Читать книгу Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga - Сандра Грауэр - Страница 5
ОглавлениеGeständnisse
Gabriels Augen wanderten von meinen Augen zu meinem Mund. Ich verspürte ein solches Verlangen, ihn zu küssen, dass es fast wehtat. Aber es ging nicht. Nicht hier, nicht jetzt. Das konnte ich Joshua nicht antun.
Es kostete mich all meine Kraft, mich von ihm zu lösen. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment legte Joshua auf und drehte sich wieder zu uns um. Er betrachtete uns einen Moment skeptisch. Gabriel und ich standen jetzt ziemlich unverfänglich nebeneinander, aber ich war sicher, Joshua konnte unser beider Verlangen spüren. Das sah ich an seinem Blick. Ich fühlte mich schrecklich. Noah war verschwunden, wir hatten keine Ahnung, ob es ihm gut ging. Die Schatten fielen in unsere Welt ein, und ich dachte nur an mich. Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich schluckte sie hinunter und ging auf Joshua zu. Vorsichtig legte ich ihm meine Hand auf den Arm.
»Was hat die Polizei gesagt? Können Sie uns helfen?«
Joshua wandte seinen Blick von Gabriel ab und sah nun mich an. »Sie haben das GPS von Vaters Handy geortet.«
»Warum sagst du das nicht gleich?«, meinte Gabriel und kam auf uns zu. »Wo ist es?«
Joshua drehte Gabriel sein Handy zu und zeigte ihm einen roten Punkt auf einer Karte. »Ganz in der Nähe der Thingstätte. Wir müssen vorsichtig sein. Wer weiß, ob die Schatten uns noch einmal gehen lassen.«
Bei dem Gedanken daran lief mir ein Schauer über den Rücken. Schnell folgte ich Gabriel und Joshua. »Was hat die Polizei denn noch gesagt?«
»Nicht viel. Sie wussten leider auch nicht, wer genau Vater angerufen hat, und von einem Vorfall in der Gaststätte ist ihnen auch nichts bekannt. Der Wachleiter wird der Sache aber nachgehen und sich dann wieder bei uns melden.«
»Na hoffentlich lässt er sich nicht zu viel Zeit«, murmelte Gabriel und blieb stehen. Nun sah er mich an. »Hörst du was?«
Ich blieb ebenfalls stehen, schloss die Augen und konzentrierte mich. Es war komisch, denn normalerweise musste ich mich konzentrieren, um die Geräusche auszublenden. »Nein, da ist nichts.«
Gabriel ging weiter. »Wenn wir Glück haben, sind die Schatten schon weg.«
»Ich würd das nicht als Glück bezeichnen, denn wenn sie nicht mehr hier oben sind, verteilen sie sich in der ganzen Stadt und beschatten Menschen«, meinte Joshua.
»Und was passiert dann?«, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort schon denken konnte.
»Früher oder später wird sehr wahrscheinlich Chaos ausbrechen.«
»Wir müssen sie aufhalten«, sagte ich. Ich hatte heute erlebt, zu was die Schatten fähig waren. Sie durften nicht noch mehr unschuldige Menschen töten.
»Du hast die Schattenmengen gesehen«, erwiderte Gabriel. »Allein packen wir das nicht. Theoretisch bräuchten wir die Unterstützung von allen Schattenwächtern, die's gibt, und das ist unmöglich, denn die werden auch anderswo gebraucht.«
Ich dachte einen Moment darüber nach, was die Schatten alles anrichten konnten. Prügeleien, Raubüberfälle, Mord. Und wenn sie Politiker oder Staatschefs beschatteten, konnte es sogar zum Krieg kommen. Mir wurde mit einem Mal ganz schlecht. Würde uns etwa doch der Weltuntergang bevorstehen, wenn wir die Schatten nicht zurück in ihre eigene Welt schicken konnten?
»Ganz ruhig«, meinte Gabriel nun. Er musste meine Gedanken gelesen haben. »Ich weiß noch nicht wie, aber ich bin sicher, wir können die Schatten aufhalten.«
Wir näherten uns der Thingstätte und hatten nun die Mauer erreicht, die uns die Sicht auf die Freilichtanlage verbarg.
»Hier muss es irgendwo sein«, flüsterte Joshua mit einem Blick auf sein Handy.
Ich warf einen vorsichtigen Blick durch die Öffnungen in der Mauer, während Gabriel und Joshua nach Noahs Handy suchten. Noch immer waren einige Schatten auf dem Platz, doch es waren lange nicht mehr so viele wie noch kurz zuvor. Ob das Portal noch offen war?
»Ich hab's«, hörte ich Gabriels leise Stimme hinter mir.
Ich drehte mich zu ihm um. Triumphierend hielt er das Handy in der Hand. Wir entfernten uns wieder ein Stückchen von der Thingstätte, dann betrachtete er das Telefon etwas genauer.
