Читать книгу Kriegerin der gekreuzten Schwerter - Sandy Sponhauer - Страница 7
1. Schriftrolle (Neue Erkenntnisse und weise Fortschritte)
ОглавлениеKapitel 1.1 (Tor der Hoffnung mit neuem Haupt)
Kapitel 1.2 (Buraschus, Festung aus grauer Vorzeit)
Kapitel 1.3 (In der Vorlesung)
Kapitel 1.4 („Was ist denn damals bloß mit ihr passiert?!”)
Kapitel 1.1
(Tor der Hoffnung mit neuem Haupt)
Sommer 2014. Sechs Monate waren inzwischen ins Land gezogen, seitdem das Denkmal der Unterdrückung an der A3 errichtet worden war. Doch dieses Mahnmal war der deutschen Regierung nicht genug, sie wollten mehr Menschen erreichen. Also wurde beschlossen ein weiteres Mal zu errichten. Diesmal dort, wo hunderte, ja sogar tausende Menschen im Jahr vorbei schreiten würden. Ein Tor, das die Menschheit bereits kannte - das Brandenburgertor! Im alten Stil mit neuen Glanz errichtet, sollte es eine neue Krone tragen. Gleich nachdem bekannt gegeben wurde, welches Haupt das Tor tragen wird, pilgerten abertausende zum Platz, der sich in mitten Berlins befindet. Noch in seiner Bauphase ist dies nun der meistbesuchte Ort der Welt. Dieses Bild, dieser Anblick aus dem altbekanntem Tor und dem neuem Haupt ist nun Sinnbild für Vergangenes und Neues, für alte Fehler und neuen Lehren, für Veränderungen, die stattfinden müssen und das Bündnis zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Es sind schon merkwürde Wege, die das Schicksal manchmal einschlägt, denn ist es doch Kaßandhra selber gewesen, die das Brandenburger Tor niedergerissen hatte. Und nun ist es ihr Gebilde, das als neues Haupt für Frieden und Hoffnung das Bauwerk krönt.
Kapitel 1.2
(Buraschus, Festung aus grauer Vorzeit)
24. Juni des selben Jahres
Ein großer Saal in einer namenhaften Universität. Dr. Mark Marino steht vor unzähligen Menschen und erklärt seine Version von den Teufelsreiterinnen. Aufgrund der Bezeichnung „Therapiegruppe Teufelsreiterin“ ist auch diese Vorlesung bis auf den letzten Platz besetzt. An diesen Vorträgen nehmen nicht nur interessierte Studenten teil, auch Kritiker und Skeptiker dieser Theorie sitzen regelmäßig im Publikum. Sogar Radiomoderatoren sind im Publikum zu finden. Grund für die negativen Meinungen dürfte wohl die „Schwarze Woche“ sein.
„Aber Dr.”, steht der Sprecher einer Menschenrechtsgruppe auf, „ich verstehe den Zusammenhang nicht ganz, wie kommen Sie auf Therapiegruppe?”
„Ich verstehe Ihre Zweifel”, sagt Mark und tritt einige Schritte vor. „Der Sinn einer Therapiegruppe ist doch der, sich gegenseitig zu stützen und untereinander Kraft zu schenken, damit alle Betroffenen ein negatives Erlebnis positiv verarbeiten können, oder nicht?”
„Das ist ja auch richtig”, antwortet der Sprecher. Und bevor der noch mal zu Wort kommt, fügt Mark schnell noch hinterher: „Sehen Sie. Und genau das, haben die Teufelsreiterinnen getan!” Der Sprecher steht erneut auf und sagt: „Sie haben zwar gute Argumente Dr., aber Sie müssen zugeben, was in Europa vor zwei Jahren geschah, hatte doch nichts mit der geistigen Verarbeitung von negativen Erlebnissen zu tun.”
