Читать книгу Läuferleben - Sandra Mastropietro - Страница 7

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Begeisterung. Freu(n)de. Glück. – Begriffe, die durch soziale Medien wie Facebook, Instagram, Blog & Co neu definiert wurden. Momente werden erschaffen, gepostet und kommentiert, statt innezuhalten und zu genießen. Unsere Timeline zeigt perfekte Leben, pures Familienglück und Perlweißlächeln.

Doch während wir scrollen, knirscht der Unterkiefer und unser Gehirn arbeitet. Wann wird mein nächster perfekter Moment sein? Wie und wo schieße ich das nächste Selfie? Man muss der Welt und den 3758 virtuellen Freunden schließlich beweisen, dass man mindestens genauso glücklich ist, mindestens genauso zufrieden mit dem eigenen Leben.

Die Grenzen zwischen echt und unecht, Wahrheit und Lüge, schön und unschön verschwimmen mehr denn je. Umso wichtiger ist es, uns ehrliche Freude an einer Sache zu erhalten. Emotionen, Leidenschaft, Euphorie.

Ich habe meine Begeisterung im Laufen gefunden und genau deswegen schreibe ich dieses Buch, denn ich möchte sie weitergeben.

Ich möchte nicht nur davon erzählen, wie schön der Laufsport ist, oder gar belehren, wie man richtig läuft. Dazu gibt es bereits genug Literatur. Ziel meines Buches ist es, euch mit auf eine Reise zu nehmen, gemeinsam zu lachen, zu leiden – ja, auch das gehört dazu – und vielleicht auch das ein oder andere Mal den Kopf zu schütteln. Widersprecht mir, wenn euch danach ist. Ich möchte euch Mut machen, euch sagen, dass ihr alles schaffen könnt, wenn ihr nur daran glaubt – an euch glaubt, an »die Sache« glaubt, Spaß habt und Leidenschaft entwickelt!

… Aber zuerst ein paar ganz grundsätzliche Dinge:

Laufen ist nicht langweilig

»Der Mensch nimmt sich die Ruhe nur vor, um sich von Zwang und Arbeit zu befreien, aber sein Genuss liegt im tätigen Leben, und er liebt nur dieses.«

Luc de Clapiers Vauvenargues

Verständnislose Blicke, fragende Gesichter und ein dezentes Schweigen sind oft die ersten Reaktionen, wenn Läufer Nichtläufern von ihrer Leidenschaft berichten.

Laufen!

Vielleicht schon eine Stunde am Stück, weiter als 5 Kilometer und öfter als einmal in der Woche. Eventuell sogar einen Halbmarathon oder Marathon.

Auf die anfänglich beschriebene ungläubige Mimik folgt in den meisten Fällen ein vollkommen ernst gemeintes »Ist das nicht langweilig?« oder »Was macht man denn da die ganze Zeit, wenn man so lang läuft?«.

Ist dein Gegenüber Hobbypsychologe, lässt ein besorgtes »Vor was läufst du denn weg?« nicht lang auf sich warten. Welche Distanz hinter dem vermeintlich unheilschwangeren Wort Marathon steckt, ist dem Zweifler vorerst egal.

Am Anfang meines Läuferlebens haben mich solche Fragen furchtbar geärgert und ich reagierte darauf mit ausschweifenden Erklärungen, langen Anekdoten und an den Haaren herbeigezogenen Vergleichen.

Heute schmunzele ich jedoch (man wird eben älter und gesetzter), halte kurz inne und antworte bestimmt: »Nein, Laufen ist nicht langweilig – ganz und gar nicht!«

Für alle, die das nicht glauben wollen, folgt hier eine kleine Zusammenfassung, warum für so viele Menschen das Laufen so viel mehr ist, als nur stupide einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Es gibt kaum eine Sportart, die man so individuell an die Tagesform und Stimmung eines Menschen anpassen kann wie das Laufen.

Nach einem langen, stressigen Tag laufe ich langsam, einfach nur für mich, genieße die Stille. Laufe eine Runde durch den Park, entschleunige so mein Leben und habe Zeit, über das nachzusinnen, was im Alltagsstress zu kurz kam.

An ruhigeren Tagen bringt ein kurzer Tempolauf meinen Kreislauf in Wallung, schüttet massenhaft Endorphine aus und erfüllt mich so mit neuer Energie und Vitalität.