»Laut Display telefoniert er immer noch mit mir.« Gabriel sah uns an, in seinem Blick lag Angst. »Wahrscheinlich wurde er überrascht und hatte keine Zeit mehr, zu reagieren. Aber was ist passiert?«
»Im Schnee waren nur Vaters Spuren, also müssen ihn definitiv Schatten angegriffen haben.«
Die Schatten hinterließen keine Spuren im Schnee? Ich sah mich kurz um und entdeckte tatsächlich nur unsere und noch eine weitere Spur, die sich an der Mauer zur Thingstätte verlief. »Aber wo ist Noah? Müsste er nicht hier irgendwo sein, wenn er angegriffen wurde?«
»Exakt«, antwortete Gabriel. »Ich versteh das nicht, was hat das alles zu bedeuten?«
»Lasst uns erst mal nach Hause gehen und dann dem Rat Bescheid geben. Hier oben können wir vorerst nichts mehr tun.«
Gabriel stimmte ihm, wenn auch widerwillig zu, und wir machten uns auf den Weg in die Innenstadt. Von unterwegs aus rief Gabriel uns ein Taxi, das in der Bergstraße auf uns warten sollte.
Bei der Witterung und dem ganzen Schnee war der Abstieg ziemlich mühsam, und ich trug auch nicht die passenden Schuhe. Mehr als einmal stolperte ich, und ich wäre sicherlich hingefallen, hätten mich Joshua oder Gabriel nicht jedes Mal in letzter Sekunde gehalten. Einen Vorteil hatte das Ganze aber: Mir war nicht mehr ganz so kalt, und ich konzentrierte mich so auf den Weg unter meinen Füßen, dass ich kaum noch an die schrecklichen Erlebnisse denken musste, die wir nun vorerst gemeinsam mit der Thingstätte hinter uns ließen.
Die Stimme des Nachrichtensprechers war bis in den Flur zu hören, als wir die Wohnung im Schloss-Wolfsbrunnenweg betraten. Es roch vertraut, als wir zielstrebig ins Wohnzimmer gingen. Gabriels und Joshuas Mutter saß auf dem Sofa, eine gelbe Tasse in der Hand. Der Fernseher lief, und im Kamin prasselte ein warmes Feuer. Am liebsten hätte ich mich auf den Teppich davor gesetzt. Es wirkte so einladend, und mir war immer noch kalt. Überhaupt hatte die Szenerie auf den ersten Blick etwas ungemein Gemütliches an sich, doch das täuschte. Wenn man genauer hinsah, erkannte man die Wahrheit. Frau Lennert sah nervös aus. Sie starrte auf den Fernseher und nahm gar nicht wahr, dass wir da waren. Ihre Hände zitterten, sodass sie mit Sicherheit etwas verschüttet hätte, wäre die Tasse voller gewesen. Ihre Aufmerksamkeit galt einer Nachrichtensendung.
»… kommt es auch in den USA in New York zu Ausschreitungen«, sagte der Nachrichtensprecher in diesem Moment. »Damit sind weltweit bereits sechs Städte betroffen. Die Gründe für die Ausschreitungen sind noch unbekannt, offizielle Stellungnahmen seitens der Regierungen gibt es bisher nicht. Unklar ist auch, ob Zusammenhänge zwischen den Ausschreitungen bestehen.« Der Mann legte eine kleine Karte beiseite, von der er bis jetzt abgelesen hatte, und sah direkt in die Kamera. »Und nun zum Wetter.«
Ich spürte, wie auch ich unruhig wurde. Es ging also bereits los, die Schatten verbreiteten Chaos. Wie wohl die Lage hier in Heidelberg war? Zumindest schien es bisher noch relativ ruhig zu sein, ansonsten hätte der Nachrichtensprecher sicher etwas gesagt. Aber das konnte sich jederzeit ändern. Ich musste unbedingt meine Mutter und Hannah anrufen und sie warnen.
Frau Lennert stellte ihre Tasse auf den Tisch und griff nach der Fernbedienung. Erst jetzt bemerkte sie uns. Die Fernbedienung rutschte ihr aus der Hand, lautlos landete sie auf dem Teppich. »Mein Gott, ihr habt mich vielleicht erschreckt«, sagte sie und griff sich ans Herz. »Was macht ihr hier?«
Joshua ging zu seiner Mutter, hob die Fernbedienung auf und schaltete den Fernseher aus. Dann sah er sie einen Moment schweigend an, während Gabriel und ich im Türrahmen stehen blieben.
