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Kapitel 2

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„Eine weitere Frau ist verschwunden. Der Kommissar Lainer mit den aktuellen Ergebnissen der Ermittlungen:...“

Chris schaltete den Fernseher aus und legte die Hände wieder auf die Knie. Die Nachrichten interessierten ihn nicht. Ihn interessierte der Inhalt des kleines Gegenstandes, der vor ihm auf dem Tisch lag. Sein Blick huschte zur Seite, auf einen zerknitterten Zettel.

Nachdem der junge Mann in seine Wohnung gekommen war, hatte er sich einen Kaffee zubereitet und pfeifend eine Dokumentation über die Antarktis angesehen.

Doch seine Gedanken hatten sich einfach nicht von dem Gespräch mit dem Alten lösen wollen, egal was er für tatkräftige Ablenkungsmanöver unternommen hatte. Darum hatte er mit aller größter Vorsicht das Päckchen auf den Tisch abgelegt und es eine geschlagene halbe Stunde lang angestarrt.

Dann war ihm der Zettel wieder in den Sinn gekommen. Was verbindet diese beiden Gegenstände? Was hat das alles mit mir zu tun?, hatte er sich gefragt und war dabei immer wieder über sein Kinn gefahren.

Chris wollte sich selbst nicht eingestehen, dass er Angst vor dem Inhalt des Päckchens hatte. Welcher Mann hatte denn Angst vor so einem kleinen Ding? Doch es war kein einfaches kleines Ding, dass wusste er. Es war nicht die Größe, die die wachsende Abscheu in ihm hervorrief, sondern die Art, wie es verpackt wurde. Es war mit aller größter Ordnung gefalten. So, wie als hätte jemand gewollt, dass es Eindruck erweckte. Und das tat es. Doch die Verpackung bestand aus alten, dreckigen Zeitungsartikeln und war teilweise mit Klebeband geflickt wurden.

Nein, Chris verstand den Macher dieses Päckchens nicht. Und in seinem tiefsten Inneren wollte er das auch ganz und gar nicht.

Darum schnappte er sich den Zettel und überflog ihn noch einmal.

Und da weiteten sich seine Augen und er spürte, wie sein Kopf das Puzzle zusammenfügte.

Nimm es mit, ohne es zu öffnen, stand da in dieser unvertrauten Handschrift geschrieben. Chris hatte es versucht zu öffnen. Aber er hätte es nicht tun sollen. Es wurde ihm in diesem Brief verboten.

„Analyse bezieht sich nicht immer nur auf Situationen.“, wiederholte der junge Mann die Worte des Alten. Hatte er von dem Brief gewusst? Warum sonst hatte er ihn davon abgehalten das Päckchen zu öffnen?

Ein Schauer fuhr dem jungen Mann den Rücken entlang. Was war das für ein Spiel? Und die wichtigste Frage: Wer war der Spielmacher? Chris Augen fixierten wieder das Ding auf dem Tisch. Ich muss es öffnen, wenn ich Antworten haben will.

Er atmete tief durch und in seinem Inneren rebellierte alles, als er den Gegenstand berührte. Er malte sich aus, was sich alles hinter der bedenklichen Verpackung befinden könnte. Darunter Dinge, die ihm den Mageninhalt nach oben trieben. Doch er wollte sich nicht so anstellen. Schließlich war er 25 Jahre alt.

„So ein Ding macht mir keine Angst!“, sagte er grimmig zu sich selbst und entfernte mit einer schnellen Bewegung das dreckige Papier.

Er war gerade dabei seine sieben Sachen zu schnappen und aus der Wohnung zu fliehen, als er sich den Gegenstand genauer ansah. Es war keine Bombe, so wie er vermutet hatte. Es war auch kein Scherzartikel oder irgend eine Art grausamer Gegenstand.

Chris setzte sich wieder und hob den Gegenstand auf, der ihm bei aller Eile auf den Boden gefallen war.

Es war ein Buch.

