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5. Juni von Sandra Scott

Das! Ist! Der! Pure! Wahnsinn!

Meine Hand zittert noch ein wenig vor Aufregung. Wahrscheinlich kann ich morgen kein Wort von diesem Gekrakel mehr entziffern, aber ich muss es einfach aufschreiben. Jetzt, wo das Erlebte noch frisch ist.

Ich kann es noch gar nicht glauben, dass mir so etwas passiert ist! Ich dachte, so was gibt es nur in Filmen. Vorzugsweise in solchen, in denen schlüpfrige Männerfantasien bedient werden.

Aber der Reihe nach.

Isabelle und ich machten uns am Morgen zu Fuß auf den Weg zum Institut, der geradewegs am Strand entlanglief. Es war einfach herrlich. Die Sonne war gerade am Horizont über den Wellen aufgegangen. Es war bereits angenehm warm, aber noch nicht heiß. Der Weg aus rotbraunen Steinplatten, die wie Holzbohlen gemasert waren, wurde auf der einen Seite von Palmen und auf der anderen Seite von einer endlosen Reihe steinerner Sitzbänke gesäumt. Gut zwei Meter unter uns verlief der breite Sandstrand. Auf dem Strand selbst, ebenso wie auf der Promenade darüber, waren Fahrradfahrer, Inlineskater, Jogger und Spaziergänger unterwegs, die ihre Hunde Gassi führten. Während wir uns auf die beeindruckende Fischskulptur aus Stahlgeflecht zubewegten, die in einiger Entfernung zwischen zwei Bürotürmen am Strand aufragte, sah ich ein Flugzeug auf die Küste zufliegen und erinnerte mich an die fantastische Aussicht, die ich beim Anflug gehabt hatte.

Nur mit Mühe konnte ich ein enthusiastisches Auflachen unterdrücken. Ich fühlte mich einfach großartig! Die ungewohnte Sonne so früh am Morgen belebte mich, dazu die wunderschöne Aussicht auf das Meer, die Wellen, die sanft gegen den Strand brandeten, die Palmen, die Möwen … das alles machte mir eine verboten gute Laune.

Das entging auch Isabelle nicht, die mich von der Seite aus neugierig ansah. »Das ist anders als London, oder?«, fragte sie.

Ich lachte. »Es ist fantastisch!«

Isabelle nickte. »Ich weiß genau, was du meinst. Es liegt vor allem am ständigen Sonnenschein. Im ersten Jahr hier war es wie ein Rausch, weißt du? Ich hatte ständig den Drang, etwas zu unternehmen, die Sonne auszunutzen. Das ist man ja gewöhnt aus England: die wenigen wirklich schönen, warmen Tage nutzen. Aber irgendwann habe ich begriffen: Sonnentage sind hier nichts Kostbares.«

»Für mich schon«, erwiderte ich. »Ich habe jetzt sechs Wochen Sonne vor mir, und das finde ich einfach großartig!«

Im Institutsgebäude angekommen, führte mich Isabelle zu den Räumen ihrer Arbeitsgruppe, wo ich vom Gruppenleiter, einem kleinen, pummeligen Franzosen in den Vierzigern, überschwänglich begrüßt wurde. Er führte mich in den Räumen des Instituts herum und stellte mir die anderen Mitglieder seiner Gruppe vor. Dann fragte er Isabelle, wann sie denn den nächsten Probanden erwarte.

»Jetzt«, antwortete Isabelle. »In ein paar Minuten.«

»Ausgezeichnet«, freute er sich. »Dann kann Marc gleich mal sehen, wie es abläuft.« Er wandte sich wieder an mich. »Wir reden dann später weiter.«

Isabelle führte mich in einen Raum, in dem sich auf zwei Schreibtischen Computertürme und Bildschirme drängten. Durch eine Glasscheibe konnte man die große weiße Röhre des Magnetresonanztomographen, kurz MRT, erkennen. Ich musste ein Schaudern unterdrücken, als Erinnerungsfetzen vor meinem inneren Auge erschienen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte man mich selbst in eine solche Maschine geschoben. Mir war schwindelig und übel gewesen, ich hatte meine rechte Körperhälfte nicht bewegen und überdies nur noch lallen, statt sprechen können. Ein halbes Dutzend Ärzte und Pfleger waren um mich herumgewuselt, hatten mir Kontrastmittel gespritzt und meine Kleidung nach metallischen Gegenständen durchsucht. Dann kam ich mit fixiertem Kopf in diese Röhre und hatte das Gefühl, lebendig in einem Sarg zu stecken, nur dass es auf dem Friedhof sicher nicht so höllisch laut wäre.