Wem nur schnelles oder nur langsames Laufen zu langweilig sein sollte, der darf gerne mit dem Tempo spielen. Der Fantasie sind hier nur die eigenen Leistungsgrenzen gesetzt, denn die Variation mit dem Tempo ist seeeeeehr anstrengend.

Und was macht der Läufer nun während der langen Läufe? All das, wofür er sonst nie Zeit hat!

Das neue Buch des Lieblingsautors hören – und im Falle einer Schnulze ungeniert dabei heulen. Die Playlists mit Hits aus der eigenen Jugend abspielen, sich zurücktragen lassen, in der eigenen Erinnerungskiste kramen. Schmunzeln. Schöne Momente noch einmal durchleben.

Klassische Musik genießen. Nachdenken. Kürzlich geführte Dialoge rekapitulieren und über »Was wäre wenn« grübeln. E-Mails im Kopf entwerfen. Reisepläne schmieden. Bewusst atmen. Nach den richtigen Worten für ein anstehendes Gespräch suchen. Einen Knoten ins Papiertaschentuch machen, der einen daran erinnern soll, endlich mal wieder einen Friseurtermin auszumachen, und vieles mehr.

Kurz: Endlich mal bewusst denken, Zeit haben und Zeit genießen.

Und wer nicht allein mit seinen Gedanken bleiben beziehungsweise laufen möchte, der kann sich die beste Freundin oder den Kumpel schnappen und die letzten Ereignisse diskutieren, den (potenziellen) Partner analysieren, Modetrends bewerten.

Ihr merkt schon, die Quality-Time-To-dos beim Laufen lassen sich beliebig fortführen – denn eines steht fest: Laufen ist aktive Lebensqualität!

Weg mit GPS & Co (zumindest manchmal) – Spaß am Laufen

Während ich der Dame am anderen Ende der Leitung versichere, definitiv keinen neuen »All-in-one-Kommunikations-Vertrag« zu benötigen, zwitschert das dicke Twitter Vögelchen fröhlich auf dem Tablet, das Notebook verkündet, ich hätte Post, und als wäre das nicht schon genug, vibriert nun auch noch mein Handy im Takt der Facebook-Status-Updates über den Tisch. Informations-Overkill – dabei wollte ich doch eigentlich nur kurz laufen gehen!

In die Motion-Dry-Faser habe ich mich bereits geschwungen, die Schuhe sind so gut wie geschnürt, und dann der Schock: Die Garmin ist leer, meine Kopfhörer verknotet und der Armstraps für das Handy ist spurlos verschwunden.

Schnell feuere ich noch ein paar Facebook-Freunde bei ihren gerade begonnenen Lauf-Live-Aktivitäten an und versuche dann erneut, ebenfalls laufen zu gehen.

Die Uhr ist inzwischen auf 10 % Akkuleistung geladen, das sollte für eine kleine Runde reichen. Mein Handy werde ich heute einfach in die Jackentasche stecken (Not macht erfinderisch) und die Kopfhörer entknote ich auf dem Weg nach unten.

Endlich in Bewegung! Die klare Luft füllt meine Lungen, die Sonne kitzelt meine Nase und ein leichter Wind weht mir die Haare aus dem Gesicht.

GPS-Uhr, Handy und Kopfhörer bleiben unbeachtet und für eine knappe Stunde bin ich nicht erreichbar. Von nun an ist der einzige »Input« das Zwitschern der Vögel in den Bäumen. Ich genieße, entspanne – schalte tatsächlich ab.

Meine Gedanken tragen mich zurück in die Zeit, in der ich mit dem Laufen begonnen habe. Keine Pulsuhr, keine Motion-Dry-Faser, keine supergedämpften Natural-Running-Schuhe. Einfach Jogginghose und Sportschuhe an, los ging’s.

Damals, als die alte Sportweisheit »Zum Laufen braucht man nichts außer zwei Beine« noch stimmte. Inzwischen ist Laufen ein teures Hobby, das sich teilweise sogar als »elitär« einordnen lässt. Schade eigentlich. Denn Laufen kann jeder!

Wer heute als Läufer etwas auf sich hält und sich den Medien und dem Gesellschaftsdruck beugt, der trägt die neuste Uhr am Handgelenk, (er)trägt muskelstützende Kompressions-Mikrofaser-Sachen und läuft den mit Supergrip ausgestatteten, multigedämpften und trotzdem federleichten 200-Euro-Schuh. Das Ganze natürlich auch noch farblich aufeinander abgestimmt.

