Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 666 - Sean Beaufort - Страница 7
2.
ОглавлениеPhilip Hasard Killigrew schlief sehr unruhig. Wilde Bilder geisterten durch seine Träume. Die Schebecke befand sich auf Südkurs und mußte fast seit dem Anfang ihrer beschämenden Flucht gegen Wind und Regenschauer kreuzen.
Durch die vielen, vertrauten Geräusche der Wellen, des Windes und des Schiffes hindurch hörte Hasard das Glasen. Wie oft die Schiffsglocke angeschlagen wurde, das drang nicht bis zu ihm durch. Er warf sich in seiner Koje hin und her und versank wieder in der Tiefe eines anderen Traumes.
Es war achtmal geglast worden. Die Hundewache war zu Ende. Ben Brighton stand hinter dem Rudergänger auf dem Grätingsdeck und versuchte, an der Kimm hinter dem Kielwasser irgend etwas zu erkennen.
Er war sicher, daß die „Ghost“ keine Lichter gesetzt hatte, und er war wie jeder an Bord auch davon überzeugt, daß Ruthland und Garcia hinter ihnen her waren. Vor einer kleinen Armada hatten die Seewölfe fliehen müssen. Wenn nur die „Ghost“ sie jetzt nach Süden verfolgte, brauchten sie sich nicht einen Atemzug lang zu fürchten.
Mac O’Higgins drehte sich um und blinzelte, als ihn das Licht der Hecklaterne traf.
„Kannst du den Hundesohn sehen, Ben?“
Der Erste ließ das Spektiv sinken und schob es langsam zusammen. Er schüttelte den Kopf und federte die nächste Bewegung des Hecks ab.
Halblaut gab er zur Antwort: „Nichts zu sehen. Ich habe es auch nicht erwartet. Aber ich bin sicher, daß er uns verfolgt. Ich spüre es, als stehe er hinter mir und bohre mir den Dolch in den Rücken.“
„Mir geht’s genauso“, gestand Higgy. „Er gibt nicht eher auf, bis er bei den Fischern ist.“
„Soviel, Haß ist mir unverständlich“, sagte Ben, und das war die Meinung aller Seewölfe. „Aber das ganze Gerede über Ruthland ist überflüssig. Entweder wir oder er. So sieht’s aus, Higgy.“
„Du sprichst mir aus der Seele, Ben“, erwiderte der Rudergänger.
Im östlichen Teil des Arabischen Meeres beherrschte der Monsun die See und das Land. Aus Südwesten schleppte der Wind gewaltige Mengen von Regenwolken heran. Trotz aller abenteuerlicher Wirbel und kurzer Windstillen war Südwestwind vorherrschend.
Dieser Zustand würde sich die nächsten Monate nicht ändern. Für die „Ghost“ herrschten dieselben Bedingungen wie für die Schebecke der Seewölfe. Nur Zufälle würden etwas an dem Vorsprung ändern. Die besseren Seeleute gab es hier, nicht auf der Karavelle des Engländers.
Nach einer Weile sagte Higgy: „In zwei Stunden ist es hell. Dann wissen wir, woran wir sind.“
„Dann sehen wir auch die ‚Ghost‘ – und Ruthland sieht uns genauso deutlich“, erwiderte Ben. „Dann geht’s los.“
„Du sagst es.“
Hin und wieder rissen die nächtlichen Wolken auf. Sterne schimmerten durch die Lücken der schwarzen Decke. Einzelne Regengüsse erreichten die Schebecke oder gingen über See nieder. Die Segelwache hockte auf den Stufen der Niedergänge und hatte die Segeltuchjacken hochgezogen.
Die Schebecke krängte nach Backbord, hob und senkte sich und setzte den scharfen Bug krachend in die aufschäumenden Wellen. Die Gischtspritzer und die schmalen Schaumkämme waren nur schwach zu erkennen, aber die Ränder des Kielwassers zeichneten sich im Licht der Hecklaterne deutlich gegen das schwarze Wasser ab.
Batuti hangelte sich Schritt um Schritt an der Steuerbordseite entlang und ließ das Schanzkleid los, als er das Achterdeck erreicht hatte.