Frau Lennert sah von Joshua zu uns und wieder zurück. Nun wirkte sie noch nervöser als zuvor. »Es ist etwas passiert, oder? Warum seid ihr nicht in Mexiko?«
Joshua setzte sich neben seine Mutter auf das Sofa. »Ich weiß nicht, wie ich's dir schonend beibringen soll, also sag ich's einfach gradeheraus. Heute Nacht haben sich alle Portale der Welt gleichzeitig geöffnet.«
Sie wurde bleich. »Aber … warum?«
»Das wissen wir nicht. Klar ist nur, dass die Schatten zu Zehntausenden durch die unbewachten Portale in unsere Welt übertreten konnten.«
Frau Lennert sah Joshua einen Moment sprachlos an, dann trat Entsetzen in ihren Gesichtsausdruck. »Oh mein Gott, Noah war in der Nähe der Thingstätte. Wenn ihm nun etwas passiert ist.« Joshua und Gabriel tauschten einen unauffälligen Blick, doch Frau Lennert entging er nicht. »Ihr wisst, was mit ihm ist, oder?«, fragte sie fast etwas atemlos und sah von einem Sohn zum anderen. »Wo ist er? Es geht ihm doch gut?« Ihre Stimme klang hektisch.
Gabriel ging nun ebenfalls zu seiner Mutter und setzte sich auf ihre andere Seite. »Wir wissen es nicht«, antwortete er ruhig und legte eine Hand auf ihren Arm.
Er erzählte ihr, was genau in den letzten zwei Stunden geschehen war. Seine Mutter riss sich zusammen, doch schließlich verlor sie jegliche Kontrolle. Sie begann zu weinen und legte ihren Kopf an Joshuas Schulter. Ich fühlte mich schrecklich. Nicht nur, weil ich mir vorstellen konnte, wie es ihr in diesem Moment ging. Nein, ich kam mir vor wie ein Eindringling in ihre Privatsphäre. Und das war ich wirklich. Noch nie hatte ich Gabriels und Joshuas Mutter so gesehen, so verletzlich. Ich hatte bisher nie viel mit ihr zu tun gehabt und wenn, dann hatte sie einen kühlen Eindruck auf mich gemacht. Ich hatte sie nicht sonderlich gemocht und mich schon mehrmals gefragt, was Noah überhaupt an ihr fand. Schuldgefühle überkamen mich bei der Erinnerung daran. Wie ein Liebespaar waren die beiden mir nie vorgekommen, aber scheinbar hatte ich mich gründlich getäuscht.
Unwohl trat ich von einem Fuß auf den anderen. Was sollte ich jetzt machen? Ich hätte den dreien gerne ein wenig Zeit für sich gegeben, aber das war schließlich nicht mein Zuhause. Ich konnte doch nicht einfach in Gabriels oder Joshuas Zimmer gehen und dort warten, oder? Aber schließlich tat ich genau das. Ich ging in Gabriels Zimmer und stellte mich vor die Heizung. Einen Moment blickte ich mich um. Das Zimmer sah genauso aus wie immer, was irgendwie merkwürdig war. Schließlich war nichts wie immer.
Seufzend holte ich mein Handy aus meiner Hosentasche und wählte die Nummer meiner Mutter. Ich wusste, dass sie auf der Arbeit war, aber sie nahm bereits nach dem zweiten Klingeln ab.
»Emmalyn, schön, dass du anrufst. Ist alles in Ordnung?«
Ich wollte sie nicht anlügen, aber ich wusste, dass ich ihr auch nicht die ganze Wahrheit sagen konnte. »Ja, soweit ist alles gut. Hast du heut schon Nachrichten gesehen?«
»Ich bin noch nicht dazu gekommen. Warum fragst du?«
Ich holte tief Luft, bevor ich antwortete. »Die Menschen spielen verrückt, es gibt überall auf der Welt Ausschreitungen. In Deutschland ist bisher noch alles ruhig, aber es wird auch hier passieren. Hier in Heidelberg. Bitte sei vorsichtig, Mama. Am besten, du und Mark bleibt über die Feiertage zu Hause. Es soll ohnehin viel Schnee geben.« Das hatte ich vorhin noch mit halbem Ohr mitbekommen, bevor Joshua den Fernseher ausgeschaltet hatte.
»Was redest du denn da, Emmalyn?«
»Bitte vertrau mir, Mama. Ich will nicht, dass euch was passiert. Kauf einfach genug zu essen ein, und dann bleibt bitte zu Hause.«
»Na schön«, antwortete sie etwas gedehnt.
Ich war nicht sicher, ob sie wirklich auf mich hören würde, und das versetzte mir einen Stich. Wenn ihnen etwas zustoßen würde …
»Was ist mit dir?«, fragte meine Mutter nun.
Die Frage musste früher oder später kommen, und ich hatte mich darauf vorbereitet. Dennoch war es nicht leicht, meine Mutter anlügen zu müssen. »Ich befürchte, dass ich hier vorerst nicht wegkomme. Alle Flughäfen in der näheren Umgebung wurden gesperrt. In Mexiko ist es bisher zwar auch noch ruhig, aber die Regierung will kein Risiko eingehen.«
»Dann wirst du über Weihnachten nicht zu Hause sein?« Die Stimme meiner Mutter klang leise.
