behandelt mich wie ihre eigene Tochter, sie ist eine sehr gute Frau und tut alles nach dem Interesse meines Herrn, als wäre es ihr eigenes. Jederzeit gibt sie mir guten Rat, und ich liebe sie, gleich nach Euch beiden, von allen Menschen am meisten, glaube ich. Sie hält das Haus gut in Ordnung und ist hoch geachtet von uns allen. Mit Vergnügen lauscht sie, wenn ich ihr vorlese, am liebsten aus guten Büchern, wann immer wir allein sind. Ich denke dann, bei Euch zuhause zu sein. Sie hörte einen von unseren Bediensteten, Harry, der nicht der Anständigste ist, freizügig mit mir reden. Ich glaube, er nannte mich seine hübsche Pamela, und fasste mich so an, als wolle er mich küssen. Darüber war ich, seid dessen versichert, sehr wütend. Von der verärgerten Mrs. Jervis aber wurde er zurechtgewiesen. Sie sagte mir, sie sei hoch erfreut über meinen Anstand und meine Bescheidenheit und darüber, dass ich Abstand zu den Burschen hielte. In der Tat bin ich mir sicher, ohne Hochmut zu sein und mich anständig zu allen zu verhalten. Und doch, will mir scheinen, kann ich es nicht ertragen, von diesen Bediensteten angestarrt zu werden, denn es ist, als würden sie durch mich hindurchsehen. Da ich für gewöhnlich mit Mrs. Jervis frühstücke und zu Mittag und zu Abend esse (so gut ist sie zu mir), ist es mir ganz recht, mit ihnen so wenig sprechen zu müssen. Weil sie merken, wie sehr Mrs. Jervis mich mag, sind sie im Ganzen aber sehr höflich zu mir. Sie haben großen Respekt vor Mrs. Jervis, weil sie eine geborene Edeldame ist, der im Leben einiges Missgeschick widerfuhr.

Ich bin wieder dabei, einen langen Brief zu schreiben, denn ich liebe das Schreiben, doch es mag Euch ermüden. Zu Beginn wollte ich nur sagen, dass ich nun völlig ohne Angst bin. Und wirklich kann ich mich jetzt nur über mich wundern (obgleich Eure Warnung an mich von Eurer sorgsamen Liebe kommt), dass ich in so närrischer Weise beunruhigt war. Denn ich bin mir sicher, dass mein Herr sich nicht dazu erniedrigen würde, einem so armen Mädchen wie mir Schaden zuzufügen. So etwas würde, wie Ihr wisst, sein Ansehen ruinieren, wie auch meines. Denn ganz gewiss hat er gute Aussichten auf eine der angesehensten Damen in diesem Lande. Damit aber genug für dieses Mal, ich bin

Eure auf immer gehorsame Tochter

Brief VI

Lieber Vater und liebe Mutter,

mein Herr ist seit dem letzten Mal sehr gütig zu mir gewesen. Er hat mir einige Kleider meiner Herrin und ein halbes Dutzend von ihren Hemden geschenkt, sowie sechs Taschentücher, drei von ihren Leinenschürzen und vier aus Halbleinen. Die Kleider sind aus feiner Seide und ganz sicher zu prächtig und zu gut für mich. Ich wünschte, es würde ihn nicht beleidigen, wenn ich sie verkaufen und Euch das Geld senden würde, was mir viel lieber wäre.

Ihr werdet nun wieder in Furcht sein, dass man gegen mich Absichten hegt. Lasst Euch aber gesagt sein, dass Mrs. Jervis zugegen war, als er sie mir gab, und dass er ihr ebenfalls viele schöne Kleider schenkte und sie bat, diese in Erinnerung an ihre gute Freundin, meine Herrin und seine Mutter, zu tragen. Als er mir die feinen Sachen gab, sprach er:

"Das ist für Euch, Pamela. Lasst sie Euch anpassen, wenn Euer Trauerkleid abgelegt ist, und tragt sie zu Ehren Eurer Herrin. Mrs. Jervis hat Euch sehr gelobt. Ich möchte, dass Ihr Euch weiterhin so klug verhaltet wie bisher, dann wird Euch jeder liebhaben."

Ich war so überrascht über seine Güte, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Endlich verneigte ich mich vor ihm und auch vor Mrs. Jervis wegen ihres Lobs und sagte, ich wünschte, seiner Gunst und ihres Wohlwollens würdig und ohne jeden Fehl zu sein, nach meinem besten Wissen.

Ach, wie schön ist es doch, Gutes zu tun! Das ist das einzige, worum ich die hohen Leute beneide.

Ich habe meinen jungen Herrn immer für einen Ehrenmann gehalten, als welchen ihn auch alle bezeichnen. Doch er gab uns beiden diese schönen Sachen mit einer Anmut, dass ich meinte, einen Engel zu sehen.

Mrs. Jervis sagte, er hätte sie gefragt, ob ich die Männer auf Abstand halte. Denn, so sagte er, ich sei sehr hübsch, und es könne mein Ruin sein, wenn ich mich auf einen von ihnen einlasse, und würde mich frühzeitig ins Unglück stürzen. Sie ist immer bereit, mich zu loben, und nutzte die Gelegenheit, um in Hochachtung über mich zu sprechen. Ich hoffe aber, dass sie nicht mehr gesagt hat, als es meine Bemühungen rechtfertigen, denn ich bin noch nicht so weit. Sicher werde ich sie immer lieben, gleich nach Euch und meiner lieben Mutter. So bleibe ich

Eure immer gehorsame Tochter

Brief VII

Lieber Vater,

seit meinem letzten Brief hat mir mein Herr noch mehr schöne Sachen geschenkt. Er rief mich hinauf in die Kleiderkammer meiner dahingeschiedenen Herrin, zog die Schubladen auf und gab mir zwei Kopftücher aus flandrischen Spitzen, drei Paar Schuhe aus feiner Seide, davon zwei kaum getragen und genau für mich passend (denn meine Herrin hatte sehr kleine Füße), und das andere mit gehämmerten Silberschnallen, sowie einige Bänder und Hauben in allen Farben, vier Paar Strümpfe aus feiner weißer Baumwolle und drei Paar aus feiner Seide, als auch zwei Paar wunderschöne Schnürbrüste. Ich war ganz entgeistert und konnte für einige Zeit kein Wort herausbringen. Doch innerlich schämte ich mich, die Strümpfe anzunehmen, denn Mrs. Jervis war nicht zugegen. Im anderen Fall hätte es mir nichts ausgemacht. Ich nahm sie, glaube ich, sehr ungeschickt an mich, denn er lächelte darüber und sagte:

"Ihr braucht nicht zu erröten, Pamela. Denkt Ihr, ich wüsste nicht, dass es sich für hübsche Mädchen ziemt, Schuhe und Strümpfe zu tragen?"

Ich war über diese Worte so verwirrt, dass mich ein Windhauch hätte umblasen können. Wie Ihr Euch denken könnt, gab es darauf keine Antwort. So war ich wie eine Närrin nahe daran zu weinen und entfernte ich mich mit Verneigungen und rot bis zu den Ohren. Denn obgleich seine Worte ohne Arg waren, wusste ich doch nicht, wie damit umzugehen ist. Ich ging zu Mrs. Jervis und erzählte ihr alles. Sie sagte, dass Gott hat es ihm ins Herz gelegt hat, mir Gutes erweisen und dass ich meinen Eifer verdoppeln müsse. Es käme ihr vor, als würde er mich auf diese Art für meine Stelle als Kammerzofe bei Lady Davers ausstatten.

Eure gütigen väterlichen Warnungen kamen mir wieder in den Sinn und nahmen diesen Geschenken den Wert, den sie sonst für mich gehabt hätten. Und doch hoffe ich, dass es dafür keinen Grund gibt. Denn warum sollte er einem so einfachen Mädchen wie mir schaden wollen? Abgesehen davon würde ihn wohl keine Dame mehr in Betracht ziehen, wenn er sich so entwürdigt. Ich will mich also wieder beruhigen und wäre auch nie in Sorge gewesen, hättet Ihr sie mir nicht in den Kopf gesetzt. Ich weiß sehr wohl, dass Ihr dies zu meinem Besten tatet. Vielleicht würde ich, wenn die Sorge nicht die Wohltaten verdüsterte, zu sehr in Stolz schwelgen — So will ich damit schließen, dass all das zu unserem Besten geschieht. Möge Gott Euch segnen, meine lieben Eltern. Ich weiß, dass auch Ihr stets um Segen für mich betet, die für immer ist

Eure gehorsame Tochter

Brief VIII

Liebe Pamela,

ich kann meine Warnungen vor der Güte deines Herrn und seinen ungenierten Worten über die Strümpfe nur erneuern. Es hat vielleicht, und ich hoffe es, nichts zu bedeuten. Doch wenn ich mir überlege, dass es etwas bedeuten könnte und dass, falls es so ist, davon nicht weniger abhängt als das Glück meines Kindes in dieser und in der nächsten Welt, dann ist das genug Grund, sich um dich zu ängstigen. Wappne dich, mein Kind, für das Schlimmste; und entscheide dich dafür, lieber das Leben als deine Tugend zu verlieren. Was für einen Unterschied macht es, dass die Zweifel, die ich in dir geweckt habe, die Freude an der Güte deines Herrn mindern? Hat denn das Vergnügen an ein paar armseligen schönen Kleidern im Vergleich zu einem reinen Gewissen überhaupt eine Bedeutung?

Es sind wahrlich sehr große Wohltaten, mit denen er dich überhäuft, doch umso mehr erregen sie Verdacht. Und wenn du sagst, dass er liebenswert und wie ein Engel aussieht, dann befürchte ich, dass seine Gaben auf dich einen allzu großen Eindruck machen könnten! Denn, obgleich du mit Vernunft und Klugheit über deine Jahre hinaus gesegnet bist, zittere ich doch bei dem Gedanken, welcher Gefahr ein armes Mädchen von kaum mehr als fünfzehn Jahren ausgesetzt ist angesichts der Versuchungen dieser Welt und eines Pläne schmiedenden jungen Edelmanns, der, falls er sich als solcher erweisen sollte, als dein Herr die Macht und das Recht hat, Befehle zu erteilen.

Ich verlange von dir, mein liebes Kind, wenn du den Segen deiner armen Eltern willst, auf der Hut zu sein. Dass Mrs. Jervis eine so anständige Dame und so freundlich zu dir ist, beruhigt mich und auch deine Mutter ganz beträchtlich. Wir hoffen, dass du vor ihr nichts verbirgst und stets ihren Rat einholst. Mit unserem Segen und unseren Gebeten für dich mehr als für uns selbst sind wir

Deine dich liebenden Eltern

Lass dir nicht von den Leuten sagen, wie schön du bist, damit du nicht eitel wirst. Denn du hast deinen Leib nicht selbst gemacht und daher kein Lob dafür verdient. Tugend und Güte allein machen die wahre Schönheit aus. Vergiss dies nicht, Pamela.

Brief IX

Lieber Vater und liebe Mutter,

es tut mir leid, Euch mitteilen zu müssen, dass meine Hoffnung, als Zofe zu Lady Davers gehen zu können, sich zerschlagen hat. Die Lady hätte mich gerne gehabt, doch mein Herr hat dem, wie ich hörte, nicht zugestimmt. Er sagte, dass ihr Neffe sich vielleicht in mich verlieben würde, und dass ich ihn oder er mich verführen könne, und war der Meinung, da seine Mutter mich liebte und mich seiner Sorge anvertraute, dass ich bei ihm bleiben solle und dass Mrs. Jervis wie eine Mutter für mich sein würde. Von dieser weiß ich, dass die Lady den Kopf geschüttelt und gesagt hat:

"Ach, Bruder!"