„Das übliche Wetter!“ rief er. „Da überlegt man, ob es eine Landratte nicht besser hat!“
Ben und Higgy grinsten breit.
„Möchtest du tauschen?“ fragte der Erste.
Batutis Zähne blitzten im Halbdunkel.
„Noch nicht“, entgegnete er. „Aber solche nassen Nächte tragen nicht gerade zur Entspannung bei.“
Das Ufer an Backbord war nicht zu sehen. An Steuerbord breitete sich endlos die offene See aus. An Land gab es weder Feuer noch Leuchttürme. Spätestens beim nächsten Glasen würde Ben Befehl geben, den nächsten Schlag wieder nach Westen auszuführen. Die Segel standen prall, es war kaum vorstellbar, daß die „Ghost“ sie einholen konnte.
Batuti deutete aufs Kielwasser.
„Wir warten auf Ruthland und Garcia?“ fragte er mit seiner kehligen Stimme.
„Wir müssen bereit sein, wenn die Karavelle auftaucht. Ruthland ist der Verfolger. Vielleicht holt er auf, vielleicht auch nicht. Die Jagd wird lange dauern“, erklärte der Erste in sachlichem Tonfall. „Wir haben weitaus mehr Geschütze als er. Es wird darauf ankommen, wer die besseren Manöver zustande bringt.“
Higgy stemmte sich gegen das nasse Holz der langen, geschwungenen Pinne.
„Ihr seid sicher, daß uns das letzte Duell bevorsteht?“ fragte er.
Der Erste antwortete mit Entschiedenheit: „Absolut sicher.“
„Das weiß Hasard, seit wir Bombay hinter uns lassen mußten“, stimmte auch Batuti zu.
„Dann wissen wir also sicher, womit wir uns den Vormittag vertreiben“, sagte Higgy zufrieden und wartete auf die nächsten Kommandos.
Dan O’Flynn hatte mehr Mühe, sich festzuhalten, als er gedacht hatte. Der Großmast und die Ausgucktonne ächzten und schlugen hin und her. Dan stemmte Knie und Schultern gegen das Holz, klammerte sich am Mast fest und drehte langsam den Kopf. In seinen Ohren pfiff und heulte der Wind, sein Haar peitschte ihm ins Gesicht. Mit halb zusammengekniffenen Augen starrte er über die See und suchte jede Handbreit der Kimm ab. Die Sonne versteckte sich irgendwo hinter der Küstenlinie, hinter einer dunklen, tiefhängenden Wolkenbank.
„Verdammte ‚Ghost‘! Wo versteckt sich Ruthland?“ murmelte Dan im Selbstgespräch. Der Wind riß ihm die Worte von den Lippen. „Zeige dich, verdammter Hundesohn!“
Bei Tagesanbruch hatte der Wind geringfügig gedreht und wehte jetzt schwächer als während der Nacht, geradewegs aus Westen. Die Schebecke jagte mit achterlichem Wind auf die ferne Küste zu. Der Himmel über dem Meer wirkte zerrissen, ließ unglaubliche Wolkenspiralen erkennen, zeigte ein schwefliges Graugelb und sah aus, als sei heute jedes nur mögliche Wetter samt Wind zu erwarten.
Die Seewölfe, die kurz nach der ersten Helligkeit vom feuchten Deck aus dieses Schauspiel beobachteten, konnten nur die Köpfe schütteln.
Nicht mal Old Donegal fiel zu dieser Zurschaustellung von Monsunwolken eine Bemerkung ein.
Dan fluchte leise und starrte hinüber zur Küste. Nicht ein einziges Segel war zu erkennen. Vielleicht war das wilde Aussehen des Himmels für die Inder auf den Dhaus ein schlechtes Omen. Zu dieser Stunde wagte sich offensichtlich kein Kapitän aus den Häfen und Buchten hervor.
Mit einigen Schwierigkeiten zerrte Dan das Spektiv aus der Jackentasche, zog es auseinander und peilte hindurch. Das Okular schlug immer wieder hart gegen sein Auge, gegen den Wangenknochen und die Braue. Wieder fluchte er, und am meisten ärgerte ihn das runde Bild, das einen wirren Tanz aufführte.
