Читать книгу Die silberne Stiefelschnalle - Sandra Dittrich - Страница 3
I. Tanz in den Mai
ОглавлениеTief schnitt die Axt ins saftige Holz der jungen Birke. Melchior Glock erstarrte mitten in der Bewegung. Jemand hastete im fahlen Licht des Mondes auf ihn zu. Gleichzeitig packten zwei grobe Hände von hinten seinen Arm. Melchior fuhr herum. „Peter, Christoph, was soll das?“ Die Forstgehilfen lachten. Sie zeigten Melchior ihre Beute, zwei kleine Birken, geschmückt mit Bändern. Ein aufgescheuchtes Reh rannte, durch das dichte Unterholz des Waldes, davon. Die Blätter der Bäume flüsterten leise, Äste krachten und eine sanfte Brise trug den lieblichen Duft des Frühlings herbei. „Du bist spät dran mit deinem Liebesmaien“, ereiferte sich Christoph Göypferdt. „Meinen kriegt die Sophie“, warf Peter Scheming ein. „Glaubst du, dass die Sophie das wert ist?“, zweifelte Melchior. „Und deine Müllerstochter ist so ehrenhaft?“
„Sag nichts über die Lisbeth!“, verteidigte Melchior seine Auserwählte. „Wo die Liebe hinfällt“, unterbrach Christoph den Streit der Freunde. „Ihr zwei Narren müsst erst mal ins Dorf hinein kommen. Wenn sie euch für aufständische Bauern halten, schlägt euer letztes Stündlein.“
Melchior erinnerte sich an die Johannisfeier im letzten Sommer. Plötzlich sah er Lisbeth mit anderen Augen. Ihre langen schwarzen Locken, der zarte, rote Mund, ihre blitzenden Augen und ihr Lachen zogen ihn, seit diesem Tag, immer öfter zur Mühle. Viele Burschen machten Lisbeth den Hof, allen voran der Weiberheld Adrian Kraft vom Rittergut. Trotzdem hatte sich Lisbeth letztendlich für ihn entschieden. Sie liebten beide den Wald und seine Geheimnisse. Als Kinder hatten Lisbeth, ihre Brüder und Melchior dort oft verstecken gespielt. Im Herbst schließlich hatte Melchior um Lisbeths Hand angehalten. „Komm, wir müssen los!“, riss Peter Scheming den Freund aus seinen Gedanken.
Es war den Forstgehilfen verboten die Dürwiese nachts zu verlassen. Forstmeister Weiprecht achtete streng darauf. Heute ließ er Gnade walten. Es war die Nacht vor dem ersten Mai, und die Forstgehilfen wollten um ihre Liebsten werben. Der Brauch besagte, dass die heiratsfähigen Männer ihrer Auserwählten, über Nacht, eine kleine geschmückte Birke vor`s Haus stellten. Rechtzeitig begab sich Weiprecht mit seiner Frau zur Ruhe, damit er die jungen Männer nicht ermahnen musste. Der Maienzauber konnte beginnen.
In der Burgmühle, in Rimpar, lag nicht nur die Katze auf der Lauer. Sie lauschte dem feinen Trippeln der Mäuse im Kornspeicher. Lisbeth, die Tochter des Burgmüllers, schmachtete in die laue Mainacht hinaus. Ob Melchior einen Liebesmaien bringen würde? Das Fenster ihrer Kammer gewährte den schemenhaften Blick auf die benachbarte Burg, den Burggarten und dessen hohe Bruchsteinmauer. Träge floss die Pleichach vom Burggraben herab, rauschte über das Wehr und setzte so das Mühlrad in Gang.
Das Plätschern des Krebsbaches wiegte Lisbeth seit ihrer Geburt in den Schlaf, den sie heute Nacht nicht finden konnte. Ein betörender Hauch von Flieder und Veilchen umschmeichelte ihre Nase. Über ihr knarzte das uralte Dachgebälk, als sie sich von Neugier getrieben zur Kammertüre hinausschlich. Ihre Hände zitterten vor Aufregung. Sie wollte Melchior abfangen. Das gleichmäßige Schnarchen ihrer drei Brüder verfolgte Lisbeth die Treppe hinunter, bis zur Haustüre.
Gerade wollte sie diese öffnen, als eine Gestalt hereinstürmte. Sie stolperte vor Schreck. Ihr Herz schlug bis zum Halse. „Was bei allen Heiligen tust du hier?“, tönte die entrüstete Stimme ihres Vaters. Bezolt Schefflein zog seine Tochter am Arm die Treppe hinauf. Bevor sie protestieren konnte, verschloss er ihre Kammertüre. „Du kannst es gar nicht mehr erwarten“, murmelte er. Dann schlurfte er davon. Lisbeth ärgerte sich. Instinktiv griff sie nach ihrem Glücksamulett, welches an einem Lederbändchen um ihren Hals hing. Es war ein Geschenk von Melchior. Sie war traurig, dass der Vater ein Treffen mit Melchior vereitelt hatte. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag im Oktober waren sie einander versprochen. Es wurde Zeit eine Familie zu gründen. Nur die Mutter mochte auf Lisbeth nicht verzichten, weil keine Schwiegertochter ins Haus kam. Vergeblich redete Lisbeth auf ihre Brüder ein. Keiner von ihnen dachte nur ans Heiraten, und Lisbeth fürchtete, dass Melchior nicht mehr länger warten mochte. Das hatte sie von ihrer Ungeduld. Nun saß sie eingesperrt in ihrer Kammer, und musste bis zum Sonnenaufgang warten, dass der Vater sie hinaus ließ.
Peter Scheming und Melchior Glock diskutierten unter-dessen mit der Dorfwache darüber, ob ihnen Einlass ins Dorf gewährt wurde. „Das Passwort!“, beharrte Adrian Kraft stur. „Maienzauber“, erwiderte Melchior zum fünften Mal und runzelte die Stirn. In seinen blaugrauen Augen zog ein Sturm herauf. Peter wollte ihn beruhigen. Melchior eilte davon: „Meine Lisbeth kriegt ihren Baum!“ Adrian grinste. Auf Melchiors aufbrausendes Temperament war Verlass. Er wartete, bis sein Nebenbuhler verschwunden war, dann ließ er Peter passieren. Hauptsache Melchior konnte Lisbeth nicht den Hof machen. Adrian verdrängte die Ablehnung seitens der Müllerstochter. Er war die bessere Partie, als Großknecht auf dem Rittergut. Melchior der arme Forstgehilfe, das war eine Demütigung, dass Lisbeth diesen Habenichts ihm vorzog. Adrian ging pfeifend seine Runde. Er konnte, dem Krieg sei Dank, jeden abweisen, der das richtige Passwort zum Einlass ins Dorf nicht wusste. Melchior schlich jetzt, von der anderen Seite, an die Mühle heran. Vom Rande des kleinen Steinbruches, neben der Burg, erkannte er die Silhouette der Mühle.
