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Kapitel 6
ОглавлениеDamien schmetterte die Tür hinter sich zu.
»Diese verdammten Hurensöhne!«, brüllte er und donnerte mit der Faust auf die Tischplatte. Mit einem Knall tat sich ein Riss im Holz auf. Er blieb stehen, beide Arme auf den Tisch gestützt, den Kopf gesenkt. Sein Atem ging schwer.
Ihm war es gelungen, die Ratssitzung mit unbewegtem Gesicht durchzustehen. Dann war er in seine Gemächer gehastet, wo Milo, sein Kampfgefährte und Bruder im Blute, auf ihn wartete.
Als Krieger ohne Gefährtin nannte Damien zwei Räume sein eigen. Er hatte ein Schlafgemach mit einem breiten Bett und einem Waschtisch. Im daneben liegenden Wohnraum stand der Tisch, auf dem sich Pergamente stapelten, Stühle, ein Regal mit in Leder gebundenen Büchern und zwei mit Fellen ausgelegte Sessel vor dem Kamin. Die Fensterläden waren in Erwartung der Morgensonne geschlossen worden und ein Sklave hatte einen Weinkrug und Becher auf den Tisch gestellt.
Milo stand mit verschränkten Armen am Feuer. Sein Gesicht war blass, hatte fast die Farbe seiner weißblonden Haare angenommen, und sein Körper schien zu beben. Die Geschehnisse im Verlies hatten ihn genauso mitgenommen.
Damien stieß sich vom Tisch ab und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. »Verdammt!«, sagte er, dieses Mal in normaler Lautstärke. »Verdammt, verdammt!«
»Nie hätte ich gedacht, dass er Darko umbringen würde.« Milo lehnte sich Halt suchend an den Kamin. »Nie! Bei den dunklen Göttern!«
Damien fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Und dafür kommen wie bestellt diese verfluchten Wajaren mit einer Ewigen! Das darf doch nicht wahr sein!«
»Wenigstens sind sie in den Käfigen elend zugrunde gegangen!«, sagte Milo heftig. »Das war einmal eine Entscheidung deines Vaters, die ich voll und ganz unterstütze!«
In der Tat hatte Damien das Geschrei und Gewinsel der Sklavenjäger in den Käfigen während der Ratssitzung mitanhören können. Wie es zu einem Crescendo anschwoll, um nach und nach zu verebben. Er nickte dumpf. Um die Wajaren war es nicht schade. Er trat an den Tisch, schenkte zwei Becher mit Wein ein und reichte Milo einen davon. »Auf Darko.« Er hob seinen Becher. »Er war ein guter Mann.«
»Auf Darko.«
Sie tranken und ließen sich in die Sessel fallen. Milo starrte reglos ins Feuer. Damien trommelte mit den Fingern seiner freien Hand auf der Lehne. Sein Vater sah diese Entwicklung als gutes Omen für die Festigung seiner Macht. Erst war es ihm gelungen, Maksim D’Aryun die Insignien abzunehmen, was ihm das Recht verlieh, über die Stämme zu herrschen. Und jetzt die Ewige. Raiden hatte seine Genugtuung darüber kaum verbergen können. Seine Gegner im Rat der Stämme, allen voran Aibek und Ivo, kleine Stammesfürsten mit großen Ambitionen, hatten Gesichter gezogen, als wären sie gezwungen, sich von Tierblut zu nähren.