Für diesen Ärger muß Ruthland erst recht zahlen, sagte sich Dan. Von Deck aus schrie jemand etwas zu ihm hinauf. Er schüttelte den Kopf, um anzudeuten, daß jedes Geschrei sinnlos sei, er verstünde kein einziges Wort. Wahrscheinlich lautete die Frage, ob er etwas vom Verfolger sähe oder nicht.
Trotz der jämmerlichen Haltung und der Stöße, die er empfing, blieb er gewissenhaft wie immer.
Mehrmals suchte er die Kimm ab – nach den Segeln der Karavelle, nach anderen Segeln, nach irgendeiner Einzelheit, die ihnen Weiterhelfen konnte. Schließlich, fast eine halbe Stunde mußte vergangen sein, war er sicher, daß sich innerhalb eines riesigen Kreises nur die Schebecke, mutterseelenallein, auf dem Arabischen Meer befand. Es war sinnlos, weiterzusuchen.
Er sicherte das wertvolle Instrument und enterte mit größter Vorsicht wieder über die Wanten ab. Er schüttelte sich, als er an Deck stand und in Hasards blitzende Augen starrte.
„Nichts, Sir“, sagte er. „Wenn sie hinter uns her sind, dann sind sie noch zu weit entfernt. Beim Holzbein meines Alten! Kein Segel zu sehen.“
Der Ernst, mit dem er antwortete, überzeugte den Seewolf. Hasard verzichtete darauf, zu fragen, ob ein Irrtum möglich sei. Er kannte und schätzte Dans Gewissenhaftigkeit nicht weniger gut und lange als dessen scharfe Augen.
Zusammen mit Dan hatten sich einige Männer um den Großmast versammelt.
Hasard sagte: „Bis auf weiteres halten wir Kurs. Neue Anordnungen gibt es erst, wenn der Wind dreht oder sich die ‚Ghost‘ zeigen sollte.“
Die Seewölfe beobachteten argwöhnisch die Wellen und die Schaumstreifen.
Dan O’Flynn schaute nicht nach Wellen und Wetter, sondern beobachtete den Seewolf. Dessen Gesichtsausdruck ließ erkennen, daß sein Entschluß unverrückbar feststand. Heute oder in den nächsten Tagen würde er zu Ende bringen, was Ruthland und Garcia auf der „Ghost“ angefangen hatten.
An welcher Stelle dieser unbekannten Küste, zu welcher Stunde, ob tagsüber oder in nächtlicher Finsternis, das war unwichtig. Wenn die Schebecke das nächstemal die „Ghost“ ansteuerte, fing das Duell an. Es würde mit Tod und Untergang enden.
Dan zuckte schweigend mit den Schultern und wandte sich ab. Er war sicher, daß die Culverinen Al Conroys den Sieg herbeiführen und den anderen auf den Grund des Meeres schicken würden.
„Dann ist es wohl an der Zeit, daß unsere Köche auftischen, was sie in aller Ruhe gebraten haben!“ rief dröhnend und mit breitem Lächeln Edwin Carberry.
„Hat sich was mit Auftischen, Profos“, entgegnete der Kutscher. „Bei diesem Sauwetter? Backen und Banken, Arwenacks! Seid froh, wenn’s überhaupt was gibt.“
Den nächsten Blick, der ihm die Spannung der Seewölfe deutlich zeigte, fing Dan auf, als der Stückmeister den Niedergang aufenterte. Al Conroys unrasiertes Kinn reckte sich grimmig vor. Die Muskeln in seinen stachelbärtigen Wangen arbeiteten. Er schaute über die Reihen der Culverinen und musterte dann jede einzelne Lafette, als wäre sie ein Raubtier, das nur er von der Kette lassen könnte.
Der Kutscher und Mac Pellew teilten das Essen und die leeren Mucks aus. Ben Brighton und Hasard standen zwischen Gangspill und Back und sprachen halblaut miteinander.