Erst ließ er den Baum in die Tiefe purzeln. Melchior kletterte hinterher und folgte dem Lauf, des teilweise umgeleiteten Baches, den Burggraben entlang, bis dieser sich mit dem eigentlichen Mühlbach wieder vereinte. Dort hangelte sich der Forstgehilfe über das Wehr. Er quetschte sich am Mühlrad vorbei. Lisbeth konnte der Adrian vergessen. Er würde sein Mädchen nicht an den widerlichen Prahlhans verlieren. Der Forstgehilfe platzierte den Liebesmaien stolz auf den Mühlwiesen, am Ufer der drei kleinen Seelein. Da stand er, in Sichtweite von Lisbeths Fenster. Schade, dass seine Liebste schlief. Zufrieden watete Melchior durch das seichte Wasser der Pleichach und schlenderte Richtung Grumbacher Graben davon. Adrian würde platzen vor Wut.
Am nächsten Morgen bestaunte Lisbeth den, etwas ramponierten, kleinen Baum. Sie schüttelte sich vor Lachen. „Etwas schöner könnte er sein“, bemerkte ihre Freundin Eva Picht. „Der Wille zählt. Der Adrian hat seinen nur vorne am Tor abgestellt“, verteidigte Lisbeth ihren Liebsten. „Ich weiß nicht was er will. Er läuft jedem Weiberrock hinterher. Ich möchte keinen Taugenichts, der seine meiste Zeit im Wirtshaus herum sitzt! Außerdem denkt er, weil mein Vater Burg-müller ist, erhält er eine fette Mitgift!“
„Ach vergiss den Adrian. Weißt du was wirklich schade ist? Das ist für uns zwei der letzte Brunnengang, und du kannst nicht mit“, bedauerte Eva. „Ich komme später, wenn die Burschen den Maibaum aufstellen. Ich muss der Frau von Grumbach das Gewand fürs Fest aufhübschen. Der Ritter Wilhelm wird zurück erwartet. Bin gespannt, wer nachher zur Maigräfin ausgerufen wird. Unser Maigraf ist wohl derzeit der begehrteste Mann im Dorf“, plauderte Lisbeth drauf los. Eva errötete, und blieb ihrer besten Freundin die Antwort schuldig. Sie mochte Gabriel sehr gerne. Der Stallknecht arbeitete auf dem Rittergut der Grumbacher, dem Niederhof, wo sie sich als Küchenmagd verdingte.
Plötzlich erklang von ferne Gesang: „Selig, selig sei die Freude, selig sei die wonnige Maienzeit ...“
„Selig sei der Vögel singen, selig sei die Aue, selig sei der Wald“, fielen die beiden Frauen mit ein. Sie liefen zu dem kleinen Platz unterhalb der Burg, wo sich die Kinder und ledigen Frauen für das gemeinsame Reinigen und Schmücken der Brunnen versammelten. Eva reihte sich in die schnatternde Schar ein, die Richtung Dorfplatz davon-zog. Lisbeth winkte ihr und marschierte zur Burg hinauf, vorbei am Kalterhaus und am Hofhaus, welche der Burg vorgelagert waren. Die Dame Anna von Grumbach bediente sich ihrer Gabe, seit sie herausgefunden hatte, wie schön Elisabeth nähen konnte, obwohl sie eine Müllerstochter war.
Die vier Wehrtürme des grumbachschen Wohnsitzes ragten in den Frühlingshimmel. Die Wohnräume der Burg lagen im Süden und Osten, wo sich der Eingang zur Burgkapelle befand. Die Pleichach teilte sich nordöstlich der Mauern, und floss durch einen tiefen Graben beiderseits um die Burg herum. Lisbeth stapfte den staubigen Weg am Hauptbach entlang, bis zur hölzernen Zugbrücke, die den Burggraben an der Westseite überspannte. Durch das geöffnete Tor gelangte Lisbeth auf den verdreckten Burghof. Ein blondgelockter Junge trieb die herrschaftlichen Gänse, zum Weiden auf den Mühlwiesen, vorüber. Der Torwächter grinste anzüglich und johlte der Müllerstochter hinterher. Lisbeth ignorierte ihn. Sollte der nur pfeifen. Das Mädchen hatte es eilig. Sie passierte den Burgfried und schritt dir Treppe zum Palas hinauf.
Dort konnte sie den ganzen Hof überblicken. Auf der Wehrmauer im Norden drehten die Wachleute ihre Runden. Darunter befanden sich der Pferdestall, das Rüsthaus und ein kleiner Hühnerstall. Das Federvieh hüpfte zwischen den Menschen umher, die ihrem Tagwerk nachgingen. Hoffentlich war die Dame des Hauses guter Dinge. Anna von Grumbach, geborene von Hutten, war bekannt für ihre wechselhaften Stimmungen, ihr gutes Aussehen und ihre höfische Manier. Sie hielt sich für den Mittelpunkt des Universums, in dem alles nach ihrem Willen verlaufen musste. Die Edelfrau legte äußersten Wert auf neueste Mode. Für kleine Änderungen, die schnell geschehen sollten, reichten ihr Lisbeths Dienste aus. Vor der Kemenate angekommen, verharrte die Magd kurz. Lisbeth seufzte und atmete tief aus. Schließlich hob sie die Hand und klopfte an.