Ich versuchte, mich damit zu beruhigen, dass es diesmal ganz anders sein würde. Nicht nur, weil ich nicht selbst in die Röhre musste, sondern andere dabei überwachte. Vor allem aber waren es gesunde Freiwillige, die keine potentiell lebensbedrohlichen Krankheiten hatten, sondern für eine Tafel Schokolade oder eine kleine Aufwandsentschädigung ein wenig Zeit der Wissenschaft opferten.

»Kennst du dich damit aus?«, wollte Isabelle wissen.

Ich nickte. Ich konnte nicht behaupten, die genauen physikalischen Vorgänge zu begreifen, die dazu führten, dass man mithilfe eines starken Magnetfelds Gehirnaktivität messen konnte, aber im Prinzip quantifizierte man Änderungen in Durchblutung und Sauerstoffgehalt von Gehirnarealen, von denen wiederum auf Aktivitäten der entsprechenden Regionen geschlossen werden konnte. »Ich weiß, wie es funktioniert«, sagte ich einfach.

»Gut. Wenn du den Raum mit dem MRT betreten willst, darfst du nichts Magnetisches am Körper haben. Pack dein Handy, deine Uhr und alles, was du sonst noch hast, am besten in deinen Rucksack.« Sie sah mich abschätzend an. »Hast du irgendwelche versteckten Piercings?«

Ich bildete mir ein, dass sie leicht enttäuscht wirkte, als ich den Kopf schüttelte. Aber sie nickte nur und sagte: »Gut. Die hättest du sonst rausnehmen müssen.«

In diesem Moment klopfte es an der Tür zum Vorraum und Isabelle ging hinaus, um das Opfer, beziehungsweise den Freiwilligen, hineinzulassen. »Mach’s dir bequem«, rief sie mir zu. »Ich erklär dir gleich alles.«

Ich nahm auf einem der Bürostühle Platz und ließ meinen Blick über die Computermonitore schweifen. Auf einer Benutzeroberfläche mit vielen kleinen Fenstern waren Diagramme und Einstellungen abgebildet, andere waren schwarz und warteten offensichtlich auf Dateninput.

Durch die Glasscheibe konnte ich jetzt Isabelle sehen, die eine Studentin zum MRT führte, ein zierliches schwarzhaariges Mädchen, das höchstens zwanzig sein konnte. Sie trug einen einfachen grünen Kittel und offensichtlich keine Hosen. Isabelle bedeutete ihr, sich auf eine weiße Liege zu legen, brachte einige Klebe-Elektroden an und spannte dann ihren Kopf in ein weißes Gebilde ein, von dem ich wusste, dass es für die genaue Detektierung der Veränderungen im Gehirn verantwortlich war. Anschließend instruierte Isabelle das Mädchen und schob die Liege in die monströse Röhre. Dann kam sie zu mir in den Computerraum.

Sie drückte auf einen kleinen Knopf, der die Gegensprechanlage mit dem schallisolierten Raum aktivierte. »Ich starte jetzt die Aufnahme. Bleib ganz ruhig liegen.«

Isabelle klickte auf einigen Schaltflächen der Bediensoftware herum, und im Nebenraum begann das MRT deutlich hörbar durch die isolierten Glasscheiben zu brummen und dröhnen.

»Ich mache jetzt erst mal eine Messung im unerregten Zustand«, erklärte mir Isabelle.

Ich nickte. »Als Referenz.«

»Richtig. Danach messen wir, während sie sexuell erregt ist.«

»Und wie macht ihr das?«, fragte ich neugierig.

»Sie macht es sich selbst«, erklärte Isabelle schlicht.

»Hier, in der Röhre?«

»Ihre Muschi ist außerhalb.« Isabelle grinste. »Ihre Hände darf sie bewegen, nur den Kopf nicht. Ziel ist, dass sie sich zum Höhepunkt bringt.« Isabelles himmelblaue Augen strahlten, als sie mich ansah. »Ist das nicht spannend? Herauszufinden, was beim Orgasmus so im Kopf passiert?«

»Jaaah«, dehnte ich. Ich konnte ihr ja schlecht sagen, dass »spannend« nicht unbedingt das Wort war, das mir dazu spontan eingefallen wäre. Die Vorstellung, jetzt gleich zu erleben, wie diese junge Studentin sich selbst zum Höhepunkt masturbierte, während ich schon seit Monaten auf Sex-Entzug war, fand ich zugleich erregend und frustrierend.

Die erste Messung war nach einigen Minuten abgeschlossen. Isabelle betätigte wieder die Sprechanlage. »Du kannst jetzt anfangen, Maria.«

Zeitgleich drückte Isabelle noch einen weiteren Knopf, der die Jalousien an der Glasscheibe herabließ. »Damit sie ein wenig Privatsphäre hat«, erklärte Isabelle mir lächelnd. »Es ist so schon schwer genug in dieser Umgebung. Für Notfälle haben wir die Überwachungskamera«, sie deutete auf einen kleinen Monitor und zwinkerte mir zu, »aber verrate das den Studenten nicht.«

Durch die Lautsprecher der Gegensprechanlage drang jetzt ein leises, unterdrücktes Stöhnen. Ich blickte auf eine Darstellung des Gehirnscans, auf dem sich bunte Lichter bewegten.