Und das war alles. Weil Ihr mich durch Eure Warnungen bange gemacht habt, kommen mir immer wieder böse Ahnungen. Bis jetzt habe ich Mrs. Jervis nichts von Eurer Warnung oder meinem eigenen Unbehagen gesagt, nicht weil ich ihr misstraue, sondern weil ich befürchte, dass sie mich für überheblich, aufgeblasen und eitel hält, wenn ich mir trotz des großen Abstandes zwischen einem Edelmann und einem armen Mädchen solche Sorgen mache. Allerdings hat es den Anschein, dass Mrs. Jervis einige Schlüsse aus Lady Davers´ Kopfschütteln zieht und daraus, dass sie nicht mehr sagte als: Ach Bruder!. So hoffe ich, dass Gott Gnade mit mir hat. Ich werde mir daher, wenn ich vermag, darüber nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen, denn es gibt dafür hoffentlich keinen Anlass. Ich werde Euch aber über jede Kleinigkeit, die mir widerfährt, in Kenntnis setzen, damit Ihr mir weiterhin guten Rat erteilen und beten könnt für

Eure traurige Pamela

Brief X

Liebe Mutter,

ihr und mein guter Vater wundert Euch vielleicht, warum ihr seit so vielen Wochen keinen Brief von mir erhalten habt. Der Grund dafür war eine sehr, sehr traurige Begebenheit. Denn es ist nun allzu offensichtlich, dass Eure Warnungen wohl begründet waren. Ach, liebe Mutter! Es geht mir elend, wirklich elend! Habt dennoch keine Angst, ich bewahre die Tugend! Gott in seiner Güte erhalte mich darin!

Ach, dieser engelhafte Herr! Dieser feine Edelmann! Dieser liebreizende Wohltäter Eurer armen Pamela!, der sich nach dem Wunsch seiner sterbenden Mutter um mich kümmern sollte. Der so in Sorge um mich war, dass Lady Davers´ Neffe mich verführen würde, dass er mich nicht zu ihr gehen ließ. Genau dieser Edelmann (ja, ich muss ihn so nennen, obwohl er diesen Titel nicht mehr verdient) ist so tief gesunken, dass er sich seiner Dienerin gegenüber eigenmächtige Freiheiten herausnahm. Er hat nun sein wahres Gesicht gezeigt, und nichts erscheint mir finsterer und schrecklicher.

Ich bin nicht müßig gewesen, sondern habe von Zeit zu Zeit aufgeschrieben, mit welch verschlagener Niedertracht er nach und nach seine verderbten Gedanken offenlegte. Doch jemand stahl meinen Brief, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Er war sehr lang. Ich fürchte, dass mein Herr, der gemein genug ist, um in einer Hinsicht Übles zu tun, dies auch in anderer getan hat. Wie auch immer, mehr als die eigene Beschämung kann er dadurch nicht erlangt haben, wozu ich selbst aber keinen Grund habe, denn er wird sehen, dass ich an meiner Tugend festhalte und mich glücklich schätze, arme, aber ehrbare Eltern zu haben.

Ich berichte Euch über alles bei der nächsten Gelegenheit, denn ich werde sehr genau beobachtet. So sagte er zu Mrs. Jervis:

"Dieses Mädchen ist ständig am Kritzeln. Ich denke, man könnte ihr Besseres zu tun geben."

Ich arbeite aber den ganzen Tag mit meiner Nadel und kümmere ich um seine Wäsche und die Wäsche des Hauses, und ich sticke ihm nebenbei eine Weste. Aber, ach!, mein Herz will gleich zerbrechen, denn was ich als Lohn erhalte, ist Scham, Schimpf, Schande und schlechte Behandlung! Ich werde Euch alles in Bälde berichten und hoffe, meinen langen Brief zu finden.

Eure höchst betrübte Tochter

Vielleicht übertreibe ich es mit all dem Er und Ihm. Das ist aber seine Schuld. Denn warum hat er sich mir gegenüber so entwürdigt?

Brief XI

Liebe Mutter,

ich kann meinen Brief nicht wiederfinden und versuche also, alles zu erinnern und mich möglichst kurz zu fassen. Eine Zeitlang liefen die Dinge nach meinem vorletzten Brief ganz gut. Schließlich aber kam mir manches verdächtig vor, denn wann immer er mich sah, blickte er mich auf eine Weise an, die nichts Gutes verheißt. Eines Tages kam er zu mir, als ich im Gartenhaus mit meiner Nadel arbeitete und Mrs. Jervis mich gerade verlassen hatte. Ich wollte hinausgehen, doch er sagte:

"Nein, geht nicht, Pamela. Ich muss mit Euch sprechen. Immer flieht ihr vor mir, wenn ich in Eure Nähe komme, als hättet Ihr Furcht vor mir."

Ich war sehr verstört, wie Ihr Euch denken könnt, sagte aber endlich:

"Es kommt Eurer Dienerin nicht zu, in Eurer Nähe zu weilen, Sir, wenn es Eure Angelegenheiten nicht erfordern. Und ich hoffe, immer meinen rechten Platz zu kennen."

"Nun", sagte er, "meine Angelegenheiten erfordern es manchmal, und ich finde, dass Ihr bleiben solltet, um zu hören, was ich Euch zu sagen habe."

Ich stand immer noch verwirrt da und begann zu zittern, und zitterte noch mehr, als er mich bei der Hand fasste, denn keine Menschenseele war in der Nähe.

"Meine Schwester Davers" (er schien ebenso verlegen um Worte zu sein wie ich) "wollte Euch bei sich haben. Aber sie würde nicht das für Euch tun, was ich zu tun entschlossen bin, wenn ihr weiterhin treu und ergeben seid. Was sagst Du, mein Mädchen?"

Er sprach nun sehr aufgeregt.

"Möchtest Du nicht lieber bei mir bleiben als zu meiner Schwester Davers gehen?"

Er hatte einen Blick, der mir Schrecken einflößte. Wie soll ich ihn nennen? Irrsinnig, so kam er mir vor.

Endlich sagte ich:

"Ihr mögt mir vergeben, Sir, aber da Ihr keine Dame habt, der ich als Zofe dienen kann, und meine Herrin vor einem Jahr verstorben ist, würde ich lieber, wenn es Euch nicht missfällt, bei Lady Davers arbeiten, denn –"

Ich wollte fortfahren, doch er sagte:

"Denn Ihr seid eine Närrin und wisst nicht, was gut für Euch ist. Ich sage Euch, ich mache Euch zu einer Dame, wenn Ihr Ergebenheit zeigt und Euch nicht selbst im Wege stehst."

Und indem er so sprach, legte er seinen Arm um mich und küsste mich!

Ihr werdet nun sagen, dass all seine Schlechtigkeit zutage getreten ist. Ich wehrte mich und zitterte und war vom Schrecken so benommen, dass ich niedersank, nicht in einer Ohnmacht, aber auch nicht mit Absicht. Dann fand mich ganz kraftlos in seinen Armen wieder, und er küsste mich zwei oder drei Mal mit großer Gier. Endlich riss ich mich los und wollte aus dem Gartenhaus fliehen, doch er hielt mich zurück und schloss die Tür.

Ich hatte ein Gefühl, als ginge mein Leben zu Ende. Er sagte:

"Ich werde Euch nichts zuleide tun, Pamela, habt keine Angst vor mir."

"Ich will hier aber nicht bleiben!"

"Ihr wollt nicht bleiben, Ihr Luder! Wisst ihr denn nicht, mit wem Ihr sprecht?"

Da fiel alle Furcht und aller Respekt von mir ab.

"Ja, Sir, nur zu gut! Aber ich mag vergessen, dass ich Eure Dienerin bin, wenn Ihr vergesst, was einem Herrn geziemt."

Ich schluchzte und weinte ganz unglücklich.

"Was für ein törichtes Luder Ihr seid! Habe ich Euch denn Übles getan?"

"Ja, Sir, das Übelste in der Welt: Ihr habt mich dazu verleitet, mich selbst zu vergessen und was sich für mich gehört, und habt den Abstand verringert, den das Schicksal zwischen uns gesetzt hat, indem Ihr Euch erniedrigt und Euch mit mir einlasst. Ja, Sir, ich erkühne mich zu sagen, ich bin arm, aber ehrbar, und wäret Ihr ein Prinz, würde ich nicht anders handeln."

Er wurde zornig.

"Wer wollte denn, dass Ihr anders wäret, Ihr närrisches Gör! Hört auf zu flennen. Ich gebe zu, dass ich mich erniedrigt habe, aber ich tat es nur, um Euch auf die Probe zu stellen. Könnt Ihr das für Euch behalten, dann werde ich Eure Klugheit noch mehr schätzen. Und das hier" (er legte einige Goldstücke in meine Hand) "mag Euch für die Furcht entschädigen, in die ich Euch versetzt habe. Nun geht und spaziert ein wenig im Garten und geht nicht ins Haus, bevor Euer Geflenne vorüber ist. Ich befehle Euch, niemandem etwas von dem, was geschehen ist, zu sagen, dann wird alles gut und Ihr habt meine Verzeihung."

"Ich will das Geld wirklich nicht, Sir", sagte ich, "so arm ich auch bin, ich will es nicht."

Denn es wäre mir, ehrlich gesagt, so vorgekommen, als nähme ich ein Handgeld entgegen. Und so legte ich es auf die Bank. Und als er verärgert und in Verwirrung zu sein schien über das, was er getan hatte, nützte ich die Gelegenheit, die Tür zu öffnen und hinauszugehen.

Er rief nach mir und sagte:

"Ich verlange von Euch, den Mund zu halten, Pamela. Und geht noch nicht ins Haus, wie ich Euch befohlen habe."

Ach, wie armselig und gemein ist ein solches Benehmen, und wie klein lässt es die besten der Edelmänner erscheinen, wenn sie Dinge tun, die ihrer unwürdig sind, und Geringeren von Stand die Gelegenheit geben, sich über sie zu erheben.

Ich ging eine oder zwei Runden im Garten, doch in Sichtweite des Hauses, aus Furcht, es könne noch schlimmer kommen. Ich hauchte in meine Hände, um meine Augen zu trocknen, denn ich wollte nicht zu ungehorsam erscheinen. In meinem nächsten Brief werde ich Euch mehr berichten.

Betet für mich, meine lieben Eltern, und nehmt mir nicht übel, dass ich noch nicht von diesem Haus geflohen bin, das mir bis vor kurzem Trost und Freude bereitete und nun Schrecken und Pein. Ich muss schnell abbrechen.