»So wie es im Moment aussieht, nein. Es tut mir leid, Mama. Du kannst mir glauben, wie gern ich bei euch sein würde. Du fehlst mir und Mark auch.« Ich seufzte. Es stimmte, sie fehlten mir wirklich. Ich war noch nie über Weihnachten weg gewesen, doch es ging nicht anders. Wir mussten Noah finden, und wenn ich jetzt nach Hause gegangen wäre, hätte ich keine Chance gehabt, Gabriel und Joshua zu helfen.
»Emmalyn, du fehlst uns auch. Bitte pass auf dich auf.«
»Das mach ich und ihr auch. Versprich mir das. Bitte Mama, es ist wichtig. Ich muss wissen, dass ihr in Sicherheit seid.«
»Ist ja gut, ich versprech es dir«, sagte sie nach einer kurzen Pause.
Und dieses Mal wusste ich, dass sie es ernst meinte. Erleichtert atmete ich aus. »Ich meld mich wieder bei dir, wenn ich was Neues weiß. Ich hab dich lieb, Mama. Und Mark auch, sag ihm das bitte.«
Meine Mutter seufzte. Ich wusste, dass meine Worte ihr Angst machten, aber sie sagte nichts, außer: »Wir haben dich auch lieb.«
Dann legte ich auf. Während ich mir eine Träne aus den Augen wischte, rief ich Hannah an und sagte ihr dasselbe wie meiner Mutter. Sie ließ nicht so schnell locker, wollte wissen, was los war, aber schließlich akzeptierte sie, dass ich ihr nicht mehr sagen konnte. Einen Moment überlegte ich, ob ich ihr von Gabriel und mir erzählen sollte. Eigentlich gab es ja noch nicht viel zu erzählen, aber ich tat es dennoch. Sie war meine beste Freundin, und sie hatte die Wahrheit verdient. Vor allem in einem Moment wie diesem.
»Hannah, ich muss dir noch was Wichtiges sagen. Es geht um Gabriel und mich.«
Einen Moment herrschte Schweigen, aber ihre Stimme klang wie immer, als sie fragte: »Seid ihr endlich zusammen?«
»Ich bin nicht sicher.«
»Wie kannst du dir da nicht sicher sein?«
»Es ist kompliziert. Er mag mich, und ich mag ihn auch. Das konnte ich ihm aber bisher noch nicht sagen. Andererseits bin ich nicht sicher, ob das überhaupt noch nötig ist. Wir wollen zusammen sein, das wissen wir beide. Zumindest fühlt's sich so an.«
»Dann geh hin und find's raus.« Ihre Stimme klang wirklich wie immer.
»Und das wär wirklich in Ordnung für dich?«, fragte ich dennoch nach. Schließlich war sie bis vor Kurzem noch in Gabriel verknallt gewesen. »Ich will dir nicht wehtun, Hannah. Du bist mir wichtig.«
»Und du bist mir wichtig. Also würdest du jetzt bitte deinen süßen Hintern in Bewegung setzen, Gabriel suchen und dich von ihm küssen lassen?«
Ich musste lachen, auch wenn mir überhaupt nicht danach zumute war. »Danke Hannah. Und pass auf dich auf.«
»Mach ich. Viel Spaß.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, starrte ich einen Moment auf mein Handy. Die wichtigsten Menschen in meinem Leben wussten Bescheid, und dennoch fehlte noch jemand. Eine ganze Weile überlegte ich, ob ich auch ihn anrufen sollte. Wir hatten so lange nichts mehr voneinander gehört, und ich wusste nicht, wie wir jetzt zueinander standen. Dennoch wollte ich, dass auch er in Sicherheit war, also wählte ich seine Nummer. Er ließ mich lange warten, und ich rechnete schon damit, dass er nicht abnehmen würde, aber schließlich hörte ich seine vertraute Stimme.
»Hallo Emmalyn. Lang nichts mehr von dir gehört.«
»Hallo Tim. Wie geht's dir?«
Es entstand eine kurze Pause, dann hörte ich, wie Tim tief Luft holte. »Warum rufst du an?«
Die Frage versetzte mir einen kleinen Stich. Wir hatten uns mal geliebt, und jetzt war er mir so fremd wie jeder andere Mensch, dem man zufällig auf der Straße begegnet. »Ich weiß, dass ich dir wehgetan hab, und du hast jedes Recht, sauer auf mich zu sein. Wir sind vielleicht nicht mehr zusammen, aber du bist mir nach wie vor wichtig, und deshalb muss ich dir was sagen.« Ich wartete darauf, dass er etwas erwiderte oder womöglich auflegte, doch nichts von beidem geschah. Also erzählte ich ihm, was ich bereits meiner Mutter und Hannah erzählt hatte.