„Die Küste scheint einigermaßen gerade zu sein“, erklärte der Erste. „Hast du vor, einen Hinterhalt anzulaufen?“
Fast widerwillig schüttelte Hasard den Kopf. „Ich war unter Deck. Zusammen mit Dan haben wir die Karten studiert. Keine Inseln, hinter denen wir uns auf die Lauer legen könnten. Taugt alles nichts. Die Buchten da drüben sind mir auch zu unsicher. Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen.“
„Außerdem“, wieder mal deutete der Erste zum Himmel, „kann keiner auch nur ahnen, was uns der Monsundämon heute vor den Bug knallt.“
„Hast du, abgesehen von Ruthland“, fragte Ben Brighton, nachdem er das Nicken Hasards als Bestätigung verstanden und einige Atemzüge lang gewartet hatte, „ein bestimmtes Ziel?“
„Natürlich“, erwiderte Hasard beinahe schroff.
„Zurück nach Bombay und dort berichten, wie es wirklich war – und daß nicht wir die Schurken in diesem Stück sind, Sir?“
Hasards Lächeln war eisig wie der Blick seiner blauen Augen. „Ich bemerke, daß wir wieder mal einer Meinung sind, Ben. Genau das werde ich tun, nachdem wir diese Mörderkaravelle zu den Fischen geschickt haben.“
Ben Brighton sagte sich, daß der Tag noch lange war, daß weder er noch Hasard Hellseher waren, und daß bis zu der Rückfahrt nach Bombay das verdammte Schicksal auch ihnen noch manchen bösen Streich spielen konnte. Daß aber die Seewölfe bei diesem Duell siegreich sein würden – das stand für ihn außerhalb jeden Zweifels.
Die „Ghost“ segelte unter einem tiefhängenden Wolkenwirbel und wurde durch die langen Wellen geschoben. Hinter dem Heck brodelte eine weiße Doppelspur, Gischt flog durch die Luft. Die Karavelle lag seit zwei Stunden mit halbem Wind auf Südkurs.
David Lean kauerte an Deck und bewegte den langen Stiel des Wischers hin und her. Pulverreste staubten aus der Mündung der Culverine. Jede Bewegung des Schiffes lockerte oder straffte die Brooktaue, wenn die breiten Holzräder der Lafette über die Planken knarrten. In der offenen Kiste standen die Kartuschen. Die Kugeln in den Grummets aus dickem Tauwerk bewegten sich nicht.
„Keine Eile, David!“ schrie Francis Ruthland und zog die Schultern vor. „Lieber mehr Mühe geben als zu schnell arbeiten.“
„Schon gut, Sir“, erwiderte der Stückmeister mit einem breiten, selbstsicheren Grinsen. „Wir wissen, auf was es ankommt.“
Der Seewolf verfügte über mehr Geschütze als die Karavelle. David Lean nickte grimmig. Die Menge war nicht entscheidend, sondern die Kunst des Artilleristen. Und er bereitete sich mit allergrößter Sorgfalt auf das Gefecht vor.
Er lud ein Kettengeschoß. Die schwere Kette zwischen den Kugeln klirrte bei jeder Bewegung.
César Garcia stand auf der Back der „Ghost“ und lehnte sich an die Nagelbank. Er blickte hinüber zur fernen Linie der Kimm. Über dem Land leerten sich die dunklen Regenwolken. Von der Sonne war trotz der Löcher in den spiraligen Wolkenmassen nichts zu sehen.
Auch im Westen, an Steuerbord, fegte eine breite dunkelgraue Regenbank über das Meer. Garcia hob wieder das Spektiv und setzte es ans rechte Auge. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hatte er weder mit dem bloßen Auge noch mit den Linsen die dreieckigen Segel der Schebecke entdecken können.
Er wußte, daß Hasard Killigrew früher oder später voraus auftauchen würde. Er wußte es mit unumstößlicher Sicherheit.
Garcia fröstelte und gähnte.
Er zwinkerte, als ihn salzige Spritzer ins Gesicht trafen. Die „Ghost“ hatte die Leinen in Bombay losgeworfen, als das erste Zwielicht erschienen war. Nur undeutlich waren die Masten der Schiffe, das ruhige Wasser und die Fassaden der Häuser zu sehen gewesen, als der ablandige Wind und eine schwache Strömung die Karavelle vom Kai wegdriften ließen.
„He, Kapitän Garcia! Können Sie etwas sehen?“ schrie Hugh Lefray, beide Hände am Mund, zu Garcia hinauf.