„Trete sie ein“, ertönte eine kraftvolle Stimme. Die Müllerstochter drückte die Holztüre auf. Anna von Grumbach saß auf ihrem Bett. Ihre zierliche Gestalt wirkte verloren, neben der riesigen Kleidertruhe, die einen großen Teil ihrer Mitgift aus Hildburghausen enthielt. Zu Ehren des Festtages hatte die Burgherrin gebadet. Jetzt ließ sie die rotbraunen langen Haare in der Morgensonne trocknen. Spöttisch betrachtete die Edeldame Lisbeths ärmliche Kleidung. Das graubraune Gewand, die nackten Füße, die schwarzen lockigen Haare, welche das magere Gesicht umspielten und bis auf die Hüften hinab reichten. „Sie ist spät dran“, bemerkte Anna von Grumbach spitz. Lisbeth schlug die Augen nieder. „Verzeiht Herrin“, sagte sie und beugte sich zu der Kleidertruhe hinab. „Wage es nicht!“, keifte Anna von Grumbach. „Erst zeig mir deine Hände!“ Lisbeth zuckte zusammen und gehorchte. Sie hatte die Hände zehn Minuten im Mühlbach geschrubbt und mühsam die Fingernägel gereinigt. Die Burgherrin packte hart zu, drehte Lisbeths Hände hin und her. Schließlich nickte sie zustimmend.
Eine dreiviertel Stunde später, stand die Burgherrin, in ein bodenlanges grün-goldenes Seidengewand gekleidet, am Fenster. Ihr Gemahl Wilhelm wollte zum Frühlingsfest zurück sein. Gestern hatte der Bote die Nachricht gebracht. Anna von Grumbach wusste nicht, ob sie sich freuen sollte. Seit ihrer Vermählung, vor zwei Jahren, war sie ihrem Gemahl nie wirklich nahe gewesen. Stolz hatten ihre Eltern sie, die damals siebzehn Jahre alte Tochter, in die Burg der Grumbacher gebracht. Seither zeigte Wilhelm wenig Inte-resse an ihren Gefühlen. Außer dem Bett, teilte er nichts mit ihr, weder seine Gedanken, noch sein Leben und schon gar nicht seine Gefühle. Lisbeth räusperte sich. Anna von Grumbach schaute auf. „Ich brauch dich nicht mehr. Lasse dem Pfarrer Ziegler wissen, dass ich ihn sehen möchte“, trug sie der Magd auf. Dann scheuchte sie die ärmliche Frau aus dem Raum.
Auf dem schmalen Gang zog Lisbeth eine Grimasse. Sie stieg die Treppe zum Hof hinab. Hoffentlich würde sie bald mit Melchior auf die Dürrwiese ziehen, dann hätten die Dienste auf der Burg ein Ende. Veit der Stallbursche winkte fröhlich herüber. Er tratschte gerade mit Marquard, der vor dem Burgfried Wache hielt. „Beweg dich her, Veit, du fauler Kerl“, schimpfte der Stallmeister, der jeglichen Müßiggang verachtete. Sein brauner Hund Artus fletschte die Zähne, der Geruch von Hühnerkot vermischte sich in der Nase mit dem des Pferdemist. Lisbeth schlenderte am Brunnen vorbei, ließ die Pferdetränke links liegen und erreichte den Ostflügel. Dort vor der Burgkapelle, nahm Pfarrer Johann Ziegler gerade frische Blumen für seinen Altar in Empfang. „Herr Pfarrer, die Dame von Grumbach wünscht Euch zu sprech-en“, richtete sie dem Gottesmann aus. „Dank dir Lisbeth! Jetzt geh und freue dich an der Schöpfung Gottes.“
„Gott zum Gruße!“, rief Lisbeth und wollte davon eilen, als Maria Kobs sie anstuppste. Neugierig, immer auf der Jagd nach Gerüchten, lag die Burgköchin, am Eingang zu ihrem Reich, auf der Lauer. Hier in der Nähe des Burgtores entging ihr nichts. „Na? Hast du unserer feinen Dame andere Ärmel ans Kleid genäht? Letzte Woche hat sie wieder drei neue Stoffe gekauft und uns reicht`s nicht zum Leben.“
„Maria, was jammerst du? Freu dich lieber, dass die Sonne scheint. Wir sehen uns später, wenn das Maifeuer brennt“, versuchte Lisbeth die Frau abzuwimmeln. „Den alten Bastlein haben die Burschen gestern Nacht betrunken, wie er war, zu den Schafen gelegt. Hat mir unser Stallknecht, der Veit, erzählt. Das hätte ich gern gesehen, als ihn früh die Schafe, statt seinem Weib angeblökt haben“, lachte Maria und scheuchte ein vorwitziges Huhn davon. „Willst wohl in meinem Kochtopf landen?“, drohte sie dem Federvieh.
Lienhart Kleiber der Gefängnismeister rauschte heran. „Weg da, wir müssen den Hof sauber machen, der Herr kommt bald nach Hause. Und du gehst jetzt in deine Küche!“, kläffte er Maria an. „Jawohl du Hofnarr“, feixte die dralle Köchin. Sie ging seelenruhig davon. Lisbeth kicherte. Eilig lief sie zurück in die Mühle. Heute würde sie Melchior wieder sehen. Die Bewohner der Dürrwieser Höfe machten sich, nach und nach, auf den Weg zur Maifeier ins Dorf. Nur der Knecht vom Unterhof musste warten, bis sein Herr, der Jorg Trutmann, mit Frau und Kind wiederkommen würde. Da ging sie hin seine Dorothee. Ausgerechnet der aufgeblasene Christoph aus dem Forsthaus begleitete sie zum Maifest nach Rimpar.
Der Dorfplatz dort war mit schwatzenden Grüppchen übersät, die den Maibaum des Jahres 1525 bestaunten. Behangen mit Kränzchen und bunten Bändern ragte er in den blauen Himmel. Der unschuldige Baum ließ die Menschen einen Augenblick vergessen, dass der blutige Aufstand der Bauern das Land in Atem hielt. Würzig duftende Blumen schmückten den Dorfbrunnen. Der Wirt Cunz Leuboldt stand vor seiner Gaststube und schenkte Wein aus einem großen Fass aus. Marga, sein zänkisches Weib, beobachtete genau, dass er nicht zu viel eingoss. Unter der Dorflinde saß Burkhardt Bastlein. Der alte Schafhirte hörte sich das Gespött der Leute an. „Haste gut ge-schlafen?“, fragte ihn der Schmied schelmisch grinsend. „So ein Schaf ist von allen Seiten was Weiches, hm“, witzelte er weiter. Burkhardt blinzelte nicht mal. Er stierte gierig auf den vollen Becher Wein in seiner Hand.