Er hörte zu, doch kaum hatte ich geendet, meinte er: »Und das soll ich dir jetzt abkaufen?«
»Tim, bitte. Du musst mir glauben. Es ist wirklich wichtig, sonst hätte ich dich nicht angerufen und gewarnt. Das solltest du wissen.«
»Das Ganze klingt trotzdem ziemlich abstrus.«
»Ich weiß, und es tut mir auch leid, dass ich dir nichts Genaueres sagen kann. Vertrau mir einfach. Du glaubst vielleicht, dass du mir nicht vertrauen könntest, aber ich würde nie etwas tun, was dir schadet. Also bitte vertrau mir, Tim. Nur dieses eine Mal noch.«
Eine ganze Weile herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann sagte Tim: »Also gut, ich vertraue dir und werd zu Hause bleiben. Okay?«
Wie zuvor bei meiner Mutter war ich nicht sicher, ob er es ernst meinte oder ob er mich einfach nur loswerden wollte. Was auch immer es war, mehr konnte ich leider nicht für ihn tun. »Okay. Frohe Weihnachten, Tim.«
»Dir auch.« Dann legte er auf.
Ich starrte einen Moment auf das Display, bevor ich ebenfalls auflegte und das Handy wieder wegsteckte. Frohe Weihnachten. Ich liebte Weihnachten, und ich hatte mich schon so auf das Fest in diesem Jahr gefreut. Ob es jetzt überhaupt noch so etwas wie ein Fest geben würde? Wie auch immer, wenn wir Noah bis dahin nicht gefunden hatten, würde Weihnachten definitiv nicht froh werden. Ich seufzte. Wann war das Leben eigentlich so kompliziert und gefährlich geworden?
»Entschuldigung, ich wollte nicht stören«, murmelte ich und wollte das Wohnzimmer schon wieder verlassen.
Ich hatte Gabriel oder Joshua gesucht, doch keiner von beiden war mehr dort. Frau Lennert saß alleine auf dem großen Sofa und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen. Nun sah sie mich an und lächelte. Es war das erste Mal, dass sie mich anlächelte.
»Ist schon gut«, sagte sie sanft.
Wir sahen uns einen langen Moment an. Zum ersten Mal seit wir uns kannten betrachtete ich sie etwas genauer. Sie war schlank und sah in diesem Moment trotz roter Augen sehr hübsch aus. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich ausnahmsweise einmal nicht hinter irgendetwas versteckte, sondern sich so zeigte, wie sie tatsächlich war. Und anscheinend war sie ganz nett.
Sie hatte braune Haare, die ihr bis weit über die Schultern fielen, und blaue Augen. Gabriel und Lilly sahen mit ihren dunklen Haaren und den grünen Augen genauso aus wie ihr Vater, aber Joshua hatte sehr viel Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Warum war mir das bisher nicht aufgefallen?
»Ich bin froh, dass du da bist«, sagte sie nun zu mir.
Überrascht sah ich sie an. War das etwa ihr Ernst? Bisher war ich davon ausgegangen, dass sie mich nicht leiden konnte. Auch wenn wir in den vergangenen Monaten ehrlich gesagt nicht sehr viel miteinander zu tun gehabt hatten.
»Du hilfst Joshua und Gabriel in dieser schweren Zeit, das ist toll.«
»Sie würden dasselbe für mich tun«, antwortete ich, und ich wusste, dass es die Wahrheit war.
»Sie haben dich beide sehr gern.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Ich zögerte, wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Es schien mir unpassend, mit Frau Lennert über die Gefühle ihrer beiden Söhne zu sprechen. »Wir werden alles tun, um Noah so schnell wie möglich zu finden und zurück nach Hause zu bringen. Das verspreche ich Ihnen.«
»Danke, Emmalyn. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du das für uns tust.«
»Das ist selbstverständlich.«
»Das ist es leider nicht. Umso dankbarer bin ich dir. Und es tut mir leid, wenn du bisher einen anderen Eindruck hattest. Ich heiße übrigens Marlene, und du darfst sehr gerne du zu mir sagen.« Sie sah mich einen Moment an, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Ich nickte und hätte gerne etwas erwidert, doch ich fühlte mich nicht dazu imstande. »Was ist mit deiner Familie? Die machen sich doch bestimmt Sorgen um dich.«
»Ich hab schon mit meiner Mutter gesprochen. Sie weiß ja von nichts, deshalb sind die Sorgen wohl nicht so groß wie sie sein könnten. Sie war aber ein wenig enttäuscht, dass ich über die Feiertage nicht da sein kann.«
Marlene seufzte. »Das kann ich gut verstehen. Ich werde mal mit Noah reden, wenn er wieder zurück ist.« Ihre Stimme brach, und ihre Augen glitzerten verdächtig. Sie schluckte und lächelte mich entschuldigend an. »Vielleicht können wir in deinem Fall eine Ausnahme machen und deiner Mutter die Wahrheit sagen. Und wenn man es genau nimmt, wäre es ja nicht einmal eine Ausnahme. Du bist ein Sonderfall, und dafür gibt es keine Regeln. Unwissende Menschen dürfen nicht eingeweiht werden, aber du bist jetzt Teil der ganzen Sache, und dann sollte deine Familie ebenfalls Teil sein, um es dir wenigstens so leicht wie möglich zu machen.«
»Denken Sie …« Ich schluckte. Es war komisch, sich plötzlich zu duzen. »Denkst du wirklich, das würde gehen?« Ich konnte die Hoffnung in meiner Stimme deutlich heraushören. Es wäre so viel einfacher, wenn meine Mutter endlich Bescheid wüsste. Andererseits, was würde sie dazu sagen? Ehrlich gesagt konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie begeistert sein würde. Wer wollte seine Tochter schon auf gefährlicher Schattenjagd wissen? Ob sie es mir vielleicht sogar verbieten würde? Einen Moment verspürte ich so etwas wie Panik in mir aufsteigen. Es war gefährlich, sogar lebensgefährlich, das war mir erst heute so richtig bewusst geworden. Und dennoch war die Schattenjagd nun ein Teil meines Lebens. Ich wollte sie nicht mehr missen, so seltsam das auch war.
