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1.

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Philip Hasard Killigrew hob den Kopf. Drüben am Ufer zogen die Fischer ihre Boote aus dem Wasser. Mindestens hundert Rauchsäulen stiegen in der heißen Luft zum Himmel. Offensichtlich fingen sie in Surat mit der Zubereitung des Mittagessens an. Er lächelte kurz und zeigte zu den Häusern und Hütten, die zwischen Palmen und vielen anderen Bäumen auf dem niedrigen Hügel zu erkennen waren.

„Nimm dir ein Beispiel Kutscher“, sagte er halblaut und hob wieder das Spektiv. „Dort drüben gibt’s bald ein Essen. Vermutlich mit Gewürzen, die in England ein kleines Vermögen kosten.“

„Ich schaff’s auch mit weniger exotischen Zutaten. Das sagt auch Mac“, erwiderte der Kutscher mit mürrischem Gesichtsausdruck. „Verdammt heiß hier, nicht wahr?“

„Nachts wird’s kühler“, sagte der Seewolf und sah etwas gelangweilt zu, wie sich weitere Crewmitglieder an Deck versammelten und beratschlagten, wer von ihnen zu dem Kai aus Bruchsteinen hinüberpullen sollte.

Der Hafen und der Ort Surat lagen entlang einer Bucht, die der Fluß Tapti bildete, bevor er seinen Lauf für eine kurze Strecke nach Süden änderte. Beide Ufer waren bewachsen und bewohnt. Wenn irgendwo eine Brücke über das ruhige Wasser führte, dann nicht hier in der Nähe. Weit und breit gab es keinerlei Anzeichen für die Existenz eines solchen Überganges.

Die Schebecke lag vor Anker und schaukelte fast unmerklich in der Strömung des Tapti. Mit großer Sorgfalt beobachteten die Seewölfe seit Stunden jede Einzelheit ihrer Umgebung, und jeder wußte, daß sie ebenso sorgfältig – offen und im geheimen – beobachtet wurden. Aber bisher waren sie noch von niemandem belästigt worden außer von einer Menge neugieriger Vögel, die um die Masten und Rahruten schwirrten und seltsame Laute ausstießen.

Es hatte eine Zeitlang gedauert, bis sich die Seewölfe in dieser Umgebung nicht mehr fremd fühlten. Schon die Mangroven mit ihren verschlungenen Stelzwurzeln, die aus dem Brackwasser in Ufernähe wuchsen, hatten ihnen deutlich gezeigt, daß sie sich an wenig bekannten Küsten befanden – aber so klug waren sie selbst.

Die Vegetation entlang der Ufer, voller Blüten und fremder Gerüche, Ranken und Lianen, die exotischen Bambusstangen, die im Wind klapperten, die farbenprächtigen Vögel und der Chor aus Schreien und Rufen, der aus dem Wald übers Wasser tönte, waren die augenfällige Kulisse für die langsame Fahrt nach Surat gewesen.

„Natürlich sehen sich die Eingeborenen sehr genau an, wer sie besuchen wird“, sagte Ben Brighton. „Sollten wir nicht besser auf sie zugehen? Es könnte ja irgendeinen Bürgermeister geben, der unser Warten als Unhöflichkeit bezeichnet.“

„Der Bürgermeister heißt hier sicher nicht Bürgermeister, sondern Wesir, Scheich oder noch ganz anders.“

Hasard blickte vom Ersten zu Ferris Tucker und hob die Schultern. Er ließ sein Blick über die Fronten der aus schwarzen und weißen Steinen erbauten Gebäude gleiten, die sich mit vielen hohen Fenstern zum Hafen wandten. Der Hafen selbst war nicht viel mehr als eine Mole, die einen recht ordentlichen Eindruck erweckte. Zwei Stege, aus Baumstämmen und vielen Bambusstücken errichtet, sahen weniger vertrauenerweckend aus.

Der Fluß war hier breiter und flacher und sah aus wie ein kleiner See. Wieder wurde ein Fischerboot flußabwärts gepullt und bog in die Richtung des halbmondförmigen Platzes ein. An vielen Stellen bildete ein Hang aus großen Steinen, abgerundet oder kantig, die Böschung zum Wasser. Über den Steinen waren Tücher und andere Kleidungsstücke zum Bleichen ausgelegt.