Eure gehorsame und ehrbare Tochter

Brief XII

Liebe Mutter,

ich möchte meine traurige Geschichte nun fortführen. Nachdem ich meine Augen getrocknet hatte, ging ich ins Haus und überlegte, was zu tun sei. Einige Male kam mir der Gedanke, das Haus zu verlassen und in die nächste Stadt zu gehen, um bei nächster Gelegenheit zu Euch zu fahren. Dann aber konnte ich mich nicht entschließen, ob ich die Sachen, die er mir gegeben hat, mit mir nehmen sollte, und wie sie zu transportieren wären. Manchmal schien es mir, als sollte ich sie zurücklassen und nur die Kleider mitnehmen, die ich am Leib trage, aber es sind zwei und eine halbe Meile bis zur Stadt, und das über eine Nebenstraße, und so schön gekleidet könnte ich in eine Gefahr geraten, die fast so schlimm wäre wie die, der ich entkommen möchte. Und dann, so dachte ich, könnte ich vielleicht in den Verdacht geraten, etwas gestohlen zu haben und deshalb davongelaufen zu sein. Mit einem schlechten Ruf zu meinen Eltern zurückzukehren, wäre in der Tat eine üble Sache! Ach, wie wünsche ich mir meinen grauen Kittel zurück und meine arme, aber ehrbare Kleidung, mit der Ihr mich ausgestattet habt (und das war schwer genug für Euch), damit ich in dieses Haus gehen konnte, als ich noch keine zwölf Jahre alt war und meine gute Herrin noch lebte! Manchmal dachte ich daran, Mrs. Jervis alles zu erzählen und mir ihren Rat zu holen. Er hat mir aber streng aufgetragen, alles geheim zu halten. Ich dachte auch, er sei von seinem Verhalten vielleicht so beschämt, dass er es nie wieder zeigen würde. Und weil die arme Mrs. Jervis durch ein unglückliches Geschick in seiner Abhängigkeit steht, wäre es schmählich, sie um meinetwegen seinem Groll auszusetzen.

In dieser Ungewissheit, einmal nachdenkend, dann wieder weinend, und im Unklaren darüber, was zu tun sei, verbrachte ich die Stunden bis zum Abend in meinem Zimmer. Als ich mich entschuldigen ließ, weil ich nicht zum Abendessen erschien, kam Mrs. Jervis zu mir.

"Warum muss ich ohne Euch zu Abend essen, Pamela? Kommt, ich sehe doch, dass Ihr Euch über etwas bekümmert. So sagt mir, was los ist."

Ich bat sie, über Nacht bei ihr schlafen zu können, weil ich Furcht vor Gespenstern hätte, und die würden einem so guten Menschen, wie sie es ist, nichts antun.

"Eine dumme Ausrede ist das", sagte sie, "denn warum habt ihr nicht schon früher Furcht vor Gespenstern gehabt?"

(Daran hatte ich in der Tat nicht gedacht.)

"Doch Ihr könnt gerne bei mir schlafen, was auch immer der Grund dafür ist."

Ich bat sie, mich zu entschuldigen, da ich so sehr geweint hatte, dass die anderen Diener es bemerken würden, und sagte:

"Ich werde Euch nichts verheimlichen, Mrs. Jervis, wenn wir alleine sind."

In ihrer Güte gewährte sie mir den Wunsch. Sie beschloss dann, sofort zu Bett zu gehen, und sagte den Dienern, dass ich ihr Gesellschaft leiste, weil sie schlaflos sei und mich als Vorleserin brauche, um in den Schlaf zu finden. Denn sie wisse, wie sehr ich das Lesen liebe.

Als wir allein waren, erzählte ich ihr alles Geschehene, obwohl er es mir verboten hatte. Sollte er aber davon erfahren, wäre das kein Unglück. Denn indem ich ein solches Geheimnis für mich behalte, würde ich des guten Rats verlustig gehen, den ich mehr denn je begehrte, und würde ihn denken lassen, dass ich sein Verhalten weniger missbillige, als ich sollte, und dass ich noch schlimmere Geheimnisse hüten könnte, und ihn so zu noch Schlimmerem verleiten. Ist dies recht gedacht, liebe Mutter?

Mrs. Jervis musste auch weinen, als ich ihr unter Tränen davon erzählte und sie um Rat bat, was ich nun tun solle. Ich zeigte ihr die beiden Briefe meines Vaters. Sie lobte ihre hohe Moral und ihren Schreibstil und sprach sehr wohlwollend über Euch. Sie bat mich aber, meine Stelle nicht aufzugeben.

"Nach aller Wahrscheinlichkeit", so sagte sie, "hat Euer tugendhaftes Verhalten ihn so beschämt, dass er Euch nie wieder etwas in dieser Art antun wird. Gleichwohl bereitet mir Eure Schönheit die meisten Sorgen. Denn auch der ehrbarste Mann in diesem Land könnte sich in Euch verlieben."

So sprach sie zu mir in ihrer Güte. Am liebsten wäre es ihr, sagte sie, in Unabhängigkeit zu leben, dann würde sie in ein kleines Privathaus ziehen und mich dort wie eine Tochter aufnehmen.

Und weil Ihr mich angewiesen habt, auf ihren Rat zu hören, habe ich beschlossen, darauf zu warten, wie die Dinge sich entwickeln, sofern er mich nicht wegschickt; obgleich Ihr in Eurem ersten Brief mir auftrugt, von hier fortzugehen, wenn die Lage bedrohlich erscheint. Ich hoffe also, liebe Eltern, dass es kein Ungehorsam ist, wenn ich bleibe; denn ich verdiente weder Euren Segen noch die Früchte Eurer Gebete, wenn ich ungehorsam wäre.

Den ganzen nächsten Tag über war ich sehr traurig und setzte mich daran, meinen langen Brief zu schreiben. Er sah mich beim Schreiben und sagte (wie ich erwähnt habe) zu Mrs. Jervis:

"Dieses Mädchen ist ständig am Kritzeln. Mir scheint, sie könnte eine bessere Beschäftigung finden."

Oder etwas in der Art. Als ich meinen Brief beendet hatte, steckte ich ihn unter den Frisiertisch in der Kammer meiner seligen Herrin, wohin niemand kommt außer ich und Mrs. Jervis sowie mein Herr; aber als ich zurückkehrte, um ihn zu versiegeln, war er zu meinem Schrecken verschwunden; Mrs. Jervis wusste nichts darüber. Und niemand konnte mir sagen, ob mein Herr zu dieser Zeit nahe bei diesem Ort gewesen sei; und so war ich darüber sehr besorgt. Aber ebenso wie ich ist auch Mrs. Jervis der Meinung, dass er den Brief, in welcher Weise auch immer, an sich genommen hat. Er wirkt unzufrieden und ergrimmt und scheint mir aus dem Weg zu gehen, gerade so wie er es von mir sagte. Besser so als noch schlimmer!

Allerdings hat er Mrs. Jervis aufgetragen, mich anzuweisen, nicht so viel Zeit mit dem Schreiben zu verbringen. Es wirft ein schlechtes Licht auf einen Edelmann wie ihn, dass er daran Anstoß nimmt, zumal ich ansonsten nicht müßig bin. Der Grund kann nur sein, dass er mir verübelt, was ich geschrieben habe. Und das kann nichts Gutes heißen.

Ich bin aber um einiges ruhiger geworden, seit ich bei Mrs. Jervis schlafe, auch wenn mich die Furcht, in der ich lebe, und seine grimmige Miene und sein Ärger über das, was ich tue, ganz unglücklich machen.

Ach, hätte ich niemals mein kleines Bett bei Euch auf dem Dachboden verlassen! Ich wäre keinen Versuchungen ausgesetzt und auch nicht dem Abscheu, den sie erwecken! Wie glücklich war ich damals! Wie anders ist es nun! Habt Mitleid mit mir und betet für

Eure leidende Pamela

Brief XIII

Mein liebstes Kind,

dein Leiden und die Versuchungen, denen du ausgesetzt bist, machen unsere Herzen bluten. In jeder Stunde beten wir für dich, und wir ersuchen dich, dem Haus und dem frevelhaften Mann zu entfliehen, wenn er dir wieder zu nahe kommt. Du hättest dies gleich tun sollen, wäre nicht Mrs. Jervis, die dir anders geraten hat. Wir können bisher keinen Fehler in deinem Verhalten finden, doch die Furcht vor dem Schlimmsten lässt uns erzittern. Ach, mein Kind! Versuchungen sind etwas Schreckliches, und doch, ohne sie kennen wir uns weder selbst noch wissen wir, wozu wir imstande sind.

Die Gefahr ist groß, denn du musst dem Reichtum, der Jugend und der Schönheit eines Edelmanns widerstehen. Doch welche Ehre erlangst du, wenn dir das gelingt! Und wenn wir dein bisheriges Verhalten und deine gute Erziehung bedenken, und dass du angeleitet wurdest, dich der Ehrlosigkeit mehr zu schämen als der Armut, dann vertrauen wir in Gott, dass er dir Kraft gibt, das Übel zu besiegen.

Und doch: Weil die steten Befürchtungen dein Leben zur Bürde machen, und weil es anmaßend wäre, ein zu großes Vertrauen in unsere eigene Stärke zu setzen, und weil du noch sehr jung bist, und weil der Teufel deinen Herrn zu einer List verleiten könnte, wie sie bei vielen großen Herren zu finden ist, um dich zu verführen: So denke ich, du tätest besser daran, nach Hause zurückzukehren, um bei uns in Armut, aber in Sicherheit zu leben, statt voller Angst im Überfluss, der an sich schon etwas Heikles ist. Gott füge für dich alles zum Besten! Dass du Mrs. Jervis als Ratgeberin hast und bei ihr schlafen kannst (was, ach mein liebes Kind, von dir wohl überlegt war), macht uns ruhiger, als wir es sonst wären. Und so empfehlen wir dich dem Schutz Gottes und bleiben

Deine dich liebenden, aber besorgten Eltern

Brief XIV

Lieber Vater, liebe Mutter,

Mrs. Jervis und ich haben die letzten zwei Wochen sehr angenehm miteinander verbracht, denn mein Herr war in dieser Zeit auf seinem Sitz in Lincolnshire und auf dem seiner Schwester Lady Davers. Gestern aber kehrte er zurück. Er sprach bald darauf eine Zeitlang mit Mrs. Jervis, und zwar hauptsächlich über mich. Er sagte zu ihr ungefähr das Folgende:

"Nun, Mrs. Jervis, mir ist bekannt, dass Ihr eine hohe Meinung von Pamela habt. Doch denkt ihr, dass sie für das Haus von irgendeinem Nutzen ist?"

Sie war, so erzählte sie mir, von der Frage überrascht, sagte ihm aber, dass ich eines der tugendsamsten und fleißigsten Mädchen sei, die sie je gekannt hat.

"Warum, bitte, sprecht Ihr von tugendsam?", sagte er. "Könnte man denn annehmen, dass es anders ist? Oder hat sich irgendjemand in den Kopf gesetzt, sie auf die Probe zu stellen?"

"Ich bin erstaunt, Sir, dass Ihr dieses fragt. Wer würde so etwas gegen sie ansinnen, in einem so ordentlichen und gut geführten Haus wie dem Euren und unter einem Herrn, dessen Charakter so viel Tugend und Ehre zeigt?"

"Ich danke Euch, Mrs. Jervis, für Eure gute Meinung von mir. Doch bitte, falls es so jemanden gäbe, denkt Ihr, dass Pamela Euch davon berichten würde?"

"Sir, sie ist ein unschuldiges junges Geschöpf und hat, glaube ich, so viel Vertrauen in mich, dass sie meinen Rat nicht weniger annehmen würde als den ihrer Mutter."

"Unschuldig! Schon wieder; und ganz gewiss tugendsam! Ihr stattet sie im Übermaß mit Vorzügen aus. Ich aber halte sie für ein gewieftes Früchtchen, und hätte ich einen jungen und gut aussehenden Diener oder Haushofmeister, würde sie ihn bald an die Angel nehmen, wenn sie ihn für eine gute Partie hielte."

"Ach, Sir", sagte sie, "Pamela ist noch jung. Ich getraue mich für sie zu sagen, dass sie bisher noch nicht ans Heiraten gedacht hat und dies auch jetzt nicht tut. Euer Haushofmeister und Euer Diener sind beide schon ältere Männer und haben solches nicht im Sinn."