Zweifelsohne erleichtern all diese Dinge unser Hobby, lassen uns gezielter trainieren, machen uns besser, geben uns Selbstbewusstsein. Dennoch finde ich es sehr wichtig, sich hin und wieder mal dem Druck aller Gadgets zu entziehen und sich darauf zu besinnen, was dieser Sport eigentlich ist: ein einfaches, ehrliches Im-Einklang-mitsich-und-seinem-Körper-Sein. Ruhe genießen, Zeit zum Nachdenken haben, Bewegung, Fitness, Erholung und aktive Lebensqualität!

In der heutigen schnelllebigen Zeit der Dauererreichbarkeit hat Laufen etwas von einem Kurzurlaub.

Als ich wieder zu Hause ankomme, fällt mir ein blinkendes Hinweisfeld auf meiner Uhr auf. Der Erholungsratgeber sagt, dass ich mindestens 48 Stunden Pause nach der gestrigen Einheit beachten soll. Wie gut, dass ich diesen Lauf nicht getrackt habe.

Eine laufende Reise zu mir selbst

Laufen. So viel mehr als nur ein Sport, ein Hobby, eine Leidenschaft, eine neue Lebenseinstellung!

Eine innige Freundschaft mit der Laufstrecke, die geduldig meinen Schritten lauscht, den Geschichten, die sie erzählen. Geschichten vom Alltag. Zwischen Schuhsohle und Untergrund liegt Wahrheit. Unaussprechliches wird plötzlich aussprechlich, auch ungesagt.

Jedes Mal, wenn ich die Laufschuhe schnüre und den Rucksack mit Alltagsproblemchen schultere, beginnt eine neue Reise – eine Reise zu mir selbst.

Ich kann den Boden unter meinen verärgerten, trotzigen Schritten beben lassen oder freudig und leichtfüßig hüpfen wie eine Gazelle – oder zumindest so ähnlich. Asphalt oder Waldboden tragen mir keine Launen nach, nehmen stumm alles in sich auf, hören zu. Erleichtern mich mit ihrem bloßen und scheinbar unendlichen Dasein.

Dann passiert das noch im Lärm des Alltags für unmöglich Gehaltene: Ich höre meine Gedanken. Die Gedanken, die zwischen Terminen, Smartphones und Informationsflut verloren geglaubt waren.

Tief einatmen, ausatmen, abschalten, in mich hineinhören.

Einfach genießen: die frische Luft, die den salzigen Schweißfilm auf der Haut trocknet, den beschleunigten Puls, die bewusste Bewegung … Schritt um Schritt, beständig einen Fuß vor den anderen. Noch ein bisschen weiter, länger. Ein Stück Urlaub vom Alltag.

Und im Rhythmus der Bewegung verschmelzen Körper und Geist. Längst vergessen geglaubte Innigkeit und Intimität des Seins verschmelzen zu einer untrennbaren Einheit, für die es keine Worte zu geben scheint! Eine süße Mischung aus Hingabe und Ehrgeiz. Ehrgeiz, mich an meine Grenze zu führen. Hingabe zum Selbst.

Das Gefühl, alles schaffen zu können, wächst heran und explodiert im freudigen Lachen. Meine Beine werden leichter, meine Schritte größer, die Pace schneller.

Der Rucksack, der beim Loslaufen noch so schwer war, ist nun leer.

Mein Herz hüpft freudig auf und ab, die Endorphine tanzen Cha-Cha-Cha. Ein krönender Abschluss einer großartigen Reise.

Mit dem wohligen Gefühl der zufriedenen Erschöpfung und einem freien Kopf freue ich mich auf zu Hause, freue ich mich auf den Alltag und seine Abenteuer, freue ich mich zu sein, wer ich bin.

Mit dem Laufen ist es wie mit der Liebe – oder umgekehrt

Spätestens seit der vorangegangenen Etappe, so nenne ich meine »Unterkapitel«, wisst ihr, dass ich furchtbar verliebt in den Laufsport bin! Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, eine Beziehung mit ihm zu führen – in guten wie in schlechten Zeiten!

