Читать книгу Seal Team 9 - Sarah Glicker - Страница 4
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„Wollen Sie in dieser Stunde wieder schweigen?“, erkundigt sich mein Psychiater, als ich bereits seit einer viertel Stunde vor ihm sitze, ohne ein Wort von mir zu geben, und sieht mich herausfordernd an.
Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck erwidere ich seinen Blick. Auf diese Weise zeige ich ihm, dass ich besseres wüsste, was ich mit meiner Zeit anstellen könnte, anstatt erneut hier zu sitzen und die Zeit totzuschlagen.
Meine Muskeln sind angespannt und meine Hände haben sich zu Fäusten geballt. Ich werde mein Schweigen nicht brechen, weder jetzt noch sonst irgendwann. Ich habe überhaupt keinen Grund, das zu machen. An meiner Geschichte würde es ja doch nichts ändern.
Ich muss meinen eigenen Weg finden, um damit zu klarzukommen.
„Ich kann Ihnen dabei helfen, die Vorkommnisse zu verarbeiten“, erklärt dieser nun, als könnte er meine Gedanken lesen. So zieht er meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Das ist der Satz, den ich in den letzten vier Wochen in jeder Sitzung mehrmals gehört habe. So oft, dass ich es nicht mehr zählen kann. Doch auch dieses Mal ändert er nichts daran, dass ich den Mund halten werde.
Ich habe meine Entscheidung bereits für mich getroffen und es gibt keinen Grund, wieso ich nun eine andere Einstellung dazu haben sollte.
„Gut“, murmelt er schließlich, lässt sich nach hinten sinken und verschränkt die Arme vor der Brust. „Dann werden wir die restlichen fünfundvierzig Minuten schweigen.“
Mit diesen Worten legt er den Block, den er in der Hand hält, auf einen kleinen Tisch und verschränkt die Arme vor der Brust. Mir ist bewusst, dass er mich so aus meiner Reserve locken will, doch das wird er nicht schaffen.
Während meiner Gefangenschaft haben das schon andere versucht und sind gescheitert.
Auch wenn er nichts weiter dazu sagt, so merke ich, dass er mich aufmerksam betrachtet. Nichts entgeht ihm. Allerdings gehe ich nicht näher darauf ein, sondern beachte ihn nicht weiter. Mir ist bewusst, dass es sicherlich ein paar Soldaten gibt, die sich früher oder später verraten, doch ich wäre kein Navy Seal, wenn ich mich nicht besser unter Kontrolle hätte.
Als ich seine Praxis endlich verlassen kann, stapfe ich mit schlechter Laune an der Frau vorbei, die am Empfang sitzt, und knalle die Tür hinter mir ins Schloss. Es ist mir egal, ob sie etwas dafür können, oder nicht. Ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich mit niemandem sprechen will. Und das schon alleine deswegen, weil ich wieder eine Stunde meines Lebens hier vergeuden musste.
Draußen bleibe ich einen Moment vor der Eingangstür stehen, atme tief durch, um mich wieder zu beruhigen, und beobachte die Menschen, die sich um mich herum befinden. Einige Sekunden betrachte ich sie. Dabei schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass sie Glück haben, dass sie nicht meine Erfahrungen machen mussten.
Dies ist etwas, was ich wirklich niemanden wünsche. Selbst meinen Teamkameraden nicht. Nachdem sie mich befreit haben, habe ich erst einmal nicht mit ihnen gesprochen. Ich brauchte ein paar Tage, bis die Wut verschwunden ist, die ich auf die Männer hatte, die mich gefangen gehalten haben. Doch das war nicht mein einziges Problem.
Die Verletzungen an meinem Oberkörper sahen sehr schlimm aus, sodass ich lange im Krankenzelt bleiben musste, bis ich schließlich ausgeflogen werden konnte. Und noch länger hat es gedauert, bis die Schmerzen endlich verschwunden sind. Obwohl sie das noch nicht einmal sind.
Noch immer spüre ich die Hitze des Feuers auf den Narben und spüre die Schläge mit den Seilen, die auf mich niedergegangen sind.
Schließlich setze ich mich in Bewegung und gehe die Straße hinunter. Ich halte auf die Kneipe zu, die sich an der nächsten Straßenecke befindet. Ohne zu zögern betrete ich sie und lasse mich an der Theke auf einen freien Hocker sinken.
„Tequila“, rufe ich der Frau zu, die sich hinter der Bar befindet.
Einen Augenblick sieht sie mich nachdenklich an. Ich weiß, dass sie niemals fragen würde. Schließlich bin ich nicht der einzige Mann, der sich hier besäuft, um sich nicht mit seinen Problemen auseinanderzusetzen. Doch das ändert nichts daran, dass sie sich darüber den Kopf zerbricht.
Kurz nickt sie, ehe sie nach einem kleinen Glas und der Flasche greift, die sich hinter ihr befinden.