„Abwarten“, sagte Hasard. „Nach dem Mittagessen haben sie alle bessere Laune.“

„Wir auch“, meinte Dan O’Flynn.

Vor knapp drei Tagen war die Schebecke am Golf von Cambay in die breite Mündung des Tapti-Flusses und stromaufwärts gesegelt. Zuerst schien es, als wäre die Landschaft im Bereich des Deltas einer Savanne ähnlich. Aber bald hatte sich von beiden Seiten der Dschungel an die Ufer geschoben. Als das Fahrwasser enger geworden war, hatte der Wind ausgesetzt und war einer feuchten Hitze gewichen. Die Seewölfe hatten fluchend zu den Riemen gegriffen.

Während im ersten Graurot des Tages die Affen im Dschungel markerschütternd geschrien und sich als dunkle Schatten von Ast zu Ast geschwungen hatten, war an Backbord der Schebecke eine Galeone aufgetaucht. Sie hatte nur zwei Segel gesetzt und war lautlos stromabwärts dem offenen Meer entgegengeglitten.

Der Fluß war an dieser Stelle mindestens eine Seemeile breit. Eine Ramming war nicht zu befürchten gewesen. Auf der kleinen Galeone schien der größte Teil der Besatzung zu schlafen.

Dan O’Flynn hatte zuerst die Flaggen gesehen und erkannt.

„Ein Portugiese!“ rief er verblüfft. „Die sind also auch schon hier zu finden.“

Aus dem gelbbraunen Wasser sprangen übermütig die Fische und an den sumpfigen Rändern vollführten die Frösche einen Höllenlärm. Genau über dem Bugspriet hob sich die Morgensonne als verwaschener roter Fleck im Dunst in die Höhe.

An Deck des portugiesischen Handelsschiffes, aus dessen Stückpforten die Geschützrohre ragten, tauchten einige Männer auf und beäugten mißtrauisch die Schebecke, deren Mannschaft fast vollzählig an Deck stand und mit den langen Riemen langsam pullte.

Hasard winkte hinüber, aber die Portus gaben den Gruß nicht zurück. In vier Kabellängen Abstand glitt das Schiff ohne Bugwelle und mit kaum wahrnehmbaren Kielwasser an Backbord vorbei. Es war aus dem grauen Morgennebel aufgetaucht und verschwand wieder im dicken Dunst, der sich glutrot gefärbt hatte.

Hin und wieder bildete das Ufer eine kleine, schmale Bucht, die aber offensichtlich weit ins Land führte. Im Dickicht, das aussah, als bestünde es nur aus Bambus, saßen braunhäutige Eingeborene in schmalen Booten und fischten. Meist verwendeten sie Speere und Dreizacks. Sie erschraken nicht, als sie das fremdartige Schiff durch den Nebel gleiten sahen, ebensowenig wie sie vorher vor der Galeone erschrocken waren.

„Wollen wir mit ihnen sprechen, Sir?“ hatte Ben Brighton gefragt.

„Das hat Zeit bis später. Gegen Mittag verholen wir uns in eine Bucht und ruhen uns aus.“

„Aye, Sir.“

Riesige Falter gaukelten zwischen den aufragenden Bäumen. Die ersten Sonnenstrahlen blitzten durch den Nebel und brachten die Farben auf den Schmetterlingsflügeln zum Strahlen.

Wie auch am vergangenen Tag wimmelte die warme, feuchte Luft bald von goldenen und grünen Fliegen. Über dem Wasser tanzten Mückenschwärme. Raubvögel stürzten sich in die kaum wahrnehmbaren Wellen und schlugen ihre Krallen in Fische. Oder sie tauchten mit zappelnden Fischen in den Schnäbeln wieder auf und flogen schwerfällig zum Ufer zurück. Die Strömung war nicht stark, und die steigende Flut schob die Schebecke fast unmerklich an.

Mittags, so hatte Dan ausgerechnet, würden sie wieder die Strömung des Tapti-Flusses gegenan haben, und da war es tatsächlich besser, in einer Bucht vor Anker zu liegen und träge die Fliegen wegzuwedeln.

Auf diese Weise hatten sie drei Tage gebraucht, um Surat zu erreichen. Und dort waren dann die drei Vermißten, die Totgeglaubten zu ihnen gestoßen: Old Donegal und die Killigrew-Junioren. War das eine Freude gewesen!