Und weil das jetzt furchtbar komisch klingt, möchte ich mich wie folgt erklären:

Jürgen Marcus sang 1973 »Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben« und traf damit zwar nicht jedermanns Musikgeschmack, aber inhaltlich gezielt ins Schwarze. Wer kennt es nicht!? Erste Annäherungsversuche, das Kribbeln, die Vorfreude, viele unbekannte Reize und dieses wunderbare Gefühl, das mit all dem Zuerstgenannten einhergeht. (M)eine sehr gewagte These, die ich euch an dieser Stelle dennoch nicht vorenthalten möchte: Mit dem Laufen ist’s wie mit der Liebe! Höhen und Tiefen. Phasen, in denen man mehr Zeit miteinander verbringt, dann wieder weniger. Innige, intensive und emotionale Momente ebenso wie Augenblicke der Verzweiflung, der Frustration und des Aufgebenwollens.

Aber zuerst einmal das Schöne:

Stufe 1: Es »offiziell« machen

Besonders am Beginn einer (Lauf-)Beziehung sieht man das Läuferleben durch die häufig belächelte rosarote Brille. Das heißt, man macht sich chic für den/die Neue(n), trägt die aktuellste Laufmode in knalligen Farben, stellt schnell positive Veränderungen im Alltag fest, hat mehr Appetit auf Gesundes, fühlt sich fitter, nimmt vielleicht sogar ein paar Kilo ab und genießt das »gemeinsame Schwitzen« häufiger denn je.

Kurz gesagt: Man übertreibt es hin und wieder auch mal!

Und genau an dieser Stelle zeichnet sich ab, ob die Beziehung halten wird.

Stufe 2: Das Zusammenziehen

Erste Wehwehchen. Die verliebte Annäherungsphase ist vorüber, der Alltag hält Einzug. Immer häufiger steht man vor der Entscheidung, ob man sich für die neue Liebe oder die alten Freunde, wie zum Beispiel die Couch, entscheidet.

Nervt man sich schon? Kostet die Unterhaltung des neuen Partners vielleicht mehr als erwartet – und sei es zwar nicht das Geld, dann aber doch Zeit, Aufwand und Überwindung?

Und dann die schlechten Angewohnheiten, die »er/sie« mit sich bringt: häufiges Wäschewaschen, Sportschuhe überall im Flur und der Gesprächsmittelpunkt, in den die neue Liebe immer wieder rückt.

Tiefes Durchatmen. Überlegen. Abwägen. Ist es wirklich der/ die Richtige?

Wird diese Frage mit JA beantwortet, folgt:

Stufe 3: Die Verlobung

Man hat sich also füreinander entschieden. Hochzeitsplanung in Form von offiziellen Läufen, deren Distanzen immer länger werden. Erst 5, dann 10 Kilometer. Irgendwann ein Halbmarathon.

Man ist wieder wie neu verliebt, beschäftigt sich intensiver und eindringlicher als je zuvor miteinander. Die Hochzeit rückt näher. Das Highlight des Läuferlebens – Traum eines jeden Läufers. Ehrfürchtig und spannungsgeladen fiebert man auf den vermeintlich schönsten Tag des Lebens hin.

Stufe 4: Die Hochzeit

Ehe man sich’s versieht, steht man mit tausend anderen Heiratswütigen am Eingang des Trausaals, zählt gemeinsam zum Startschuss herunter und tritt den 42,195 Kilometer langen Gang zum Altar an.

Schwere Beine, letzte Zweifel, für die es eigentlich zu spät ist. Ab Kilometer 30 kommen die Schwiegereltern mit dem Hammer dazu. Die 12 längsten Kilometer des Lebens beginnen.

Man ist wirr, fühlt sich benommen. Doch dann, plötzlich und trotz aller Vorbereitung doch so unerwartet, baumelt die Finisher-Medaille um den Hals. Man hat es geschafft. Ein Bund fürs Leben ist geschlossen. Ewige Liebe, in guten wie in schlechten Zeiten.

Ein Fest. Man möchte die ganze Welt umarmen, es allen mitteilen! Es ist tatsächlich geschafft, es ist vollbracht.

An alle Genussläufer, die keine offiziellen Läufe bestreiten: Das ist total in Ordnung, man muss nicht heiraten! Ein glückliches Zusammenleben läuft oft sogar harmonischer und definitiv stressfreier ab.

Stufe 4.1: Die Hochzeitsnacht

Darüber wird nicht gesprochen. Fakt ist nur: Sie muss verdammt anstrengend sein, denn an den darauffolgenden Tagen können Braut oder Bräutigam nicht mehr aufrecht gehen.

Aber wie heißt es doch so schön: Der Schmerz geht, der Stolz bleibt.