»Dieses Ende wünscht man niemandem«, sagte Milo. »Gestorben durch das Blut einer Ewigen.«
Damien seufzte und unterbrach das Trommeln auf der Lehne. Die Wut, die durch seinen Körper brandete, wich einer wachsenden Besorgnis. »Vater wollte ihn zur Strafe verhungern lassen. Oder er hätte ihn in einen Käfig gesperrt. Für Darko hätte sich das Ergebnis in keiner Weise geändert. «
»Wir hätten ihn befreien sollen!«
»Darko hat mir verboten, etwas zu seiner Befreiung zu tun, das weißt du.«
»Aber ‒.«
»Die Rebellion hat Vorrang.« Damien nahm einen Schluck Wein. »Aber ich will verdammt sein! Diese ständige Schauspielerei! Und dann, vorhin, als wir das Mädchen zu Darko ins Verlies werfen mussten?« Wie sie verzweifelt versucht hatte, sich mit ihren schwachen Kräften zu wehren. Die grenzenlose Panik in ihren Augen. Ihre Schreie. »Bei den dunklen Göttern, ich habe mich gehasst dafür, Milo! Dieses arme Mädchen wusste nicht, wie ihr geschah. Es wäre ein Wunder, wenn sie nicht den Verstand verliert.«
Milo rieb sich müde die Augen. »Es ging mir doch genauso, Bruder. Ich hoffe nur, dass sich all diese Opfer lohnen. Dass Maksim obsiegt.«
»Das wird er«, sagte Damien überzeugt. Wenn es etwas gab, an das er glaubte, dann dies.
»Bist du sicher? Jetzt, wo Raiden mit dem Mädchen eine weitere Waffe hat, wird es nicht einfacher.« Milo lachte freudlos auf. »Manchmal frage ich mich, ob es nicht doch besser wäre, wenn wir Raiden töten. Und du der Fürst des Stammes der Tyr wirst, Maksim anerkennst und die Insignien an ihn zurückgibst.«
Damien starrte finster in die Flammen. »Das würde Bürgerkrieg bedeuten. Aibek, Ivo und ihre Kumpane würden weder mich als ihren Herrscher anerkennen noch zu Maksim zurückkehren. Sie sind mit den Umwälzungen, die er plant, nicht einverstanden. Nein, sie würden versuchen, die Macht an sich zu reißen, und sich gegenseitig bekriegen! Maksim hätte es mit zersplitterten Gruppen zu tun, von denen jede Anspruch auf die Herrschaft über die Stämme erhebt.« Er stürzte seinen Wein hinunter und goss einen weiteren Becher ein. Was er nicht sagte, war, dass er nicht zum Vatermörder werden wollte. Sicher, er erkannte seinen Vater nicht als Herrscher an, aber ihn umbringen? »Und nein, einfacher wird es durch das Mädchen nicht. Vater versteht nicht, dass es mehr braucht als die Insignien, um als Herrscher anerkannt zu werden. Er denkt, er festigt die Macht, die ihm die Insignien über die Stämme geben, indem er Angst und Terror verbreitet. Unter Vampiren und Menschen! Aber den Machtanspruch muss man sich verdienen, so, wie es Maksim getan hat. Kein Wunder, dass nahezu die Hälfte der Stämme bisher kein Treuegelöbnis gegenüber Vater abgelegt haben. Die meisten von ihnen stehen hinter Maksim, obwohl er die Insignien verloren hat. Und unsere Welt in Gänze verändern will!«
»So wie wir, mein Freund. Aber mit der Ewigen hat Raiden noch mehr Potenzial, Angst zu verbreiten und seine Macht zu festigen.«
Damien fluchte leise. »Er will ihr Blut dazu nutzen, um die Stammesfürsten zum Treueschwur zu zwingen. Entweder sie schwören oder er setzt sie gefangen, wartet darauf, dass die Tobsucht einsetzt, und füttert sie mit dem Blut des Mädchens. So wie Darko heute.«
Milo nickte düster. Vampire mussten regelmäßig Menschenblut zu sich nehmen, um ihre Unsterblichkeit zu erhalten. Taten sie dies nicht, setzte ein unkontrollierbarer Drang nach Blut, die Tobsucht, ein, und sie würden es von jedem trinken, der ihnen über den Weg lief. Auch wenn es von einem Ewigen war, dessen Blut tötete. Die Tobsucht war stärker als alle Vernunft.
