Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 588 - Sean Beaufort - Страница 6
1.
ОглавлениеRecalde fluchte leise. Seit Tagen kreuzten die Karavellen westlich der Küste und suchten weiträumig nach dem Schiff mit der wertvollen Ladung. Im Dunst erkannte er die drei Lateinersegel der „Maria d’Oro“, die auf anderem Kurs und in derselben Mission segelte.
„Abfallen“, ordnete er an. „Capitán Leora soll unser Signal sehen können.“
„Verstanden.“
Beide Karavellen waren in Portugal gebaut und von Spanien übernommen worden. Die besten und glaubensfestesten Männer der Besatzung waren an Bord geblieben. Gute Seeleute, sagte sich Recalde. Aber keine Spanier. Die „Fidelidad“ mit ihrer kostbaren Ladung wurde fieberhaft gesucht, und es war denkbar, daß die Engländer sie gekapert hatten. Oder war sie im Sturm gesunken? Es gab keine Nachricht.
Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als der Mann aus dem Masttopp rief: „Capitán! Ich erkenne sie. Sie segelt Nordkurs. Es ist die Galeone!“
Recalde zuckte zusammen. Eine gute Nachricht. Nordkurs? Er federte ein störrisches, gleitendes Aufbäumen der Karavelle ab und winkte dem Bootsmann.
„Capitán?“
„Bereite das Signal ‚Aufschließen‘ vor. Ich will mit Leora sprechen.“
„Jawohl.“
Wieder meldete sich der Ausguck. Seine Stimme überschlug sich fast vor Überraschung.
„Kein Zweifel, Capitán. Es ist das vermißte Schiff. Es hat die Flagge gestrichen. In Schußweite segelt eine dreimastige Schebecke auf gleichem Kurs.“
„Nationalität festzustellen?“
„Es ist nichts zu erkennen.“
Recalde gab einige Befehle. Die Karavelle fiel stark ab, während sich die „Maria d’Oro“ mit achterlichem Wind schneller einem möglichen Treffpunkt entgegenbewegte. Recalde war sicher, daß die Männer auf der „Goldenen Maria“ ebenso scharf Ausschau nach dem überfälligen Schiff hielten und ihn, die „San Leon“, im Auge behielten.
Die Signalflagge glitt zum Masttopp hoch. Der Ausguck verstaute das kostbare Gerät aus gläsernen Linsen und Messinghülsen und packte das farbige Tuch. Während er es mit ausgestrecktem Arm langsam schwenkte, gab der Stückmeister aus der kleinen Drehbasse im Heck einen Schuß ab. Der Donnerschlag hallte über die Wellen.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Schall die „Maria d’Oro“ erreichte. Das Signal bedeutete, daß sich beide Schiffe bis auf Rufentfernung nähern sollten. Der Ausguck starrte zur anderen Karavelle hinüber.
Kapitän Elvecio Leora ließ den Anruf mit dem „Verstanden“-Signal und einem bestätigenden Schuß aus dem kleinen Drehgeschütz beantworten. Sein Schiff legte sich schwer über, als es auf die „San Leon“ zusteuerte. Recalde nickte zufrieden, und tief in seinem Inneren spürte er Aufregung und Jagdfieber.
Es ging keineswegs mit rechten Dingen zu, denn es war für jeden Spanier undenkbar, daß ein Schiff auf dem Heimweg, dicht vor Land, einen anderen Kurs einschlug, womöglich deshalb, weil die Mannschaft desertiert war.
Daß ausgerechnet eine dreimastige Schebecke jene Galeone begleitete, konnte seine Aufregung nur noch steigern. Er wartete und wurde zunehmend ungeduldiger, bis sich endlich der scharfäugige Portugiese wieder meldete.
„Nordkurs segeln sie, Capitán! Strikt nach Nord. Aber sie sind jetzt dicht beieinander.“
„Wollen sie kämpfen? Siehst du irgendwelche Signale?“
Einige Atemzüge später tönte es aus dem Mastkorb zurück: „Nein! Sie tun so, als würden sie zusammengehören!“
„Gut!“ rief Jorge zurück. „Ich lasse dich dann ablösen! José übernimmt den Ausguck!“
Während sich die beiden verfolgten Schiffe langsam auf die Horizontlinie zu entfernen und der mittägliche Dunst dichter wurde, preschte die zweite Karavelle mit schäumender Bugwelle heran. Jorge Recalde war jetzt sicher, daß jenes lang vermißte spanische Silberschiff vorhatte, nach England zu segeln. Wie das hatte geschehen können, wußte er nicht. Aber er konnte sich so manches denken, und nichts davon freute ihn, den Spanier. Auch in diesem Punkt waren die Befehle klar.