Marlene lächelte mich wieder an. »Aber natürlich. Es kann ja nicht sein, dass du solche Nachteile hast. Immerhin bist du eine große Hilfe. Und Noah hat Einfluss im Rat. Davon einmal abgesehen ist der Rat dir ohnehin noch was schuldig. Wenn ich da nur an die Ereignisse denke, als sie dich kennenlernen wollten …«
Überrascht sah ich sie an. »Du weißt davon?«
»Sicher, mein Mann und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Und auch, wenn ich nicht Teil der ganzen Sache bin, bin ich froh, dass ich Bescheid weiß. Das wird sicher nicht leicht werden für deine Mutter, aber sie wird es akzeptieren. Glaub mir.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte ich leise, und ich wunderte mich selbst, dass ich Marlene gegenüber so ehrlich war.
»Natürlich wird es am Anfang schwer sein, das ist klar. Aber sie wird verstehen, wie wichtig das Ganze ist und was dein Beitrag ist. Sie kann stolz auf dich sein.«
»Sie wird sich immerzu Sorgen um mich machen.« Nun sah ich Marlene direkt in die Augen. »Du machst dir doch bestimmt auch Sorgen um die Jungs, wenn sie unterwegs sind.«
»Als Mutter macht man sich immer Sorgen. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Aber es wird mit der Zeit ein wenig besser. Wenn du willst, kann ich mich ja dann mal mit deiner Mutter unterhalten. Und Noah kann ihr sicher auch gut zureden.« Sie lächelte traurig.
»Das wär toll«, antwortete ich leise. Wir schwiegen einen Moment und hingen beide unseren Gedanken nach. Ich dachte an Noah, und ich wusste, dass auch sie an Noah dachte. Ob wir ihn wirklich finden würden? Schließlich räusperte ich mich. »Wo sind denn Gabriel und Joshua?«
»Sie wollten mit dem Rat telefonieren. Ich nehme an, dass sie im Arbeitszimmer meines Mannes sind.«
Ich nickte, zögerte aber.
»Geh ruhig, sie warten sicher schon auf dich.«
Noch einmal nickte ich ihr zu, dann ging ich zum Arbeitszimmer. Die Tür war verschlossen, aber eine dumpfe Stimme war zu hören. Ich klopfte kurz an und trat dann ein. Gabriel saß auf dem Stuhl seines Vaters, Joshua saß ihm gegenüber mit dem Rücken zu mir. Beide hatten sich über das Telefon gebeugt und lauschten einer tiefen Stimme, die durch den Freisprecher zu hören war. Ich erkannte die Stimme nicht wieder, aber ich war mir sicher, dass es der Ratsvorsitzende sein musste. Als Gabriel mich nun sah, lächelte er mich kurz an und bedeutete mir, mich zu setzen. Also setzte ich mich neben Joshua und hörte ebenfalls interessiert und gespannt zu, was der Ratsvorsitzende zu sagen hatte.
»Es tut mir wirklich leid, dass ich nicht mehr tun kann«, sagte er in diesem Moment.
Mein Herz blieb fast stehen. Was tat ihm leid? Wollte er etwa nicht helfen? Aber das ging doch nicht! Am liebsten hätte ich etwas gesagt, doch das hielt ich für keine gute Idee. Vielleicht hatte ich etwas falsch verstanden, also schwieg ich.
»Ihr seht doch selber, was los ist«, fuhr der Ratsvorsitzende fort. »Im Stundentakt werden in den Nachrichten neue Städte gemeldet, in denen es zu Ausschreitungen kommt. Und wir wissen, dass das noch lange nicht das Ende ist. Es gibt neunzehn Portale. Wenn man die fünf Maya-Städte und Stonehenge nicht mitzählt, sind es also immer noch dreizehn Städte weltweit, die von den Unruhen betroffen sind. Und das Ganze wird sich ausweiten. Wir haben Krieg, und im Moment sieht es so aus, als ob wir verlieren. In Heidelberg geht es auch schon langsam los, und wir müssen jetzt dringend Schattenwächter organisieren und mit den anderen Räten besprechen, was zu tun ist. Wir müssen die Schatten vernichten, ansonsten …« Er verstummte, und ich konnte ihn seufzen hören.