Stufe 5: Die Ehekrise

Vorab: Sie sind normal und gehören zu jeder guten Ehe.

Es gibt meines Erachtens drei Arten der Ehekrise:

1.Man ist plötzlich wie besessen vom Heiraten und möchte es wieder, diesmal aber SCHNELLER tun.
2.Man ist plötzlich wie besessen vom Heiraten und möchte es wieder, diesmal aber LÄNGER tun. In diesem Falle wird der Mittelname »Ultra« ergänzt.
3.Man fand die Hochzeit so schrecklich, dass man den Partner verlässt. Das trifft jedoch auf maximal 1 % der Läufer zu.

Diese Krisen kosten viel Verständnis, Nerven und intensive Pflege der Beziehung.

Also gebt euch Mühe – sie ist es auf jeden Fall wert!

Stufe 5.1: Das Fremdgehen

Eine heikle Angelegenheit. Die Verlockungen der Sportwelt sind groß. Grundsätzlich erhebe ich meinen Zeigefinger und mahne zur Treue, dennoch kann die eine oder andere Affäre mit einem Ausgleichssport die Beziehung beleben und durchaus förderlich für die gemeinsame Zukunft sein.

Ich wünsche an dieser Stelle allen Verliebten, Verlobten und Verheirateten viel Spaß mit ihrem Partner und ganz viel »happily ever after«.

Ein Hoch auf die Laufpartnerschaft

Neue Etappe, neues Liebesglück – oder so ähnlich. Ja, denn wieder geht es um das wohl meistberedete Thema der Welt, diesmal allerdings um eine ganz besonders ehrliche Form davon: die Laufpartnerschaft.

Eine außergewöhnliche Verbindung zwischen zwei oder mehreren Menschen, die auf Schweiß und Aufrichtigkeit beruht und über die einfach viel zu selten geredet wird. Deswegen möchte ich ihr nun diesen Teil meines Buches widmen:

Im Englischen gibt es das Sprichwort »Two heads are better than one« (dt.: Zwei Köpfe können mehr als einer).

Ich sehe das so: Vier Beine sind – oftmals – besser als zwei!

Ein paar Beispiele

Morgens um 6 Uhr. Ich bin gerade aus dem Bett gerollt, habe mir mit Mühe und Not die Zähne geputzt, den Schlafanzug gegen Laufklamotten getauscht und bin zum Treffpunkt geeilt.

Verschlafen umarmen meine Freundin Alisa und ich uns, lachen und stellen jedes Mal aufs Neue fest, wie verrückt wir doch sind – unser bereits fest etabliertes morgendliches »Pre-Run-Ritual«.

Dann geht es los. Schritt um Schritt arbeiten wir uns im angenehmen Schweigen durch die Dunkelheit, werden langsam wach, gemeinsam und doch jeder für sich. Ohne die Verabredung wäre wohl keine von uns um 5:30 Uhr aufgestanden und laufen gegangen.

Die ersten Schweißtropfen treten auf meine Stirn und der Atem klingt angestrengt. Kein guter Morgen zum Laufen, stelle ich fest. Zu wenig Schlaf. Ich überlege, wie wir unsere Runde verkürzen könnten, als Alisa das Gespräch beginnt.

Wir reden über Gott und die Welt und vergessen plötzlich, dass wir laufen, dass es – zumindest gefühlt – mitten in der Nacht ist und dass wir beide beim Klingeln des Weckers noch gar keine Lust zum Laufen hatten.

Nach 10 Kilometern liegen wir uns wieder in den Armen, nun verschwitzt, überglücklich und hungrig.

Zwischen uns schweben endlose Gefühle, die nicht ausgesprochen werden müssen. Laufpartnerschaften sind Freundschaften, die aus Leidenschaft, Hingabe und gemeinsamen Zielen hervorgehen, stetig wachsend durch gemeinsame Endorphinausschüttungen, Tränen und Schweiß. Laufpartner sind Helden der Strecke, die unseren inneren Schweinehund einschüchtern und somit zu neuen Bestleistungen verhelfen. Sie ermutigen uns weiterzumachen, wenn wir aufgeben wollen und meinen, nichts ginge mehr.

Ich denke da an meine Freundin Andrea, mit der ich den Polarkreis in Schweden überquert habe, und das blinde Vertrauen, welches wir uns in dieser Extremsituation entgegengebracht haben. Ihre sportliche Größe, ihr eigenes Leistungspotenzial wegen meiner Verletzung zurückzustellen (darüber werdet ihr in Kapitel 4 noch ausführlich lesen).