Der Spanier drehte sich um, schüttelte wütend den Kopf und rief: „Wolken, Regen und Wellen! Nicht ein einziges Segel!“
„Wahrscheinlich haben die Seewölfe ihre Köpfe eingezogen und sind spurlos abgehauen!“ rief Lefray und lachte schallend.
„Das glaube ich nicht“, erwiderte Garcia. Er lachte nicht. „Killigrew flüchtet nicht. Er wartet nur auf den richtigen Augenblick. So wie wir, Mister Lefray.“
„Sind Sie sicher?“
„Ich bin sicher, daß sie mit ihren Geschützen auf uns feuern werden, wenn sie nahe genug heran sind. Absolut sicher.“
Lefray zupfte an seiner Augenklappe, dann zog er sich am Handlauf des Niederganges zur Back hinauf. Er blieb neben Garcia stehen und streckte die Hand aus.
„Hauen Sie sich in die Koje, Capitán Garcia“, sagte er und deutete mit dem schwieligen Daumen über die Schulter. „Wenn’s ins Gefecht geht, müssen wir alle wach sein. Sie haben die ganze Nacht kein Auge zugekniffen.“
„Das stimmt“, brummte Garcia und ließ die Schultern nach vorn sacken. Bisher hatte er sich unnatürlich straff und gerade gehalten. Sein Gesicht wirkte grau, als er zu Lefray aufschaute und gähnte. „Wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir den Seewolf erwischen.“
Er gab Lefray den Kieker, warf einen langen Blick auf die gischtenden Wellen voraus und enterte zur Kuhl ab. Hier blieb er wieder stehen, hielt sich an einem Want fest und sah zu, wie David Lean und seine Kerle die Enden der Geschütztaljen packten. Langsam rollte die Lafette über die Decksplanken. Der Richtkeil steckte schräg unter der Traube des bronzenen Langrohres.
Garcia schien mit dem, was er sah, mehr als zufrieden zu sein. Er grinste dem Stückmeister zu und verzog sich unter Deck.
Auch Hugh Lefray, der durch das Spektiv starrte, bis sein linkes Auge tränte, entdeckte nichts von der Schebecke.
Er verholte langsam zur Kampanje und blieb neben Francis Ruthland stehen, die Hände auf der Oberkante des Schanzkleides.
„Schneidiger Bursche, dieser Garcia“, meinte er. „Aber ein paar Culverinen mehr würden auch nicht schaden.“
„Dafür haben wir alle Drehbassen mit einer ganz besonderen Mischung geladen, Hugh“, antwortete Ruthland kalt. „Speziell für Killigrew. Und wo steckt der Kerl mit seiner Schebecke?“
„Keine Ahnung. Verdammt! Der Wind!“ brüllte Lefray.
Bisher hatte der Rudergänger kaum Schwierigkeiten gehabt, die Karavelle trotz des starken Windes auf Südkurs zu halten. Jetzt, etwa drei Stunden nach Sonnenaufgang, riß der Wind aus dem nördlichen Sektor mit jäher Plötzlichkeit ab. Die Segel killten so laut, daß der Lärm die letzten Worte Lefrays übertönte.
Sie schauten sich ratlos an. Das war nicht zu erwarten gewesen. Sie brauchten einige Sekunden, um sich darüber klarzuwerden, daß ihre schnelle Verfolgungsjagd unvermittelt aufgehört hatte.
„Was jetzt?“ fragte Lefray schließlich, als die Leinwand schwer durchsackte.
„Warten, bis der Wind wieder einsetzt. Killigrew hat die gleichen Schwierigkeiten. Die Flaute gilt auch für die Schebecke.“
„Da wäre ich aber gar nicht so sicher“, sagte Lefray und fuhr mit den Fingern durch sein dunkelblondes, feuchtes Haar. „Das gefällt mir überhaupt nicht.“
Die Deckscrew hatte ihre Arbeit unterbrochen, starrte auf die Segel und über das Schanzkleid. Rund um das Schiff hatte sich das Meer beruhigt. Die Schaumkronen waren verschwunden. Die „Ghost“ arbeitete schwer in den langen Wellen, legte sich weit über, hob und senkte den Bug.