"Wären sie aber jünger, dann wären sie zu klug, um sich auf so ein Mädchen einzulassen. Ich sage Euch, Mrs. Jervis, was ich von ihr halte: Ich glaube nicht, dass sie, die so hoch in Eurer Gunst steht, das unschuldige Mädchen ist, als das Ihr sie anseht."

"Es steht mir nicht zu, mit Euch darüber zu debattieren, gnädiger Herr, ich wage aber zu behaupten, dass sie mit Männern keinen Kummer hätte, würden diese sie nur in Ruhe lassen."

"Wieso das, Mrs. Jervis?", sagte er. "Gibt es denn Männer, die ihr keine Ruhe lassen, von denen ihr wisst?"

"Nein, wirklich nicht, Sir. Sie nimmt sich so sehr zurück und verhält sich so klug, dass jedermann sie wertschätzt und ihr so viel Respekt erweist, als wäre sie eine Lady von Geburt."

"Ach je, das ist ihre List, von der ich gesprochen habe. Das Mädchen ist, wenn ich nicht ganz irre, voller Eitelkeit und Dünkel und Stolz. Vielleicht könnte ich Euch ein Beispiel nennen."

"Sir", sagte sie, "Ihr habt mehr Weitblick als eine arme und einfältige Frau wie ich, doch ich habe bei ihr nie etwas anderes als Unschuld wahrgenommen."

"Und auch Tugend, ganz sicherlich. Doch nehmt einmal an, ich könnte Euch ein Beispiel geben, wie sie etwas zu frei über die Gefälligkeiten sprach, die ihr jemand erbrachte, und wie sie aus Eitelkeit ein paar freundlichen Worten, die man aus Mitgefühl mit ihrer Jugend und ihren Umständen an sie richtete, eine schlechte Absicht unterstellte, und wie sie es sogar wagte, Leute zu verunglimpfen, deren Namen sie nur mit Respekt und Dankbarkeit nennen sollte. Was würdet Ihr dazu sagen?"

"Ich weiß nicht, was ich dazu sagen würde. Ich hoffe aber, dass Pamela zu solcher Undankbarkeit nicht imstande ist."

"Nun gut, reden wir nicht mehr über dieses dumme Mädchen. Weist sie, als ihre Freundin, nur an, mit der Gunst, die man ihr bezeugt, nicht zu frei umzugehen, und, falls sie hier bleibt, dass sie nichts über die Angelegenheiten meines Hauses niederschreibt, nur um ihren Stil und ihre Erfindungskraft zu üben. Ich sage Euch, sie ist eine raffinierte und heuchlerische Zigeunerin, und mit der Zeit werdet Ihr das selbst merken."

Hat man je so etwas gehört, meine lieben Eltern? Es ist offensichtlich, dass er mit einer Zurückweisung durch mich nicht gerechnet hat und nun denkt, dass ich Mrs. Jervis davon berichtet habe, und dass er auch meinen langen Brief hat, der für Euch bestimmt war, und nun äußerst verärgert ist. Ich kann das aber nicht ändern. Lieber noch bin ich heuchlerisch und raffiniert als so, wie es ihm genehm ist. Und obgleich er der Tugend und Unschuld, für die man mich lobt, kaum Bedeutung beimisst, wäre er doch weniger ärgerlich, wenn ich das Lob nicht verdiente. Auf diese Weise würde meine Schande für ihn als Tugend gelten, so dreist wie dieser Edelmann ist.

Ich werde Euch bald wieder schreiben, muss jetzt aber aufhören und bleibe auf immer

Eure ehrbare Tochter

Brief XV

Liebe Mutter,

ich habe meinen letzten Brief plötzlich abgebrochen, weil ich befürchtete, dass er hereinkommt, und so war es auch. Ich steckte den Brief in meinen Busen und nahm meine Arbeit wieder auf, die ich neben mir liegen hatte. Ich bin aber so wenig in der Heuchelei begabt, wie er das nennt, dass ich bestürzt dreinschaute, als hätte ich etwas Unrechtes getan.

"Bleibt sitzen, Pamela", sagte er, "und arbeitet ruhig weiter. Ihr habt mich nicht willkommen geheißen nach meiner Reise nach Lincolnshire."

"Es wäre doch schlimm, Sir, wenn Ihr nicht immer willkommen wäret in Eurem eigenen Haus."

Ich wollte mich entfernen, doch er sagte:

"Lauft nicht davon. Ich muss mit Euch reden."

Ach Himmel, wie mein Herz schlug!

"Als ich Euch im Gartenhaus eine kleine Freundlichkeit erwies und Ihr Euch deswegen so närrisch benommen habt, als führte ich Böses gegen Euch im Schilde, sagte ich Euch da nicht, dass Ihr darum kein Aufhebens machen sollt? Und doch habt Ihr aller Welt davon erzählt, ohne Rücksicht auf meinen oder Euren eigenen Ruf."

"Aller Welt erzählt, Sir? Ich habe doch kaum jemanden, mit dem ich spreche."

"Kaum! Ihr kleine Wortverdreherin, was meint Ihr mit kaum? Ich frage Euch also, habt Ihr Mrs. Jervis als erster davon erzählt?"

"Ich bitte Euch, Sir", sagte ich aufgeregt, "lasst mich nach unten gehen. Denn es schickt sich nicht, dass ich mit einem vornehmen Herrn streite."

"Wortverdreherin, schon wieder!" Er nahm meine Hand. "Wieso sprecht Ihr von einem Streit? Ist es streiten, wenn Ihr auf eine einfache Frage antworten sollt? Antwortet mir also auf meine Frage."

"Ach, guter Herr, ich bitte Euch, mich nicht weiter zu drängen, da ich sonst fürchte, mich selbst zu vergessen und unverschämt zu werden."

"Ihr sollt mir antworten. Habt Ihr Mrs. Jervis etwas erzählt? Es wäre unverschämt von Euch, mir keine direkte Antwort auf meine Frage zu geben."

"Sir", sagte ich und hätte zu gerne meine Hand zurückgezogen, "ich könnte Euch vielleicht mit einer anderen Frage antworten, aber das stände mir nicht zu."

"Was soll das heißen? Sprecht offen."

"Also gut, Sir. Warum wäret Ihr, gnädiger Herr, so erbost, wenn ich Mrs. Jervis oder sonst jemandem das Geschehene mitgeteilt hätte, wenn Ihr nichts Schlechtes im Sinn hattet?"

"Klug gesagt, und so unschuldig und ungekünstelt! Ganz nach der Beschreibung von Mrs. Jervis. Damit macht Ihr Euch nur lustig über mich, frech wie Ihr seid! Ich bestehe aber immer noch auf eine direkte Antwort auf meine Frage."

"Also gut, Sir", sagte ich, "Ich will um keinen Preis lügen: Ich habe in meinem Kummer Mrs. Jervis davon erzählt, anderen gegenüber aber war mein Mund verschlossen."

"Sehr gut. Respektlos wie Ihr seid, redet Ihr wieder zweideutig! Euer Mund war verschlossen. Aber habt Ihr an andere darüber nicht geschrieben?"

"Warum denn, gnädiger Herr?" Ich war jetzt ganz mutig geworden. "Ihr könntet mich das nicht fragen, wenn Ihr nicht meinen Brief an meinen Vater und meine Mutter an Euch genommen hättet, in dem ich ihnen, ich gebe es zu, alles erzählte und mein Kummer offenbarte und um ihren Rat fragte."

"Und so bin ich", sagte er, "durch ein Früchtchen wie Euch in meinem eigenen Haus und vor der ganzen Welt bloßgestellt?"

"Nein, guter Herr, seid nicht wütend auf mich. Ich habe Euch nicht bloßgestellt, sondern nichts als die Wahrheit gesagt!"

"Schon wieder macht Ihr Euch lustig, Ihr freches Ding! Ich will so nicht ins Gerede kommen!"

"Bitte, Sir", sagte ich, "von wem kann ein armes Mädchen Rat bekommen, wenn nicht von seinen Eltern und einer so guten Frau wie Mrs. Jervis, die aus Verbundenheit mit dem eigenen Geschlecht mir raten sollte, wenn ich danach verlange?"

"Was für eine Dreistigkeit!" Er stampfte mit dem Fuß auf. "Muss ich mir von einer wie Euch solche Fragen stellen lassen?"

Ich fiel auf meine Knie.

"Um des Himmels Willen, gnädiger Herr, habt Mitleid mit einem armen Geschöpf, das die Pflicht nicht kennt, die es Euch schuldet, das aber alles auf seine Tugend und seinen guten Ruf gibt. Ich habe nichts anderes, auf das ich vertraue, und, obgleich arm und ohne Freunde, habe ich doch gelernt, die Tugend höher zu schätzen als das Leben."

"Ihr macht viel Aufhebens um Eure Tugend, närrisches Mädchen!", sagte er. "Gehört es nicht zur Tugend, pflichteifrig und dankbar gegenüber Eurem Herrn zu sein? Was meint Ihr?"

"In der Tat, Sir, geht es nicht an, dass ich gegen Euch undankbar oder ungehorsam wäre oder es verdiente, frech oder unverschämt genannt zu werden, außer Eure Befehle widersprächen jener ersten Pflicht, die stets das Richtmaß für mein Leben ist! "

Er schien aufgewühlt zu sein und erhob sich und begab sich in das große Zimmer nebenan, wo er eine Zeitlang auf- und abging, während ich auf meinen Knien verweilte. Ich bedeckte mein Gesicht mit der Schürze und legte meinen Kopf auf einen Stuhl und weinte, als wolle mir mein Herz zerspringen, ohne noch die Kraft zu haben, mich zu rühren.

Endlich kam er wieder herein, doch, leider! mit Groll in seinem Herzen! und nahm mich hoch.

"Steht auf, Pamela, steht auf! Ihr seid Euch selbst ein Feind. Eure Torheit wird Euch zugrunde richten. Ich sage Euch, ich bin sehr ungehalten darüber, wie Ihr meinen Namen bei der Hausdame und bei Euren Eltern verleumdet habt, und es ist einerlei, ob Ihr dafür einen wirklichen Grund hattet oder meinen Namen in Einbildung mit Schmutz bewarft."

Dann zog er mich mit Gewalt auf seine Knie. Ach, wie ich mich fürchtete! Ich rief die Worte, die ich eine oder zwei Nächte zuvor in einem Buch gelesen hatte:

"Engel und Heilige und die Heerschar des Himmels, beschützt mich!"

Und dass ich nicht für einen Augenblick den Verlust meiner Tugend überleben solle!

"Ihr hübsche Närrin!", sagte er. "Wie könnt Ihr Eure Tugend verlieren, wenn Ihr einer Kraft Euch beugt, der Ihr nicht widerstehen könnt? Seid ohne Sorge, denn das Schlimmste, was Euch widerfahren wird, ist, dass Ihr die Ehre habt und ich die Schande. Es wird auch ein lohnendes Thema für Briefe an Eure Eltern sein und obendrein eine schöne Geschichte für Mrs. Jervis."

Er küsste mit Gewalt meinen Hals und meine Lippen und sagte:

"Wer hat jemals Lucretia beschuldigt? Alle Schande lag auf dem Schänder. Ich bin also bereit, die Schuld auf mich nehmen, zumal davon schon mehr auf mir lastet, als ich verdiene."

"So könnte ich wie Lucretia durch meinen Tod mich rechtfertigen, wenn ich auf grausame Weise entehrt werde?"

