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In der brütenden Hitze des Freitagnachmittags stand Andreas Papadopoulos mit seinem Kameraden Panos Stratigis in voller Montur am Wachhaus der Venizelos-Kaserne, ein paar Kilometer außerhalb von Athen. Sie trugen Bajonette über der Schulter, schwitzten und langweilten sich. Aber in einer Stunde war Wachablösung, und da sie ihren Grundwehrdienst hinter sich hatten, durften sie am Wochenende nach Hause und freuten sich darauf.

„Ich werde mit meiner Freundin an den Strand fahren“, meinte Andreas.

„Schön für dich“, entgegnete Panos, „viel Spaß euch – ich will nach dem Wehrdienst Informatik studieren, wie du weißt, und deshalb werde ich für die Aufnahmeprüfung lernen. Aber morgen Abend gehe ich mit ein paar Kumpels aus dem Dorf einen trinken, und vielleicht wird Marina da sein.“

Schon die ganze Woche hatte ihm Panos von Marina vorgeschwärmt – sie war die Schwester seines besten Freundes, Studentin und zwei Jahre älter als er. „Unglaublich, dass sie sich für mich interessiert!“, hatte er immer wieder gesagt. Er war sehr schmächtig, hatte stark abstehende Ohren und trug eine dicke Brille. Andreas hatte den Eindruck, dass er deshalb unter Minderwertigkeits­komplexen litt.

Andreas selbst war schon seit der letzten Klasse der Oberschule mit Katerina ausgegangen; sie kannten sich seit der 9. Klasse, als sie aus Kreta hergezogen war, und hatten zusammen bei der Schülerzeitung mitgemacht. Sie waren also einige Jahre lang befreundet gewesen, bevor sie ein Paar wurden, hatten einander sogar von ihren vorherigen, nicht sonderlich ernsten ersten Liebschaften erzählt.

Eines Abends waren sie dann zusammen im Kino gewesen, und bei einer besonders spannenden Szene ergriff Katerina plötzlich seine Hand. Seit diesem Tag vor fast zwei Jahren waren sie unzertrennlich, und die ersten Monate in der Kaserne, als Andreas gar nicht nach Hause durfte, waren deshalb nur schwer zu ertragen für ihn.

Jeden Abend nach Dienstschluss telefonierte er mit seiner Freundin, schickte ihr Kurznachrichten oder E-Mails. Seiner Beliebtheit unter den Kameraden war das nicht sonderlich zuträglich, da er als Einzelgänger galt, der neben der Kommunikation mit Katerina unentwegt Bücher las, Alkohol mied und kaum über anzügliche Witze lachte. Nur mit Panos hatte er sich vom ersten Tag an gut verstanden, und die beiden versuchten, sich so oft es ging für gemeinsame Wachdienste einteilen zu lassen. So wie heute Nachmittag.

Und nun würden Katerina und er das ganze Wochenende am Strand verbringen, mit Schlafsäcken unter freiem Himmel übernachten, in einer nahe gelegenen kleinen Taverne, die Katerinas Onkel gehörte, die Mahlzeiten einnehmen und ansonsten schwimmen, dösen und stundenlange Gespräche führen. Andreas sah auf die Uhr und zählte die Minuten herunter – 54 noch; als er das letzte Mal geguckt hatte, waren es noch 57 gewesen, und es kam ihm vor, als sei schon wieder eine Stunde vergangen.

Plötzlich kam ein Auto die Auffahrt zur Kaserne hochgerollt. Es handelte sich um einen sehr eleganten dunkelgrünen Rolls Royce – konnte nur das Privatfahrzeug eines hohen Offiziers sein, dachte Andreas. Durch die getönten Scheiben des klimatisierten Wagens konnte man kaum ins Innere blicken. Doch als das Fahrzeug gleich vor der Schranke zum Stehen kam, ließ der Fahrer das Fenster herunter und winkte Andreas zu sich heran. Er trug eine dunkelblaue Uniform mit einer Schirmmütze.

„Guten Tag“, sagte der Chauffeur. „Ich würde gern den Standortkommandanten sprechen.“

„Der ist heute leider nicht hier“, sagte Andreas, „er hat einen Termin im Verteidigungs­ministerium und kommt erst am Montag wieder. Und außerdem müsste ich erst einmal wissen, wer Sie sind; wir dürfen hier natürlich nicht einfach jeden hereinlassen.“

„Lass mich das machen, Giannis“, sagte eine Autorität ausstrahlende Stimme vom Rücksitz. Die hintere Tür auf der Beifahrerseite öffnete sich, und ein abenteuerlich verkleideter, groß gewachsener Mann stieg aus. Er ging um das Fahrzeug herum und baute sich vor Andreas auf, der nicht gerade klein war, aber doch fast einen Kopf kleiner als dieser – was war das überhaupt für einer? – dieser antike Krieger, entschied Andreas.