»Ein schmachvoller und unehrenhafter Tod für den Stammesfürsten.« Damien stützte die Ellenbogen auf die Knie und sah dem Spiel der Flammen zu. »Nach dem Gesetz fallen bei Tod durch das Blut eines Ewigen alle Besitztümer, Krieger, Sklaven, was auch immer, an den Herrscher über die Stämme, an denjenigen, der die Insignien hält. Der Rat der Stämme wird ihm all dies sofort und ohne Fragen überantworten. Gerade eben haben sie Vater Darkos Ländereien und Krieger zugesprochen.« Sein Ton sagte mehr als alle Worte, was er vom Rat der Stämme, einem Gremium aus ausgewählten Stammesfürsten, hielt. Dieses Gremium sollte den Herrscher beraten, hatte aber auch eigene Machtbefugnisse wie die formale Ernennung des Herrschers und eben die Überantwortung von Besitztümern. Bisher war der Rat Raiden blind gefolgt, hatte ihn in seinem unrechtmäßigen Feldzug, in dem er die Insignien an sich gerissen hatte, unterstützt und tat auch sonst alles, was seine Gier nach Gold und Besitz befriedigte. Je reicher der Herrscher war, desto besser wurde der Rat entlohnt. Jetzt allerdings begannen sich erste Mitglieder des Rats wohl zu fragen, warum sie Raiden die Herrscherposition überlassen sollten.
»Aber braucht er dazu unbedingt das Mädchen? Er kann den Fürsten auch so töten, mit der Sonne oder durch Enthauptung.«
»Sicher, nur verliert der Fürst dadurch nicht seine Besitztümer. Sie gehen auf seinen Erben über. Der wahrscheinlich sogar gegen Vater in den Kampf zieht, um den Tod des Fürsten zu rächen. Vater wäre auf lange und verlustreiche Feldzüge angewiesen, um das zu erreichen, was er durch das Blut des Mädchens auf einen Schlag bewerkstelligen kann.«
Milo setzte seinen Becher mit einem Knall ab. »Das Mädchen muss verschwinden, Damien. Unsere Pläne, die Rebellion, das alles ist so schon schwierig genug.«
»Wir können sie nicht töten.« Wieder kamen ihm ihre, Tarans, Augen in den Sinn. Als ihre Bisswunde versorgt wurde, hatte er bemerkt, dass sie strahlend blau waren, eine Farbe, die man im Gebirge selten sah. Er schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben. »Wenn sie getötet wird, weiß Vater, dass es außer Darko noch jemanden in der Burg gibt, der gegen ihn vorgeht. Das darf nicht geschehen!«
Milo hob an etwas zu sagen, doch Damien fuhr fort: »Außerdem will ich nicht werden wie Vater. Du kennst Maksims, unsere Ziele. Wir wollen in Frieden mit allen Stämmen und den Menschen leben. Wenn wir anfangen zu handeln wie Vater, dann sind wir nicht viel besser. Nein, Milo, ich will das Mädchen nicht töten.«
»Nach unseren Gesetzen müssen Ewige getötet werden«, erinnerte Milo ihn. »Dieses Gesetz missachtet dein Vater, weil es ihm nützt. Und du machst es genauso. Stehst du damit nicht auf einer Stufe mit ihm?«
»Vielleicht. Aber nicht all unsere Gesetze sind gut. Oder heißt du es gut, dass jemandes Familie alles verliert, nur weil er durch das Blut eines Ewigen anstatt durch einen Schwerthieb stirbt? Unsere Aufgabe wird es sein, Gesetze zu machen, die vernünftig sind und das friedliche Zusammenleben mit den Menschen regeln. Aber das können wir erst angehen, wenn wir gesiegt haben.«
Milo zuckte resigniert mit den Schultern. »Wie du meinst. Aber willst du deinem Vater diese Waffe wirklich überlassen?«
»Nein, du hast recht. Das Mädchen muss verschwinden. Wir müssen ihr die Flucht ermöglichen.«
»Die Flucht wohin? Damien, die Jäger werden sie eingefangen haben, bevor sie nur einen Fuß aus dem Stammesgebiet gesetzt hat! Was ihr dann bevorsteht, weißt du. Da wäre es gnädiger, sie gleich zu töten!«
»Hartwiga«, sagte Damien nur.
»Du … du willst den Bund der Ewigen ins Spiel bringen?«
Damien lächelte grimmig. »Milo, ich denke, es wird Zeit, den Kreis von Maksims Verbündeten zu erweitern.«