Eine Gruppe Kinder spielte Fangen rund um den Maibaum, während die ledigen Frauen sich, mit Blumenschmuck im Haar, auf den Tanz freuten. Eva Picht winkte ihrer Freundin Lisbeth, über die Köpfe der anderen hinweg, zu. Ihre strahlend blauen Augen leuchteten vor Freude. „Stell dir vor, der Gabriel Rücker hat mich als Maigräfin auserkoren, mich.“
„Glaubst jetzt endlich, dass er dich gern hat“, sagte Lisbeth. Sie reckte den Hals. Wo war Melchior geblieben. Die Frau des Forstmeisters stand bei Melchiors Mutter. Die zwei tuschelten miteinander. Irgendwie kam Lisbeth sich beob-achtet vor. Üppiger Fliederduft erfüllte die Luft. Die Musikanten machten sich bereit. Ob der Herr Wilhelm von Grumbach kommen würde? Lisbeth konnte keinen Gedank-en mehr daran verschwenden. Zwei Hände hielten ihr die Augen zu. Melchior drehte seine Angebetete überschwänglich um, und überreichte ihr einen winzigen Veilchenstrauß. „Da bist du ja!“, freute sich Lisbeth, „recht schönen Dank für deinen Baum. Hast dir einen besonderen Platz dafür ausgesucht.“ Sie drückte Melchior einen Kuss auf die Wange und nahm seine Hand. „Ging nicht anders. Der Adrian wollte mich nicht ins Dorf lassen“, antwortete Melchior und rückte ein Stück näher an Lisbeth heran. „Wann lässt der uns endlich in Ruhe“, entgegnete diese. Daniel Haupt der Bürgersprecher schritt, mit seiner Frau Uta, an ihnen vorbei, und eröffnete den Tanz.
Bald tönten Gelächter und Gesang bis hinauf zur Burg, wo Anna von Grumbach seit Stunden auf die Rückkehr ihres Gemahls wartete. Eine steile Zornesfalte zierte ihre Stirn. Pfarrer Ziegler versuchte die Dame abzulenken. „Selbst die billigen Bauerndinger sitzen nicht allein in ihrem schäbigen Unterschlupf an diesem Tag. Vielleicht bedient der Herr von Grumbach sich wieder mal an so einer!“, zischte die Burg-herrin. „Geduld verehrte Frau von Grumbach, vergesst nicht, lieber ist es uns, wenn unsere Bauern um den Maibaum tanzen, als stürmten sie die Burg. Wer weiß, ob die Saat aufgeht und diese Bauern sich morgen gegen uns erheben. Denkt an die Belagerer um Würzburg. Da müsst ihr dankbar sein, wenn der Ritter von Grumbach unversehrt zurückkommt.“ Anna nickte ergeben. Ihr Blick schweifte aus dem Fenster hinüber zur Spitze des Maibaumes.
Seit fünf Jahren, war es Brauch geworden eine große Birke am Dorfplatz aufzustellen. Allerdings hielten selbst die Forstgehilfen am Ausbringen der kleinen Liebesmaien fest. Ob Wilhelm dort unten war, es nicht für nötig hielt seine Frau zu begrüßen? Es klopfte an der Tür ihrer Kemenate. Enttäuscht sank Anna beim Anblick des alten Mannes auf ihre Bank im Erker. „Seid gegrüßt Schwiegervater“, erhob sie die Stimme. Conrad von Grumbach komplimentierte den erschöpften Burgpfarrer hinaus. „Anna was grämst du dich? Du weißt wie gefährlich es ist im Land“, versuchte Conrad seine Schwiegertochter abzulenken. „Ja, im Notfall bin ich alleine, mit einem greisen Mann und einem Pfarrer, der in seinem Oratorium sitzt und bibbert“, bemerkte sie gehässig. „Sei nicht ungerecht Anna. Wilhelm erfüllt dir jeden Wunsch und er ist vernarrt in eure Tochter Ursula, obwohl ein Erbe besser gewesen wäre. Der Michael Trehninger und seine Leute sind erfahren genug, als Bewacher der Burg. Selbst mir Greis ist`s eine Ehre meine kleine Feste zu verfechten!“, mahnte Conrad von Grumbach. „Ach ihr redet wie der Pfarrer“, schmollte Anna. Conrad verließ die Kemenate. Diese Frau sollte zufrieden stellen wer wollte. Seit ihrer Ankunft auf der Burg, musste alles nach ihrem Kopf gehen. Die von Hutten hatten ihre Tochter verhätschelt wie einen Schoßhund. Selbst das Führen des Haushaltes bereitete ihr anfangs Probleme. Für Wilhelms politische Reisen und den Kriegsdienst, den er leisten musste, zeigte sie keinerlei Verständnis. Das Beste war für Anna nicht gut genug.
Auf dem Dorfplatz erreichte das Frühlingsfest seinen Höhepunkt. Die Sonne versank orangerot hinter den Hügeln und die Dämmerung setzte ein. Der Maigraf Gabriel Rücker entzündete, mit einer Pechfackel, das Maifeuer. Adrian Kraft wankte an den tanzenden Pärchen vorbei, drehte suchend seinen Kopf und torkelte. Schließlich fand er das Objekt seiner Begierde. Lisbeth stand, mit Eva Picht und der Burgköchin am Brunnen. Ein frischer Wind kündigte die Nacht an. Adrian Kraft stolperte in die Gruppe der Frauen, packte Lisbeth und zog sie mit sich fort. Eva Picht schrie auf und strauchelte, als Adrian sie streifte. „Ein Tänzchen musst du mir gewähren, Lisbeth! Kannst meinen Liebesmaien schmähen! Trotzdem, der Melchior ist nicht gut genug für dich“, lallte er unverständlich. „Lass mich, Adrian. Geh, schlaf deinen Rausch aus! Besoffen wie ein siegestrunkener Landsknecht bist du!“, entrüstete sich Lisbeth. Sie wich angewidert zurück, ob des weinseligen Geruches, den der Knecht verströmte. Warum ließ er sie nicht endlich in Frieden! Da sprang Melchior herbei.
„Schlägerei!“, grölte der alte Bastlein unter der Dorflinde hervor. Adrian bekam einen heftigen Hieb auf die Nase. Ein blutiges Rinnsal war das Ergebnis. Dafür traf er Melchior am Auge. Der holte erneut aus. Daniel Haupt und Gabriel Rücker hielten ihn fest. Zwei andere umklammerten den tobenden Adrian Kraft, als eine voluminöse Stimme der Schlägerei lautstark ein Ende setzte. „Ihr Taugenichtse, zeigt gefälligst mehr Respekt, wenn euer Herr nach Hause kehrt!“ Majestätisch saß Wilhelm von Grumbach, in voller Rüstung, auf seinem schwarzen Hengst. Die Streithähne stoben auseinander. Adrian Kraft wankte Richtung Niederhof davon, während die restlichen Dorfbewohner ihren Herrn gebührend begrüßten.