Eine Geschützkugel sprang aus dem Grummet und rollte rumpelnd über die Kuhl. Die Männer sprangen fluchend zur Seite, als der Stückmeister hinter dem Geschoß herrannte und die schwere Steinkugel einzuholen versuchte.
Pugh, der Schiffszimmermann, bückte sich und bremste das Geschoß, indem er es zwischen Schanzkleid und seinen Stiefel einklemmte.
„Willst du das Ding nach dem Seewolf schmeißen?“ schrie er.
Die Deckscrew stieß ein lautes Gelächter aus. Lean schleppte die Kugel mit beiden Händen vor dem Bauch zurück zur Culverine an Backbord.
„Wart’s ab.“
Der Kapitän drehte sich langsam um. Die Leinwand klatschte schwer und feucht gegen die Masten. Über dem Meer bildeten sich in den gelben und grauen Wolken seltsame Strömungen. Aber es fehlten alle Anzeichen, die auf einen Sturm hindeuteten. Jeder an Deck klammerte sich fest und starrte zu den Wolken hoch, die sich zusammenballten, wieder auflösten und in unterschiedliche Richtungen auseinandertrieben.
„Das ist ein verdammt merkwürdiger Monsun“, knurrte Ruthland schließlich.
Eine Bö aus Westen sprang an, kräuselte das Wasser und füllte die Segel. Die „Ghost“ krängte schwer nach Backbord.
„Neuer Kurs!“ schrie Ruthland. „Kannst du nicht aufpassen, Quelch?“
„Schon gut, Sir“, bemerkte der Rudergänger halblaut und zog die Schultern in die Höhe.
Langsam schwang das Heck herum. Die Karavelle schien ins nächste Wellental eintauchen zu wollen, dann stürzten die Männer der Segelwache zu den Schoten. Der Erste enterte den Niedergang auf und gab vom Achterdeck aus seine Befehle.
„Nicht so schnell“, sagte Ruthland. „Das ist wahrscheinlich nur eine Bö. Der Wind kann gleich wieder umschlagen.“
Sie waren an die Monsunwinde gewöhnt, die meist aus Südwesten wehten. Hin und wieder waren auflandige und ablandige Winde stark genug, um das Schiff schnell genug vorwärts zu bringen. Selbst an Gewitterstürme hatten sich die Engländer gewöhnen müssen. Aber heute spielte das Wetter verrückt.
Die Bö packte stärker zu, die Segel standen binnen weniger Sekunden wieder prall, und die „Ghost“ nahm Fahrt auf. Es gelang, die Karavelle auf Südostkurs zu steuern, aber wie lange sie das Land voraus sehen würden, blieb weiterhin ungewiß.
„Hör zu, Francis“, sagte Lefray einige Zeit später. „Ich begebe mich auf die Back, und dort bleibe ich, bis ich den Seewolf im Kieker habe. Klar?“
„Einverstanden“, erwiderte Ruthland. „Es wird nicht lange dauern, dann dreht der Wind wieder.“
„Wahrscheinlich.“
In den folgenden Minuten blieb der Wind stark genug, und er änderte auch die Richtung nicht, aus der er wehte. Noch immer regnete es über dem Festland. Die Wellen türmten sich höher auf, die Schaumkronen waren zuerst winzig klein, wuchsen dann, und schließlich kippten sie von den Wellenkämmen und lösten sich zischend auf.
Hugh Lefray hangelte sich am Schanzkleid entlang bugwärts, enterte auf und suchte hinter dem tanzenden Bug nach dem Schiff des verhaßten Feindes – mit bloßem Auge oder durch die Linsen des Spektivs.
Aber es dauerte fast bis zum Mittag, bis er etwas sichtete – Segel, die sich undeutlich von den Wolken an der Kimm abhoben. Zu dieser Zeit hatte die Karavelle drei Schläge ausgeführt und befand sich wieder auf südlichem Kurs.
Aber jetzt näherte sich mit den Monsunwolken ein breiter, fast schwarzer Regenvorhang. David Lean fing an, die Culverinen und Lafetten mit Segeltuch zu schützen und das knatternde, wild schlagende Tuch festzuzurren.