„Ich nehme die Flasche.“ Mit diesen Worten lehne ich mich ein Stück nach vorne und nehme sie ihr aus der Hand.
Im ersten Moment sieht sie mich verblüfft an. Ich weiß, dass sie keine Ahnung hat, wie sie darauf reagieren soll, doch das ist mir egal. Und genauso egal ist mir, dass das wahrscheinlich nicht sehr oft passiert.
Die meisten Männer, die herkommen, besaufen sich wahrscheinlich langsam, sodass sie es merken, wie die Welt um sie herum langsam verschwimmt. Ich hingegen habe den Wunsch, diesen ganzen Mist zu vergessen. Und zwar so schnell es geht. Das kann ich nur, wenn ich mir die Kante gebe.
Ich nehme einen großen Schluck aus der Flasche, bevor ich mein Handy aus der Hosentasche ziehe. Mir ist bewusst, dass die Frau mich dabei nicht aus den Augen lässt. Doch ich kümmere ich mich überhaupt nicht weiter um sie. Stattdessen entsperre ich das Display und werfe einen Blick darauf.
Meine Freunde und Kollegen habe unzählige Male in den letzten Stunden versucht mich zu erreichen. Doch ich habe keinen der Anrufe entgegengenommen. Seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus war es die meiste Zeit so.
Sie machen sich Sorgen um mich und wollen mir helfen. Das weiß ich, doch ich will mich nicht mit ihnen sprechen. Sie würden mir nur sagen, dass ich mich wenigstens mit ihnen unterhalten soll, egal worum es geht, doch auch das will ich nicht.
Wir haben zwar den gleichen Job und sie würden mich verstehen, doch auch das ändert nichts an meiner Einstellung. Ich will sie mit dieser Geschichte nicht belasten. Und wenn wir es genau nehmen, würde ich genau das machen.
Ich will mich mit keinem darüber unterhalten!
In dem Moment, in dem ich das Telefon aus meiner Hand legen will, wird der nächste eingehende Anruf angezeigt. Doch ich beachte es nicht weiter. Stattdessen werfe ich es neben mich auf die Theke und nehme noch einen großen Schluck aus meiner Flasche.
Es dauert nicht lange, bis der Nebel um mich herum einsetzt und ich den ganzen Ärger vergesse, der in meinem Leben passiert ist. Wenigstens so weit, dass ich endlich wieder befreiter Atmen kann.
Was mir widerfahren ist, ist nichts, was man einfach zur Seite wischt und weiter macht. Mein Körper ist für immer entstellt und mein Leben ein Trümmerhaufen. All das, wofür ich die letzten Jahre gearbeitet habe, wofür ich mir den Arsch aufgerissen habe, ist in diesen wenigen Tagen in Syrien zerstört worden. Und bis jetzt habe ich keine Ahnung, ob ich überhaupt wieder in meinem Beruf arbeiten kann.
„Was?“, knurre ich einen der Gäste an, der wenige Meter von mir entfernt sitzt.
Nachdenklich sieht er mich an. Ein wenig macht er den Anschein auf mich, als würde er mich fragen wollen, welche Laus mir über die Leber gelaufen ist. Doch genauso schnell schaut er wieder zur Seite.
Kurz blickt er mich noch an, doch dann dreht er sich wieder in die andere Richtung.
Ist auch besser so, denke ich zähneknirschend.
Gerade trauen sich nur die Männer in meine Nähe, die mich kennen und mich einschätzen können. Sie können mir die Stirn bieten und haben kein Problem damit, sich auch mal mit mir zu prügeln, damit ich meine angestaute Energie loswerde. Und wenn man es genau nimmt, dann habe ich genau dazu Lust.
Ich habe Lust, mich mit dem nächstbesten zu prügeln. Und dabei geht es nicht einmal unbedingt nur um das Gewinnen. Nein, es wäre mir sogar recht, wenn ich verliere. Vielleicht würde mein Gegner mich bewusstlos schlagen und so dafür sorgen, dass ich mich wenigstens für einen kurzen Moment nicht mehr mit diesem Mist beschäftigen muss.
Seit zwei Stunden sitze ich schon in der Bar und habe nicht nur die Flasche Tequila leer gemacht, sondern auch mehrere Flaschen Bier in mich geschüttet. Doch nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen merke ich, dass es nichts bringt. Auf jeden Fall nicht in dem Ausmaß, wie ich es gerne hätte. Diese Erinnerungen lassen sich nicht fortwischen, egal wie sehr ich es versuche.
Da ich nicht mehr in der Lage bin, alleine nach Hause zu fahren, habe ich vorhin den einzigen Mann angerufen, der mir nicht ständig auf die Nerven geht. Klar, er wird sich auch den einen oder anderen Kommentar nicht verkneifen können, aber das ist mir egal.
Ryan hat mir einmal klar zu verstehen gegeben, dass ich mich jederzeit auf ihn verlassen kann. Doch er wird mir auch nicht jeden Tag damit auf die Nerven gehen.