"Ach, gutes Kind", sagte er höhnisch, "ich sehe schon, Ihr seid recht belesen. Wir werden einen guten Stoff für einen Roman abgeben, bevor wir es getan haben, dessen seid versichert."

Dann steckte er die Hand in meinen Busen, was mich so entrüstete, dass sich meine Kraft verdoppelte und ich mich von ihm mit einem Ruck losmachte und aus dem Zimmer lief und im nächsten Zimmer, das ich offen fand, die Tür hinter mir zuwarf und sie verschloss. Doch er folgte mir so nahe, dass er mein Kleid zu fassen bekam und ein Stück davon abriss, das noch aus der Tür ragte, denn sie war von innen versperrt.

Ich erinnere mich nur, wie ich in das Zimmer gelangte. Was danach geschah, weiß ich nicht mehr, weil ich in meinem Schrecken in eine Ohnmacht fiel, und so lag ich, bis er, wie ich vermute, mich durch das Schlüsselloch auf dem Boden ausgestreckt auf dem Gesicht liegen sah. Er rief Mrs. Jervis herbei, die mit seiner Hilfe die Tür aufbrach. Als er sah, dass ich wieder zu mir kam, trug er ihr auf, niemandem davon zu erzählen, wenn sie klug wäre, und ging davon.

Die arme Mrs. Jervis dachte, es stünde schlimmer um mich, als es in Wirklichkeit war, und weinte über mir wie eine Mutter. Erst nach zwei Stunden kam ich wieder zu mir, und gerade als ich imstande war, mich zu erheben, kam er herein, so dass ich vor Schrecken wieder in Ohnmacht fiel. Er zog sich zurück, blieb aber im benachbarten Zimmer, um zu verhindern, dass jemand in unsere Nähe kam und seine Machenschaften bekannt würden.

Mrs. Jervis reichte mir ihr Riechfläschchen, zerschnitt mein Schnürbändchen und setzte mich in einen großen Stuhl. Er rief sie zu sich.

"Wie geht es dem Mädchen? Nie in meinem Leben sah ich solch eine Närrin. Ich habe ihr überhaupt nichts getan."

Mrs. Jervis konnte vor Weinen nicht sprechen. Also sagte er:

"Sie hat Euch, wie es scheint, erzählt, dass ich im Gartenhaus zu ihr freundlich war, doch ich versichere Euch, ich habe mir so wenig zu Schulden kommen lassen wie auch jetzt. Ich bitte Euch, diese Angelegenheit für Euch zu behalten und meinen Namen herauszuhalten."

"Ach, Sir, um Euer und um Christus Willen!"

Doch er wollte sie nicht hören.

"Um Euer selbst Willen sage ich Euch, Mrs. Jervis, sprecht kein Wort mehr. Ich habe ihr nichts getan. Und ich möchte nicht, dass sie in meinem Haus bleibt, so schwatzhaft und verdreht, wie diese Närrin sich gebärdet! Da sie aber so flink darin ist, in Ohnmacht zu fallen, oder dies zumindest vorgibt, bereitet sie darauf vor, morgen nach dem Mittagessen zusammen mit Euch zu mir in die Kammer meiner Mutter zu kommen, dann werdet Ihr hören, wie es zwischen uns steht."

Und so ging er in schlechter Laune hinaus und befahl, seine Kutsche zu bespannen, um jemanden besuchen zu fahren.

Mrs. Jervis kam zu mir, und ich erzählte ihr alles, was vorgefallen war, und dass ich entschlossen sei, das Haus zu verlassen. Sie antwortete, es schiene ihr, als habe er selbst angedroht, mich fortzuschicken. Ich sagte:

"Das höre ich gerne, so bin ich umso ruhiger."

Dann erzählte sie mir alles, was er zu ihr gesprochen hat, wie oben berichtet.

Mrs. Jervis bedauert sehr, dass ich fortgehen möchte. Die arme Frau beginnt nun um sich selbst zu bangen, will aber um keinen Preis, dass ich ins Unglück stürze. Sie sei sicher, sagte sie, dass er keine guten Absichten habe. Es könne aber sein, dass er in Anbetracht meiner Entschlossenheit alle weiteren Versuche aufgebe, und dass ich nach dem morgigen Tag, an dem ich vor einen sehr ungerechten Richter trete, besser wüsste, was zu tun sei.

Ach, wie mir vor diesem morgigen Auftritt graut! Zweifelt aber nicht an der Tugend Eures armen Kindes, wie ich nicht an Euren Gebeten für

Eure gehorsame Tochter

Ach, dieser schreckliche morgige Tag! Wie ich ihn fürchte!

Brief XVI

Meine lieben Eltern,

ich weiß, dass Ihr Euch schon lange nach einem Brief von mir sehnt. Ich sende ihn Euch so schnell wie möglich.

Nun, Ihr könnt Euch vorstellen, wie unbehaglich ich die Zeit bis zur vereinbarten Stunde verbrachte. Mit jeder Minute, in der sie näher rückte, wuchs mein Schrecken. Manchmal fühlte ich Mut, dann wieder keinen, und war in Sorge, ohnmächtig zu werden, wenn mein Herr fertig gespeist hat. Ich selbst vermochte weder zu essen noch zu trinken. Vom vielen Weinen waren meine Augen ganz verschwollen.

Endlich kam er herauf in die Kammer, welche das Kabinett meiner guten Herrin gewesen war. Einst liebte ich dieses Zimmer, jetzt hasse ich es.

Bebt Euer Herz nicht um meinetwegen? Das meinige flatterte wie ein frisch gefangener Vogel in seinem Käfig. Ach, Pamela, sagte ich zu mir selbst, warum bist du so töricht und ängstlich? Du hast nichts Unrechtes getan! Wenn du einen ungerechten Richter als Unschuldige fürchtest, was würdest du tun, wenn du als Schuldige vor einen gerechten trätest? Habe Mut, Pamela, du weißt, was dir als Schlimmstes geschehen kann, und um wieviel erstrebenswerter Armut und Tugend sind als Reichtum und Laster.

So sprach ich mir Mut zu, doch mein Herz war verzagt und mein Gemüt verdunkelt. Jedes kleinste Geräusch schien wie eine Stimme von mir Rechenschaft zu fordern. ich fürchtete den Augenblick und wünschte doch, er möge endlich da sein.

Schließlich läutete mein Herr die Glocke. Ach, dachte ich, das ist meine Totenglocke!

Mrs. Jervis, die gute Frau, ging mit schwerem Herzen zu ihm.

"Wo ist Pamela?", sagte er. "Lasst sie kommen und kommt mit ihr."

Als sie mich holte, waren meine Füße zum Gehen bereit, doch mein Herz weilte bei meinen lieben Eltern im Wunsch, Eure Armut und Euer Glück zu teilen. Ich ging aber hinauf.

Ach, wie kann es sein, dass sündhafte Menschen, deren Herz so finster ist, ganz ungerührt erscheinen, während Unschuldige wie Übeltäter vor ihnen stehen!

Er blickte so ernst, dass mein Herz kaum noch schlagen wollte und ich mich weit weg wünschte, obgleich ich all meinen Mut zusammengenommen hatte. Guter Himmel, sagte ich zu mir selbst, gib mir Mut, vor diesen schändlichen Herrn zu treten! Ach, mildere ihn, oder mache mich stärker!

"Kommt herein, Närrin", sagte er grimmig, als er mich erblickte (und packte grob meine Hand). "Ihr solltet Euch vor mir schämen, nach all dem Lärm, den Ihr gemacht, und der Schande, der Ihr mich ausgesetzt habt."

Ich soll mich vor ihm schämen!, dachte ich. Das ist ja herrlich!

Ich schwieg aber.

"Mrs. Jervis", sagte er, "nun seid Ihr beide beisammen. Setzt Euch hin, aber lasst sie stehen, wenn sie möchte."

Ja, wenn ich kann, dachte ich, denn meine Knie zitterten.

"Glaubtet Ihr nicht, Mrs. Jervis", sagte er, "als Ihr das Mädchen im Zimmer vorfandet, dass ich ihr den größten Grund zur Klage gab, den man einer Frau nur geben kann? Und dass ich sie wirklich ins Unglück gestürzt habe, wie sie es nennt? Sagt mir, konntet Ihr an irgendetwas Geringeres denken?"

"Wahrhaftig habe ich dies zunächst befürchtet."

"Hat sie Euch gesagt, was ich ihr angetan habe, das dieses törichte Verhalten hervorgebracht hat, wodurch mein Ruf Euch gegenüber gelitten hat und damit der des ganzen Hauses? So sagt mir, was hat sie Euch erzählt?"

Sein Grimm hatte sie, wie sie mir nachher gestand, sehr eingeschüchtert, so dass sie sagte:

"Sie erzählte mir, Ihr hättet sie nur auf die Knie genommen und geküsst."

Ich gab mir einen Ruck.

"Nur, Mrs. Jervis? Zeigte das denn nicht zu Genüge, was ich zu befürchten hatte? Wenn ein so ehrenwerter Herr sich im Umgang mit einer Dienerin derart erniedrigt, was ist dann als nächstes zu erwarten? Ihr, gnädiger Herr, gingt aber noch weiter und drohtet mir an, was Ihr tun würdet, und spracht von Lucretia und ihrem harten Schicksal. Ihr, gnädiger Herr, gingt weiter, als es einem Herrn gegenüber einer Dienerin geziemt und auch gegenüber einem Gleichgestellten. Ich kann das nicht ertragen!"

Und so brach ich überaus traurig in Tränen aus.

Mrs. Jervis fing an, um Verzeihung für mich zu bitten und um Mitleid für ein armes Mädchen, das so viel Wert auf ihren Ruf lege. Er sagte:

"Ich spreche es offen aus, ich halte sie für sehr schön, und ich hielt sie für demütig und für eine, die meine Gunst und Aufmerksamkeit nicht ausnützt. Ich verabscheue aber den Gedanken, sie zu irgendetwas zu zwingen. Ich kenne mich besser und weiß, was sich für mich gehört. Und ganz sicher habe ich mich erniedrigt, wenn ich einer wie ihr meine Aufmerksamkeit schenkte. Ich war von ihr so bezaubert, dass ich mir mehr Freiheiten nahm als mir zustehen. Ich hatte aber nicht vor, den Scherz noch weiter zu treiben."

Wie armselig das doch ist, liebe Mutter, für einen Mann mit seinem Verstand! Daran seht Ihr, wie ein lasterhafter Grund und lasterhafte Handlungen die größten Geister in Verwirrung bringen. Ich schöpfte daraus wieder mehr Mut, denn Unschuld hat auch bei einem schwachen Geist, so finde ich, viele Vorteile gegenüber einer Schuld, die mit Reichtum und Klugheit einhergeht.

Also sagte ich:

"Ihr, gnädiger Herr, mögt dies einen Scherz oder Sport nennen oder wie immer es Euch beliebt. In Wahrheit aber ist es ein Scherz, der sich angesichts des Abstandes zwischen einem Herrn und einer Dienerin nicht geziemt."

"Hört Ihr das, Mrs. Jervis? Hört Ihr das lose Mundwerk dieses Früchtchens? Ich musste mir im Gartenhaus und auch gestern davon schon eine Menge anhören, weshalb ich gröber zu ihr war, als ich im anderen Fall gewesen wäre."

Da sagte Mrs. Jervis:

"Pamela, seid nicht so vorwitzig zu dem gnädigen Herrn und bedenkt immer Euren Abstand zu ihm. Ihr seht ja, dass der gnädige Herr nur einen Scherz gemacht hat."