Der Bürgersprecher, Daniel Haupt, reichte ihm unterwürfig einen Becher Wein. Wilhelm leerte ihn durstig in einem Zug. Sein Blick fiel auf Eva Picht, die neben Gabriel Rücker stand. „Saubere Maigräfin hat er sich auserkoren“, sprach er den Stallknecht seines Rittergutes an, und schaute lüstern auf Evas volle Brüste. Dann befahl er seinem Tross, mit einem Wink, den Aufbruch. Wilhelm warf den geleerten Becher in die Arme von Cunz Leuboldt und ritt los. Bevor die Dunkelheit den Ritter umschloss, blickte er Eva Picht direkt an. Der Magd lief es eiskalt über den Rücken. Da packte Gabriel sie plötzlich. Melchior und Lisbeth sprangen gerade, Hand in Hand, über das heruntergebrannte Feuer. „Wollen wir auch?“, hörte Eva seine Stimme nah an ihrem Ohr. Eva nickte. „Ich wusste gar nicht, dass es dir so ernst ist“, lächelte sie verlegen. „Ich auch nicht bis vorhin“, gestand Gabriel, im warmen Schein der Flammen. Von Glückseligkeit überrollt drückte Eva seinen Arm, ein Sprung über das Feuer kam einem Eheversprechen gleich. Beide landeten unversehrt auf der anderen Seite. Eva war schwindlig vor Freude. Tausend Gedanken jagten durch ihren Kopf und ein Kribbeln erfüllte ihren ganzen Körper. Lisbeth zwinkerte ihrer Freundin zu. „Wartest du vorne an der Linde auf mich“, flüsterte Gabriel, „ich möchte gern mit dir alleine sein.“
Eva kicherte nervös. Sie war bereits lange heimlich in Gabriel verliebt. Gedankenverloren ging sie zur Linde, deren honigsüßer Duft sie umfing. Burkhardt Bastlein schnarchte dort am Boden. Eva war aufgeregt. Noch nie war sie mit einem Mann allein gewesen. Die junge Frau lehnte sich an den Baumstamm, als sich ihre Nackenhaare sträubten. Jemand versteckte sich auf der anderen Seite des Stammes. Da war ein leises Atmen, oder? Laut grunzend übertönte der schnarchende Bastlein das Geräusch. Er drehte sich schmatzend auf die Seite. Das waren Schritte! Sie kamen auf Eva zu. „Gabriel?“, fragte sie zaghaft.
Statt einer Antwort, wurde Eva ein Sack über den Kopf gestülpt, und grobe Pranken warfen sie über den Sattel eines Pferdes, das weiter weg an einen Zaun gebunden war. Der Sattelknauf drückte. Eva zitterte vor Angst. Nach einem kurzen Ritt, wurde die Magd in eine Scheune gebracht, wo ihr Entführer sie zurückließ. „Da ist sie!“, hörte Eva eine ihr unbekannte Stimme, dann Schritte die sich entfernten. Sie war wie versteinert, als man ihr den Sack vom Kopf riss. Im Schein eines trägen Öllämpchens erkannte Eva die Scheune des Niederhofes wieder. War das ein schlechter Scherz von Gabriels Freunden? Die Knechte des Rittergutes waren allesamt ein ungehobelter Haufen.
Aus dem Halbdunkel löste sich eine Gestalt. Wilhelm von Grumbach grinste selbstgefällig. Er hatte seine Kriegsbekleidung gegen einen leuchtend roten Oberrock und braune Beinlinge getauscht. Die kleinen Augen, der schmale Mund, allein das machte keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Die Luft schien zum Schneiden dick, Mäuse raschelten im Stroh und von nebenan hörte man das leise Wiehern eines Pferdes. Eva Picht erstarrte. Sie hatte Todesangst. Wilhelm umkreiste seine Beute immer enger. Er sagte kein Wort. Mit einem Mal riss er Eva das Kleid in Fetzen und warf sie ins Heu, dann fiel er über sie her. Eva biss voller Ekel in ein Büschel Stroh. Sie ließ einfach alles geschehen. Ihre Arme hielt der Ritter mit roher Gewalt fest. Evas Handgelenke schmerzten. Enttäuscht von dem wenigen Widerstand, den sie ihm bot, ließ der Burgherr bald von ihr ab. Da war sein eigenes Weib ihm lieber. Unzufrieden eilte Wilhelm von Grumbach in den Stall, verlangte nach seinem Rappen und ritt zur Burg. Seine Hausfrau Anna erwartete ihn mit säuerlicher Miene. Das würde einen Spaß geben.
Eva Picht lag weinend, tief vergraben, im Stroh der Scheune. Sie wartete bis alle Geräusche auf dem Niederhof verstumm-ten. Es war drei Stunden nach Mitternacht, als sie sich hervorwagte. Ein Ekelgefühl stieg in ihr auf. Das neue Festtagsgewand hing, in Fetzen, an ihr herab. Die Magd übergab sich ins Heu und hielt eine Hand auf den schmerzenden Unterleib. Vorsichtig schlich sie hinaus auf den Hof. Ihre Beine waren wacklig. Notdürftig säuberte sich Eva an der Pferdetränke. Sie war verzweifelt, schämte sich. Wo sollte sie nur hin? Eva wollte weg, einfach weg. Tränen liefen über ihre Wangen. Da fiel ihr Lisbeth ein und sie lief los Richtung Mühle. Lisbeth würde ihr helfen. Mit Gabriel wollte sie über das Ereignis nicht reden. Im Dunkeln stieß Eva gegen eine Person. Sie erschrak fürchterlich und fiel auf den staubigen Boden. Jetzt würde alles herauskommen. Eva wimmerte vor Schmerz und Angst. Die Verzweiflung nahm ihr die Luft zum Atmen. Melchior Glock, der unterwegs zu den Dürrwieser Höfen war, half der Magd auf und blickte sie entsetzt an. „Eva, was ist dir?“ Die Worte blieben ihm im Halse stecken. Er legte ihr seinen löchrigen Umhang über das ruinierte Gewand. Eva versagten die Beine. Melchior trug sie ein Stück und setzte sich mit ihr an einen versteckten Platz am Mühlbach. Eva weinte bitterlich. “Wo warst du? Der Gabriel hat dich überall gesucht“, fragte Melchior.