Und darüber bin ich froh.
Sollte ich es mir irgendwann doch noch einmal anders überlegen, wovon ich nicht ausgehe, weiß ich, wo ich ihn finden kann.
„Ich hoffe, es hat sich wenigstens gelohnt“, stellt er fest, als ich aus der Bar getorkelt komme.
Ryan hat sich an seinen Wagen gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ich erkenne das hinterhältige Grinsen auf seinen Lippen. Sein wachsamer Blick nimmt alles an mir in sich auf, sodass ihm nichts entgeht. Doch das ist unserer Ausbildung verschuldet. Sollten wir etwas übersehen, bezahlen wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit unserem Leben.
Wäre ich noch etwas nüchterner, würde ich darauf eingehen. Doch ich bin mir sicher, dass er das nicht machen würde, wenn ich noch etwas nüchterner wäre.
Aus diesem Grund verkneife ich mir jeden Kommentar, um es nicht noch weiterzutreiben.
„Bring mich einfach nur nach Hause“, weise ich ihn an und lasse mich auf den Beifahrersitz sinken, nachdem ich an ihm vorbeigegangen bin.
An seinem Blick erkenne ich, dass er noch etwas von sich geben will. Doch er macht es nicht. Und das ist wahrscheinlich auch besser so. Stattdessen startet er schweigend den Wagen und bringt die ersten Meter hinter sich.
„Weißt du schon, wann du wieder zum Dienst kommen wirst?“, fragt er mich schließlich.
„Sehe ich aus, als würde ich wieder arbeiten wollen?“
„Ich könnte verstehen, wenn du es nicht tun wollen würdest. Doch wir beide wissen genau, dass das nicht der Fall ist. Du liebst deinen Job viel zu sehr, als dass du dich wirklich willst. Aber vielleicht würde es dir helfen, wenn du wenigstens mal wieder zum Training kommen würdest. Du weißt schon, um nicht aus der Übung zu kommen und um den Kopf frei zu bekommen.“
Auch wenn ich betrunken bin merke ich, dass er seine Worte ernst meint. Und ich muss wenigstens vor mir selber zugeben, dass ich es auch gerne würde. Doch ich kann es einfach noch nicht. Und ich weiß auch nicht, wann ich wieder dazu in der Lage sein werde.
Oder ob ich das überhaupt sein werde.
Als Antwort gebe ich nur ein schlecht gelauntes Brummen von mir. Sein leises Lachen zeigt mir, dass er mich verstanden hat und er sich auch ein klein wenig darüber lustig macht. Doch ich gehe nicht näher darauf ein. Stattdessen schließe ich lieber meine Augen, bis er vor meinem Haus stehen bleibt.
„Ich wusste ja gar nicht, dass du neue Nachbarn bekommst“, stellt er schließlich fest.
Langsam öffne ich meine Augen und betrachte den LKW, der in der Einfahrt des Nachbarhauses steht. Die Ladefläche ist geöffnet und ein paar Kartons stehen daneben verteilt.
„Na super“, grummle ich nur, schnalle mich ab und steige aus.
In der Sekunde, in der ich die Tür hinter mir schließe, sehe ich, dass eine junge Frau aus dem Haus kommt. Sie ist vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als ich. Ihre blonden Haare sind s lang, dass sie beinahe ihren Hintern berühren. Ihre Figur sportlich und passt perfekt in die engen Klamotten, die sie trägt und wirklich nichts der Fantasie überlassen. Jede einzelne Rundung kann ich erkennen.
Unter anderen Umständen würde ich versuchen, sie ins Bett zu bekommen, das ist mir sehr wohl bewusst. Und genau bewusst bin ich mir darüber, dass sie mir nicht entkommen könnte. Doch nun bin ich eher genervt von ihr, als sie mich freundlich anlächelt.
Ehe ich in meinem Haus verschwinden kann, kommt sie bereits auf mich zu.
„Hi, ich bin Kendra, die neue Nachbarin“, stellt sie sich mir vor und streckt mir ihre Hand entgegen.
Allerdings beachte ich sie überhaupt nicht, sondern gehe schweigend an ihr vorbei.
„Sie scheinen einen schlechten Tag zu haben.“
Kaum hat sie mit ihrer unsicheren Stimme die Worte ausgesprochen, drehe ich mich in ihre Richtung und gehe wieder zurück. Dabei sehe ich sie bedrohlich an. Doch aus irgendeinem Grund scheint es sie nicht zu interessieren.
Jede andere Frau würde jetzt wahrscheinlich einen Schritt nach hinten machen. Schließlich kennt sie mich nicht und hat keine Ahnung, ob ich wirklich eine Gefahr für sie darstelle, oder nicht. Doch Kendra betrachtet mich nur mit einem herausfordernden Blick, als ich mich ihr langsam nähere.
„Du kannst dir nicht einmal vorstellen, was für einen“, fahre ich sie an, bevor ich endgültig im Inneren meines Hauses verschwinde.