„Das oder diese Dinger, die vor zwei Jahren über Europa stürmten, hatten eigentlich mit den Teufelsreiterinnen nicht viel zu tun. Sie waren das Ergebnis eines Fluches - nicht mehr und nicht weniger.“
Gerade, als Mark seinen Vortrag fortführen will, meldet sich der Sprecher wieder zu Wort: „Dr. Marino, ich habe die Vermutung, dass Sie wieder mal diese Truppen in Schutz nehmen.” So langsam beginnt dieser Typ nervig zu werden.
„Ich habe es damals gesagt und ich sage es wieder! Ich verteidige die Teufelsreiterinnen überhaupt nicht! Aber ich verlange Verständnis, weil ihren Taten negative Ereignisse vorausgingen, Punkt.”
„Und die Tatsache”, spricht der Sprecher siegessicher weiter, „dass Kaßandhra Ihre Frau in Nürnberg fast getötet hätte, lässt Sie weiter an ihre Denkweise festhalten?”
„Ja, denn sie hat ihr nichts getan.”
„Wieso eigentlich nicht? Gab es da nicht ein Gespräch?”, fragt der Sprecher grinsend.
„Ist das hier ein Verhör?”, wird Mark langsam sauer. „So, jetzt passen Sie mal auf mein Junge. Ich gebe Ihnen jetzt mal einen guten Rat. Wenn Sie das nächste Mal einen Saal betreten, dann lesen Sie erst einmal das Türschild. Soweit ich mich erinnere, befindet sich an dieser Tür kein Schild mit der Aufschrift Gerichtssaal.” Das Gelächter, das nun durch den Saal fährt, soll dem Sprecher gewidmet sein und gibt Mark doch eine positive Rückendeckung. Er hat zwar viele Gegner und Skeptiker, aber das, was hier gerade geschieht, tut ihm doch sehr gut. Beschämt verlässt der Sprecher den Saal, sehr zügigen Schrittes.
Nach dem Abendessen hat sich Mark ins Zimmer seines Hotels verzogen. Ein entspannendes Telefonat mit Dina bringt die nötige Ruhe. Mit hochgelegten schuhlosen Füssen genießt Mark die Stimme seiner Frau, die begeistert von ihren neusten Funden spricht: „Sowas habe ich vorher noch nie gesehen. Da liegen so viele Helme und Waffen, dass man sie gar nicht zählen kann.“
„Das klingt doch schön.“
„Wie war eigentlich dein Vortrag, Schatz.“
„Gut soweit, aber ich hatte wieder einen dieser Spinner im Publikum sitzen. Er wollte einfach nicht einsehen, dass du über die Sache in Nürnberg nicht reden willst.”
„Rege dich nicht auf. Die wirst du immer wieder treffen. Schließlich sagst du immer wieder deine Meinung und das gefällt einigen Leuten eben nicht. Die wollen dich bloß ärgern, wenn sie Nürnberg ansprechen“, sagt Dina mit doch sehr liebevollen Ton.
„Es ist mir irgendwie auch egal. Hat sich Leon schon bei dir gemeldet?”
„Ja, er ist begeistert von Buraschus. Wann fährst du wieder hin?“
„Morgen früh, direkt nach dem Frühstück. Ich denke, dass ich gegen elf dort ankommen werde.”
„Na dann hast du aber noch etwas Schlaf verdient. Mach nicht mehr so lange, hörst du Schatz?“
„Ja, wir sehen uns am Wochenende. Ich liebe dich mein Engel.”
„Ich dich mehr! Bey.“
Bis spät in die Nacht zeichnete Mark an den Skizzen von Buraschus und fertigte weitere Bilder und Zeichnungen an.