Der junge Mann sah es sich genauer an. Es hatte einen roten Einband, war eingerissen und kaputt. Das Buch sah so aus, als wäre es nach Jahren wieder ausgegraben wurden. Doch egal wie er es drehte und wendete, er fand keinen Namen. Auch keine Jahreszahl oder irgendetwas, dass etwas über die Vergangenheit des Buches verraten hätte. Voller Neugier klappte er das Buch auf. Doch im nächsten Moment schlug er es gleich wieder zu. Sein Gesicht war marmorweiß und das Blut verließ seine Hände und Füße. Kalte Angst kroch ihm unter die Haut und er sprang vom Sofa auf und zog alle Vorhänge zu, aber nicht ohne einen wachsamen Blick nach draußen zu werfen. Als er sich umdrehte, fühlte er sich verfolgt. Hinter jeder Ecke sah er eine Gestalt und jedes Geräusch ließ sein Herz für einen Moment aussetzen. Scheiße, scheiße, scheiße!

Hektisch schnappte er sich das Buch und raste wie ein Irrer in das Badezimmer, das bei Weitem das kleinste Zimmer in seiner Wohnung war. Seine zitternden Hände erlaubten es ihm nicht, das Schloss hinter sich zu verriegeln, so sehr rutschten sie von ihrem Ziel ab.

Chris versuchte sich zu beruhigen. Er holte tief Luft und dachte an seine Mutter, die er schon im frühen Kindesalter verloren hatte. Und er dachte an seinen Vater, der ihm immer wieder gesagt hatte, dass Güte wichtig war, für ihn und für die anderen. Und er dachte daran, wie sie alle zusammen am See saßen und gelacht haben, glücklich waren und wie stolz sein Vater gewesen war, als Chris doch tatsächlich eine alte, verrostete Dose aus dem Wasser gefischt hatte. Es war ein wunderschöner Tag. Und er dachte daran, dass der Tag, an dem ihm sein Großvater das Feuer machen beigebracht hatte, auch ein schöner gewesen war.

Als Chris wieder die Augen öffnete, fühlte er sich beschützt. Seine Mutter war bei ihm. Und wenn er seinen Vater jetzt anrufen würde, dann würde auch dieser sofort zu ihm fahren. Mit seiner Familie im Herzen trat eine sanfte Ruhe in ihn. Der junge Mann verschloss nun ruhig und langsam die Badezimmertür und setzte sich auf den Boden, neben das Waschbecken.

Interessiert nahm er das Buch wieder in die Hände.

In ihm war es still, nur in einer ganz kleinen Ecke in seinem Körper verspürte er Angst. Aber diese wurde zurück gedrängt. Von seinem Opa vielleicht? Oder eher von seiner lieben Oma, die ihm heute noch jeden Samstag einen Kuchen vorbeibrachte und ihm immer mit einem Lächeln das Lied sang, dass sie immer zu dritt mit seiner Mutter gesungen hatten?

Ein liebevolles Grinsen huschte über sein Gesicht, als er an sie alle dachte.

Doch nun schenkte er seine Aufmerksamkeit dem Buch in seinen Händen. Das was ihn so verrückt gemacht hatte, waren drei einfache Worte, auf der ersten Seite.

Vielleicht war es ja auch nur Einbildung?, fragte er sich hoffnungsvoll. Doch als er das Buch erneut aufschlug, sah er, dass er sich nicht getäuscht hatte.

Er betrachtete die Seite, die mit verschiedenen Farben verziert wurde. Es waren einfache Symbole, wie die Sonne oder Bäume zu sehen. Aber auch komplexe Bilder, wie zwei Menschen, die sich stützten und ein Hund, der in seiner Hundehütte saß und zufrieden in die Augen seines Betrachters sah.

In der Mitte der Seite wurden drei Wörter mit goldener Farbe umrahmt und verliehen diesem ganzen Erscheinungsbild einen stimmigen, einladenden Charakter.

Chris las die Worte nun immer wieder und wieder. Wiederholte alles, was er wusste. Versuchte den Zettel mit diesem Päckchen und dem Mann zu verbinden, doch für ihn gab es keine Verbindung. Für ihn gab es einen großen Zufall, doch er glaubte nicht an Zufälle und darum war es schwer für ihn, sich diese einfache Ausrede zu glauben. Nein, dass kann kein Zufall sein. Es hat etwas zu bedeuten, da bin ich mir ganz sicher, dachte er sich grübelnd.

Und wieder las er die drei Worte. Doch es waren nicht nur Worte, nein. Sie verschmolzen und wurden zu einem Namen.

Er schluckte, ehe er mit zitternder Stimme flüsterte:„Merlia Jäger. Tagebuch.“

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