Neugierig kam auch Panos um das Auto herum und schaute den Fremden verwundert an; Andreas vermutete, dass sein Blick ebenso erstaunt aussah wie der seines Freundes. Der Mann trug einen bronzenen Helm mit rotem Federschmuck, eine Rüstung aus Leder und Metall und ziemlich hoch geschnürte Sandalen. Er hatte einen mächtigen feuerroten Bart, eine gewaltige Hakennase, graublaue Augen und war sehr muskulös. An seinem Gürtel hing ein Kurzschwert, in der rechten Hand trug er einen langen Eisenspeer und in der linken einen großen, runden Schild.

„Erlaubt, dass ich mich vorstelle“, sagte er mit seiner ehrfurchtgebietenden Stimme. „Ich bin Ares, der Kriegsgott, der Schlachtenlenker. Und ich bin auf der Suche nach einer Armee. Dies hier ist ja offensichtlich eine Kaserne, also habe ich wohl gefunden, wonach ich gesucht habe.“

Andreas schaute den Mann weiter ungläubig an. Der will uns wohl veralbern, dachte er.

Panos dagegen schnappte nach Luft und sagte dann sehr aufgeregt: „Entschuldigung, aber sind Sie vollkommen übergeschnappt? Ich meine, ja, es gibt antike Sagen, die von Ihnen berichten, ich meine, die von Ares berichten – aber das sind doch nur Geschichten. Vor zweitausend Jahren hätten die Leute Ihnen das vielleicht geglaubt, aber heute wird Sie jeder mit Recht für einen Hochstapler halten, oder für einen Spinner. Ich muss Sie jetzt auffordern, das Kasernengelände zu verlassen, ansonsten bin ich verpflichtet, den Alarm auszulösen.“

„Dann tu das, mein tapferer junger Krieger“, sagte der Rotbärtige mit einem leicht spöttischen Lächeln. „Um so schneller bekomme ich genügend Männer für meine Armee zusammen.“

Aber bevor einer der beiden Wehrdienstleistenden etwas tun oder sagen konnte, hatte der Kerl sein Kurzschwert gezogen und jeden von ihnen damit leicht an der Wange berührt. Kaum spürte Andreas die Berührung, durchzuckten Bilder von ruhmreichen Schlachten, wildem Kampfgeschrei, glorreichen Siegen und bitteren Niederlagen seine Gedanken. Plötzlich sehnte er sich danach, dazuzugehören, Ruhm und Ehre oder den Heldentod auf dem Schlachtfeld zu finden. Und Ares, das wusste er, war ein Heerführer wie kein zweiter.

Das Wochenende am Strand und selbst Katerina rückten in seinen Gedanken in weite Ferne. Er zog sein Mobiltelefon aus der Brusttasche seiner Uniform und schrieb ihr eine knappe Nachricht: „Habe leider Wochenenddienst, melde mich, sobald ich kann“.

Er sah, wie Panos Haltung annahm und salutierte, und tat es ihm gleich. „Rührt euch“, sagte Ares. „Und nun öffnet den Schlagbaum und steigt ein; ich brauche mehr Männer.“

Andreas lief zum Wärterhaus, betätigte den Schalter für die Schranke, die daraufhin hochschwenkte, und stieg in das Fahrzeug, in dem bereits Panos, Ares und der Chauffeur warteten. Da Panos auf der Rückbank neben Ares saß, nahm er selbst auf dem Beifahrersitz Platz. Der Rolls Royce beschleunigte stark, fuhr den Hauptweg entlang und bremste vor dem Hauptgebäude des Militärgeländes scharf.

„Kommt mit“, befahl Ares den beiden Soldaten. „Danke, Giannis, das war alles. Du kannst wieder nach Hause fahren.“

Giannis salutierte zackig, während Ares mit großen Schritten voraneilte, auf den Eingang des Hauptgebäudes zu. Panos und Andreas stiefelten hinterher.

„Wer ist verantwortlich, wenn der Standortkommandant nicht vor Ort ist?“, fragte Ares.

„Das dürfte Generalmajor Evangelidis sein“, meinte Panos. „Sein Büro ist in der ersten Etage“.

Sie gingen durch die Eingangstür und stürmten die Treppe hoch. Andreas wollte an die Tür von Evangelidis’ Vorzimmer klopfen, aber Ares schob ihn beiseite, drückte die Klinke herunter und trat ein. Mit einer Geste bedeutete er den beiden anderen, ihm zu folgen.

Ein junger Leutnant blickte von seinem Schreibtisch auf. Sein Blick blieb auf Ares haften, und er sagte: „Was bilden Sie sich eigentlich ein? Das hier ist eine Kaserne und kein verdammter Maskenball!“

„Das ist keine Maske, Soldat“, sagte Ares. „Es ist alles echt. Willst du herausfinden, wie scharf mein Schwert ist?“, Während er sprach, hatte er wieder sein Kurzschwert gezogen. Er strich mit dem kleinen Finger sachte über die Klinge; sofort war dort ein schmaler, blutiger Schnitt zu sehen. „Siehst du?“, fragte Ares den Mann, „Genau so scharf.“ So schnell, wie der Schnitt sich gezeigt hatte, verschwand er spurlos wieder. „Und jetzt möchte ich bitte unverzüglich Generalmajor Evangelidis sprechen“, fügte der Kriegsgott in einem Tonfall hinzu, der keinen Widerspruch zuließ.