Am Morgen des darauf folgenden Tages bricht Mark sehr früh auf um seinen Sohn nicht allzu lange warten zu lassen. Nun liegen drei Stunden Autofahrt vor ihm. Nach einer stressigen Fahrt erreicht Mark um elf Uhr zweiundvierzig endlich die Ruinen von Buraschus, die etwa fünfundvierzig Kilometer westlich der deutsch-polnischen Grenze liegen. Sofort macht er sich einen Überblick über die bereits geschehenden Arbeiten und begrüßt eifrig seinen Sohn. Das Gebiet um die Stadtruine wird täglich größer, denn außerhalb der Stadtmauern gab es ebenfalls einige Gebäude, so wie die letzten Funde zeigen. Möglich, dass die Stadt im Wachstum stand. Auch diese Gebäude wurden zerstört und niedergebrannt. Die Grundmauern umfassten eine Fläche von 2.250 Metern Länge und 1.350 Metern Breite. Zur damaligen Zeit eine gewaltige Festung. Doch die Freilegungsarbeiten erweisen sich nicht gerade als einfach. Bäume und Sträucher haben die Ruinen überzogen und sind im Laufe der Jahrhunderte in jede Spalte und Steinritze eingedrungen. Hinter dem Osttor ist bereits seit Wochen ein Feld freigelegt. Hier liegen an die 4.000 Leichen, die mit unzähligen Pfeilen niedergeschossen wurden. Die Schlussfolgerung liegt nahe: Hier waren Scharfschützinnen von Majena am Werk. Einige Studenten arbeiten an dem Nordtor, denen sich Mark nun auch anschließt. Ein mächtiger Eingang, über einundzwanzig Meter breit. An beiden Seiten des Tores wurden Fundamente freigelegt, mit einer Seitenlänge von fünfzehn Metern, auf denen damals die enormen Türme standen. Wie hoch die Türme letztlich waren, lässt sich nicht mehr feststellen. Diese Tore gab es an allen vier Seiten der Stadt, so wie Wachtürme auf den Ecken der Stadt. Immer noch finden die Studenten Waffen Ausrüstungsgegenstände und Überreste von Menschen.
Es ist bereits zwölf Uhr siebenundzwanzig und es ist sehr warm. Dazu kommt noch die sehr staubige Luft, die sich überall in der Stadt befindet. Leon kommt zu Mark: „Paps, du solltest mal kommen, wir haben da was gefunden.” Mark begleitet Leon zu einer Stelle, die direkt Süd-östlich am Markplatz liegt. Eine große Fläche von achtzig Metern Breite und einhundertvierzig Metern Länge. Eingefasst in dicken Grundmauern, die ein großes Gewicht getragen haben dürften. Alles deutet daraufhin, dass hier einst eine große Halle stand. Schmalere Grundmauern im Innern zeigen, dass sich im hinteren Teil der Halle kleinere Zimmer befunden haben. Diese Halle können Mark und Leon noch keiner Bedeutung zuordnen und daher wird sie erst einmal die „Unbekannte Halle“ genannt. Inmitten der Reste dieser Halle haben Leon und einige Studenten eine grausame Entdeckung gemacht. Auf dem Boden der Halle fanden sie Überreste von Menschen. Alle gleich angeordnet und mit der gleichen Verletzung. Es sieht so aus, als wurde den Opfern der linke Unterarm gebrochen und der spitze Knochen in den Hals gerammt. Eine äußerst brutale, aber sehr effektive Tötungsmethode. Diese grausame Vorgehensweise könnte man schnell Lucila zuschreiben. Stunde um Stunde legen die Studenten eine Leiche nach der anderen frei. Um zwanzig Uhr dreißig sieht es nun so aus, als seien sie fertig. Leon und Mark stehen vor eine Reihe von achtundvierzig Skeletten mit der gleichen Verletzung. Mark schüttelt leicht den Kopf und sagt leise zu Leon: „Wir haben ja in den letzten Jahren so manche Grausamkeiten von Kaßandhra ans Tageslicht gebracht, aber das hier übersteigt alles Vorstellbare.”
„Ja”, antwortet Leon. Ein Student kommt zu Mark: „Dr., sind Sie sicher, dass hier wirklich die Teufelsreiterinnen gewütet haben?”
„Ja, so ziemlich. Lassen Sie uns morgen weitermachen. Es ist schon spät.”