»Das sagt dir gar nichts«, erklärte Isabelle, als sie meinen Blick bemerkte. »Um wirklich irgendwelche sinnvollen Ergebnisse zu bekommen, müssen die Daten ausführlich analysiert werden.«

Nach einigen Minuten erklang Marias leise Stimme: »Es klappt nicht.«

»Du machst das großartig«, behauptete Isabelle in das Mikrofon. »Versuch, dich zu entspannen.«

Nach einigen weiteren Minuten meldete sich Maria erneut. »Es geht einfach nicht.« Ihre Stimme klang zu gleichen Teilen entschuldigend und frustriert.

Isabelle drehte sich zu mir um. »Wer soll ihr zur Hand gehen?«, fragte sie. »Du oder ich?«

Ich starrte sie aus großen Augen an und glaubte zunächst, mich verhört zu haben. »Was?«

Isabelle zuckte mit den Schultern. »Sie schafft es nicht allein, sie braucht Hilfe.«

»Du willst da reingehen und sie befriedigen?«, vergewisserte ich mich ungläubig.

»Wenn du es nicht tun willst«, erwiderte Isabelle ungerührt. »Was glaubst du, wie wenigen es gelingt, sich in dieser Situation so fallen zu lassen, dass sie zum Orgasmus kommen? Wenn ich es ihnen selbst überlassen würde, bekämen wir nur von jedem zehnten Freiwilligen Daten, wenn überhaupt.« Sie zwinkerte mir zu. »Mit meiner Hilfe schaffen es fast alle.«

»Aber das kannst du doch nicht machen!«, stieß ich erschrocken hervor.

»Warum nicht?«, wollte Isabelle wissen. »Bist du einer von diesen Moralaposteln? Nur weil ich eine Frau bin, heißt das nicht, dass ich Sex und Gefühle nicht voneinander trennen kann. Und außerdem … warum sollen hier nur die Studenten ihren Spaß haben?«

Ich schüttelte den Kopf. Abgesehen davon, dass ich die Vorstellung unglaublich fand, dass jemand, um mehr Daten für eine Studie zu bekommen, massenweise fremde Menschen sexuell befriedigte, gingen meine Bedenken in eine völlig andere Richtung. Schließlich war ich durch und durch Wissenschaftler.

»Aber das verfälscht doch die Ergebnisse!« Ich dachte daran, wie peinlich genau ich bei meinen eigenen Experimenten darauf achtete, die Versuchstiere in keiner Weise zu beeinflussen.

Isabelle zuckte mit den Schultern. »Wieso denn? Wir wollen einen Orgasmus messen, oder? Ist doch egal, wie der zustande kommt.«

»Was soll ich machen?«, fragte Marias ungeduldige Stimme aus dem Lautsprecher. »Brechen wir ab?«

»Also willst du es ihr jetzt besorgen oder nicht?«, fragte Isabelle herausfordernd.

Mir fielen spontan mindestens ein Dutzend Gründe ein, wieso es überhaupt nicht wissenschaftlich korrekt war, was wir da taten. Aber andererseits – wie lange war es jetzt her, dass ich zum letzten Mal die Muschi einer Frau geschmeckt hatte? Die einzige richtige Antwort darauf war: viel zu lange.

Ich betätigte die Sprechanlage und räusperte mich. »Soll ich dir helfen?«

Einige Augenblicke war es still auf der anderen Seite, dann kam zögernd die leise Antwort: »Ja.«

Isabelle zwinkerte mir zu, als ich zur Tür ging. »Viel Spaß. Und sei nicht zu heftig, sonst verwackelt das Bild.«

Ich betrat den Untersuchungsraum und näherte mich dem MRT. Marias grüner Kittel war bis über ihren Bauchnabel hochgerutscht und gab den Blick auf ihre nackten, braungebrannten Beine und ihren Intimbereich frei.

Ich erinnerte mich daran, dass Marias Kopf im Inneren der Röhre festgeklemmt war und sie mich nicht sehen konnte. Um sie nicht zu erschrecken, sprach ich sie leise an: »Hallo Maria. Ist alles in Ordnung?«

»Ja«, kam die zaghafte Antwort aus dem Inneren.

»Versuch, dich zu entspannen«, riet ich ihr. »Schließ einfach die Augen und stell dir vor, du lägst auf deinem Bett.« Ich überlegte kurz. »Stell dir vor, du hast diesen netten und unglaublich süßen Typen kennengelernt, der dich jetzt verwöhnen will. Versuch, alles andere zu vergessen und dich fallen zu lassen.«

Marcs TageBuch - Teil 2 | Roman

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