Ansonsten was? Mein Herz blieb wieder fast stehen. Würde dann wirklich die Welt untergehen? Würde sich die Menschheit mit Hilfe der Schatten selbst vernichten?
»Ich weiß, dass Sie im Moment wirklich viel zu tun haben«, erwiderte Joshua. »Aber wir verlangen ja auch gar nicht Ihre körperliche Anwesenheit bei der Suche nach unserem Vater. Wir wollen nur, dass Sie uns bei den Überlegungen zur Seite stehen.«
»Aber ihr habt doch noch gar keine Anhaltspunkte.«
»Ja schon, aber das kann uns doch nicht davon abhalten, unseren Vater zu suchen«, meinte Gabriel nun. Er seufzte und strich sich mit einer fast verzweifelten Geste die Haare aus dem Gesicht. »Er ist immerhin Ratsmitglied. Sie sind es ihm schuldig. Außerdem hätte es auch Vorteile für Sie, wenn wir ihn finden würden. Nicht nur, dass Sie wieder eine Arbeitskraft mehr hätten. Vielleicht kann er uns auch wertvolle Hinweise geben. Immerhin war er oben auf der Thingstätte, als das Ganze los ging.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz Schweigen, dann sagte der Ratsvorsitzende nachdenklich: »Ja, vielleicht. Aber vor morgen können wir euch dennoch nicht helfen. Es ist im Moment wichtiger, dass wir so viele Schattenwächter wie möglich nach Heidelberg bekommen.«
»Aber …«, begann Joshua.
»Ich weiß«, erwiderte der Ratsvorsitzende und seufzte wieder. »Noah ist euer Vater, und ich verstehe auch, dass ihr ihn finden wollt. Aber das Wohl der Menschheit geht vor. Ihr wisst, was auf dem Spiel steht. Kommt morgen Vormittag in mein Büro, ab neun Uhr, dann sehen wir weiter. Und bis dahin will ich euch bitten, euren Pflichten als Schattenwächter nachzukommen und so viele Schatten wie möglich zu töten. Das ist ein Befehl.« Seine Stimme duldete keine Widerrede.
Gabriel wollte dennoch etwas erwidern, doch Joshua sah ihn eindringlich an und schüttelte den Kopf. »Wir werden sehen, was wir tun können. Bis morgen dann.« Joshua drückte auf einen Knopf am Telefon, bevor der Ratsvorsitzende noch etwas sagen konnte, und die Verbindung war unterbrochen.
Gabriel lehnte sich in seinem Stuhl seufzend nach hinten und starrte auf die Tür. Joshua und ich blieben bewegungslos sitzen. Eine Weile schwiegen wir alle, dann sprach ich als Erste:
»Was hat das zu bedeuten? Sie wollen uns wirklich nicht helfen?«
Joshua sah mich an, sein Blick war traurig und verzweifelt. »Nicht vor morgen, das ist richtig. Du hast ja ihre Begründung mitbekommen.« Er seufzte. »Ich kann sie schon ein bisschen verstehen. Das Chaos droht auszubrechen. Natürlich ist es wichtig, dass wir Schattenwächter organisieren und die Schatten vernichten. Dennoch hatte ich mir etwas mehr von ihnen versprochen. Immerhin ist Noah nicht nur unser Vater, er ist auch Ratsmitglied.«
»Ich find das nicht in Ordnung«, sagte ich. »Es müsste doch beides möglich sein. In einem solchen Fall lassen sich sicher auch ehemalige Schattenwächter und die Familienmitglieder rekrutieren.«
»Haben sie bereits. Du wirst es nicht glauben, aber sie wollten sogar unsere Mutter um Hilfe bitten. Wir haben ihnen gesagt, dass sie das mal schön bleiben lassen sollen.«
Ich wurde so langsam richtig wütend auf den Rat. Man sollte ja eigentlich meinen, dass es eine wichtige Organisation war, aber bisher hatte ich mit ihm nur schlechte Erfahrungen gemacht. Und dabei dachte ich nicht nur an mein erstes Zusammentreffen mit ihm und die miserablen Sicherheitsvorkehrungen. Sie hatten sich ja vorher schon geweigert, etwas wegen der Beschattungen von Klaus Brenner und Wilhelm Neuberg zu unternehmen, und mir waren sie bisher auch kein Stückchen entgegengekommen. Marlene hatte recht. Der Rat konnte nicht nur nehmen, er musste auch geben. Wenn das Ganze vorbei war, würde ich darauf bestehen, meiner Mutter die Wahrheit sagen zu dürfen. Immerhin hatten wir schon so viel für sie getan.