An diesen sehr schönen und sonnigen Abend sitzt die ganze Gruppe auf einer Wiese nahe ihrer Unterkunft. Sie haben sich nach den wohltuenden Duschen und dem Abendessen hier zusammengefunden, um noch einmal die Ereignisse des Tages zu reflektieren. Mark freut sich natürlich sehr, dass viele seiner Studenten sein Buch gekauft haben und nun als zusätzliches Nachschlagewerk nutzen. Nach reichlichen Gesprächen und Diskussionen meldet sich ein Student bei Mark: „Dr, ich finde Ihr Buch sehr gut und wirklich informativ, doch eine Sache steht nicht drin.”
„Und was wäre das?”
„Dr., ihre Verwandlung. Ich meine, wie sie von einer harmlosen Bauerntochter zur landesweit gefürchteten Massenmörderin wurde, das finde ich nicht.”
„Nun, das steht nicht drin, weil uns auf die Frage nur die Vergangenheit eine Antwort geben kann.”
„Ok Dr., die Antwort hat gesessen.”
Ein herzliches Lachen lockert die Runde auf. Was für ein herrlicher Sommerabend, gefüllt mit leichtem Wind und zarten Wolken.
Kapitel 1.3
(In der Vorlesung)
Trotz der Tatsache, dass die Harfe der Kaßandhra der Öffentlichkeit unzugänglich gehalten wird, kamen die Veranstalter und Verwalter des Museums in Alexandria kaum mit der Lieferung der Eintrittskarten nach. Der Andrang war einfach zu gewaltig geworden. Doch ganz plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, wurde das Museum vor wenigen Wochen geschlossen. Gründe hierfür werden strengstens geheim gehalten. Auch die ägyptische Polizei oder die Regierung halten etwaige Gründe zurück. Selbst Dina oder Mark wurden nicht informiert.
26. Juni
Seit einer Woche ist Dina aus Ägypten zurück. In ihrer heutigen Vorlesungen sind ihre aktuellsten Ausgrabungen ihr Thema. So wie es bei Mark auch immer wieder vorkommt, ist auch ihre Vorlesung wieder bis auf den letzten Platz gefühlt.
Dina steht hinter einem Pult. Hinter ihr hängt eine große Leinwand an der Wand. Stolz berichtet sie über die letzten Funde und berichtet über eine große Schlacht mit mehreren Völkern, die vor den Toren Alexandrias stattgefunden haben muss. Welche Völker es waren, ist bereits geklärt. Dann steht ein Student auf. „Also standen die Teufelsreiterinnen mit den Ägyptern gegen die Germanen, Gallier und Kelten?”, fragt der Student.
„Diese Völker ja, aber”, antwortet Dina, „nicht in dieser Konstellation. Sondern Gallier und Germanen gegen Kaßandhra, Ägypter und Kelten. Nun, es gibt zwei Punkte, die für diese Gruppierungen sprechen.”
Dina tritt vor das Pult: „Und? Welche Punkte könnten das sein? Zum einen, der hohe Anteil von fast neunzig Prozent an germanischen und gallischen Fundstücken, also neun von zehn Helmen waren germanisch und gallisch und das zweite, dafür sehen Sie bitte mal zur Leinwand.” Dina aktiviert ein Video. „So“, beginnt sie. „Dieser Mann hat einen alteuropäischen Kampfstil studiert. Sehen Sie sich seine Bewegungen an und nun sehen Sie sich diese Aufnahme an.” Sie aktiviert das zweite Video. Auf der Leinwand ist Kaßandhra zu sehen, bei ihren ersten Angriff auf der A3.
Ein anderer Student steht auf: „Aber ist der gleiche Stil.”
„Richtig“, antwortet Dina. „Können Sie mir auch sagen, welcher Stil das ist?”
Nach einigen Sekunden des Überlegens antwortet der Student etwas zögernd: „Ich glaube, keltisch?”
„Ist das eine Frage?“, sagt Dina laut.