Die Magd schluchzte auf. Zwei betrunkene Knechte fanden nicht nach Hause und zogen singend durch das Dorf: „Bist du voll so leg dich nieder, steh früh auf und füll dich wieder!“ Der Mühlbach gluckste. Die junge Frau beruhigte sich etwas. In der Ferne brüllten die Säufer ihr Lied: „Das ganze Jahr den Abend und den Morgen, all voll, all voll, all voll!“ Endlich fand Eva ihre Sprache wieder. „Unser Herr von Grumbach, mir war als schaute er mich seltsam an. Als ich auf den Gabriel an der Linde gewartet hab, hat mir jemand einen Sack über den Kopf getan, und mich gewaltsam in die Scheune vom Niederhof gebracht. Da hat er dann gewartet, der edle Herr“, stotterte Eva mühsam, „er hat, ich wollte das nicht, aber er.“ Eva verbarg ihr Gesicht vor Scham. „Brauchst nicht weiter reden“, unterbrach sie Melchior. „Wolltest zur Lisbeth du armes Ding?“
„Ja“, hauchte Eva.
„Es ist besser, du gehst erst morgen. Stell dir vor, der Bezolt oder ihre Brüder sehen dich, in diesem Zustand. Du weißt, dass jeder denken wird du wolltest dem Herrn von Grumbach einen Bastard schenken. Kennst doch die Leute“, zweifelte Melchior. Unbeholfen legte er eine Hand auf Evas Schulter. Die zuckte zusammen. „Das ist nicht wahr!“ Wut flammte in ihr auf. „Ich weiß das“, tröstete Melchior die Freundin seiner Verlobten. „Ich bring dich jetzt zum Niederhof zurück“, sagte er hartnäckig. „Nein, da will ich nie mehr hin. Was soll ich dem Gabriel sagen? Ich brauch mich dort nimmer blicken lassen.“
„Gar nichts! Vielleicht, dass dir schlecht war.“
„Ich kann da nicht mehr leben, Melchior. Wie soll ich Gabriel in die Augen sehen? Das kann ich nicht.“ Evas Unterlippe zitterte vor Aufregung. Ängstlich dachte sie an die muffige Scheune. „Schau Eva, wenn du heute aushalten tätest. Ich könnte meine Mutter fragen, ob der Jorg Trutmann eine helfende Hand auf dem Unterhof brauchen kann. Seine Frau, ist wieder guter Hoffnung. Zwei Kinder hat sie bereits verloren, nach der Lies. Außerdem geht meiner Mutter die Arbeit immer schwerer von der Hand“, überlegte Melchior laut. „Gut, da will ich warten bis ich Nachricht von dir hab. Das werd ich dir nie vergessen“, lenkte Eva ein. Melchior brachte die völlig verstörte Frau zurück auf das Rittergut. Eva lag wach bis es Zeit war die Hühner und Schweine zu versorgen.
Am ersten Mai, dem Dienstag nach Walpurgi erwachte das Dorf schleppend. Laut schimpfend, zog die Theres bei Sonnenaufgang ihren Mann, den Hirten, unter der Dorflinde hervor, wo er seinen Rausch ausschlief. „Magst gar nimmer Heimkommen? Sollen wir dir dein Zeug bringen, dann kannst du da wohnen bleiben!“ Träge blinzelnd schlurfte Burkhardt Bastlein zu seinen Schafen. Sollte die Theres nur schimpfen. Sogar der Burgherr und seine Gemahlin ließen, zum Ärger von Pfarrer Ziegler, die Frühmesse ausfallen. Nachdem Wilhelm Anna mit einem wertvollen Fürspan zum neuen Gewand überrascht hatte, und sein Weib besänftigt war, hatte er sich dort geholt, was er bei der dummen Gans aus dem Dorf nicht bekommen hatte.
Das alltägliche Geschehen nahm seinen Lauf. Nur Eva Picht war eine andere. Sie dachte ständig an ihre Schmach. Es war ein Skandal, dass sie die Verlobung mit Gabriel Rücker auflöste, über den das ganze Dorf klatschte. Lisbeth wollte vergeblich mit Eva reden. Sie machte sich große Sorgen. Was war geschehen, dass sie plötzlich die Verlobung mit dem Mann löste, den sie so sehr liebte? Eva jedoch ging ihr aus dem Weg. Es kostete die Magd das letzte Bisschen Kraft ihr Tagwerk zu verrichten, zu tun als wäre nichts vorgefallen in jener Nacht. Wer würde ihr glauben? Stur verrichtete die Magd ihre Arbeit auf dem Rittergut und ließ Gabriels Beschimpfungen über sich ergehen. Dessen verletzter Stolz beschäftigte ihn am meisten. Als Eva bereit war mit Lisbeth zu reden, war diese gerade auf der Burg. Traurig bestellte sie der Freundin Grüße. Abends wagte Eva einen letzten Versuch mit Gabriel zu sprechen. Sie schlich sich zum Wirtshaus, dem Wilden Eber, und wartete auf Gabriel.
Der Knecht erschien und schlug den Weg zum Niederhof ein. Eva rief ihn leise. Gabriel drehte sich um. Seine Augen blitzten wütend, als er Eva erblickte. Reichte ihr seine öffentliche Demütigung nicht? „Was willst du noch von mir? Langt es nicht, dass ich zum Gespött der Leute geworden bin?“, fauchte er. Eva fuhren seine Worte wie ein Messer ins Herz. „Der Herr von Grumbach, er hat mir meine Ehre genommen, Gabriel! In der Mainacht, ist er im Stall über mich hergefallen. Ich habe solche Angst. Ich dachte du würdest mich nicht mehr lieb haben, wenn du davon erfährst.“ Gabriel stand wie versteinert vor Eva. „So eine bist du“, flüsterte er tonlos. „Willst wohl Mitleid für dein sündiges Treiben!“, brüllte er laut in die Nacht. „Ich kann nichts dafür, Gabriel du musst mir glauben, bitte!“, flehte Eva. Der Stallknecht packte das verzweifelte Mädchen an der Schulter und schleifte sie mit sich. „Das wirst du mir bezahlen“, drang seine kalte Stimme an ihr Ohr. „Gabriel, ich dachte du liebst mich? Wieso glaubst du mir nicht?“ Eva bemerkte, dass sie Gabriel geliebt hatte, aber er ein hübsches Beiwerk, ohne Seele, suchte. Mit letzter Kraft riss Eva sich los. Zornig schrie Gabriel ihr wüste Beschimpfungen hinterher. Sie musste mit Lisbeth reden. Verzweifelt rannte Eva zur Burgmühle. Sie warf Steine an Lisbeths Fenster. Ihre Freundin schlief tief und fest. Unverrichteter Dinge schlich Eva zurück. Sie fühlte sich unendlich alleine. Wie hatte Gabriel sie derart täuschen können?