"Ach, liebe Mrs. Jervis, klagt mich nicht auch noch an. Es ist sehr schwer, den Abstand zu den Vornehmsten einzuhalten, wenn sie es gegenüber den niedersten Dienern selbst nicht tun."

"Schon wieder!", sagte er. "Würdet Ihr das von diesem Luder glauben, wenn Ihr es nicht gehört hättet?"

"Gütiger Herr", sagte die wohlmeinende Dame, "habt Mitleid und Vergebung für das arme Mädchen. Sie ist noch jung, und ihre Tugend ist ihr überaus teuer. Ich verpfände mein Leben dafür, dass sie nie wieder zu Euch frech sein wird, falls Ihr die Güte habt, sie nicht mehr zu bedrängen oder zu erschrecken. An ihrer Ohnmacht habt Ihr ihren Schrecken gesehen, Sir. Sie konnte nichts dafür, und obgleich Ihr nichts Schlechtes im Sinn hattet, war der Schrecken fast tödlich für sie, und ich hatte viel Mühe, sie wieder zu sich zu bringen."

"Ach, die kleine Heuchlerin!", rief er. "Sie beherrscht alle Künste ihres Geschlechts, sie sind ihr angeboren, und ich sagte Euch schon vor einiger Zeit, dass Ihr sie nicht wirklich kennt. Das war aber nicht der eigentliche Grund, warum ich Euch beide hierher gerufen habe. Ich denke, dass mein Ansehen durch die törichte Verdrehtheit dieses Mädchens leidet. Sie hat Euch alles und vielleicht noch mehr erzählt, ich zweifle nicht daran. Sie hat auch Briefe an ihren Vater und ihre Mutter und, soviel ich weiß, an andere geschrieben (denn ich stelle fest, dass ihr Briefverkehr sehr umfangreich ist!), in welchem sie sich selbst als einen Engel des Lichts präsentiert und ihren gütigen Herrn und Wohltäter als leibhaftigen Teufel."

(Ach, dachte ich, wie die Menschen sich manchmal beim rechten Namen nennen!)

"Und von alldem habe ich genug", fügte er hinzu. "So habe ich beschlossen, sie in das Elend und die Armut zurückzuschicken, aus der sie gekommen ist. Sie soll aber sehr darauf achten, wie sie über mich redet, wenn sie von hier fort ist."

Meine Stimmung hellte sich bei diesen Worten sofort auf, und mit frohem Herzen sank ich vor ihm auf die Knie.

"Möge der gnädige Herr allzeit für diesen Entschluss gesegnet sein! Nun bin ich glücklich. Erlaubt mir, hier auf meinen Knien mich für die Wohltaten und die Gunst zu bedanken, womit Ihr mich überhäuft habt, und für die Gelegenheiten, die Ihr und meine selige Herrin mir gabt, mich zu bilden und zu vervollkommnen. Ich werde vergessen, was Ihr mir angetragen habt, und verspreche, Euren Namen stets in Achtung und Dankbarkeit auszusprechen. Der allmächtige Gott möge Euch für immer segnen! Amen."

Ich erhob mich und ging viel freudiger davon, als ich gekommen war, und setzte mich daran, diesen Brief zu schreiben. Nun ist also alles glücklich vorüber.

Und so werdet Ihr, meine liebsten Eltern, Eure arme Tochter bald mit demütigem und gehorsamem Herzen zu Euch zurückkehren sehen. Seid unbekümmert, ich werde bei Euch so glücklich sein wie einst und wieder auf dem Dachboden schlafen. Bitte macht mein kleines Bett bereit. Ich habe etwas Geld, um mir einige Kleider zu kaufen, die besser zu mir passen als die, welche ich jetzt habe. Ich werde Mrs. Mumford bitten, mir Arbeit als Näherin zu verschaffen. Und habt keine Sorge, dass ich Euch zur Last falle, sofern ich gesund bleibe. Ich bin mir Gottes Segen gewiss, wenn nicht um meinetwegen, dann um Euretwegen, die Ihr in all Euren Prüfungen und Eurem Unglück Anstand bewahrt habt, so dass jedermann nur Gutes über Euch redet. Ich hoffe, dass er Mrs. Jervis ein Zeugnis für mich ausstellen lässt, da die Leute sonst, so fürchte ich, denken könnten, ich sei wegen Unredlichkeit entlassen worden.

Und so, liebe Eltern, mögt ihr um Eurer Liebe für mich und ich um meiner Liebe für Euch gesegnet sein! Ich werde auch immer für meinen Herrn und für Mrs. Jervis beten. Also gute Nacht, denn es ist schon spät, und ich werde bald zu Bett gerufen werden.

Ich hoffe, dass Mrs. Jervis nicht böse auf mich ist. Sie hat mich nicht zum Abendessen gerufen, auch wenn ich nichts hätte essen können, hätte sie es getan. Ich zweifle aber nicht daran, dass ich heute Nacht ruhig schlafen werde und davon träume, bei Euch zu sein und glücklich auf meinem lieben, lieben Dachboden zu weilen.

Also nochmals gute Nacht, meine lieben Eltern, sagt

Eure arme tugendsame Tochter

Vielleicht komme ich in dieser Woche noch nicht, denn ich muss die Wäsche besorgen und alles, was mit meiner Arbeit zusammenhängt, geordnet hinterlassen. Sendet mir also, wenn Ihr könnt, durch John eine Nachricht, ob ich willkommen bin. Er wird auf seinem Rückweg bei Euch vorbeischauen. Sagt ihm aber noch nichts über meinen Fortgang, sonst heißt es wieder, dass ich alles ausplaudere.

Brief XVII

Liebste Tochter,

wir heißen dich tausend Mal willkommen, weil du unschuldig, glücklich und tugendhaft zu uns kommst. Du bist die Stütze und der Trost unserer alten Tage. Und obgleich wir nicht so viel für dich tun können, wie wir gerne wollten, sei unbesorgt, denn wir werden glücklich miteinander leben. Mit meiner Arbeit und der Webarbeit deiner Mutter und deiner Näherei zweifle ich nicht daran, dass es uns besser gehen wird. Nur die Augen deiner armen Mutter fangen an, nachzulassen. Gott sei gelobt, dass ich so stark und tüchtig und fleißig bin als je, und, ach, mein liebes Kind!, deine Tugend hat mich, so meine ich, stärker und besser gemacht als zuvor. Welchen Segen bringen doch Prüfungen und Versuchungen, wenn wir die Kraft haben, ihnen zu widerstehen!

Ich habe aber kein gutes Gefühl wegen dieser vier Guineen. Ich denke, du solltest sie deinem Herrn zurückgeben. Allerdings habe ich sie schon angebrochen. Es sind nur noch drei übrig, aber ich werde den vierten ausborgen, wenn es geht, teils auf meinen Lohn und teils von Mrs. Mumford, und dir die ganze Summe, wenn John wieder vorbeikommt, zukommen lassen, damit du sie zurückgeben kannst.

Ich würde gerne wissen, wie du zu uns gelangst. Ich glaube, dass John mit Freuden bereit wäre, dich einen Teil des Wegs zu begleiten, falls nicht dein Herr es ihm aus übler Laune untersagt. Wenn wir es rechtzeitig erfahren, wird deine Mutter dir fünf Meilen entgegenkommen und ich zehn Meilen, oder bis ich dich treffe, sofern es auf einen Feiertag fällt, denn die Möglichkeit dafür habe ich nur dann.

Wir werden dich mit noch mehr Freude empfangen als bei deiner Geburt, als das Schlimmste überstanden war, oder als wir überhaupt jemals in unserem Leben empfunden haben.

Und Gottes Segen sei mit dir, bis die glückliche Zeit gekommen ist, sagen dir deine Mutter und ich.

Deine dich wahrhaft liebenden Eltern

Brief XVIII

Lieber Vater und liebe Mutter,

ich danke Euch tausendfach für die Güte, die aus Eurem letzten Brief spricht. Es drängt mich nun, meine restlichen Arbeiten zu erledigen, um zu meiner neuen und alten Bestimmung zurückzukehren, wie ich es nennen möchte. Ich habe mich sehr verändert, seit mein Herr mich entlassen hat. Was für eine Freude es ist, als ehrbare Tochter zu Euch zu kommen und nicht als schuldige. Meine Zeit zum Schreiben ist bald vorbei, ich will sie also nutzen und Euch berichten, was seit meinem letzten Brief geschehen ist.

Ich wunderte mich, dass Mrs. Jervis mich nicht zum Essen gerufen hatte, und war in Sorge, sie könnte verärgert sein, und sehnte mich danach, dass sie zum Schlafen kommt, nachdem ich meinen Brief beendet hatte. Endlich kam sie herauf, verhielt sich aber scheu und zurückhaltend. Ich sagte:

"Liebe Mrs. Jervis, ich bin erfreut, Euch zu sehen. Hoffentlich seid Ihr nicht wütend auf mich."

Sie sagte, es täte ihr leid, dass die Dinge so gelaufen waren, und dass sie lange mit meinem Herrn gesprochen habe, nachdem ich gegangen war, und dass er gerührt zu sein schien von meinen Worten und meinem Kniefall und meinem Gebet für ihn bei meinem Weggang. Er sagte, ich sei ein seltsames Mädchen, und er wüsste nicht recht, was er von mir halten solle.

"Ist sie gegangen?", fragte er dann. "Ich wollte ihr noch etwas sagen, aber sie benahm sich so merkwürdig, dass ich sie nicht aufzuhalten vermochte."

Sie fragte, ob sie mich wieder rufen solle. Er sagte:

"Ja."

Und dann:

"Nein, lasst sie gehen; das ist für sie und auch für mich am besten. Und sie soll, nun da ich sie entlassen habe, auch fortgehen. Ich habe keine Ahnung, woher sie diese Dinge kennt, von denen sie gesprochen hat. Nie in meinem Leben aber habe ich jemanden wie sie gekannt, gleich welchen Alters."

Sie sagte, er hätte ihr befohlen, mir nicht alles weiterzuerzählen, sie glaube aber, dass er mich niemals wieder bedrängen würde, und dass ich bleiben könne, wenn ich ihn um diesen Gefallen bäte, obgleich sie dessen nicht sicher sei.

"Ich bleiben, liebe Mrs. Jervis?", sagte ich. "Warum denn? Ich hätte keine bessere Nachricht bekommen können als die, dass er mich fortgehen lässt. Mich verlangt nach nichts anderem als in meine Armut und mein Elend zurückzukehren, wohin er mich, nach seinen Worten, geschickt hat. Denn die Armut wird für mich nicht halb so elend sein wie die vergangenen Monate hier, daran zweifelt nicht."

Mrs. Jervis, die liebe gute Seele, begann wegen mir zu weinen.

"Ach, Pamela, ich glaube nicht, dass ich Euch gegenüber so wenig Liebe zeigte, dass Ihr nun erfreut sein solltest, von mir zu gehen. Ganz gewiss habe ich nie ein Kind gehabt, das mir auch nur halb so lieb war wie ihr."