„Es ist keltisch!“, antwortet der Student schließlich deutlich aussagend.
„Exakt! Gut aufgepasst. Kaßandhras Stil ist ebenfalls keltisch.” Dina stützt sich mit dem Rücken an das Pult. „Nun“, fragt sie alle ansehend, „wie kann das sein?“ Der gleiche Student steht erneut auf: „Vielleicht ist sie bei einem keltischen Stamm aufgewachsen.”
„Wäre möglich, da gibt es bloß einen kleinen Widerspruch. Wenn sie wirklich bei den Kelten aufgewachsen wäre, dann wäre sie nicht als germanische Bauerntochter in den Geschichtsbücher beschrieben worden, oder?”
Ein weiterer Student meldet sich: “Dr. ich habe mal eine Frage zu einem anderen Punkt.”
„Schießen Sie los.”
„Dr., Die Teufelsreiterinnen waren doch etwa ein Jahr in Ägypten. Wäre es denkbar, naja, dass Kaßandhra und Neos ein Kind hatten?”
Dina wirkt nachdenklich. „Durchaus denkbar“, streicht sie sich am Kinn, „aber ich glaube es ist nicht so.”
Eine Studentin meldet sich und Dina winkt ihr zu: „Ja bitte.”
„Könnte es sein, dass sie ein Kind hatten, es aber vor dem Volk versteckt hielten?”
„Aus welchem Grund?”, fragt Dina.
„Wenn uns die Geschichte doch eines gelehrt hat, dann das Thronfolger, besonders im Kindesalter, sehr gefährlich lebten.”
„Interessante Theorie! Wie untermauern Sie ihre These?”
„Also ganz ehrlich, das ist nur eine Vermutung.”
„Genau, nur eine Vermutung. Aber wir arbeiten mit Fakten und Beweisen und für ein Kind gibt es nun mal keine Beweise.”
Kurz vor Schluss macht Dina noch eine Ansage: „Nicht vergessen, wir fliegen in vier Wochen wieder nach Alexandria. In einer Woche liegen die Namen aus, wer mitfliegen wird.”
„Dr.?“, fragt ein Student noch laut durch das Getöse im Saal, „warum ist das Museum eigentlich geschlossen worden?”
„Das kann ich nicht sagen. Es sollte Sie auch nicht beschäftigen. Danke dann erstmal.”
Während die Studenten den Hörsaal verlassen, bleibt Dina noch einige Minuten an ihrem Pult. Es stört sie doch ungemein, dass gerade sie die Gründe für die Schließung des Museums nicht erfährt. Das Schweigen ist seltsam!
Kapitel 1.4
(„ Was ist denn damals bloß mit ihr passiert?” )
27. Juni
Es ist neunzehn Uhr sechzehn und Mark sitzt auf der Terrasse seines recht ansehnlichen Anwesens und genießt sein Wochenende. Eine Terrasse, die fünf Meter weit in den Garten ragt, stolze sieben Meter Länge misst und außerdem im ägyptischen Stil gehalten ist und mit weißen Marmorplatten belegt wurde. Eingefasst mit einigen weißen Säulen, auf denen Blumen ihre Ranken herunter hängen lassen. Ein traumhafter Anblick, der an die Terrasse eines Pharaos erinnert.
Die Vögel singen in den Baumkronen und in seiner Hand hält er ein Glas Wein. Wieder ist er in seiner Gedankenwelt vertieft, während ihm eine warme Sommerbrise um die Ohren bläst. Er sieht auf sein Grundstück und denkt und denkt und denkt.
Vor kurzem hatte Mark ein Telefonat mit einem japanischen Archäologieprofessor namens Dr. Jan Fing Shu, Direktor des Geschichtsmuseum in Kairo, der um einen Besuch bat. Diesem willigte Mark ein, doch der Grund des Besuches wollte Mister Shu nicht verraten. In einigen Tagen wird der Professor bei den Marinos eintreffen. Ins geheime hoffen Dina und Mark doch, dass Mister Shu die Gründe der Schließung offenbart.