Am nächsten Morgen, holte Melchiors Mutter die neue Hilfe für den Dürrwieser Unterhof ab. Lisbeth sah, wie die zwei auf dem Wagen der Trutmanns davon fuhren. Als hätte sie es gespürt, drehte sich Eva um. Zaghaft winkte sie der Freundin zum Abschied. Es lag wie ein Schatten auf ihrem Herzen, dass sie sich Lisbeth nicht hatte anvertrauen können. Sie musste hier weg, bevor Gabriel sie im ganzen Dorf unmöglich machte. Lisbeth hob kurz die Hand. „Seit Tagen geht Eva mir aus dem Weg“, murmelte sie. „Den Gabriel schaut sie nicht mehr an. Hast am Ende du etwas mit ihm gehabt?“, fragte die neugierige Maria Kobs, die sich unbe-merkt herangepirscht hatte. „Ich weiß nichts, Maria. Bist wohl verrückt geworden. Meinen Melchior würde ich nie betrügen!“, empörte sich Lisbeth. „Hör nicht auf das Geschwätz der alten Tratsche“, unterbrach eine Stimme das Gespräch der Frauen. „Melchior!“, freute sich Lisbeth. Sie fiel ihrem Verlobten um den Hals. Maria Kobs trollte sich, und lief hinauf in ihre Burgküche. Sie würde herausfinden, was da passiert war.
„Was macht die Eva bei deiner Mutter?“, fragte Lisbeth, als Maria Kobs außer Hörweite war. Der Forstgehilfe zögerte. „Sie soll die Anna Trutmann unterstützen, wegen der schwierigen Schwangerschaft.“
„Reicht die Dorothee als Magd nimmer aus?“, fragte Lisbeth misstrauisch. „Das hat der Valtin vom Niederhof mit dem Trutmann so vereinbart. Außerdem, meine Mutter ist auch nicht mehr die Jüngste“, redete sich dieser um Kopf und Kragen. „Da hätte ich mich kümmern können. Wenn wir heiraten erst recht. Glaubst du ich will ewig dem Gänschen von Grumbach zu Diensten sein?“ Verstohlen beobachtete Lisbeth Melchiors Reaktion. „Beruhige dich.“ Der Forst-gehilfe schüttelte seine blonden Locken. „Gar nicht. Du verheimlichst mir was, du und die Eva. Bist du der Grund, weil sie den Gabriel so gedemütigt hat?“, erzürnte sich Lisbeth. „Jetzt reicht es! Du vertraust mir wohl weniger, als dem, was die Weiber am Brunnen tratschen? Die Eva soll es dir selbst berichten.“ Ein Sturm braute sich in Melchiors Innerem zusammen. Auch Lisbeth war wütend. „Du, du weißt also was los ist? Seit Tagen versuche ich mit Eva zu reden, aber dir vertraut sie es an? Es muss etwas Seltsames sein, was sie ihrer besten Freundin nicht anvertraut, aber deren Verlobten!“
„Ich hab versprochen, dass ich nichts sage. Bitte lass mich. Ich muss zurück an die Arbeit.“ Melchior wollte Lisbeth einen Abschiedskuss auf die Wange geben, aber sie drehte sich weg und lief, ohne ein weiteres Wort, davon. Was, wenn der Melchior nicht mehr auf sie warten wollte, und die Eva sich heimlich an ihn heran gemacht hatte? Warum sonst, sollte sie ihr aus dem Weg gehen? Lisbeths Magen krampfte sich zusammen. Oh hoffentlich spielten nur ihre Gedanken verrückt. Eigentlich traute sie der Eva das nicht zu. Außerdem war Eva ewig lange in Gabriel verliebt gewesen. Vielleicht hatte der Knecht ihr etwas angetan? Es dauerte lange bis Lisbeth zur Ruhe kam.