Ich denke an das Bahntraining mit Freunden, die mich in neue Geschwindigkeitsdimensionen heben …

Lauffreundschaft, ein Geben und Nehmen ohne aufzuwiegen, ein Erfreuen an gegenseitiger Möglichkeitssteigerung und Akzeptieren von unterschiedlichen Leistungsniveaus.

Jeden Mittwoch, wenn sich in München zwischen vierzig und sechzig Läufer zusammenfinden (bekannt als URBAN RUNNERS MUNICH), um gemeinsam – unabhängig von Zielen, Distanz- und Geschwindigkeitsempfinden – den für sie schönsten Sport der Welt zu zelebrieren, wird mir erneut bewusst, dass die Beziehung zwischen Läufern einfach etwas ganz Wunderbares und unglaublich Ehrliches ist.

Eine Beziehung ohne Make-up, ohne Bewertung des Erscheinungsbildes. Zu oft hat man sich gegenseitig mit hochrotem Kopf gesehen, mit laufender Nase und verschmierter Mascara.

Gemeinsam ist man stärker, gemeinsam lacht und weint es sich besser! Gemeinsam sind Erinnerungen lebendiger und Emotionen intensiver!

Laufen ist schön, dennoch sollten wir die Bäume im Wald lassen

Auf den ersten Seiten habt ihr sehr viel über die positiven Effekte des Laufens gelesen. Doch neben all den wunderbaren Dingen, die der Laufsport mit sich bringt, gibt es – aus meiner Sicht – den einen oder anderen Kritikpunkt:

Laufen ist weitaus mehr als ein Sport: Entspannung, Emotionen, Herausforderung, Bestätigung. Ein Lifestyle.

Was einst kleine Parkrunden im hellgrauen Baumwolljogginganzug waren, sind nun farblich perfekt aufeinander abgestimmte Laufoutfits auf offiziell vermessenen Strecken. Der Blick in den Spiegel darf vor Verlassen des Hauses nicht fehlen.

Kaum auf der Strecke, auch schon wieder am pau- beziehungsweise posieren: Selfie Time.

Facebook-Status-Update, damit sich alle Daheimgebliebenen schlecht fühlen. Zurück vom Laufshooting, ab in die Küche – ernährt wird sich nur noch Paleo 360 oder vegan; vegetarisch ist bereits grenzwertig, denn Kuhmilch und Weizen stehen auf der Läufer-Blacklist. Clean Eating ist das neue Must-do.

»Wenn du deine Ernährung nicht umstellst, wirst Du nie schneller«, entnehme ich immer wieder Konversationen um mich herum. Und auch wenn ich mich selbst vegetarisch ernähre und inzwischen (zumindest meist) abgestimmte Outfits trage, möchte ich mich doch so oft einmischen und fragen: »WARUM? Warum muss jeder schneller werden wollen? Warum meinen alle, dass ihre Ernährung und Lebensweise die einzig richtige ist?«

Abende auf der Couch sind inzwischen genauso verpönt wie Nachos mit Käse. Ist ja auch beides nicht gesund, oder?

Wenn schon ein Abend daheim, dann bitte in aufrechter Haltung, sonst folgen Rückenprobleme. Am Schreibtisch – Zeit, um sich zu informieren! Zeit, um in unzähligen Fitnessblogs positive Laufberichte à la »Von null auf 42,195« oder von neuen Bestzeiten zu lesen, die in Nullkommanichts erreicht wurden.

An dieser Stelle möchte ich die Frage aufwerfen, ob der Druck, den wir in uns und anderen aufbauen, noch gesund ist?! Jeder Körper is(s)t und reagiert anders. Natürlich gibt es Dinge, deren positive oder negative Wirkungen nachgewiesen sind, aber come on, Leute, leben und leben lassen! Nicht jeder muss bei offiziellen Rennen an den Start gehen, nicht jeder will auf den Schweinsbraten im Biergarten verzichten.

Bewusst machen, motivieren und unterstützen ist gut, aufzwingen und unter Druck setzen gehen gar nicht! Einen großen Applaus jedem, der bewusst lebt und sich dabei 100 % wohlfühlt – ihr macht es richtig, so soll es sein! Der neu auferlegte Fitness- und Gesundheitswahn, der meiner Meinung nach in dieser extremen Art auf Dauer weder fit noch gesund macht, bringt nämlich eine ganz akute Mangelerscheinung mit sich: DAS WOHLFÜHLEN!