Und jetzt warteten sie alle, wenig entschlußfreudig und ein bißchen argwöhnisch, auf die nächsten Ereignisse.

Die Dächer aus Bambus und Palmwedel lagen staubbedeckt in der Mittagshitze. Die Bauern, die in Surat ihre Waren verkauft hatten, hockten um ihre Feuerchen oder lagen im Staub und schliefen. Eine lähmende Stille lastete über dem sichtbaren Teil der Stadt. Nirgendwo war eine gepflasterte Straße zu erkennen. Es gab auch kein Fort, auf dessen Mauern und Türmen Geschütze standen, um mögliche Gegner auf dem Fluß unter Beschuß zu nehmen.

Außer der Schebecke befanden sich nur einige kleine und ein paar größere Fischerboote im Hafen. An der niedrigen Kaimauer war ein längeres Boot vertäut, dessen Mitte ein langgezogenes, niedriges Deckshaus aufwies. Dieses Boot hob sich wegen seiner Farben, Schnitzereien und dadurch von allen anderen ab, daß es tadellos in Schuß war.

Big Old Shane deutete hinüber und sagte: „Mit diesem Prunkboot fährt uns wohl der Statthalter entgegen und gibt dir den Schlüssel zur Stadt, Sir.“

Hasard brachte ein müdes Lächeln zustande und erwiderte: „Siehst du irgendwo Stadtmauern? Oder Tore? Nein, mein lieber Shane – wir werden sehr höflich um eine Audienz nachsuchen. Nur habe ich den starken Eindruck, daß es sich in der Kühle des Abends besser spricht. Ein Mensch, dessen Verdauungsschlaf gestört wird, ist meist ungehalten.“

Carberry spuckte ins wenig klare Wasser und schaute einer treibenden Ratte nach, einem aufgedunsenen Kadaver, an dem unsichtbare Fische nagten.

„Der Kerl wird jetzt durch seinen Harem wandeln und sich eine tiefverschleierte Maid aussuchen, mit der er dann seinen Mittagsschlaf hält.“

„Eddylein“, sagte Old Donegal, der bei der Erwähnung von Schlaf sofort gähnte, „du redest wieder mal absoluten Schwachsinn.“

Der Profos sah ihn an wie einen Fisch, der schon lange tot an Deck liegt. „Hä?“

„Wie soll er sehen, was er sich aussucht, wenn die Tanten verschleiert sind? Auch noch tiefverschleiert.“

Carberry verzog sein narbiges Gesicht nur wenig, als er antwortete: „Er erkennt sie an den Farben ihres Kleides und an der Menge des überaus kostbaren Schmucks, Mister O’Flynn.“

„Daran habe ich tatsächlich nicht gedacht“, bekannte der Admiral und nahm seinem Sohn das Spektiv aus der Hand. „Und das dort hinten sind die sagenhaften Elefanten, eh?“

Sie drehten die Köpfe.

Aus dem jenseitigen Uferwald trotteten graue Riesentiere, auf deren Rücken die Treiber saßen. Sie trabten nacheinander einen breiten Pfad hinunter und zogen scheinbar mühelos an Stricken und Ketten, deren Klirren leise zu vernehmen war, dicke Holzstämme hinter sich her. Gleichmütig stapften sie ins Wasser und spritzten breite Strahlen über ihre Rücken und die Treiber. Dann brachten sie das Holz an eine Stelle, die flußaufwärts lag und sich hinter Mäuerchen, Hecken, Bäumen und einigen langgezogenen Häusern oder Magazinen verbarg. Es waren sieben Elefanten, die jetzt wie ein Spuk verschwanden.

„Das sind sie, richtig“, bestätigte Dan O’Flynn. „Mit einem solchen Burschen möchte ich nicht aneinandergeraten.“

„Ein empfehlenswerter Hinweis“, bestätigte Don Juan. Er beobachtete die Häuserfronten. Ein paar Inder bevölkerten die Stadt, aber am Mittag waren die wenigsten von ihnen zu sehen. Anhand der Häuser hatten die Seewölfe diese Zahl geschätzt – dreitausend, vielleicht ein paar hundert mehr. Jetzt waren die Rauchsäulen unzähliger Feuer, unter Kochtöpfen mit brodelndem Inhalt deutlich sichtbar geworden.