Kurz nach Sonnenuntergang gab es eine Überraschung in der Burgmühle. Jakob der zweitälteste Sohn des Müllers war von Würzburg herüber gekommen. Er brachte Neuigkeiten aus der, vom Bauernheer, belagerten Stadt. Die ganze Familie lauschte gespannt seinen Ausführungen. Gerhusa Schefflein war stolz auf ihren Buben, der bei einem der Stadtmüller als Geselle in Brot und Arbeit stand. „Habt ihr gehört, dass die Bürger von Würzburg mit den Bauern paktieren wollen? Während ihr gefeiert habt, saß im Bruder-hof der Fürstbischof Konrad von Thüngen mit den Stadträten zusammen. Landtag haben sie gehalten und am Ende dem von Thüngen freies Geleit auf die Festung gewährt.“
„Seit der Riemenschneider Partei für die Bauern ergriffen hat, da geht’s dem Bischof an den Kragen“, warf Bezolt Schefflein dazwischen. Jakob nickte. „Ja, Vater, Zustimmung zu den zwölf Artikeln der Bauern, die Abschaffung der Zölle, die freie Wahl der Ratsherren und ein Stadtgericht aus den Reihen der Bürger haben sie gefordert.“ Ein Raunen ging durch das Grüppchen Menschen, welches sich in Gerhusas Küche versammelt hatte. In der Kochstelle prasselte und krachte das Feuer. Balthasar schüttelte den Kopf. „Das hat der von Thüngen niemals gewährt?“, fragte er seinen Bruder. „Natürlich nicht. Zornig ist er mit seinem Schreiber, dem Fries, hinauf zur Festung auf den Marienberg geritten. Die Weiberleut sagen die Räte hätten ihn nicht gehen lassen sollen.“
„Und was passiert jetzt?“ Lisbeth blickte ängstlich in die Runde, froh über die Ablenkung. „Morgen schicken sie ihm die letzte Aufforderung. Macht der Fürstbischof keine Zugeständnisse, wird`s gefährlich in der Stadt. Im Lager in Heidingsfeld dürsten die Bauern nach Taten. Es sollen gar mehr davon im Anmarsch sein. Man sagt, der edle Florian Geyer von Giebelstadt hätte sich endgültig der Sach verschrieben“, berichtete Jakob. „Oh Jakob, magst nicht lieber hier bleiben?“, flehte Gerhusa. „Mutter des geht nicht. Ab morgen früh bin ich auf der Feste Marienberg. Dort muss die Notmühle betrieben werden. Der Mainmüller schickt mich natürlich lieber, als seinen Sohn.“ Gerhusa Schefflein wurde bleich. „Folgen musst du, aber lass nicht unnütz dein Leben.“ Lisbeth hielt Jakobs Hand. Sie wollte ihren Bruder gar nicht los lassen. „Bei allen Heiligen es geht nur so. Ich komm lebendig wieder, versprochen. Der Herr Rotenhan muss die Festung selbst versorgen, wie soll er sonst die Belagerung aushalten. Er braucht dafür einen Müller. Ein heiß gelaufenes Rädchen und, schwuppdiwupp, hat er das schönste Feuer hinter seinen Mauern, wenn das Mehl sich entzündet, von einer Pulvermühle ganz zu schweigen.“
Die Frauen verabschiedeten sich von Jakob. Sie begaben sich zur Ruhe. Lisbeth grübelte lange über Melchior und Eva. Jetzt kam die Angst um ihren Bruder Jakob hinzu, die sie mehrmals aus dem Schlaf riss. Die Brüder Wolf, Balthasar und Jakob gingen ins Wirtshaus Zum Wilden Eber. Cunz Leuboldt freute sich über die seltenen Gäste. Seine Tochter Sophie eilte geschäftig an deren Tisch. „Der Jakob. Sag, bist du auf Besuch, oder hast du gar die Nase voll von der großen Stadt?“ Der junge Mann, mit den vor Lebenslust blitzenden, dunklen Augen, schmunzelte. „Ja die kleine Sophie. Du bist bald hübscher als die Weiber in Würzburg. Bringst du uns von eurem Bier?“ Sophie blickte verlegen drein. „Frisch gebraut ist`s. Schade, dass du nicht auf der Maifeier warst.“
„Hättest ein Liebesmaien wollen“, stichelte Jakob. Wolf grinste. „Den hat ihr der Christoph von der Dürrwiese besorgt.“
Cunz beendete die Frotzeleien und schickte seine Tochter ins Bett. „Da geht sie hin, deine Sophie“, flüsterte Wolf seinem Bruder ins Ohr und lachte. Cunz Leuboldt brachte das bestellte Bier. Er setzte sich zu den Müllerburschen. Die Knechte vom Niederhof gesellten sich dazu. Sie hörten neugierig die Ereignisse der letzten Tage. „Da bist du ja vorne mit dabei!“, stellte Gabriel Rücker fest, nachdem Jakob geendet hatte. „Es ist nimmer schön in Würzburg. Wimmeln tut es von Fremden, Halsabschneidern und Gaunern, die ein Geschäft aus all dem Durcheinander machen wollen. Man ist nachts nicht mehr sicher in den Straßen. Selbsternannte Prediger wiegeln die Menschen auf, versprechen das goldene Land, Reliquienhändler verkaufen teuren Schutz und alle wollen irgendwo dabei gewesen sein. Selbst im Dorf munkelt man, dass sich einige der Sach angeschlossen hätten. Niemand spricht offen darüber, aber manch einer verdächtigt Nachbarn und Freunde“, meldete sich Cunz Leuboldt zu Wort. Daraufhin entbrannte eine wilde Diskussion darüber, ob die Gerüchte wahr seien. Keiner wagte es einen bestimmten Namen zu nennen.
Zu später Stunde passierte ein Bote die Dorfwache. Eilig ritt er ans Burgtor. Man gewährte ihm, durch das Schlupfloch, Einlass. Michel Trehninger führte den Mann in den Palas. Im spärlich beleuchteten Rittersaal wartete er auf Antwort. Der Stallknecht versorgte derzeit das, völlig erschöpfte, Pferd des mysteriösen Gastes. In der gut geheizten Kemenate ließ sich Wilhelm von Grumbach, verärgert über die Störung der Nachtruhe, von seiner Frau Anna die Nachricht vorlesen. Es bereitete ihr ein Vergnügen. Eigentlich durfte nur Pfarrer Ziegler vorlesen, der jedoch schlief tief und fest. Der Burgherr raufte seinen Bart. „Mein Schwager ist ein Bauernfreund! Soll er selbst aufpassen, dass ihr nichts geschieht“, brummte Wilhelm. „Sei nicht unnötig hart. Tue es für deine Nichten oder deine Schwester. Ich wäre froh über Gesellschaft meinesgleichen“, bettelte Anna von Grumbach. „Ursula ist zwar noch ein Säugling, aber sie wäre dann nicht so viel allein.“ Wilhelm runzelte die Stirn. „Gut“, knurrte er und rief nach seinem Wachhauptmann Michael Trehninger. „Barbara und die Kinder können kommen. Der feine Herr Geyer von Giebelstadt, soll sich fern halten, verstanden?“ Wenig später verließ der geheimnisvolle Bote, auf einem frischen Pferd, das Dorf Richtung Süden.
Kurz vor Morgengrauen ließ Jakob Schefflein Rimpar, und die Burgmühle, hinter sich zurück, die besorgten Blicke seiner Mutter Gerhusa im Rücken. Niemand begegnete ihm, als er über die Höhen, auf dem Stadtweg, nach Würzburg wanderte. Erst bei Sonnenaufgang wurde es lebendiger. Aus den Dörfern kamen die Tagelöhner hinauf auf den Weg, die beim Beladen der Lastkähne oder in den Weinbergen auf Arbeit hofften. Zwei Fuhrwerke rasselten vorbei. Einige Pilger, die dem Heiligen Sankt Kilian, im Neumünster, ihre Aufwartung machen wollten, sprangen rechtzeitig bei Seite, als ein vorwitziger Reiter durch die kleine Reisegruppe hindurch preschte. Jakob bemerkte nicht, dass er seit längerem verfolgt wurde.