Ich weinte ebenfalls, als ich hörte, welche Freundschaft sie für mich empfand, die sie mir auch immer gezeigt hat, und sagte:

"Was soll ich Eurer Meinung nach tun, liebe Mrs. Jervis? Ich liebe Euch fast so sehr wie meine Eltern, und dass ich Euch verlasse, bedaure ich am meisten, wenn ich hier fortgehe. Sicher wäre es aber mein Verderben, wenn ich bliebe. Bedenkt man, wie er mich bedrängt und bedroht und wie er sich selbst mit einem bösen Schänder verglichen hat, und wie höhnisch er davon sprach, dass wir einen guten Stoff für einen Roman abgeben würden; kann ich denn unter solchen Umständen hier noch sicher sein? Hat er nicht zwei Mal all seine Würde vergessen? Ich muss mich nun gegen ein drittes Mal wappnen, da ich seiner Falle sonst vielleicht nicht entkomme, denn er hat, denke ich, nicht erwartet, dass eine Dienerin ihrem Herrn so beharrlich widersteht. Und erschiene es nicht wie eine Rechtfertigung seines Verhaltens, wenn ich danach noch bliebe? Denn, so meine ich, wenn eine von unserem Geschlecht von einem Mann angegangen wird, dann ermutigt es ihn zu weiteren Versuchen, wenn die Frau nichts unternimmt, um ihn abzuhalten. Es erscheint ihm dann, als würde ihm eine Tat vergeben, die keine Vergebung verdient. Viele schändliche Taten werden so angespornt, da könnt Ihr sicher sein."

Sie umarmte mich.

"Das ist sicher wahr! Woher, mein hübsches Kind, hast Du in so jungen Jahren dein Wissen und deine Gedanken? Du bist ein Wunder für dein Alter, und ich werde Dich immer lieben. Doch seid Ihr wirklich entschlossen, Pamela, uns zu verlassen?"

"Ja, liebe Mrs. Jervis. Was kann ich, so wie die Dinge stehen, denn anderes tun? Ich werde aber vorher meine Pflichten hier erledigen, und hoffe, Ihr schreibt mir ein Zeugnis für meine Rechtschaffenheit, damit niemand denkt, ich sei wegen eines Frevels entlassen worden."

"Ja, das mache ich", sagte sie. "Ich werde Euch ein Zeugnis schreiben, wie es sich ein Mädchen in Eurem Alter noch nie verdient hat."

"Und ich werde Euch gewiss immer lieben und ehren als die beste Freundin nach meinen Eltern, gleich wo ich hingehe und wie es mir ergeht."

Dann legten wir uns schlafen, und ich erwachte erst, als es Zeit zum Aufstehen war. Ich tat dies so beschwingt wie ein Vogel und machte mich freudig an meine Arbeit.

Ich glaube jedoch, dass mein Herr fürchterlich zornig auf mich ist, denn er ging zwei oder drei Mal wortlos an mir vorüber; und gegen Abend begegnete er mir in einem Durchgang, der zum Garten führt, und sagte ein Wort, wie es ich von ihm noch nie zu jemandem, gleich ob Mann, Frau oder Kind, gehört habe. Zuerst sagte er:

"Dieses Ding kommt mir ständig in den Weg."

Ich antwortete, wobei ich mich so dicht wie möglich an die Seite drückte (und der Gang ist so breit, dass eine Kutsche hindurchfahren kann):

"Ich hoffe, ich werde Euer Gnaden nicht mehr lange im Wege stehen."

"Hol Euch der Teufel!" (das ist das heftige Wort) "Ihr kleine Hexe, meine Geduld mit Euch ist am Ende."

Ich gestehe, dass ich bei diesen Worten zitterte. Ich merkte aber, dass er verärgert war, und machte mir nicht viel daraus, denn mein Abschied steht kurz bevor. Es kann ja, liebe Eltern, nicht verwundern, dass ein Mensch, der böse Taten tut, auch böse Worte spricht. Möge Gott mich von beidem verschonen!

Eure gehorsamste Tochter

Brief XIX

Lieber Vater und liebe Mutter,

da John die Möglichkeit hat, bei Euch vorbeizuschauen, schreibe ich nochmals und sende Euch zwei Briefe gleichzeitig. Noch kann ich nicht sagen, wann ich fortgehe und wie ich zu Euch komme, denn Mrs. Jervis hat meinem Herrn die Weste gezeigt, die ich für ihn sticke, und er sagte:

"Sie sieht recht schön aus. Ich denke, das Mädchen bleibt am besten noch solange, bis die Weste fertig gemacht ist."

Es hat ein geheimes Gespräch zwischen ihm und Mrs. Jervis gegeben, über das sie mir nichts sagt. Sie ist aber herzlich zu mir, und ich hege gar kein Misstrauen gegen sie, was andernfalls sehr gemein von mir wäre. Sie muss aber Gehorsam zeigen und alle seine rechtmäßigen Befehle ausführen. Andere als solche würde sie nicht ausführen, das kann ich wohl sagen, dafür ist sie zu rechtschaffen und liebt mich zu sehr. Wenn ich fort bin, muss sie aber bleiben und darf also keine Missgunst auf sich ziehen.

Sie hat mich nochmals gebeten, nicht fortzugehen und Demut zu zeigen.

"Was habe ich denn getan, Mrs. Jervis?", sagte ich. "Wenn ich frech und unverschämt war, wie er es nennt, hatte ich dann keinen Grund dafür? Denkt Ihr, ich hätte mich jemals vergessen, wenn er nicht vergessen hätte, was sich für einen Herrn gehört? Redet offen mit mir, Mrs. Jervis, wenn Ihr glaubt, ich könne in Sicherheit hier weilen. Was würdet Ihr dann denken und wie würdet Ihr Euch an meiner Stelle verhalten?"

"Liebe Pamela." Sie küsste mich. "Ich weiß nicht, was ich denken und wie ich mich verhalten würde. Ich hoffe, ich würde so handeln wie Ihr. Aber ich kenne sonst keine, die das täte. Mein Herr ist ein gutaussehender Edelmann, er hat viel Witz und Verstand und genießt, soviel ich weiß, die Bewunderung von einem halben Dutzend Damen, die sich glücklich schätzen würden, wenn er ihnen den Hof machte. Er hat ein vornehmes Anwesen. Und doch glaube ich, dass er mein gutes Mädchen, obgleich sie seine Dienerin ist, mehr liebt als all die Damen auf dem Land. Er hat versucht, über seine Liebe hinwegzukommen, weil sie so sehr unter seinem Stand steht, aber, so finde ich, es gelingt ihm nicht, und das ärgert sein stolzes Herz dermaßen, dass er beschlossen hat, Euch fortzuschicken. Und deshalb spricht er so missgelaunt zu Euch, wenn Ihr ihm zufällig begegnet."

"Das mag sein, Mrs. Jervis", sagte ich. "Ich habe aber diese Frage: Wenn er sich dazu erniedrigen kann, ein armes Mädchen wie mich zu lieben, was ja auch stimmen mag (denn ich habe über Sachen gelesen, die fast ebenso wundersam sind, über vornehme Herren, die arme Jungfrauen lieben), was kann er damit bezwecken? Er könnte sich vielleicht dazu herablassen, mich für gut genug zu befinden, seine Gespielin zu sein. In diesem Fall wahren Männer ihre Ehre, Frauen aber verlieren sie, denn so ist die Welt. Und wäre ich lasterhaft genug, dann würde er mich so lange unterhalten, bis ich ganz verderbt wäre oder er seine Vorliebe wechselt, denn selbst schlechte Menschen, so habe ich gelesen, werden des liederlichen Umgangs mit der gleichen Person bald überdrüssig, weil sie die Abwechslung auch im Laster lieben. Die arme Pamela würde dann fortgeschickt und als abscheuliche und verlassene Kreatur angesehen und von allen verachtet werden; ja, und das zu Recht, Mrs. Jervis; denn sie hat ihre Tugend nicht bewahrt und verdient also ein Leben in Schande. Aber, Mrs. Jervis, erlaubt mir Euch zu sagen, dass ich, wie ich hoffe, seine Versuchungen sogar verabscheuen und ihnen widerstehen würde, wenn er nicht nur mein Herr, sondern mein König wäre und sich immer freundlich zu mir verhielte und mich niemals fortschicken würde; es wäre sonst eine Sünde. Das haben mich meine armen geliebten Eltern immer gelehrt; und ich wäre in der Tat eine traurige und schändliche Kreatur, würde ich des Reichtums oder der Gunst wegen meine Tugend drangeben, ja, und ich wäre auch noch die schlimmste von meinem Geschlecht; denn ich kann mit Freude in meine Armut zurückkehren und sehe es als ein geringeres Unglück, in Lumpen zu gehen und von Roggenbrot und Wasser zu leben, wie ich gewohnt war, als dem vornehmsten Mann der Welt als Gespielin zu dienen."

Mrs. Jervis hob ihre Hände und sagte unter Tränen:

"Gott segne Euch, meine Liebe! Ich bin begeistert und entzückt von Euch. Wie kann ich mich jemals von Euch trennen!"

"Liebe Mrs. Jervis, so frage ich Euch jetzt: Ihr hattet mit ihm ein Gespräch, und es ist Euch vielleicht nicht erlaubt, mir davon zu berichten. Denkt Ihr aber, dass er seine Taten bedauerte und sich auch deren schämte, wenn ich darum bäte, hier bleiben zu dürfen? Denn gewiss sollte er dies tun, in Anbetracht seines hohen und meines niederen Rangs. Und weil meine Tugend das einzige in der Welt ist, das für mich einen Wert hat: Glaubt Ihr nach Eurem Gewissen (bitte antwortet mir aufrichtig), dass er mich nie wieder in irgendeiner Weise bedrängen würde und dass ich hier sicher wäre?"

"Ach! liebes Kind, stellt mir mit Eurem schönen ernsten Blick nicht solch unangenehme Fragen. Ich weiß nur, dass er sich ärgert über das, was er getan hat, sowohl beim ersten Mal als auch, noch mehr, beim zweiten Mal."

"Ja", sagte ich, "und so wird er sich vermutlich auch beim dritten und beim vierten Mal ärgern, bis Euer armes Mädchen gänzlich verderbt ist. Wer wird dann Grund haben, sich zu ärgern?"

"Nein, Pamela, glaubt nicht, dass ich um irgendetwas in der Welt zu Eurem Ruin beitragen würde. Alles, was ich sagen kann, ist, dass er Euch noch kein Leid zugefügt hat. Dass er Euch liebt, ist kein Wunder, so schön wie Ihr seid. Obgleich Euer Stand weit unter dem seinen ist, würde er, das wage ich zu beschwören, Euch niemals Gewalt antun."

"Nach Euren Worten", sagte ich, "hat er seine erste Tat im Gartenhaus bedauert. Gut, aber wie lange währte dieses Bedauern? Nur so lange, bis er mich alleine vorfand und noch schlimmer als zuvor an mir handelte, nur um dies wieder zu bedauern. Und wenn er mich seiner Liebe würdigt, von der er, wie Ihr sagt, gar nicht loskommen kann, dann wird er die Gelegenheit nutzen, mich auch ein drittes Mal zu peinigen. Ich habe gelesen, dass viele Männer sich ihrer schändlichen Annäherungen schämen, wenn sie zurückgewiesen werden, aber keine Scham empfinden, wenn sie Erfolg haben. Abgesehen davon, Mrs. Jervis: Wenn er wirklich keine Gewalt gegen mich im Sinn hat, was würde das bedeuten? (Wobei Ihr sagt, dass er nicht umhin kann, Gefallen an mir zu finden, denn Liebe kann man das nicht nennen.) Nicht dies, dass er hofft, mich mit meinem Einverständnis zu verderben? Ich denke (und hoffe auf die Gnade, dass es mir gelingt), dass ich auf keinen Fall seinen Versuchungen nachgeben werde. Es wäre aber sehr anmaßend von mir, mich auf meine eigene Stärke zu verlassen gegenüber einem Edelmann, der über Reichtum und viele gute Eigenschaften verfügt und mir als mein Herr gebietet und sich für berechtigt hält, mich Unverschämte zu nennen und was sonst noch alles, nur weil ich mich in gebotener Weise zur Wehr setzte. Bei all dem geht es um das Heil meiner Seele und meines Körpers und um meine Pflicht gegenüber Gott und meinen Eltern. Wie, Mrs. Jervis, kann ich unter diesen Umständen bleiben wollen oder darum bitten?"