Aber es half alles nichts. Sich jetzt aufzuregen, brachte uns nicht weiter, also schluckte ich meinen Ärger hinunter und fragte: »Und was machen wir nun?«
Joshua stand langsam auf. »Lasst uns das gleich besprechen, ich sag erst mal Mutter Bescheid. Sie wird sicher wissen wollen, was der Rat gesagt hat.« Er schenkte mir ein zaghaftes Lächeln, dann ließ er mich und Gabriel alleine zurück.
Ich sah Gabriel an, doch er erwiderte meinen Blick nicht. Er hatte kein einziges Wort gesprochen, seit das Telefonat beendet war, und er sagte auch jetzt nichts. Immer noch starrte er teilnahmslos vor sich hin. Als ich gerade etwas sagen wollte, stand er auf. Er ging hinüber zur schmalen Balkontür, öffnete sie und trat hinaus. Sofort strömte kalte Luft ins Arbeitszimmer. Die weißen Vorhänge flatterten leicht im Wind, und es roch nach Schnee.
Eine Weile beobachtete ich Gabriel. Er stand mit dem Rücken zu mir und beachtete mich nicht. Schließlich stand ich auf, durchquerte das Arbeitszimmer und trat zu ihm hinaus. Es war kalt, die Hälfte des Balkons war mit Schnee bedeckt. Gabriel schien mich nicht bemerkt zu haben. Er stand direkt vor der Schneedecke und starrte mit verschränkten Armen über die Brüstung. Er trug immer noch nur sein schwarzes T-Shirt, aber er fror anscheinend nicht. Ganz im Gegensatz zu mir, doch das war mir in diesem Moment egal.
»Ich mach mir Sorgen«, sagte er leise, ohne sich zu mir umzudrehen.
Also hatte er mich doch bemerkt. Ich trat noch einen Schritt näher an ihn heran, mein Herz klopfte schneller. Endlich waren wir alleine. Wie gerne hätte ich ihn berührt oder in den Arm genommen, aber aus irgendeinem dummen Grund traute ich mich nicht. Stattdessen schlang ich die Arme um meinen eigenen Körper.
»Ich weiß, ich mach mir auch Sorgen um Noah. Was machen wir denn nun?«
Gabriel zuckte die Schultern. »Wenn's nach dem Rat geht, jagen wir Schatten.«
»Aber ist es zu dritt nicht viel zu gefährlich?«
Gabriel zuckte wieder die Schultern. »Die Schatten werden sich mittlerweile ganz gut verteilt haben, es sollte also theoretisch nicht mehr allzu gefährlich sein.«
Das Theoretisch gefiel mir nicht. Gabriels Stimme klang fast etwas gleichgültig, doch ich wusste, wie wichtig ihm die Angelegenheit war. Er steckte in der Bredouille. Einerseits war er Schattenwächter mit Leib und Seele, andererseits ging es um seinen Vater. Wenn wir jetzt auf Schattenjagd gingen, konnten wir nicht nach Noah suchen.
»Und?«, fragte ich dennoch und schluckte. »Gehen wir auf Schattenjagd?«
Gabriel seufzte. »Ich weiß es nicht. Es ist vielleicht unsere Pflicht, aber wir würden einen ganzen Tag verlieren. Wir können Vater doch nicht im Stich lassen.« Er machte eine kurze Pause. Ich konnte sehen, wie sich sein Körper anspannte. »Emma, was soll ich nur machen?«, fragte er leise.
Es war schrecklich, ihn so hilflos zu sehen. »Ich weiß es nicht, aber wir werden schon einen Weg finden. Gemeinsam. Gabriel, ich bin bei dir.« Ich streckte meine Hand aus und berührte vorsichtig seinen Arm.
Gabriel hatte mir die ganze Zeit über den Rücken zugedreht und mich kein einziges Mal angesehen. Nun löste er seine Arme aus der Verschränkung und drehte sich langsam zu mir um. Er sah mich an, und mein Herz begann sofort wieder schneller zu schlagen. Er trat einen Schritt auf mich zu und noch einen. Nun standen wir ganz nah voreinander. Eine kleine Bewegung, und unsere Körper hätten sich berührt. Wir sahen uns direkt in die Augen.
»Ich muss dir was sagen«, begann er. Seine Stimme war nach wie vor leise.
Ein Windhauch wirbelte meine Haare durch die Luft, doch ich achtete nicht darauf. Es fröstelte mich, doch auch das war mir egal. Gabriel streckte seine rechte Hand nach mir aus und schob mir eine Locke aus dem Gesicht. Seine Handfläche berührte dabei ganz leicht meine Wange. Trotzdem spürte ich die körperliche Reaktion auf seine Berührung. Es war fast wie ein elektrischer Schlag, nur viel angenehmer. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen, dann zog er die Hand wieder weg.
»Ich liebe dich, Emma.«