Der Leutnant betätigte eine Taste an einem Sprechgerät. „Herr Generalmajor, hier sind drei Besucher für Sie!“

„Ich erwarte zwar niemanden“, kam die Antwort etwas blechern aus dem Lautsprecher, „aber schicken Sie sie herein.“

Durch eine weitere Tür, auf die der Leutnant wies, betraten sie das Büro des Generalmajors. Andreas hatte ihn bisher nur einmal gesehen, beim ersten Appell seines Rekrutenjahrgangs. Evangelidis schien ein ruhiger, vernünftiger und sogar etwas humorvoller Mann zu sein. „Ich weiß, dass die meisten von euch nicht gern hier sind“, hatte er gesagt, „und dass ihr den Tag eurer Entlassung kaum erwarten könnt. Mir ging es nämlich so ähnlich, als ich meinen Wehrdienst antrat – aber kaum hatte ich geblinzelt, waren dreißig Jahre vergangen“.

Sein Büro war bescheiden eingerichtet. Hinter einem einfachen Schreibtisch, auf dem Telefon und PC standen, befand sich ein niedriges Regal mit Aktenordnern und einigen Büchern. Oben auf dem Regal standen diverse Panzer- und Flugzeugmodelle sowie kleine Kriegerstatuen aus verschiedenen Jahrhunderten und Weltgegenden. Darüber hingen verschiedene Schwerter, Degen und Säbel an der Wand. Immerhin war das Büro klimatisiert, was Andreas nach dem stundenlangen Wachestehen in der Sommerhitze sehr angenehm fand.

Der Generalmajor blickte auf; Andreas und Panos salutierten. Sein graues Haar war sehr kurz rasiert und er trug einen akkuraten Schnäuzer.

„Rührt euch!“, sagte er zu ihnen. Dann wanderte sein Blick interessiert zu Ares. „Faszinierend“, meinte er. „Spartanisch, fünftes Jahrhundert vor Christi, würde ich sagen. Hervorragend getroffen. Was kann ich für Sie tun, meine Herren?“

„Du kennst deine Militärgeschichte, das ist erfreulich“, sagte Ares. Dann kam er ohne Umschweife zum Zweck seines Besuchs: „Ich brauche deine ganze Garnison, Aristidis. Ich verspreche, dass ich auf sie aufpasse, denn ein guter Feldherr gibt auf seine Männer acht, und dir alle zurückbringe – lebendig und mit mehr Ruhm, als sie je zu gewinnen hofften, oder ihre Leichname, falls sie ehrenhaft auf dem Schlachtfeld ihr Ende finden.“

Alle Belustigung wich aus dem Gesicht von Evangelidis, sein Kopf wurde rot, und er sagte sehr leise, aber offenbar sehr wütend, wobei er jede einzelne Silbe betonte: „Verlassen Sie augenblicklich mein Büro!“, Etwas ruhiger fuhr er fort: „Ich bewundere die Genauigkeit dieser Uniformnachbildung, aber wenn Sie in einer Minute noch nicht verschwunden sind, bekommen Sie beide vier Wochenenden Arrest. Und Ihr Vater oder Onkel oder wer auch immer er ist, verlässt auf der Stelle das Gelände!“

Wieder zog Ares sein Kurzschwert und ging damit auf den Generalmajor zu. Dieser sprang zurück und nahm das erstbeste Schwert von der Wandhalterung, ebenfalls ein Kurzschwert, allerdings aus einer bedeutend späteren Ära der Weltgeschichte. Er lief schnellen Schrittes auf den Kriegsgott zu und wollte gleich den ersten Schwerthieb landen, aber Ares parierte geschickt und mit wenig Mühe.

In den nächsten Minuten entbrannte ein wilder Schwertkampf, bei dem die beiden Kämpfer zeitweise sogar über Fensterbänke und Tische liefen. „Du bist gut, Sterblicher!“, sagte Ares. „Kaum ein Mensch konnte mir jemals einen ernsthaften Kampf bieten.“

„Sterblicher?“, fragte der Generalmajor etwas außer Atem, während er einige Tiefschläge seines Gegners parierte. „Sie sind genauso sterblich wie ich, und wenn ich erst mit Ihnen fertig bin, werde ich Ihnen das gern demonstrieren.“

„Zu schade, dass wir keine Zeit haben“, antwortete der Schlachtenlenker. „Ich amüsiere mich gerade wie schon lange nicht mehr. Die meisten Trainingsgegner auf dem Olymp kenne ich in- uns auswendig und sie mich; es geht immer unentschieden aus. Nur Athene vermag mich bisweilen zu überlisten.“

Mit diesen Worten landete er einen besonders gezielten Treffer, der Evangelidis das Schwert aus der Hand schlug. „Also schön, ich ergebe mich“, meinte dieser. Daraufhin berührte Ares auch seine Wange mit dem Schwert, und der Blick des Offiziers loderte feurig auf. „Na dann, auf in die Schlacht!“, rief er begeistert. „Ich versetze die Garnison in Alarmbereitschaft“.

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