Dina kommt zu Mark und bemerkt die leichte Abwesenheit ihres Mannes, denn sein Glas hatte er noch immer nicht angerührt. Liebevoll fragt sie ihn: „Was hast du?”
Mark schüttelt leicht den Kopf: „Sag mal Engel, was wissen wir eigentlich über Kaßandhra?”
„Du und Doc wisst eigentlich alles und ihr seid weltweit die herausragendsten Experten von Kaßandhra! Wieso fragst du?”
„Das Massengrab und das, wie die Menschen dort liegen. Das geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Das war nicht einfach nur eine Hinrichtung, das hatte einen spezielleren Hintergrund, nur welchen?“
„Du solltest mal lernen abzuschalten, mein Schatz“, lächelt Dina ihren Mann an. Es klingelt an der Tür und Dina geht los. Mark bleibt auf seiner Terrasse sitzen und denkt weiter nach. Der Besuch betritt die Terrasse. Mark begrüßt diesen: „Hey Doc, wie war die Ausgrabung?”
„Ganz gut. Aber du? Du siehst nicht gut aus“, sagt Doc zu Mark. Auch Ulrike ist dabei. Nach dem Verlust ihrer Wohnung, während der Schwarzen Woche in Berlin, hatte sie auch ihren Job gekündigt und ist schon vor längere Zeit wieder mit Doc zusammengezogen. Sie hat sich inzwischen mit dem zeitintensiven Beruf Docs abgefunden und mit ihm entsprechende Kompromisse geschlossen. Mit Dina hat sie sich in die Küche zurückgezogen. Freundlich bietet Mark Doc ebenfalls ein Glas Wein an, doch er winkt ab und möchte lieber ein kaltes Bier. Der Staub der Wüste sitzt ihm noch in der Kehle. Mark geht zur Küche und holt gleich zwei. Als er zurückkommt, bemerkt Doc allerdings schnell, dass sein Freund nicht so ganz bei der Sache zu sein scheint und so fragt er ihn: „Was ist denn los? Du wirkst, als wärst du in einer anderen Welt.“
„So ähnlich. Sag mal, was wissen wir eigentlich über ihre Entstehung?”
„Von wem genau reden wir gerade?”
„Kaßandhra! Mal ehrlich, was wissen wir?”
„Also, alles würde ich frech behaupten.”
„Nein - das tun wir eben nicht! Wir wissen teilweise was sie getan hat, doch wer sie war, wissen wir so gut wie nicht. Es muss doch irgendein Ereignis gegeben haben, das ihr Leben so gedreht hat, von der Bauerntochter zu dem? Aber wie? So viele Jahre der Forschung und nie haben wir uns diese Frage gestellt.“
„Ich verstehe, jetzt wo du es sagst. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Wie kommst du jetzt darauf?”
„Das Grab! Das Grab in Buraschus und die Hetzrede. Man fragt sich, welche Grausamkeiten wir noch alle finden und was war es, was sie trieb?“
Docs Tochter Melissa kommt in den Garten gerannt und spielt mit Ramses, einem alten Schäferhund, den Mark von einem Nachbarn in seine Obhut nahm. In der Abwesenheit von Mark und Dina kümmert sich das Dienstmädchen um den liebevollen Hund. Mark beobachtet das gerade vierzehnjährige Mädchen, so wie auch Doc: „Jaja Mark, wie schnell sie erwachsen werden. Gestern war ich wieder mit ihr einkaufen …”
„Ich kann es nicht verstehen”, unterbricht Mark Doc. „Wie geht das?”
„Wie geht was?”, sieht Doc nun Mark fragend an.
„Sieh sie dir an. So sollte sich eine Vierzehnjährige verhalten, mit Hunden spielen und einkaufen gehen und nicht mordend Dörfer plündern. Was ist denn damals bloß mit ihr passiert?!”
Ende der 1. Schriftrolle