Die Ruhe wurde eine halbe Stunde später unterbrochen, als Mac Pellew sein Miesmuschelgesicht aus dem Kombüsenschott reckte und rief: „Backen und Banken, Leute! Und wehe, ich höre eine Klage. Dann könnt ihr an Land schwimmen und euch auf dem Markt etwas kochen lassen. Klar?“

„Deine Liebenswürdigkeit wird nur noch von deiner Muffigkeit übertroffen“, entgegnete Dan O’Flynn unter dem lauten Gelächter der Crew.

Die Bordwand der Jolle, mit der die Zwillinge und ihr Granddad nach Surat gelangt waren, rieb sich leise an den Planken der Schebecke, während die Männer über das Boot und den Pökelschinken herfielen.

„Viel zu dünn, die Scheiben“, meckerte Matt Davies.

Weder der Kutscher noch Mac würdigten ihn eines Blickes oder gaben ihm gar eine Antwort.

Die gesamte Umgebung der Schebecke lag in den Mittagsstunden im Bereich der glühenden Sonnenhitze. Über die Kuhl des Schiffes war eine große Persenning gespannt worden – der einzige Schatten weit und breit. Sir John, der Papagei, hatte sich ebenso wie Plymmie an einen weniger heißen Platz zurückgezogen. Nur Arwenack, der Schimpanse, schien der Wärme etwas abgewinnen zu können.

Aus dem Uferwald ertönten vereinzelte Rufe und Schreie, seltsame Laute, von meist unsichtbarem Getier ausgestoßen. Träge floß das Wasser des Tapti-Flusses. Die Schebecke schwang fast unmerklich herum, bis sie in der Strömung gut vor Anker lag.

„Wie halten wir es mit der Sicherheit?“ fragte Philip junior, der sich an Deck ausgestreckt hatte und seine Zehen in der Sonne bewegte. „Schwer bewaffnet, Dad?“

Der Hafen lag im Bereich der Drehbassen und der Culverinen. Hasard dachte an alles andere als Streit oder Kampf. Schließlich waren sie hier als Vertreter der Krone, die Handelsbeziehungen anknüpfen wollten. Daß sie sich gegen jeden Angriff hervorragend zu verteidigen verstanden, war eine andere Sache und hing mit ihren Erfahrungen zusammen.

Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Nur das Nötigste. Aber wir nehmen die Geschenke und Briefe mit.“

„Klar. Ist schon alles bereit“, sagte Edwin Carberry.

„In einer Stunde brechen wir auf“, entschied der Seewolf. „Zwölf Mann. Klar?“

„Verstanden, Sir“, erwiderte der Profos und goß den Rest des lauwarmen Tees über Bord.

Der Kutscher hob die Hand und erklärte: „Das Boot wird dann ja nicht gebraucht. Mac und ich sehen zu, etwas für die Proviantlast einzukaufen. Zumindest Gewürze sollten hier billig sein.“

„Denke ich auch“, sagte Don Juan. „Und ein paar Brocken Portugiesisch werden die Eingeborenen wohl sprechen. Möglicherweise auch etwas Arabisch, denn wenn es Muselmanen sind, müssen sie den Koran lesen können. Mit Englisch hingegen dürfte es Schwierigkeiten geben.“

„Wozu haben wir so viele Sprachkundige an Bord? Ich verhole mich in meine Koje. Da unten ist es kühler. Weckt mich, wenn die Tiger an Bord klettern“, sagte Roger Brighton und knöpfte sein Hemd auf.

„Da kannst du aber deine Klüsen lange geschlossen halten“, sagte der Profos.

Ohne Eile verlud die kleine Crew ihre Pakete in die Jolle. Einer nach dem anderen enterten über die Jakobsleiter in das Boot ab und packte einen Riemen. Als letzter stieg Hasard in die Jolle und übernahm die Pinne.

Halblaut sagte er, die Augen auf den Platz zwischen Kai und Gebäudemauern gerichtet: „Los die Leinen. Wir legen am Ende des Steges an.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderten die Bootsgasten und begannen zu pullen. Die Umgebung belebte sich. Mehr und mehr Eingeborene verließen die Häuser. Zwischen dem Grün waren Turbane in allen Farben zu sehen. Offensichtlich war die Delegation vom Schiff lange erwartet worden.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 657

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