Querab und achterlich lag Porto im Landnebel versteckt. Porto, das einmal Oporto geheißen hatte. Auch dort wartete der spanische Statthalter auf Nachrichten über die schwerbeladene „Fidelidad“. Jede Nachricht über das Schiff war wichtig. Weitaus wichtiger war jedoch, das Schiff zurückzuholen.
Jorge ließ sich einen Becher Wein bringen, bestimmte die Ablösung für den Ausguck und legte den Kurs fest, schließlich winkte er, fast am Ende seiner Geduld, zur Karavelle hinüber.
„Buenos Dias, ‚Maria d’Oro‘!“ schrie er, als beide Schiffe nebeneinander lagen und in den Wind drehten. Die großen Dreieckssegel schlugen und knatterten. Lose Tauenden peitschten durch die Luft.
„Dias, ‚San Leon‘!“ rief Elvecio Leora zurück. „Ihr habt die ‚Fidelidad‘ gesichtet?“
„Zusammen mit einer schnellen Schebecke. Das Ziel beider Schiffe ist zweifelsohne England. Du kennst die Befehle, Elvecio!“
Die Seeleute hingen an den Bordwänden und winkten von Schiff zu Schiff hinüber. Auch der Kapitän der „Maria d’Oro“ stand hinter dem Rudergänger auf dem Achterdeck und hielt beide Hände trichterförmig an die Lippen.
„Einer von uns muß nach Porto und Nachricht geben. Ich werde segeln und mit Verstärkung zurückkehren. Dann hetzen wir die Kerle!“
„Gut so. Bringt Wasser und Proviant mit. Er wird knapp, wenn es länger als drei, vier Tage dauert.“
„Verstanden. Ich bringe Verstärkung mit. Was denkst du über die ‚Fidelidad‘?“
Jorge sagte es ihm in ausdrucksvollen Worten und fügte ein paar saftige spanische Flüche hinzu. Die beiden Kapitäne sprachen ein gewähltes Spanisch, aber dieser Umstand hatte keinen Einfluß auf ihr Draufgängertum. Sie würden es mit ihren schnellen, beweglichen Schiffen den Meuterern oder wem auch immer zeigen. Die Entfernung bis England war groß, es würde unzählige Möglichkeiten geben, den Silberschatz wieder zurückzuholen und die Meuterer in Eisen zu legen.
„So wird es wohl sein!“ brüllte Elvecio zurück. „Ich bin derselben Meinung. Oder sind es die Wassergeusen gewesen, diese halsstarrigen Holländer? Wie immer es sei – sie scheinen schneller als wir!“
„Gleich schnell oder langsamer. Aber die Winde drehen häufig.“
„Treffpunkt?“
Jorge gab seinen Kurs bekannt, winkte und grüßte kurz. Die Karavellen drehten langsam, Wind fuhr in die Segel. Die „Maria d’Oro“ mußte versuchen, nach Luv zu gelangen und würde einige weite Schläge tun müssen, um schnell in die Mündung des Duero einlaufen zu können, des Flusses, an dessen Mündung die Stadt und der Hafen lagen.
Die „San Leon“ hatte achterlichen Wind und setzte binnen kurzer Zeit die Verfolgung fort. Jorge rief den Stückmeister und befahl, sämtliche Geschütze feuerbereit zu machen und mit verschiedenen Ladungen zu versehen. Es würde wohl sechsunddreißig Stunden dauern, bis Verstärkung aus Porto ihnen helfen konnte, Meuterer und Kaperer zu jagen.
Am frühen Nachmittag lösten sich Dunst und Nebel zögernd auf. Der Wind wurde kühler und wehte aus West oder Südwest. Wieder legte sich die „San Leon“ weit über, als sie nach Nordwest segelte, um nicht in gefährliche Nähe der felsigen Ufer zu geraten. La Coruña und das Kap lagen weit voraus. Jorge arbeitete mit Zirkel und Stift und trug seine Beobachtungen mit penibler Sorgfalt ein. Er wußte, wie leicht er in der Nacht die Verbindung zu den flüchtenden Schiffen verlieren konnte.