"Nun gut", sagte sie. "Wie es scheint, wünscht er sehr, dass Ihr fortgeht. Ich hoffe, aus einem ehrbaren Grund, nämlich dass er befürchtet, Euch wie auch sich selbst zu entwürdigen."

"Nein, nein, Mrs. Jervis, daran habe ich auch gedacht. Ich wäre ja froh, wenn ich ihn so hochschätzen könnte, wie es meine Pflicht ist. Dann aber hätte er mich zu Lady Davers gehen lassen, statt zu verhindern, dass sich meine Umstände verbessern. Und er hätte nicht gesagt, ich solle in meine Armut und mein Elend zurückkehren, aus der ich durch die Güte seiner Mutter erhoben worden war. Stattdessen wollte er mich in Schrecken versetzen und glaubte, mich dafür zu bestrafen, dass ich mich seiner Bosheit nicht fügte. Das zeigt mir zur Genüge, was ich von seiner Güte zukünftig zu erwarten hätte, es sei denn, ich verdiente sie zu dem hohen Preis, der er festsetzt."

Sie schwieg, und ich sprach weiter:

"Es gibt nichts weiter dazu zu sagen als: Ich muss fortgehen. Das ist sicher. Meine einzige Sorge ist, wie ich mich von Euch und, hernach, von den anderen Bediensteten trennen soll, denn sie alle haben mich geliebt. Ihr und sie alle werdet mich sicherlich manchen Seufzer und manche Träne kosten."

Daraufhin konnte ich mich nicht zurückhalten und begann zu weinen. Es ist wohltuend, in einem Haus unter Bediensteten zu leben und von ihnen allen geliebt zu werden.

Ich hätte Euch schon längst von Mr. Longman, unserem freundlichen und anständigen Haushofmeister, erzählen müssen, der bei allen Gelegenheiten immer sehr liebenswürdig ist. Einmal sagt er zu Mrs. Jervis, er wünsche sich, um meinetwegen, jünger zu sein, damit er mich heiraten könne, und würde mir dabei sein ganzes Vermögen überschreiben. Dazu müsst Ihr wissen, dass er als sehr reich gilt.

Ich bin darüber nicht stolz, aber dank Gott und Eurem guten Vorbild, liebe Eltern, kann ich die Zuneigung aller Menschen erlangen. Nur unsere Köchin, die manchmal etwas bissig und mürrisch ist, sagte einmal so, dass ich es hörte:

"Warum führt sich unsere Pamela so fein wie eine Dame auf? Was es doch ausmacht, ein schönes Gesicht zu haben! Ich frage mich, wohin das Mädchen es noch bringen wird?"

Sie war sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, und ich ging leise weg, denn ich hielt mich nur selten in der Küche auf. Da hörte ich den Kellermeister sagen:

"Was ist mit Euch, Jane? Ihr sprecht über alle nur schlecht. Was hat Pamela Euch getan? Sie beleidigt niemanden, da bin ich mir sicher."

"Was habe ich denn gesagt, Ihr Dummer", antwortete sie gereizt, "außer dass sie schön ist?"

Dann hörte ich noch, wie sie miteinander stritten. Das tat mir leid, aber ich kümmerte mich nicht weiter darum. Vergebt mir dieses törichte Geplapper.

Eure gehorsame Tochter.

Oh! Ich vergaß Euch mitzuteilen, dass ich hierbleibe, bis die Weste fertig gestickt ist. Noch nie habe ich etwas Schöneres gemacht. Ich arbeite von früh bis spät daran, damit ich endlich zu Euch kommen kann.

Brief XX

Lieber Vater und liebe Mutter,

ich konnte meine letzten Briefe nicht so bald senden wie ich wollte, weil John (ob mein Herr ihm misstraut, weiß ich nicht) anstelle von Isaac zu Lady Davers geschickt wurde, der diesen Weg für gewöhnlich geht. Zu Isaac kann ich nicht so offen sein und ihm Vertrauen schenken, obgleich er sehr höflich zu mir ist. Ich war also gezwungen, auf Johns Rückkehr zu warten.

Ich werde vielleicht so bald keine Gelegenheit mehr haben, einen Brief zu senden. Ihr bewahrt aber, wie ich weiß, meine Briefe auf und lest sie (wie John mir gesagt hat) nach getaner Arbeit immer wieder aufs Neue (so sehr lässt Euch Eure Güte alles lieben, was von Eurer armen Tochter kommt). Es könnte mir vielleicht auch Freude bereiten, sie wiederzulesen, wenn ich bei Euch bin, um mich an das Durchgestandene und daran, wie groß Gottes Güte mit mir war, zu erinnern (was, wie ich hoffe, meine guten Vorsätze noch verstärken wird, so dass ich nachher keinen Grund habe, mich selbst für das zu verdammen, was ich in meinen Briefen geschrieben habe). Aus all diesen Gründen werde ich auch weiterhin alles, was mir widerfährt, schriftlich festhalten, wenn ich Zeit habe, und das Gekritzel zu Euch senden, wenn die Gelegenheit dazu besteht. Und wenn ich nicht jedes Mal förmlich unterschreibe, so wie ich sollte, dann werdet Ihr sicher nicht glauben, dass ich meine Pflicht vernachlässigt hätte. Also werde ich beginnen, wo ich zuletzt endete, als ich über mein Gespräch mit Mrs. Jervis berichtete, in welchem sie mich bat, meinen Herrn um mein weiteres Bleiben zu ersuchen.

Was Mrs. Jervis nicht weiß, ist der Plan, wie ich ihn nennen mag, den ich in die Tat umgesetzt habe. Vor einigen Tagen dachte ich bei mir selbst: Ich werde also zu meinen armen Eltern gehen und nichts am Leibe tragen, das zu meinem Stand passt; denn welchen Eindruck wird Eure arme Tochter machen mit einem seidenen Nachthemd, seidenen Unterröcken, Kopftüchern aus Batist, feinem holländischem Leinen, lackierten Schuhen, die meine Herrin trug, und schönen Strümpfen! Und wie abgetragen müssten diese Sachen in kurzer Zeit aussehen und wie lächerlich ich mit ihnen! Und die Leute würden sagen (denn arme Leute sind ebenso neidisch wie reiche): Seht die Tochter des guten Andrews, die aus ihrem feinen Haus zurückgeschickt wurde! Wie aufgedonnert sie daherkommt! Und wie gut die Kleider sich zur Armut ihrer Eltern machen!

Und wie würden sie über mich denken, dachte ich bei mir selbst, wenn die Kleider abgewetzt und abgetragen aussehen? Und wie würde ich erscheinen, wenn ich nach und nach in schlechteren Kleidern ginge, wie ich sie gerade in die Hände bekäme? Wenn ich, zum Beispiel, ein altes Seidenkleid mit einem billigen Unterrock zusammen trüge? Also, dachte ich, täte ich besser daran, mich gleich mit Kleidern auszustatten, die zu meinem Stand passen. Und obgleich das armselig aussehen mag im Vergleich mit dem, was ich in den letzten Jahren getragen habe, wird es mir doch, wenn ich bei Euch bin, für die Festtage und Sonntage dienen und, wenn mein Fleiß den Segen erhält, mir noch lange erhalten bleiben.

Ganz heimlich, wie ich schon sagte, kaufte ich von der Frau und den Töchtern des Pächters Nichols einen guten braunen Stoff, den sie selbst gesponnen haben. Es war genug, um mir einen Rock und zwei Unterröcke davon zu machen. Ich machte für das Kleid auch Aufschläge aus einem schönen Stück bedruckter Baumwolle, das ich noch hatte.

Ich hatte eine gute gesteppte Jacke aus Kamelhaar, die es, denke ich, noch ausreichend tun wird. Ich habe auch zwei Unterjacken aus Flanell gekauft, die nicht so gut sind wie meine Unterjacken aus Schwanenhaut und feiner Baumwolle, mich aber warmhalten werden, wenn ich hin und wieder einem Nachbarn beim Melken helfen muss, wie es früher der Fall war. Ich bin nämlich entschlossen, Euren guten Nachbarn jeden Gefallen zu erweisen, der mir möglich ist, und hoffe, von allen in Eurer Gegend so geliebt zu werden, wie ich es hier bin.

Ich habe einen recht guten schottischen Stoff bekommen und mir morgens und nachts, wenn niemand mich sah, daraus zwei Hemden gemacht. Es ist davon noch genug übrig für zwei Hemden für jeden von Euch, liebe Eltern. Wenn ich heimkomme, werde ich sie für Euch machen und würde mich freuen, wenn Ihr sie als mein erstes Geschenk annehmt.

Dann kaufte ich von einem Straßenhändler zwei hübsche Hauben, einen kleinen Strohhut und ein Paar Handschuhe mit weißem Baumwollaufschlag, sowie zwei Paar gewöhnliche blaue Strümpfe, die mit ihren weißen Zwickeln, glaubt mir, sehr hübsch aussehen, und auch zwei Meter Schwarzband für meine Hemdsärmel und um daraus Halsbänder zu machen. Nachdem ich all diese Sachen in meiner Kammer hatte, bin ich alle zwei Stunden dort hingegangen, um sie anzusehen, zwei Tage lang. Denn Ihr müsst wissen, dass ich zwar bei Mrs. Jervis schlafe, meine eigene kleine Kammer aber für meine Kleider behalten habe, und keiner außer mir geht dort hinein. Ihr werdet sagen, dass ich gut gewirtschaftet haben muss, umso viel Geld gespart zu haben. Es war aber meine liebe Herrin, die mir immer etwas gegeben hat.

Ich glaubte mich dazu um so mehr verpflichtet, als ich von meinem Herrn wegen Vernachlässigung meiner Pflichten entlassen worden war, und weil er von mir andere Gegenleistungen für seine Geschenke erwartete, als ich zu geben bereit war, hielt ich es für angemessen, die Geschenke zurückzulassen, wenn ich fortgehe. Denn warum sollte ich die Belohnung behalten, wenn ich sie nicht verdient habe?

Macht Euch wegen der vier Guineen, an die ich gerade denke, keine Sorgen. Wie ich Euch mitgeteilt habe, waren sie mir zusammen mit etwas Silber von dem, was meine Herrin bei ihrem Hinscheiden bei sich hatte, als Vergütung gegeben worden. Und da ich keinen anderen Lohn erhoffen kann, maße ich mir an, dass ich sie für die vierzehn Monate seit dem Tod meiner Herrin verdient habe. Denn für die Zeit davor hat sie mich in ihrer Güte mehr als genug entlohnt, indem sie mich bildete und meine Fertigkeiten verbesserte und mir auch sonst Gutes tat. Würde sie noch leben, wären all diese Dinge nicht geschehen! Doch ich sollte dafür dankbar sein, dass es nicht noch schlimmer kam. Alles wird sich zum Besten wenden, darauf vertraue ich fest.

Also habe ich mir eine neue und zu meinen Umständen besser geeignete Kleidung zugelegt, und nie habe ich mich mehr auf neue Kleidung gefreut als bei dieser. Denn dann werde ich bald bei Euch sein und meine Seele die Ruhe genießen. Doch still!... ich bin, &c.


Pamela, oder die belohnte Tugend

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