Laufen und fit sein sollen Spaß machen! Bewusst leben ist sehr gut, aber bitte nicht nur, um zu gefallen und einem Trend nachzugehen. Tut es für euch, tut es zusammen mit anderen, habt Freude am gesunden Lebensstil – und vergesst das Genießen nicht!

Auch ich habe Abende, an denen ich Chips mit Käsesoße auf der Couch futtere, ein Bier trinke. Davon geht die Welt nicht unter. Denn genau diese Abende sind es, die das Wohlfühllevel weit nach oben treiben und auf ihre Art und Weise fit für den nächsten Tag machen.

Allen »Neuankömmlingen« in der Laufszene wünsche ich an dieser Stelle von Herzen viel Spaß – ich kann mir gut vorstellen, dass der jetzige »Einstieg«, wo doch alle schon so schnell und vor allem so diszipliniert sind, schwerfällt. Doch glaubt mir, von null auf 42,195 ist ein absoluter Ausnahmefall und viele Veganer vermissen sicherlich auch manchmal heimlich, still und leise die guten alten Haribos.

Abschließen möchte ich diese Zeilen mit dem Aufruf, dass wir Läufer nicht so überheblich sein sollen! Unser Sport wird durch Kameradschaft, Zusammenhalt und Fairness geprägt. Helft »Neuankömmlingen« in der Szene und vergesst den Spaß nicht.

Untermalen möchte ich all die vorangegangenen, vornehmlich emotionalen, positiven Aspekte des Laufens zum Abschluss des ersten Kapitels nun noch mit ein bisschen Theorie:

Warum Laufen oft die beste Therapie ist

»Du, kann ich dich gleich zurückrufen? Bin gerade ein bisschen im Stress.«

Egal ob man diesen Satz selbst benutzt oder nur von anderen hört – die Welt ist im Stress, ständig, scheinbar immer und überall. Die Burn-out-Fälle häufen sich und das hart verdiente Geld wird zum Psychologen und in hypermoderne Wellness-Bunker geschleppt.

»Einmal abschalten bitte« ist vom Urlaubsvorhaben zu einem neu definierten Grundbedürfnis geworden. Auch wenn die Arbeitstage anstrengend und die Mittagspausen kurz sind oder durchgemacht werden: Die Laufschuhe nach dem Job zu schnüren, ist die beste Therapie, um den oft so furchtbar frustrierenden Arbeitsstress loszuwerden.

Ist der nach Bier, Chips und Couch lechzende Schweinehund nämlich erst einmal vor der Tür und in Bewegung, beginnt der Körper mit dem Abbau von Cortisol, dem Stresshormon Nummer eins. Cortisol wird von der Nebenniere als Reaktion auf vermeintliche Gefahr gebildet und bereitet den Körper auf Kampf oder Flucht vor. Deswegen reagieren die meisten Menschen übrigens auch aggressiv, wenn sie »unter Strom stehen«. Da man bei Gefahr schnell und instinktiv handeln muss, blockiert das Cortisol unser Gehirn. Außerdem schwächt es das Immunsystem. Und das ist keine gute Kombination, weswegen wir uns schnell wieder mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigen – wie zum Beispiel dem Laufen.

Denn Laufen hilft nicht nur beim schnellen Abbau des »Denkblockers und Immunschwächers«, sondern setzt zusätzlich Glückshormone frei.

Auch wenn man, um ehrlich zu sein, nicht bei jedem Lauf von Glückshormonen überschüttet wird, wie etwa beim Runner’s High, ergab jedoch erst kürzlich eine Gemeinschaftsstudie der TU München und der Universität Bonn, dass bei Bewegung an frischer Luft die Produktion von Glückshormonen viel stärker angeregt wird, als wenn man auf der Couch relaxt.

Und Relaxen kann man nach dem Laufen immer noch – und zwar viel besser als ohne! Denn absurderweise funktioniert die muskuläre Entspannung zunächst über Anspannung. Und nach dem Warmlaufen, wenn Körper und Seele im Einklang sind, unsere Schuhe den Takt des Seins vorgeben und die Gedanken an Gewicht verlieren, dann erleben wir wahre Entspannung!

Entspannung, die man sich mit keinem Geld der Welt kaufen kann!


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